Aufgenommen! Angekommen? Wider die Verwertbarkeit

Junge Flüchtlinge
Oktober 2015
Aufgenommen! Angekommen? – Junge Flüchtlinge in der Jugendsozialarbeit
Junge Menschen wie Elyan verbringen
entscheidende Jahre ihres Lebens in
Deutschland, und viele von ihnen werden dauerhaft hier bleiben.
Jugendsozialarbeit will und muss
auch sie erreichen und gezielt fördern,
damit sie für sich eine Lebensperspektive entwickeln können und damit die
entscheidenden Jahre, die sie hier verbringen, für sie nicht zu verlorenen Jahren werden.
Aus dem Inhalt
Mut für die neuen
Herausforderungen2
Ich will arbeiten und
selbstständig sein
2
Willkommen in Hamburg
3
Endlich anfangen anzukommen
3
Bildungsland Hessen
4
Pädagogik des sicheren Ortes
4
Vorbereitung auf den
Hauptschulabschluss
5
Welcome Center
5
Auf dem Kirchentag 2015
6
Fremde Heimat Bayern
6
Gremien der BAG EJSA:
Gemeinsam neue Wege suchen
6
Bildung und Ausbildung:
Kommunale Koordinierung
7
Mehr Aufmerksamkeit für
junge weibliche Flüchtlinge
Aufgenommen! Angekommen?
7
Was können junge Flüchtlinge von Jugendsozialarbeit erwarten?
Entwicklungsschub für die
Jugendsozialarbeit
8
Was brauchen junge Flüchtlinge
in der Schule?
8
Jugendmigrationsdienst als
verlässlicher Partner
9
Unsere Türen stehen offen!
11
Zehn Impulse
12
Links und Hinweise
zum Thema
12
G
eflüchtete Kinder und Jugendliche haben unabhängig von ihrem Status die gleichen Rechte wie
alle anderen Kinder und Jugendlichen
in Deutschland. Das gilt seit dem 15.
Juli 2010, nachdem Deutschland 2009
seinen Vorbehalt zur UN-Kinderrechtskonvention in Bezug auf ausländische
Kinder zurück genommen hat. Vorrang
muss bei allen Maßnahmen das Kindeswohl haben. Welche Konsequenzen
ergeben sich daraus für die Jugendso-
Redaktion:
Verantwortlich: Gisela Würfel (wü)
Einzelbeiträge: Claudia Armuth, Elke Bott-Eichenhofer, Günter Buck (bu), Michael Fähndrich (fä), Christiane Giersen, Judith Jünger (jj),
Barbara Klamt, Susanne Käppler (suk), Urs
Kaiser, Kristina Krüger, Andreas Lipsch, David
Meis, Inge Müller, Esther Peylo, Claudia Seibold (sei), Marie Scripec und Tom Hauber, Helena Sauter, Burkhardt Wagner
V.i.S.d.P.: Michael Fähndrich (Geschäftsführer)
Bildnachweis: Jürgen Jünger (S. 1, S. 3 oben,
S. 4 oben, S. 6 unten links, S. 7 oben, S. 8,
S. 9 unten, S. 10 oben), vij (S. 5 unten rechts),
Volker Maria Hügel (S. 2 oben), CJD (S. 4
unten, S. 5 unten links), Produktionsschule
Moritzburg (S.5 oben), JMD MindenLübbecke (S. 9 oben), Hendrik Pupat (S. 12
oben), Jan Hanicz – HotRoad Film & Videoproduktion (S. 12 unten), Rest BAG EJSA
Gefördert durch:
Im Verband mit:
ren Aufenthaltserlaubnissen oder gänzlich ohne gesetzlichen Aufenthaltsstatus in Deutschland leben.
Entscheidende Jahre verloren?
»Meine eigene Zukunft sehe ich hier,
denn wie soll ich in ein Land zurückkehren, in dem es für mich keine Möglichkeiten und Chancen gibt«, sagt Elyan Eshaq, der mit seiner Familie aus
dem Irak nach Deutschland kam (siehe
dazu auch das Portrait auf Seite 5).

Bitte lesen Sie weiter auf Seite 2
Wider die Verwertbarkeit
Impressum
Herausgeberin und Vertrieb:
Bundesarbeitsgemeinschaft Evangelische
Jugendsozialarbeit e. V. (BAG EJSA)
Wagenburgstraße 26 – 28
70184 Stuttgart
Tel. +49 (0) 7 11/16 489-0
Fax +49 (0) 7 11/16 489-21
[email protected], www.bagejsa.de
zialarbeit? Ihre Angebote müssen offen
sein für alle Jugendlichen. Nicht nur
junge Flüchtlinge mit anerkanntem Status können sie in Anspruch nehmen.
Auch Jugendliche und junge Erwachsene, die als Flüchtlinge ohne langfristig gesicherte Aufenthaltsperspektive in
Deutschland leben, können Unterstützung erwarten. Zu dieser Gruppe gehören Jugendliche in langwierigen Asylverfahren, aber auch junge Menschen,
die mit Duldung, befristeten humanitä-
Was brauchen junge Flüchtlinge?
Ihnen allen gemeinsam ist, dass sie
sich in unserem Land eine Zukunft
wünschen und möglichst schnell so­
zialen und beruflichen Anschluss finden
wollen. Für viele, und hier besonders für
diejenigen ohne anerkannten Status, ist
der Einstieg in eine Ausbildung mit hohen Hürden versehen. Daher kommt
es insbesondere am Übergang Schule
– Beruf darauf an, dass sie angemessene Unterstützung erhalten und bestehende Hindernisse abgebaut werden – auch wenn sich zurzeit bei den
rechtlichen Rahmenbedingungen einiges zum Besseren ändert.
Je nach Geschlecht, Lebensalter,
Her­kunftsland, Fluchtgrund, Fluchtweg,
Traumatisierung, Sprachkenntnissen,
Bildungsstand, beruflichen Erfahrungen, familiärer Begleitung, Stand der
Familienzusammenführung und Statussicherheit brauchen junge Flüchtlinge unterschiedliche Unterstützung.
Was sie aber vor allem brauchen ist das
Gefühl, hier bei uns wahrgenommen zu
werden und willkommen zu sein.
Ein ethischer Zwischenruf!
A
ugenscheinlich reicht es in unserer Gesellschaft nicht mehr, ein
Mensch zu sein, um ein Recht auf ein
gutes und sicheres Leben zugebilligt
zu bekommen.
Wenn Armin Laschet in einem Gastkommentar im Tagesspiegel vom 6. Januar 2015 sagt: »Ohne Zuwanderung
wird Deutschland seinen Lebensstandard und seinen Wohlstand nicht halten können. Deutschland muss seine
Attraktivität für qualifizierte Zuwanderer
deutlich steigern.«, dann meint er damit eben nicht, dass wir mehr jungen
Flüchtlingen die Chance geben, das
Potential, das in ihnen steckt, zu entwickeln. Er propagiert damit die Idee,
dass gut ausgebildete, motivierte und
leistungsbereite junge Flüchtlinge, die
sich nahtlos in unsere Gesellschaft
einfügen, unser erwartetes demografisches Problem lösen.
Junge Flüchtlinge werden so zu wirtschaftlicher Ware, mit mangelhafter
oder guter Qualität. Letzteres wird auch
gern umschrieben mit »guter Bleibeperspektive«. Als ob die Bleibeperspektive in der Hand der jungen Menschen
läge. Nein, sie ist ein hegemonialer Akt,
der nach mehr oder weniger transpa-
renten Kriterien darüber entscheidet,
ob sie bleiben können oder nicht. Junger Mensch sein allein reicht da nicht.
Junge Flüchtlinge werden Ziel von
Investitionen
Junge Flüchtlinge werden unter dieser
Perspektive zum Ziel von Investitionen
– nicht in Bezug auf die Verwirklichung
ihrer eigenen Potentiale und Lebensvorstellungen, sondern immer im Hinblick auf ihre spätere Nützlichkeit für
unsere Gesellschaft. Da werden dann
mit großer Geste Ausbildungsplätze in
Mangelberufen für Flüchtlinge angeboten, so geschehen in Rheinland-Pfalz,
als der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband unter großer medialer Beteiligung und unterstützt von der Landesregierung 300 Ausbildungsplätze
zur Verfügung stellte. Die Irritation, dass
junge Flüchtlinge sich nicht um diese
Plätze rissen, war hoch und die Landesregierung wurde genötigt, gegen
dieses »Armutszeugnis« etwas zu tun.
Die Absurdität wurde nur noch davon
getoppt, dass die zuständige Ausländerbehörde die vier jungen Flüchtlinge
aus den Balkanstaaten, die sich für einen solchen Ausbildungsplatz interes-
sierten, hoch motiviert waren und zudem gut Deutsch sprachen, mit der
Begründung ablehnte, dass sie keine
»guten Bleibeperspektiven« hätten.
Das Recht auf Bildung, das die UNKinderrechtskonvention im §29 ausführt, beschreibt Gegenteiliges: »Die
Vertragsstaaten stimmen darin überein, dass die Bildung des Kindes darauf gerichtet sein muss, die Persönlich-
keit, die Begabung und die geistigen
und körperlichen Fähigkeiten des Kindes voll zur Entfaltung zu bringen«, und
dies alles auf der Basis der in §12 beschriebenen Berücksichtigung des Kindeswillens.
Junge Flüchtlinge sind keine Ausfallbürgen der Gesellschaft
Nicht nur die Ethik der Konvention verbietet es, junge Flüchtlinge zu Ausfallbürgen einer Gesellschaft machen zu
wollen, die durch verfehlte Familienpolitik und gesellschaftliche Geringschätzung sozialer Berufe große Zukunftsprobleme hat.
Nein, junge Flüchtlinge sind nicht die
Rettung für unseren Fachkräftemangel
in der Pflege. Nein, sie haben nicht die
Verpflichtung, aus Dankbarkeit für das
aufnehmende Land jede Ausbildungsstelle anzunehmen, egal ob diese ihren
Begabungen, Wünschen und Lebensvorstellungen entspricht.
Alle jungen Flüchtlinge haben ein
Recht auf Bildung, auf ein gutes und sicheres Leben, weil sie Menschen sind!
(Christiane Giersen, Vorstand Bundesarbeitsgemeinschaft Evangelische Jugendsozialarbeit)
BAG EJSA – Junge Flüchtlinge 2015
Aus Politik und Zeitgeschehen
Mut für die neuen Herausforderungen

Neue Herausforderungen
Die Herangehensweisen in der Jugendsozialarbeit, die pädagogische Arbeit
mit Gruppen, die individuelle Förderung, die Hilfe in schwierigen Lebenssituationen und die langjährige Erfahrung in der Förderung von jungen
eingewanderten Menschen bieten eine
gute Grundlage für die Arbeit mit jungen Flüchtlingen.
Aber es entstehen auch neue Herausforderungen. Durch die verstärkte
Zuwanderung in den letzten Jahren
steigt die Anzahl der jungen Flüchtlinge
in der Jugendsozialarbeit ständig weiter
an. Änderungen der rechtlichen Rahmenbedingungen (wie z. B. das Bleiberecht für junge Flüchtlinge ohne anerkannten Status, die sich in Ausbildung
befinden) schaffen neue Möglichkeiten,
bringen aber auch neue Aufgaben.
Daher ist es notwendig, dass wir
die Angebote der Jugendsozialarbeit
mit Blick auf die heterogene Zielgruppe
»Junge Flüchtlinge« und im Kontext der
Debatte um Vielfalt und Inklusion prüfen. Wir müssen die Frage, wie und
mit welchen Mitteln Jugendsozialarbeit
sich auf die Bedarfe und Bedürfnisse
junger Flüchtlinge zukünftig einstellen
muss, beantworten.
J
Kinder sind durch die Flucht von allem
entwurzelt was ihnen vertraut ist, was
bedeutet das für Deutschland?
Das ist eine Herausforderung für die
Aufnahmegesellschaft, weil die Sozialarbeit, die LehrerInnen, die AusbildungsgeberInnen natürlich überhaupt
nicht vorbereitet sind. Da brauchen
wir diejenigen, die den kulturellen und
sprachlichen Background haben. Der
klassische Einheimische stößt zu viel
an Grenzen. Kultursensibilität kann
man schlecht durch Seminare vermitteln, das Wissen um Fluchtursachen und -bedingungen sowie um die
rechtlichen Aufnahmebedingungen
dagegen schon. Es ist ganz wichtig,
dass die flüchtlingsrechtliche Kompetenz vernetzt wird mit der Jugendhilfekompetenz, denn es gibt ein riesiges
Umsetzungsdefizit bei der UN-Kinderrechtskonvention. Der Vorrang des Kindeswohles wird bei Flüchtlingskindern
jeden Tag missachtet.
unabsehbare Zeit in Deutschland. Ich
muss mich also vom ersten Tag an um
Eingliederung bemühen. Und selbst
wenn es zu einer Aufenthaltsbeendigung kommt, sind die rückkehrenden
jungen Menschen natürlich Botschafter für Deutschland. Und wir sollten
uns schon fragen, welches Bild von
uns vermittelt wurde.
Was brauchen die Fachkräfte?
Dabei dürfen die Fachkräfte, die mit
den jungen Flüchtlingen in den Einrichtungen arbeiten, nicht vergessen werden. Sie sind zwar mit ihrer pädagogischen Erfahrung grundsätzlich gut
gerüstet. Neben zusätzlichen fachlichen Kenntnissen wie z. B. zu den
rechtlichen Rahmenbedingungen oder
zur Arbeit mit traumatisierten Jugendlichen, brauchen sie Wertschätzung
für ihre Arbeit und die Möglichkeit der
Selbstfürsorge (siehe dazu Seite 8).
Wie sieht die Situation für junge Flüchtlinge über 18 Jahre aus?
Zu sagen, mit 18 Jahren ist regelmäßig
Schluss mit der Jugendhilfe, und daraus dann auch noch ausländerrechtliche Konsequenzen zu ziehen, das finde
ich sehr bedrückend! Wo soll ich als
Wie sehen Sie die Einteilung in gute und
schlechte Flüchtlinge?
Solange die Flüchtlingspolitik von Innen- und RechtspolitikerInnen betrieben wird und nicht von Familien- und
SozialpolitikerInnen habe ich immer
auch gleich die Abwehr- und Miss-
Was tut die BAG EJSA?
Zentraler Ansatzpunkt ist für uns, für
junge Flüchtlinge den Zugang zu Bildung und Ausbildung weiter zu verbessern. Dabei steht für uns im Sinne der
UN-Kinderrechtskonvention (§29) die
Entfaltung der Persönlichkeit im Vordergrund. Schon im Jahr 2014 haben
wir im Rahmen des Kooperationsverbundes Jugendsozialarbeit dazu das
Positionspapier »Jungen Flüchtlingen
Bildung und Ausbildung sichern!« herausgegeben.
Um dem Schlagzeilenjournalismus
zum Flüchtlingsthema etwas entgegenzusetzen, organisierten wir – auch im
Rahmen des Kooperationsverbundes
Jugendsozialarbeit – ein Pressehintergrundgespräch mit erfahrenen Fachkräften und jungen Flüchtlingen, die
selbst Auskunft über ihre Lebenssituation in Deutschland gaben. Auch rücken wir Aspekte, denen bisher zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird, in
den Blick. So z. B. die dringende Notwendigkeit, die spezifische Situation
weiblicher junger Flüchtlinge stärker
zu berücksichtigen.
Wir wissen, die Zielgruppe der jungen Flüchtlinge wird uns nicht nur in
diesem Jahr intensiv beschäftigen.
Wenn das Medieninteresse und auch
die Aufmerksamkeit der Politik nachlassen, werden wir uns weiterhin für die
Verbesserung der Lebenssituation junger Flüchtlinge in unserem Land einsetzen. Sie sollen in einigen Jahren nicht
feststellen müssen, dass die Zeit, die
sie hier waren, für sie eine verlorene
Zeit war. n (wü)
2
Mit Expertise und Vernetzung vom ersten Tag an um Eingliederung bemühen
Forsetzung von Seite 1
udith Jünger (BAG EJSA) sprach
mit Volker Maria Hügel, Rechtsreferent bei der Gemeinnützigen Gesellschaft zur Unterstützung Asylsuchender e.V. in Münster, Leiter des Projektes
Qualifizierung der Flüchtlingsarbeit.
junger Flüchtling ohne eine Lebensperspektive die Kraft hernehmen, um das
zu leisten, was von mir erwartet wird?
Die Mehrheit aller Flüchtlinge bleibt auf
brauchsdebatte. Ich bin froh in einem
Land zu leben, wo man selbst aus der
CSU geworfen wird, wenn man offen
antisemitisch vorgeht. Warum haben
wir nicht die gleiche gute Sensibilität
beim Antiziganismus? Roma sind die
vergessenen Holocaustopfer.
Neuerdings äußert sich auch die Wirtschaft zu Flüchtlingen.
Ich bin sehr erfreut, wenn die Ökonomie sagt, wir brauchen sie. Dann wird
das viel eher gehört, als wenn das die
üblichen Verdächtigen sagen. Wir müssen aber auch dann diejenigen im Auge
haben, die nicht wirtschaftlich »verwertbar« sind. Die Traumatisierten, die Alten, die Kranken. Diejenigen, die keine
ausreichende Bildung haben. Wenn ich
Flüchtlingsschutz ernst nehme, bin ich
bei den Müttern und Vätern unseres
Grundgesetzes.
Wie sehen Sie Spielräume zur UN-Kinderrechtskonvention auf kommunaler
Ebene?
Wir haben über den paritätischen
Wohlfahrtsverband angeregt, dass
sich Flüchtlingsberatungsstellen und
Kinderschutzbund in allen Kommunen
zusammentun und daraus eine Agenda
entwickeln und dann auf den jeweiligen
Stadt- oder Kreisrat zu gehen.
Thema Stolpersteine in der Ausbildung
für junge Flüchtlinge …
Das Mantra des Kühn-Memorandums
von 1979 war »Ausbildung, Ausbildung,
Ausbildung«. Alles was ausgrenzt weg!
Alles was fördert, inklusive Beratung,
muss verstärkt werden! Sprachkurse
für alle und keine Hürden zum Ausbildungs- und Arbeitsmarkt.
Welche strukturellen Veränderungen
brauchen wir?
Das würde ich mir persönlich wünschen, dass die Flüchtlingshilfe wie
die Jugendhilfe zur Regelleistung wird,
damit kann man auch dem qualifizierten Personal eine Arbeitsperspektive
bieten. Denn die hohe Fluktuation im
Flüchtlingsbereich ist natürlich auch
dem geschuldet, dass permanent
überall Stellen befristet sind und die
Anschlussfinanzierung von Projekten
nicht da ist.
Warum braucht es neben den Regeldiensten Flüchtlingsberatungsstellen?
Flüchtlingsberatungsstellen bringen
das ausländer- und asylrechtliche Wissen in Verbindung mit den Flüchtlingen
und deren Lebenslagen. Eigentlich ist
ganz klar, dass die Regeldienste sich
auch auf Flüchtlinge einstellen müssen.
Aber, so lange die Kultur- und Sprachkompetenz und vor allem die aufenthaltsrechtliche Kompetenz nicht da ist,
landen sie natürlich postwendend wieder bei den Flüchtlingsberatungsstellen, die alle personell völlig unterbesetzt sind.
Wie sehen Sie das aktuell große ehrenamtliche Engagement?
Großartig! Aber, wenn man dieses erstaunliche gesellschaftliche Enga-
Ich will arbeiten und selbstständig sein!
Afrim B. – seit 25 Jahren Asyl suchend
I
ch heiße Afrim B., bin 1989 im Kosovo geboren. Mit meinen Eltern kamen wir 1991 nach Deutschland. Ich
war anderthalb, mein Bruder zweieinhalb, und meine zwei Schwestern
sechs und zehn Jahre alt. Wir sind
wegen dem Krieg geflohen und nach
Deutschland gekommen. Die erste
Station war die Erstaufnahmestelle in
Karlsruhe, dann kamen wir nach Stuttgart. Nur in Bad Cannstatt waren wir
lange, da waren wir zehn Jahre. Es war
1993, 1994, da war das für mich wie im
Paradies! Wir hatten Spaß in der Unterkunft, wir waren viele Kinder, haben
immer viel gespielt. Und dann, 1994
war mein erster Royal-Ranger-Pfadfinder-Besuch, mit meinem großen Bruder und der großen Schwester. Die waren schon früher dort, aber ich bin erst
1994 dazu gekommen. Das hat mir
gefallen. Aber dann mussten wir die
Unterkunft wechseln. Ich war erst in
der Grundschule und dann bis zur 9.
Klasse in der Förderschule. Dann war
ich in der Berufsschule, in der Hauswirtschaftsschule. Meine Eltern haben
angefangen zu arbeiten.
Keine Chance auf Ausbildung
Wir durften keine Ausbildung machen,
auch keine Schule weiter besuchen,
weil wir nur geduldet waren. Erst 2007
haben wir eine Aufenthaltserlaubnis für
zwei Jahre bekommen. Da bin ich wieder zur Ausländerbehörde gegangen,
habe gefragt: »Kann ich jetzt meine
Ausbildung beginnen?« Die Antwort
war: »Du bist jetzt volljährig geworden.
ist ausgeschaltet, Wasser gibt‘s nicht,
Heizung gibt‘s nicht, Essen gibt‘s nicht,
und kein Geld. Auch im Winter.
In Deutschland denken sie, hier
kann man gut leben. Aber geh mal
richtig runter, zu den Romas! Für uns
Roma ist es elend! Die sind auch rassistisch. Dort wird man verfolgt, verprügelt, alles.
Es gibt für Volljährige keine Schule, das
müsstest du selber zahlen«. Da hab
ich gesagt: »Das geht nicht, was kann
ich machen?« – »Such dir eine Arbeit«.
Es war für mich schwer, als Roma einen Job zu finden. Über meinen Bruder habe ich in einer Bäckerei einen Job
gefunden. Da war ich richtig angestellt,
mit Papieren. Der Chef wollte mich als
Bäcker oder Verkäufer ausbilden, aber
das wurde von der Ausländerbehörde
abgelehnt, obwohl ich eine Aufenthaltsgenehmigung hatte. Die meinten bei
der Arbeitsagentur »Du kannst keine
Ausbildung machen, du bist volljährig,
du musst arbeiten. Wenn nicht, wirst
du abgeschoben«.
Hin- und hergeschoben
2009 bekamen wir keine neue Aufenthaltserlaubnis und sollten zurück in den
Kosovo. Da sind wir zum Bruder meines Vater nach Belgien gegangen und
haben dort Asyl beantragt. Sie haben
uns zweieinhalb Jahre warten lassen
und dann den Antrag abgelehnt. Meine
Eltern und meine Schwester kamen in
die Abschiebehaft. Meine Mutter und
mein Vater haben da drin gelitten. Egal
ob du blutest oder keine Luft kriegst,
es juckt die Beamten nicht. Ich bin mit
meinen anderen Geschwistern und
meiner Freundin zurück nach Stuttgart
geflohen. Meine Freundin war hochschwanger. Im Rathaus haben wir eine
Grenzbescheinigung bekommen und
über das Sozialamt Wohnung. Ein jetziger Nachbar von mir hat uns gut geholfen. Seither sind wir hier.
Der 28. April 2014 war krass. Da kam
die Polizei um vier Uhr morgens zu uns,
hat meinen Bruder abgeholt und ihn
nach Belgien verlegt. Er kam in Belgien in Abschiebehaft, zweieinhalb
Monate. Da hat er immer mit uns telefoniert. Er hat uns erzählt, was da
drin läuft. Ich sag nur eins, gut dass
mein Bruder nicht krank geworden ist
da drin. Sie haben ihn dann von Belgien abgeschoben in den Kosovo. Er
ist illegal dort, er hat jetzt nur so eine
Karte, so ähnlich wie der Personalausweis, keinen Pass. Meine Eltern und
meine Schwester sind dann freiwillig
zurück, wegen ihm. Er kennt sich da
unten nicht aus, er weiß nicht mal, was
rechts und links heißt auf Albanisch.
Die Behörde hat gemeint, sie werden
Unterstützung bekommen, aber was
für Unterstützung? Gar nichts! Immer
noch gibt‘s da keinen Frieden. Strom
Afrims Zukunft
Ich habe einen Brief gekommen, dass
das Dublin-Verfahren, mich nach Belgien zu verlegen, blockiert ist. Jetzt
hat Deutschland es in der Hand. Keine
Ahnung ob das mit dem Asylantrag
klappt. Aber die Sozialarbeiter hier, die
geben sich Mühe, und ich werde mir
auch Mühe geben. Bewerbungen schreiben und schnell einen Ausbildungsplatz finden, oder einen Job. Ich will
arbeiten und selbstständig sein, am
liebsten als Koch. Ich will kein HartzIV-Geld oder Sozialleistungen.
Wenn die mich fragen: »Warum
bist du nicht nach Belgien oder in den
Kosovo?«, werde ich einfach sagen:
»Diese 25 Jahre hier habe ich nicht
einfach für nichts verloren. Mein erster
Schritt war hier in Deutschland, mein
erster Zahn war hier in Deutschland.«
(Esther Peylo, Bundesgeschäftsführerin des vij; das Gespräch mit Afrim B.
führte Daniel Fetzer als Teil einer Hausarbeit im Rahmen des Seminars »Fuß
fassen in Deutschland – aus der Beratungspraxis menschenrechtsbasierter Sozialarbeit« an der Evangelischen
Hochschule Ludwigsburg)
BAG EJSA – Junge Flüchtlinge 2015
Aus dem Verband
gement nicht professionell flankiert,
wird es weg brechen. Die Ehrenamtlichen brauchen die Logistik und sie
brauchen auch jemanden, an den sie
sich wenden können, wenn es Konflikte gibt oder sie die Flüchtlingsschicksale zu nah an sich herankommen lassen, weil sie die professionelle Distanz
nicht haben. Wenn sie das in ihren Familien-und Bekanntenkreisen abladen,
kann es ganz schön übel ausgehen.
Und ein Ehrenamtlicher, der mit Enttäuschung aufgehört hat, ist empfänglich für rechte Parolen.
Ich glaube, dass wir den Rassismus,
der in der Mitte der Gesellschaft ist,
im Moment überdecken mit dem ehrenamtlichen Engagement. Die Kommunen stehen mit dem Rücken zur
Wand. Sie müssen die Unterbringung
und Betreuung der Flüchtlinge organisieren und finanzieren. Dabei kommt es
zu Verdrängungsprozessen bei der Finanzierung und das wird Auswirkungen
haben. Und wenn Wut sich kollektiv äußert, dann haben wir sächsische Probleme. Ich bin kein Düsterseher, aber
unter der Oberfläche brodelt viel, was
noch nicht in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Das ist sichtbar in Blogs
und in Leserbriefen. Aber ich bin alles
andere als entmutigt.
37 Jahre Erfahrung in der Flüchtlingsarbeit und noch so engagiert! Vielen Dank
für das Gespräch.
Das vollständige Interview finden Sie
unter www.bagejsa.de/handlungsfelder/Junge_Flüchtlinge.
Willkommen in Hamburg
Club International
Ein Projekt des Jugendhauses Sankt Pauli
Ein Mitmachangebot für
junge Flüchtlinge«
D
enken Menschen an St. Pauli, denken sie zunächst an Reeperbahn,
Nachtclubs und hoffentlich auch an den
FC St. Pauli. Inmitten dieses turbulenten und bunten Stadtteiles liegt, erhöht
mit Blick auf den Hamburger Hafen, die
St. Pauli Kirche mit ihrem Jugendhaus.
Solidarisch sein mit Flüchtlingen
Bekannt geworden ist vielen diese Gemeinde vielleicht auch durch ihre Nothilfe für afrikanische Flüchtlinge, die
später so genannten LampedusaFlüchtlinge. Diesen Flüchtlingen hat die
St. Pauli Kirche für ein Jahr Obdach
gegeben, nachdem diese aus Italien
in Hamburg angekommen waren und
das Hamburger Winternotprogramm
endete. Mit breiter Unterstützung aus
der Nachbarschaft und vielen weiteren
Akteuren und Unterstützern wurde hier
Willkommenskultur gelebt. Solidarisch
haben sich viele Menschen an die Seite
der Flüchtlinge gestellt.
Weitere Angebote auch außerhalb
der Schule sind nötig
Auch die benachbarte Stadtteilschule
ist gefordert, eine zunehmende Zahl
von Schülerinnen und Schülern, die alleine oder mit ihren Familien nach Hamburg geflüchtet sind, willkommen zu
heißen. Diese neuen Schülerinnen und
Schüler werden in Hamburg in so genannten Vorbereitungsklassen in einem
Jahr auf den Übergang in ihre Regelklassen vorbereitet. Damit ihr Ankommen in Hamburg und in ihrem neuen
Stadtteil tatsächlich gelingt, sind ne-
ben der Integration in Schule weitere
Angebote nötig, wie sie das Jugendhaus St. Pauli bietet.
Kontakte und Orientierung werden ermöglicht
Viele dieser jungen Menschen besuchen bereits das Jugendhaus. Durch
die Begegnung mit ihnen entstand die
Idee zu dem Projekt: »MoinMoin und
Hello – Willkommen in Hamburg«. In
diesem Projekt werden gemeinsame
Ausflüge an verschiedene Freizeitorte
der Stadt wie z. B. Schwimmbäder, Mu-
orientieren, die öffentlichen Verkehrsmittel zu nutzen und sie lernen weitere Freizeit- und Hilfsangebote kennen. Der Kontakt und die Beziehung
zu den Mitarbeitenden des Jugendhauses intensiviert sich. Die Ausflüge
werden dokumentiert und in einer Broschüre festgehalten, die auch zukünftigen Kindern und Jugendlichen zur Verfügung steht.
Ermöglicht wird das Projekt von der
Christoph Metzelder Stiftung, die ihren
Schwerpunkt in der Förderung von Projekten in den Bereichen Bildung, Aus-
seen, Bücherhallen, Hafen, Bauspielplätze, Familiencafés sowie sozialen
Einrichtungen wie z. B. Beratungsstellen, unternommen. Die Ausflüge werden im Vorfeld gemeinsam inhaltlich
vorbereitet. Die jungen Menschen lernen es, sich geografisch in der Stadt zu
bildung und Integration hat. Das Projekt soll junge Menschen ermutigen und
befähigen, sich frei und sicher in Hamburg zu bewegen. Junge Menschen
sollen erleben, dass sie in Hamburg
willkommen sind! (Kristina Krüger, Diakonisches Werk Hamburg)
Endlich anfangen anzukommen
Manar Bojerimi hofft auf ein neues Zuhause für sich und seine Familie
I
ch bin Manar Bojerimi, aber einige
kennen mich auch als Mc Manar. Vor
kurzem bin ich 15 Jahre alt geworden.
Vor fünf Monaten kam ich mit meinen
Eltern und zwei Brüdern, die fünf und
18 Jahre alt sind, nach Deutschland.
Ich liebe Deutschland aus dem einfachen Grund, dass es hier keinen
Krieg gibt, dass meine Familie hier ein
neues Leben in Sicherheit beginnen
kann. Dies war in meinem Heimatland
Syrien nicht der Fall. Situationen, in denen wir Kinder uns in kleinen Nischen
vor Bomben und Angriffen verstecken
mussten, haben unseren Alltag geprägt
und ihre Spuren bis heute hinterlassen.
Unser Familienhaus wurde 2010
zerbombt. Dadurch waren wir gezwungen, für ein Jahr in einem Raum der
Schule zu leben. Eine komische Vorstellung zu wissen, dass ich die letzten
zwei Jahre meiner Zeit in Syrien nicht
zur Schule gehen konnte, da mein Vater
mir jeden Morgen sagte »Nein, heute
kommt vielleicht eine Bombe. Es ist zu
gefährlich.« Doch die Bombe traf dann
unser Haus. Ich ging also nicht in die
Schule um zu lernen, sondern um dort
zu überleben. Mit mir und meiner Familie lebten etwa noch 50 andere Personen in diesem einen Raum, wir alle
teilten uns eine kleine Küche.
Keine Zukunft in der Heimat
Die Überzeugung, das Land verlassen
zu müssen, wuchs täglich. Syrien war
für uns »fertig«, wir hatten dort keine
Zukunft mehr. 2011 begann unsere gefährliche Reise in ein neues Leben. Wir
erreichten Ägypten, von dort sollte uns
ein Boot nach Italien – nach Europa –
auf sicheren Boden bringen.
Zwölf Tage auf einem viel zu kleinen Boot mit viel zu vielen Menschen
und ohne Essen und Trinken zu verbringen, war schlimmer als man es sich
hätte ausmalen können. An Schlaf war
vor lauter Angst und den Bildern, die
man gesehen und erlebt hat, nicht zu
denken. Die Menschen, die neben mir
starben. Die unaufhörlichen Bewegungen des Bootes, bei denen man nicht
wusste, ob sie in ein neues Leben bringen oder in den Tod führen würden.
Am zehnten Tag geschah die Katastrophe: das Boot wurde brüchig. Auf
die Hilfe- und Rettungsrufe wurde zwei
Tage später reagiert und so kamen wir
nach zwölf unendlich langen Tagen auf
dem Meer endlich in Italien an.
Doch die Probleme und Hindernisse
nahmen kein Ende. Die Armut und Obdachlosigkeit in Italien nahmen uns jede
Hoffnung. Wir sahen keine Möglichkeit
weiterzukommen, bis wir Teil eines außergewöhnlichen Plans wurden, einer Idee, die uns half und danach den
Menschen unsere Realität zeigt. Teil einer Hochzeit. Denn wer würde so eine
Feier schon hinterfragen? Wer stoppt
ein Hochzeitspaar und seine Gäste?
Suche nach einem Zuhause
So ging unser Weg weiter über Frankreich nach Deutschland, dann nach Dänemark und schließlich Schweden. Hier
wurde 2012 der Film »Auf der Seite der
Braut« fertiggestellt. Der Film zu unserer persönlichen Geschichte. In dieser
Zeit in Schweden lernte ich Englisch,
was mir gerade in den ersten Monaten
hier in Deutschland sehr weiterhilft. Ich
sehe, dass es mir leichter fällt hier Fuß
zu fassen als meiner Familie, die ohne
Englisch und mit nur wenig Deutsch,
hier beinahe »sprachlos« ist.
Auf der beschwerlichen Flucht habe
ich mir das Leben in Deutschland nie
ausmalen können. Meine ersten Eindrücke von diesem Land waren überwältigend. Ich wusste, hier und nirgends anders kann und will ich bleiben.
Meine Familie kann nach fast vier Jahren ohne ein Zuhause anfangen, sich
dieses aufzubauen und anfangen anzukommen. Im Moment leben wir in einer Gemeinschaftsunterkunft für AsylbewerberInnen. Mit uns leben weitere
acht Familien in diesem Haus.
Eine Perspektive
Meine Eltern arbeiten noch nicht, aber
sie lernen im Moment die deutsche
Sprache. Meine Brüder und ich gehen
in die Schule. Hier habe ich sofort Anschluss und viele Freunde gefunden.
Trotz der Situation, dass die Klassen
überfüllt sind und ich deshalb in eine
zehnte Klasse kam, obwohl ich eigentlich in eine achte sollte, fühle ich mich
sehr wohl. Nun habe ich die Chance
bis zum nächsten Schuljahr die deutsche Sprache zu lernen und dann in
einer achten Klasse meine Schullaufbahn mit langer Pause weiterzuführen.
Das macht mich unglaublich glücklich!
Meine Musik hilft mir
Wenn die Erinnerungen an die unzähligen schrecklichen Erlebnisse in mir
hochkommen, oder wenn ich sehe wie
mein Vater damit kämpft, alles zu verarbeiten, dann schreibe ich Raptexte. Ich
schreibe und schreibe Songs über den
Krieg, über die Situation in Syrien und
Palästina.
Dies hilft mir, die Dinge auf meine
Weise zu verarbeiten. Doch trotzdem
möchte ich kein Musiker werden. Das
ist und bleibt mein Hobby und meine
ganz persönliche Hilfe. Mein Ziel ist es,
Arzt zu werden – Menschen zu helfen
und Leben zu retten.
Die Menschen um mich rum helfen
uns unglaublich viel, dafür bin ich sehr
dankbar. Ich mag meine neue Heimat,
ich mag die Leute hier und hoffe, dass
sie auch uns mögen. (Das Gespräch
führte Helena Sauter, BAG EJSA.)
D
er Club International des vij
(Verein für Internationale Jugendarbeit Stuttgart e.V.) ist ein Anlaufpunkt und Aktionsraum für interkulturellen Austausch in Stuttgart.
Integration und Begegnung werden
hier durch gemeinsame Erlebnisse
und Gestaltungsräume verwirklicht.
Bei Aktionen wie einem Theaterstück zum Thema Zukunftsträume,
einem gemeinsamen kirgisischen
Kochabend, beim Gedichte schreiben auf Deutsch und in der Muttersprache können die TeilnehmerInnen eigene Interessen einbringen
und sich ausprobieren, neue Ideen
entwickeln und ihre Kompetenzen
erweitern. Die deutsche Sprache
zu lernen ist en passant bei allen
Aktionen im Fokus, bei Angeboten
wie Sprachtandems oder Sprachcafé wird gezielt für den Alltag geübt. Alle Angebote werden der Situation der Teilnehmenden angepasst
und eingesetzt, um das Gruppengefühl zu stärken und den Austausch
bewusst zu fördern.
Teilhabe und eigene Stärken erkennen ist ein zentrales Anliegen
bei den Aktivitäten mit den TeilnehmerInnen. Darüber hinaus ist
stets genügend Zeit für informellen Austausch und die Gelegenheit für vertrauliche Gespräche. Der
Club ist somit oft Ausgangspunkt für
Freundschaften.
Eigene Integrationserfahrung
weitergeben
Ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter sind meistens ehemalige
BesucherInnen. So können sie ihre
Integrationserfahrung weitergeben
und anderen zur Seite stehen und
nebenbei ihr eigenes Potential erkennen und weiter ausbauen. Weiterbildungen für das Team ergänzen
die Arbeit und motivieren dazu, sich
zu engagieren.
In Kooperation mit der Arbeiterwohlfahrt gab es vor wenigen Monaten einen ersten gemeinsamen
Event für minderjährige Flüchtlinge:
Einen Kochabend in den Räumen
der AWO und anschließend einen
Discoabend im vij.
Flüchtlinge und Clubbesucher­
Innen zusammen bringen
Ein von der Stadt Stuttgart gefördertes Projekt in Kooperation mit dem
Sozialdienst für Flüchtlinge der eva
(Evangelische Gesellschaft Stuttgart) bringt Flüchtlinge und ClubbesucherInnen zusammen. Hier
werden Ausflugsziele in Stuttgart
gemeinsam erkundet.
Flüchtlinge zählten in der Vergangenheit bereits vereinzelt zu
unserem Besucherkreis. Mit dem
neuen Projekt wird jetzt bewusst
die Chance gesucht, die Angebote
des Club International den jungen
Flüchtlingen durch direkte Begegnungen mit anderen Jugendlichen
nahe zu bringen.
Die Aktionen des Clubs eignen
sich bestens, um erste Kontakte zu
knüpfen. Über gemeinsame Erlebnisse und Ausflüge gelingt es leichter, Barrieren zu überwinden. Somit
steht einer aktiven Teilhabe und Integration nichts mehr im Weg. (Marie
Scripec und Tom Hauber, vij, Kontakt: www.vij-stuttgart.de)
3
BAG EJSA – Junge Flüchtlinge 2015
Aus dem Verband
Bildungsland Hessen – Mogelpackung oder Vorbild?
Ein Jahr Bündnis »Gute Bildung für alle«
D
as Bündnis »Gute Bildung für alle«
konstituierte sich anlässlich des
Fachforums »Zugewandert in Hessen:
Seiteneinsteiger – Eine Herausforderung für die Bildungspolitik«, das im
Mai 2014 in Frankfurt stattfand. Seine
Bündnispartner sind die Liga Hessen
der freien Wohlfahrtspflege, die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Hessen, die Arbeitsgemeinschaft
der Ausländerbeiräte Hessen, die Landesarbeitsgemeinschaft Jugendsozialarbeit in Hessen und die Kommunale
Ausländervertretung Frankfurt.
Grund für diesen Zusammenschluss
und die gemeinsamen Aktionen des
Bündnisses war die unbefriedigende
Bildungssituation der vielen Kinder und
Jugendlichen, die entweder im Rahmen
der EU-Freizügigkeit oder als begleitete
und unbegleitete (minderjährige) junge
Flüchtlinge aus dem Ausland nach Hessen zuwanderten.
Was braucht die Zielgruppe der
Seiteneinsteiger?
Diese Gruppe der sogenannten Seiteneinsteiger sind junge Menschen,
die ohne ausreichende Deutschkenntnisse und in der Regel während des
laufenden Schuljahres in Deutschland
ankommen und in Schulen integriert
werden müssen oder wollen. Das Bildungssystem und die Schulen waren
auf den Andrang dieser zusätzlichen
Schülerinnen und Schüler nicht vorbereitet. So kam es zu erheblichen strukturellen Engpässen, die bis heute weiter bestehen.
Diese Zielgruppe braucht eine Bildungspolitik, die sich den geänderten gesellschaftlichen Erfordernissen
und damit den verändernden Lebenslagen der SchülerInnen anpasst. Das
sind vor allem ausreichende und geeignete Schulplätze mit einer besonderen
Beschulung in Form einer intensiven
Sprachförderung und sozialpädagogische Begleitung. Diese besondere Förderung deshalb, um ihrem vorerst erhöhten Unterstützungsbedarf gerecht
zu werden, sie am deutschen Bildungssystem teilhaben zu lassen und ihnen
die gleichen Chancen wie einheimischen jungen Menschen zu geben.
Welche Angebote hat das Land
Hessen für sie?
Aktuell können folgende Maßnahmen
genannt werden:
■■ Bei Schulpflicht (bis 16 Jahre): Intensivklassen zum Erwerb von grundlegenden Kenntnissen der deutschen
Sprache in altersübergreifend heterogenen Lerngruppen (Schuljahr
2014/15: 12 bis 16 SchülerInnen; 28
Wochenstunden) und Intensivkurse
und »Deutsch als Zweitsprache« mit
intensiver Deutschförderung parallel
zum Unterricht in den Regelklassen
■■ Bei Schulrecht (bis 18 Jahre): »InteA – Integration und Abschluss«; ab
dem Schuljahr 2015/16 das Nachfolgeprogramm von EIBE; Erwerb der
Bildungssprache Deutsch in enger
Verbindung mit handlungsorientiertem Fachsprachenerwerb plus sozialpädagogischer Begleitung
In der Praxis scheinen die vom Land
Hessen für die schulische Integration
der Seiteneinsteiger zur Verfügung gestellten Ressourcen ausgeschöpft. Die
für das Schuljahr 2015/16 praktizierte
»Bedarfsdeckung« – mehr und größere
Klassen, geringere Stundenzuweisungen – sind eindeutig. Zusätzliche Angebote gehen regelmäßig auf Kosten
bereits bestehender.
■■ »Unterrichtsunterstützende sozial-
pädagogische Förderung (USF)«:
»Schulsozialarbeit« wird in Hessen
nicht (mehr) als Regelaufgabe vom
Land mitfinanziert, sondern aktuell
aus kommunalen Mitteln und dem
Schulbudget gezahlt.
Jammern auf hohem Niveau?
Trotz der guten Ansätze gibt es Kritik.
Denn die Situation hat sich aufgrund
der steigenden Zuzugszahlen immer
weiter verschärft. Dies ist der Fall, obwohl Hessen laut seines Kultusministeriums ein Gesamtsprachförderkonzept
von den Vorlaufkursen im Vorschulbereich, über Intensivsprachfördermaßnahmen im allgemeinbildenden Bereich
bis hin zur flächendeckenden Einrichtung von Intensivklassen auch an beruflichen Schulen, bietet – ein Konzept
zum Spracherwerb und zur schulischen
Integration in allen Altersklassen plus
sozialpädagogischer Begleitung.
Gute Ansätze, aber auch vergebene Chancen
Trotz guter Ansätze vergibt sich hier
das Land Hessen Chancen und verschwendet Talente. Es reduziert sich
auf die Beschulung minderjähriger Zugewanderter und höhlt bestehende
Angebote sukzessive aus. Das entspricht weder den Ansprüchen eines
Bildungslandes noch den gesellschaftlichen Erfordernissen oder den individuellen Bildungsbiografien dieser jungen Menschen.
Zusätzlich zu den schulischen Angeboten, die inhaltlich und strukturell die
Chance geben müssen, individuelle Begabungen und Potentiale zu erkennen
und auszuschöpfen, ist vor allem für die
Zielgruppe der Seiteneinsteiger eine individuelle sozialpädagogische Förderung unabdingbar.
Die Arbeit des Bündnisses »Gute Bildung für alle« wird fortgesetzt. Eine ausführliche Version dieses Beitrags finden
Sie unter www.bagejsa.de/Handlungs​
felder/Junge-Flüchtlinge. Inge Müller,
Referentin für Jugend und Migration,
Diakonie Hessen)
Junge Flüchtlinge brauchen vor allem Sicherheit
Zur Bewältigung von Traumata: Pädagogik des sicheren Ortes
A
n vielen Orten in Deutschland arbeitet das CJD (Christliches Jugenddorfwerk Deutschlands e. V. –
die Chancengeber) mit unbegleiteten
minderjährigen Flüchtlingen und auch
Flüchtlingsfamilien, die oft hochbelastet in Deutschland ankommen.
In der Arbeit mit diesen Menschen
greifen wir auf Erfahrungen zurück, die
im Rahmen eines bundesweiten Traumapädagogik-Projektes (Kinder und
Jugendliche in der stationären Jugendhilfe – Angebote zur Bewältigung von
Traumata und Bindungsstörungen in
Kooperation des CJD e. V. und der Universitätsklinik Ulm, gefördert von Aktion
Mensch) gewonnen wurden (Schmid,
Kaiser, Ziegenhain: 2014).
Glücklicherweise ist nur ein Teil der
jungen Menschen traumatisiert, alle
aber brauchen nach den bisherigen
Lebenserfahrungen einen sicheren Ort.
Nur ein sicherer Ort ermöglicht
Entwicklung und Wachstum
Ein sicherer Ort ist ein Ort, an dem
Entwicklung und Wachstum möglich
sind, der es erlaubt, die hochwirksamen Überlebensstrategien (Flucht, Angriff, Erstarren) aufzugeben und alternative Verhaltensweisen zu erlernen.
Wenn nach einer Flucht hochbelastete und eventuell traumatisierte junge
Menschen nicht ein Milieu antreffen,
das die permanente Abwehr von real
erlebter und existenziell erschütternder
Bedrohung nach und nach überflüssig macht, wird weder Lernen (kognitiv)
noch Verhaltensveränderung (konativ)
4
noch die Aneignung neuer Erlebensmuster (emotional) möglich werden.
Flüchtlinge als ExpertInnen in eigener Sache ernst nehmen
Damit dies gelingt, braucht es erkundungsfreudige Fachkräfte mit einer
forschenden Grundhaltung, die offen
sind, Flüchtlinge als ExpertInnen ernst
zu nehmen und ihre eigene Verunsicherung zu reflektieren.
Durch den Träger ist sicherzustellen, dass den Mitarbeitenden Räume
für Reflexion und Verarbeitung von
Belastungen (Supervision/ Intervision)
aber auch Fortbildungen im Bereich
kultur- und traumasensibler Arbeit angeboten werden. Die Auseinandersetzung mit den Resilienzfaktoren ist sowohl auf der Mitarbeiterebene als auch
in der Arbeit mit den Flüchtlingen, de-
ren Überlebensleistung zu würdigen
ist, entscheidend. Indem Jugendliche
eingeladen werden, an einem sicheren
Ort mitzubauen, werden sie auf Augenhöhe angesprochen und können sich
als selbstwirksam erleben, weil sie Lösungen mitgestalten dürfen.
Gegenüberstellung von belastendem und förderlichem Umfeld
Angesichts der immer wieder auch begrenzten Möglichkeiten intensiver individualpädagogischer Arbeit bietet ein
milieuorientierter Ansatz wie die Pädagogik des sicheren Ortes neue Chancen durch die konsequente Gegenüberstellung eines belastenden und
eines förderlichen Umfeldes (siehe Auflistung rechts).
Der Frage unter Beteiligung der Betroffenen nachzugehen, was den Ort sicherer macht, an dem Kinder, Jugendliche und ihre Familien leben, wo sie zur
Schule gehen, im Sozialraum ihre Freizeit verbringen und Jugendarbeit stattfindet, ist sehr hilfreich, um im Sinne
einer Win-Win-Situation sowohl für Klienten als auch für Fachkräfte gedeihliche Rahmenbedingungen zu schaffen.
Die Beteiligten beklagen dabei weniger mangelnde Ressourcen, sondern
setzen die vorhandenen gezielter ein.
Transparenz und schneller Spracherwerb wichtig
Die Auswirkungen der konsequenten
Ausrichtung am Konzept des sicheren
Ortes zeigen sich zum Beispiel beim
Thema Transparenz, das Kenntnis der
deutschen Sprache unbedingt voraussetzt. Transparenz macht den Ort der
Unterbringung in Deutschland verstehbar und ermöglicht den jungen Menschen, Entscheidungen nachzuvollziehen und die Durchsetzung eigener
Wünsche und Rechte adäquat zu planen und zu adressieren.
Der schnelle Spracherwerb ist deshalb sehr wichtig. Zuständigkeiten,
Hausvereinbarungen, Verhaltensregeln sowie Kommunikations- und Beschwerdewege müssen eindeutig formuliert sein.
Äußerer und innerer sicherer Ort
Zu einem sicheren Ort gehört, dass alle
in einem Quartier lebenden Menschen
sich sicher fühlen. Von daher gilt es einerseits bis in eine gesellschaftspolitische Ebene hinein, die Bedürfnisse
aller dort lebenden Menschen ernst
zu nehmen. Außerdem müssen entsprechende Rahmenbedingungen geschaffen werden, die Angst vor dem
Fremden reduzieren und eine Willkommenskultur begründen.
Andererseits geht es neben dem äußeren auch um den inneren sicheren
Ort, der jeden einzelnen Menschen befähigt für sich zu sorgen, Halt im Leben zu finden und Selbstvertrauen zu
entwickeln.
Also ein zutiefst pädagogischer und
werteorientierter Ansatz, der seine Wirkung immer da entfaltet, wo die Frage
nach dem sicheren Ort konkret gestellt
wird. (Urs Kaiser, Christliches Jugenddorfwerk Deutschland)
Kriterien für ein belastendes
und für ein förderliches Umfeld
Weiterentwicklung wird möglich,
wenn diese Kriterien einander konsequent gegenübergestellt werden.
Traumatisierendes Umfeld
■■ Unberechenbarkeit
■■ Einsamkeit
■■ Nicht gesehen /gehört werden
■■ Geringschätzung
■■ Bedürfnisse missachtend
■■ Ausgeliefert sein – andere
bestimmen absolut über mich
Leid erzeugend
Traumapädagogisches Milieu
■■ Transparenz / Berechenbarkeit
■■ Beziehungsangebote
■■ Beachtet werden/Wichtig sein
■■ Wertschätzung (Besonderheit)
■■ Bedürfnisorientierung
■■ Mitbestimmen können –
Partizipation
■■ Selbstwirksamkeit
Freude vermittelnd
BAG EJSA – Junge Flüchtlinge 2015
Aus dem Verband
Vorbereitung auf den Hauptschulabschluss
Schulprojekt mit jugendlichen Asylsuchenden in der Produktionsschule Moritzburg
D
er Inhalt unseres Projektes ist
die Beschulung von asylsuchenden Jugendlichen im Alter von 15 bis
18 Jahren. Die Jugendlichen kommen
aus dem sächsischen Regelschulsystem, aus den sogenannten DaZ-Klassen (Deutsch als Zweitsprache). In diesen Klassen werden die jugendlichen
Flüchtlinge auf eine Integration in »normale« Klassen vorbereitet − mit dem
Ziel, an den Regelschulen zu einem
Schulabschluss zu gelangen. In diesen
Klassen gibt es Jugendliche, welche
auf Grund ihrer Flucht und ihrer Vorbildung im Herkunftsland im Regelschulsystem nicht zu einem Schulabschluss
gelangen werden, da ihnen die im Regelschulsystem zur Verfügung stehende Zeit nicht ausreichen wird, um
das Wissen für einen Schulabschluss
umfänglich nachzuholen.
Ziel ist das Bestehen der Schulfremdenprüfung
Das Projekt ist ein durch das Kultusministerium Sachsen gefördertes Modellvorhaben, in welchem 16 asylsuchende Jugendliche in Moritzburg in
einem Vorbereitungskurs intensiv auf
den Erwerb eines Hauptschulabschlusses vorbereitet werden. Die Jugendlichen lernen im Projekt zu Anfang verstärkt Deutsch und später die anderen
prüfungsrelevanten Fächer. Unser Ziel
ist es, im Frühsommer 2016 möglichst
viele Jugendliche über die Schulfremdenprüfung zu einem Schulabschluss
zu bringen. Dies stellt sowohl für die
Jugendlichen als auch für unsere pädagogischen Fachkräfte auf Grund der
Vorbildungen, der Deutschkenntnisse
und der Heterogenität der Klasse eine
große Herausforderung dar. Neben
dem fachspezifischen Unterricht werden die Jugendlichen sozialpädagogisch begleitet.
meinsame Fußballturniere, gemeinsames Kochen und das Durchführen von
gemeinsamen Unterrichtseinheiten.
Kontakt zu Jugendlichen anderer
Jugendberufshilfeprojekte
Um auch den weiteren Weg unserer
Jugendlichen in Richtung einer Berufsausbildung zu ebnen, versuchen
wir Themen der beruflichen Orientierung im Unterricht, in eigens dafür geschaffenen Freiräumen und im Kontakt zu unseren anderen Werkstätten
in der Produktionsschule zu integrieren. Wichtiger Bestandteil unseres Projektes sind außerdem Praktika in regionalen Unternehmen.
Wichtig ist uns, dass die Jugendlichen in unserem Schulkurs so viel wie
möglich Kontakt zu den deutschen
Jugendlichen in unseren anderen Jugendberufshilfeprojekten haben. Wir
erreichen dies beispielsweise durch ge-
Zur Produktionsschule Moritzburg
In der Produktionsschule Moritzburg
werden Jugendliche und Erwachsene
mit Hilfe verschiedener Arbeitsbereiche (wieder) in Ausbildung und Arbeit
integriert. Die Menschen, die zu uns
kommen, sind arbeitssuchend, haben
oft keine Ausbildung und sind durch
ihre Arbeitslosigkeit zum Teil schon seit
langem von gesellschaftlicher Teilhabe
ausgeschlossen.
Diesen Menschen, durch die Beschäftigung, Qualifizierung und die Begleitung bei uns wieder Anerkennung,
Erfolge und Perspektiven zu geben, ist
unser Ziel. (David Meis, Produktionsschule Moritzburg gGmbH, Schloßallee 4, 01468 Moritzburg, www.produk​
tionsschule-moritzburg.de
Unglaublich hohe Motivation
Obwohl das Projekt für alle Beteiligten
eine große Herausforderung darstellt,
sind wir zuversichtlich, dass am Ende
für alle ein Erfolg stehen wird. Grund
dafür ist, dass die Jugendlichen sich in
der Schule wohl fühlen und wir bei den
Jugendlichen eine unglaublich hohe
Motivation erleben.
Gut an(ge)kommen
Wunschziel erreicht?
Welcome Center Bodensee-Oberschwaben
Elyan Eshaq erzählt, wie er nach Deutschland kam
I
Staatsminister Peter Friedrich (3. v. l.) zu Besuch im Welcome Center
I
n Baden-Württemberg eine echte
Willkommenskultur etablieren – so
lautet der Auftrag für die vom Wirtschaftsministerium geförderten Welcome Center in zehn Regionen des
Landes. Das Team des Welcome Centers Bodensee-Oberschwaben, angesiedelt beim CJD an den Standorten Ravensburg, Friedrichshafen und
Sigmaringen, erlebt seit dem offiziellen Start im Mai 2014 bewegende Geschichten von Fachkräften, die hier in
der Region ihren Neustart wagen.
Kooperation mit Betrieben
Auf der Basis einer Befragung von
kleinen und mittleren Unternehmen
(KMU) der Region wurden in einem
ersten Schritt die konkreten Bedarfe
an Fachkräften in der Region ermittelt.
Eine wichtige Rolle spielte bei dieser
Erhebung die Frage, ob die Betriebe
daran interessiert sind, offene Stellen
auch mit internationalen Fachkräften zu
besetzen. Wenn dies der Fall ist, bietet das Welcome Center Beratung und
Begleitung bei der Suche nach geeigneten Fachkräften – und insbesondere
bei deren Integration in das betriebliche
und soziale Umfeld.
Fachkräfte aus dem internationalen
Ausland bekommen beim Welcome
Center vielfältigste Informationen, die
vom geeigneten Deutschkurs über die
Anerkennung von ausländischen Bildungs- und Berufsabschlüssen bis hin
zu potenziellen Arbeitgebern reichen.
Eine weitere Aufgabe des Welcome
Centers ist die Vernetzung und Kooperation mit regionalen Akteuren und Beratungsstellen, die in den Themen Integration, Fachkräfte und Arbeitsmarkt
unterwegs sind. Auch auf Landesebene
findet ein fachlicher Austausch der Welcome Center in Form von regelmäßigen
Treffen und eines gemeinsamen Internetforums statt, um möglichst viele Synergieeffekte zu nutzen.
Die Arbeit des Welcome Centers
Bodensee-Oberschwaben (www.wel​
comecenter-bo.de) ist geprägt von einer Vielzahl an Kontakten, die ein großes Potenzial an neuen Formen der Zusammenarbeit erschließen. Neben der
persönlichen Beratung von Fachkräften
und kleinen und mittleren Unternehmen
spielt auch das Veranstaltungsangebot
eine wichtige Rolle. (Elke Bott-Eichenhofer, Christliches Jugenddorfwerk Bodensee-Oberschwaben)
ch heiße Elyan Eshaq, bin 20 Jahre alt
und bin momentan im zweiten Lehrjahr meiner Ausbildung als Maler und
Lackierer. Meine Freizeit gestalte ich
sehr musikalisch, so bin ich Sänger in
der interkulturellen Band »Wüstenblumen« von und mit Flüchtlingen, einem
arabisch-deutschem Chor und dem
aramäischen Kirchenchor. Singen ist
meine große Leidenschaft.
Im Januar 1995 wurde ich als jüngster Sohn einer sechsköpfigen christlichen Familie im Irak geboren. Meine
Eltern arbeiteten beide, so konnten wir
dort sehr gut in einem eigenen schönen
Haus und mit Hund leben. Meine Brüder und ich besuchten die Schule. Doch
nach dem Krieg änderte sich alles für
uns. Das einst unbeschwerte, schöne
und glückliche Leben war von nun an
unvorstellbar.
Hoffnung auf eine sichere Zukunft
mit Hilfe der Vereinten Nationen
Als ich elf Jahre alt war beschloss
meine Familie, den Irak hinter sich zu
lassen und hoffte auf eine sichere und
gute Zukunft in Europa. Wir hörten von
den Programmen der UN, welche aus
bestimmten Ländern, wie beispielsweise Syrien, Flüchtlinge in Sicherheit
bringt. So bewarben wir uns bei der UN
und machten uns 2006 auf den Weg
nach Syrien, um eine dieser glücklichen
auserwählten Familien zu sein, die nach
Deutschland dürfen. Diese drei Jahre,
die ich in Syrien verbracht habe, werden für mich immer eine wunderschöne
und unvergessliche Zeit sein. Hier war
meiner Meinung nach das richtige Leben. 2009 erhielten wir erstmals die
Nachricht eine Möglichkeit zu haben
nach Amerika zu kommen, doch wir
lehnten das Angebot ab und warteten
weiter auf Deutschland.
Und so kam es, dass wir ein paar
Monate später als handverlesene
Flüchtlinge der UN in Hannover mit
dem Flugzeug landeten. Hier verbrachten wir unsere ersten Tage auf deutschem, europäischem Boden. Das Leben, wie es hier läuft und funktioniert,
kannte ich bisher nur aus dem Fernseher. Häufig sah ich in Filmen und Sendungen große, schöne gepflegte Häuser mit guten Autos davor. Ich dachte
DAS ist Deutschland. DAS muss in
Deutschland normal und Realität sein.
»Soll ich die Tasche auspacken?«
Doch die Realität holte mich spätestens in der Landeserstaufnahmeeinrichtung in Karlsruhe ein. Diese teilte
uns dem Landkreis Esslingen, genauer
Kirchheim unter Teck zu. Mir war in
diesem Moment nicht bewusst, dass
hier meine neue Heimat sein wird und
meine Zukunft hier stattfinden wird. Ich
fragte lediglich meine Mutter, ob ich die
Tasche auspacken soll, oder ob wir eh
die nächsten Tage wieder woanders
hingehen. In der Unterkunft habe ich
sehr bald viele Freunde kennengelernt,
die heute für mich wie eine Familie sind.
»Meine Zukunft sehe ich hier«
Heute würde ich behaupten, mir fehlt
es an nichts und ich fühle mich sehr
wohl. Obwohl meine Vorstellungen von
Deutschland sich so nicht erfüllt haben
und das Leben hier sehr viel komplizierter und anstrengender ist als erwartet.
Meine eigene Zukunft sehe ich hier,
denn wie soll ich in ein Land zurückkehren, in dem es für mich keine Möglichkeiten und Chancen gibt. Für mich
ist es jedoch sehr schlimm zu ertragen,
dass die Familie, Verwandten und Bekannten so auseinandergerissen wurden und nun auf der ganzen Welt verstreut ein neues Leben haben. Und
dass es leider immer noch viele gibt,
die täglich noch das erleben, vor dem
ich und meine Familie fliehen durften.
(Das Gespräch führte Helena Sauter,
BAG EJSA.)
Die Band »Wüstenblumen«
Seit 2013 besteht die Band »Wüstenblumen«. Unter der musikalischen
Leitung von Sidahmed Serour musizieren junge Musikerinnen und Musiker – Flüchtlinge und Einheimische
– gemeinsam. Zurzeit spielen zwölf
Musiker aus acht Ländern bei den
»Wüstenblumen« mit. Mit Unterstützung durch die Bürgerstiftung der
Stadt Kirchheim unter Teck konnten
Instrumente und technische Ausrüstung angeschafft werden. Das Projekt ist eine Kooperation des Mehrgenerationenhauses Linde mit dem
Club Bastion e.V., dem AK Asyl und
chai. Weitere Informationen: http://
www.chai-beratung.de
5
BAG EJSA – Junge Flüchtlinge 2015
Events
Bekenntnis: »Ja, wir sind ein Zufluchtsland!«
Die BAG EJSA auf dem 35. Evangelischen Kirchentag
J
a, wir sind ein Zufluchtsland! Dieses Bekenntnis stand im Mittelpunkt einer Veranstaltung der BAG
EJSA beim 35. Evangelischen Kirchentag in Stuttgart. Birgit Löwe (Vorstand
des Diakonischen Werkes Bayern und
1. Vorsitzende der Evangelischen Jugendsozialarbeit Bayern) stellte die von
der Mitgliederversammlung des Diakonischen Werkes Bayern und der Evangelischen Jugendsozialarbeit Bayern
verabschiedete Standortbestimmung
»Ja, wir sind ein Zufluchtsland – Plädoyer für eine Neuorientierung« vor.
Ermutigung zur Integration
Sie nahm dabei Bezug auf einen Satz
aus Jeremia 29,7: »Suchet der Stadt
Bestes, dahin ich euch habe lassen wegführen, und betet für sie zum
HERRN; denn wenn‹s ihr wohl geht, so
geht‹s auch euch wohl.« Das schreibt
der Prophet Jeremia in seinem Brief an
die israelitische Exilgemeinde in der babylonischen Gefangenschaft. Ein Brief
an Menschen, die in der Fremde leben
mussten. Er ermutigt sie zur Integration. Durch Jeremia sind wir aufgefordert, das Beste zu suchen. Verantwortung zur Gestaltung des Lebensraums
nerorganisationen im Kooperationsverbund Jugendsozialarbeit dafür ein,
dass auch junge Menschen ohne gesicherten Aufenthaltsstatus erreicht
werden und fordert eine umgehende
Sprachförderung, die Möglichkeit zur
Teilnahme an Jugendintegrationskursen, einen sicheren Aufenthalt während
der Ausbildung sowie den Zugang zu
allen Unterstützungsleistungen während der Ausbildung.
zu übernehmen. Uns für das Beste, das
Bestmögliche einzusetzen.«
Einen eindrucksvollen Blick in die
Praxis und direkten Kontakt zu Betroffenen erhielten die BesucherInnen im
zweiten Teil der Veranstaltung. Renate
Hirsch (BruderhausDiakonie) stellte
die Arbeit der Beratungsstelle CHAI in
Kirchheim/Teck vor (www.chai-beratung.de) und berichtete über das Film-
Projekt »Leben in Deutschland – aus
Sicht von Flüchtlingen« (siehe Seite 12).
Die verlorenen Jahre
Vier Betroffene, die an dem Film mitgewirkt hatten, waren anwesend. Sie erzählten im direkten Gespräch mit den
BesucherInnen, warum und wie sie
nach Deutschland gekommen waren,
über ihre ersten Erfahrungen und ihre
Gemeinsam neue Wege suchen
»Fremde Heimat Bayern«
Fachbeiräte und Hauptausschuss der BAG EJSA im Gespräch
Mehr Teilhabe für alle jungen zugewanderten Menschen
B
eim Fachtag der Evangelischen
Jugendsozialarbeit in Bayern
(ejsa Bayern e.V.) am 25. März 2015
in Rummelsberg forderten bayerische Fachkräfte der Jugendsozialarbeit mehr Teilhabe und Chancengerechtigkeit für alle zugewanderten
jungen Menschen.
Die Veranstaltung mit dem Titel »Fremde Heimat Bayern« zeigte
auch, dass es beim Thema Integration von jungen zugewanderten Menschen schwierig ist, dies ganz ohne
die jungen begleiteten und unbegleiteten Flüchtlinge zu tun. So kam auch
dieser Fachtag – trotz der Perspektive »alle zugewanderten jungen Menschen« – nicht ohne den Bezug auf
junge Flüchtlinge aus. Denn vor allem diesen gilt derzeit – auch in Bayern – die verstärkte fachliche und politische Aufmerksamkeit.
UMF: Mittlerweile angekommen
in der Jugendhilfe
Bei Zahlen von 3.400 unbegleiteten
Minderjährigen in Bayern und weiteren 5.000, die in diesem Jahr zusätzlich erwartet werden, ist das kein
Wunder. Birgit Löwe, Vorsitzende der
ejsa und Vorstandsmitglied des Diakonischen Werks Bayern, berichtete,
dass unbegleitete Minderjährige mittlerweile in der Jugendhilfe angekommen sind. »Sie bekommen die Förderund Weiterbildungsmöglichkeiten, die
sie brauchen.«
Klaus Umbach betonte, dass auch
die begleiteten Kinder und Jugendlichen Unterstützung brauchen. Auch
sie hätten die Angst, ob sie bleiben
könnten. Sie müssten mit ihren Familien in den Erstaufnahmeeinrichtungen in Lagern leben oder hätten
in dezentralen überfüllten Unterkünften nicht so gute Unterstützung wie
Gleichaltrige in den Wohngruppen.
6
Andere Jugendliche nicht vernachlässigen
Der ejsa-Geschäftsführer warnte aber
auch vor einer Debatte aus wirtschaftlichen Interessen, in der Unternehmen
den großen Fleiß und die Motivation
von UMF besonders hochjubeln. Zugleich gebe es aber immer mehr Jugendliche, die vom Ausbildungsmarkt
abgehängt würden. »Bei den ›normalen‹ Jugendlichen darf jetzt nicht der
Eindruck entstehen, junge Flüchtlinge würden bevorzugt behandelt.
Das wäre eine fatale Entwicklung«,
warnte er.
»Sprache schafft Wirklichkeit«,
gab Sina Arnold vom Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM) zu bedenken. Junge
Leute definierten sich selbst heute
nicht mehr mit eindeutigen Begriffen.
Dagegen signalisierten klare ausgren-
zende Begriffe wie »Asylbewerber«
oder »Flüchtlinge« den Jugendlichen
auch, »wo sie nicht hingehören«. In
ihrem Sozialbericht warf Arnold auch
die Frage auf, »Wie lange ist ein Migrant ein Migrant?«
Die Dokumentation mit den Beiträgen zu diesem Fachtag finden Sie unter www.ejsa-bayern.de. (Burkhardt
Wagner, ejsa Bayern)
jetzige Situation. Alle berichteten von
einer »verlorenen Zeit«, zu Beginn ihres Lebens in Deutschland – von meist
mehreren (bis zu zehn) Jahren, in denen sie mit ungeklärtem Aufenthaltsstatus noch keine Sprachförderung erhielten, keine Ausbildung machen konnten
oder nicht arbeiten durften.
Die Evangelische Jugendsozialarbeit
setzt sich gemeinsam mit ihren Part-
Engagement und Sorge
Am BAG EJSA-Stand auf dem Markt
der Möglichkeiten konnten BesucherInnen zu Fragen wie »Kennen Sie einen Flüchtling persönlich?« oder »Werden wir durch die Einwanderung von
Flüchtlingen klüger?« (in Anlehnung
an das Kirchentag-Motto »Damit wir
klug werden«) Stellung beziehen und
ihre Gedanken dazu aufschreiben. So
entstanden viele interessante Gespräche, in denen häufig die Bereitschaft,
sich selbst für Flüchtlinge zu engagieren, zum Ausdruck kam. Aber auch die
Sorge wurde angesprochen, wie es gelingen kann, für die vielen, die zurzeit
kommen, Akzeptanz in der Bevölkerung zu erlangen. n (wü)
E
vangelische Jugendsozialarbeit
engagiert sich für junge Flüchtlinge! Ob und wie dies bereits in den
verschiedenen Arbeitsfeldern der Jugendsozialarbeit der Fall ist, war die
Ausgangsfrage der gemeinsamen Sitzung der Fachbeiräte mit dem Hauptausschuss der BAG EJSA in Eisenach.
Fruchtbarer Austausch
Nicht die Belehrung durch ExpertInnen zur rechtlichen oder zur psychosozialen Situation von jungen Flüchtlingen stand im Vordergrund, sondern der
Austausch zu bereits existierenden Ansätzen und Erfahrungen in der Jugendsozialarbeit. Diese Herangehensweise
erwies sich bei dem Treffen der vierzig
Fachkräfte von kommunaler, Landesund Bundesebene als sehr fruchtbar.
Den Einstiegsimpuls gab Pfarrer Christoph Victor vom Diakonischen Werk der
Ev. Kirchen in Mitteldeutschland e.V. mit
einem regionalen Einblick zum Umgang
mit Flüchtlingen in Mitteldeutschland.
Hier wurden vor allem die Unsicherheiten und die Ambivalenz der Aufnahmegesellschaft gegenüber Flüchtlingen
deutlich. Die interkulturelle Öffnung der
Regeldienste und die Antirassismusarbeit werden wieder neu aktuell.
In fünf Arbeitsgruppen wurden verschiedene Aspekte der Arbeit mit jungen Flüchtlingen anhand von konkreten Projekten beleuchtet. Die zentralen
Erkenntnisse und Forderungen wurden
in der EJSA-Morgenpost veröffentlicht,
die in einem moderierten Plenumsgespräch pointiert präsentiert wurden.
Wesentliche Ergebnisse
»Der Mensch steht im Mittelpunkt« lautet das Credo des ganzheitlichen Ansatzes, dessen Erkenntnis ist, dass
junge Flüchtlinge gekommen sind, um
zu bleiben und wie Du und ich spielen, lernen, arbeiten und wohnen wollen. Beheimatung braucht Begleitung
und Bildung. Die zentralen Forderungen sind daher die bedarfsgerechte
Deutschförderung sowie die Ausdehnung der Berufsschulpflicht, die in Bayern bereits umgesetzt wird und positive Früchte trägt. Der Rückblick auf die
Keine Eintagsfliege
Thomas Kerksiek aus dem Vorstand
machte in seinem Abschlussresümee
klar: Das Thema ist keine Eintagsfliege. Flüchtlingsarbeit wird uns nachhaltig beschäftigen. Junge Flüchtlinge
Arbeit an der »BAG EJSA-Morgenpost«
Gildenarbeit nach dem zweiten Weltkrieg mit jungen heimatlosen Menschen
sowie auf die Arbeitsansätze der Jugendgemeinschaftswerke mit jungen
Aussiedlern machte deutlich, dass die
jungen Flüchtlinge des 21. Jahrhunderts die EJSA an ihre Wurzeln erinnern. Der Umgang mit jungen Flüchtlingen ist heute ein Prüfstein für inklusives
Handeln der Jugendsozialarbeit.
Die Gruppe, die sich mit den unterschiedlichen Rahmenbedingungen
in den verschiedenen Bundesländern
beschäftigte, forderte: Papiere jetzt! –
Gleiche Rechte für Alle. Für die Legalisierung von Flüchtlingen ohne Papiere.
Die Erfahrungen der Welcome-Center zeigen, dass Betriebe als starke
Partner für die Migrationsarbeit gebraucht werden und es keine Abschiebung während der Ausbildung geben
darf. Weil junge Flüchtlinge eine heterogene Zielgruppe sind mit besonderen
psychosozialen Bedürfnissen, braucht
es auch differenzierte Angebote für sie.
als Zielgruppe führen die Jugendsozialarbeit zurück zur Frage des eigenen Profils, der eigenen Aufgaben und
der eigenen Weiterentwicklung. Wir
müssen gemeinsam mit anderen nach
neuen Wegen suchen und neue Fragen stellen. Dabei haben wir einen anwaltschaftlichen Auftrag, die notwendigen gesetzlichen Rahmenbedingungen
für die Sicherheit der jungen Flüchtlinge
aber auch für die Ausfinanzierung dieser Arbeit zu fordern.
Alle Arbeitsfelder der Jugendsozialarbeit müssen mit Blick auf die jungen Flüchtlinge und die Problemlagen,
die sie mitbringen, durchdekliniert werden: Das betrifft das Jugendwohnen
genauso wie die Jugendberufshilfe,
Jugendmigrationsarbeit, Schulsozialarbeit, Mädchen- und Jungensozialarbeit. Jugendsozialarbeit hat dabei für
junge Flüchtlinge einen Bildungs-, Beratungs- und Begleitungsauftrag. Denn
Ankommen hat mit Beziehung zu tun,
so Kerksieks Fazit. n (jj)
BAG EJSA – Junge Flüchtlinge 2015
Events
Sicherer Aufenthalt für Bildung und Ausbildung
Berufliche Perspektiven für junge Flüchtlinge durch kommunale Koordinierung
D
er große Zustrom von Flüchtlingen
stellt für die Städte und Landkreise
gegenwärtig eine der großen Herausforderungen dar. Der kommunale Alltag konzentriert sich derzeit in erster
Linie auf die menschenwürdige Unterbringung der Flüchtlinge und alle dazugehörigen Hilfestellungen.
Gleichzeitig soll (und muss) gewährleistet sein, dass junge Flüchtlinge unabhängig von ihrer Herkunft ihren
weiteren Lebenslauf selbstbestimmt
gestalten können, um sich später – je
nach Arbeitsmarktlage – in Deutschland oder ihrem Herkunftsland eine gesicherte Existenzgrundlage erarbeiten
zu können. Bildungsabschlüsse und
eine gute Berufsorientierung mit anschließender Berufsausbildung sind für
die jugendlichen Flüchtlinge von zentraler Bedeutung – sowohl aus humanitären als auch aus volkswirtschaftlichen Gründen.
Die »Weinheimer Initiative« (www.ko​
mmunale-koordinierung.de) setzt sich
bundesweit für eine kommunale Koordinierung des Übergangs von der
Schule ins Berufsleben ein und hat daher das Thema auf einem JahresforumExtra Anfang März 2015 aufgegriffen.
Kompetenzen und Chancen in
den Vordergrund rücken
Der Titel der Tagung, die gemeinsam
mit der Landeshauptstadt Stuttgart,
der Freudenberg Stiftung, dem Bundesverband unbegleitete minderjährige
Flüchtlingen, der Amadeu Antonio-Stiftung und der BAG EJSA ausgerichtet
wurde, lautete folgerichtig auch »Junge
Flüchtlinge, berufliche Perspektiven
und Kommunale Koordinierung«. Zwei
Leitgedanken standen dabei im Fokus:
■■ Kein Defizitdiskurs! Die Kompeten-
zen der jungen Flüchtlinge sowie die
Chancen und Möglichkeiten für alle
Beteiligten in den Vordergrund rücken sollten Ausgangspunkt sein.
■■ Keine reine Zweckdebatte! Die Frage
unteilbarer gemeinsamer Werte
(Menschenrechte) sollte im Vordergrund stehen und der Beitrag junger
Flüchtlinge in unserer Gesellschaft
nicht nur bezüglich ihrer Nützlichkeit auf dem Arbeitsmarkt diskutiert
werden.
Was können Städte und Landkreise beitragen?
Über 100 BildungsexpertInnen aus der
ganzen Republik kamen nach Stuttgart.
Die Stuttgarter Bürgermeisterin für Jugend, Soziales und Gesundheit, Isabel
Fezer, eröffnete die Tagung und Kultus-Staatssekretärin Marion von Wartenburg sprach ein Grußwort. Mit Vorträgen, einem Faktencheck, in Foren
und Workshops und ergänzt mit Erfahrungsberichten junger Flüchtlinge
wurde erörtert, was Städte und Landkreise angemessen zu der Eröffnung
von beruflichen Perspektiven für junge
Flüchtlinge beitragen können, und wie
die hierfür förderlichen Rahmenbedingungen durch Land und Bund beschaffen sein müssen.
Zugang zum Arbeitsmarkt: auch
für Asylsuchende
Von besonderer Bedeutung sind hierbei die rechtlichen Möglichkeiten des
Zugangs von Flüchtlingen zum Arbeitsmarkt und ihre Einbeziehung in Maßnahmen der Arbeitsmarktintegration
auch während der Asylverfahren. Junge
Flüchtlinge, die in Deutschland eine Be-
rufsausbildung begonnen haben oder
nachweislich die konkrete Möglichkeit
haben, eine Ausbildung zu beginnen,
sollen für die Dauer ihrer Ausbildung
eine Aufenthaltsgenehmigung bekommen – unabhängig von ihrem bisherigen Aufenthaltsstatus.
Die Politik hat bereits reagiert und
Asylsuchenden den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtert. Parallel haben
der Bund, verschiedene Länder und
Kommunen Modell-Maßnahmen entwickelt, die die Qualifikationen und
Kompetenzen von Flüchtlingen erhöhen. Weiterhin sollten verstärkt die Potenziale junger Geduldeter genutzt und
ihnen qualifizierende Ausbildungswege
geöffnet werden. Die Anerkennung von
ausländischen Berufsabschlüssen von
Flüchtlingen und eine eventuell notwendige Nachqualifizierung sind weitere Aufgaben.
Willkommenskultur bedeutet in diesem Zusammenhang die »Verwirklichung gleichwertiger Chancen für alle
jungen Leute, die zu uns kommen«. Die
Ausgestaltung der Bildungs- und Ausbildungsbedingungen für junge Flüchtlinge muss dabei immer unter dem
Primat des Kindeswohls und der Menschenrechte stehen.
Alltagstaugliche Kooperationsbeziehungen aufbauen
Deshalb muss die Frage nach förderlichen Lebensumständen vor Ort stets
mit einbezogen werden. Dies gelingt,
wenn die kommunale Koordinierung
mit diesen Bedingungen und Voraus-
setzungen umgehen lernt und breite
Kooperationsbeziehungen entwickelt
und stabilisiert und alltagstauglich
macht. So kann auch eine Entlastung
von andauernden Kriseninterventionen
stattfinden und es können nachhaltige
Maßnahmen entwickelt werden.
Der Kreis der Kooperationspartnerinnen und -partner weitet sich dabei
aus: es sind nicht mehr nur die klassischen Bildungs- und Ausbildungspartner, sondern auch das Sozialamt, die
Ausländerbehörde, Aufnahmeeinrich-
tungen, Wohnungsgesellschaften, die
Polizei, die Organisation der Ehrenamtlichen, vor allem aber auch Migrantenorganisationen
Mehr Teihabe ermöglichen durch
bessere Koordinierung
Gerade im Feld der Gestaltung des
Übergangs Schule – Arbeitswelt müssen sich die Städte und Kreise den
Herausforderungen von Teilhabe noch
mehr als bisher zuwenden. Vom Grundsatz her sind sie hierfür gut aufgestellt,
weil sie in vielen ihrer Ämter und Einrichtungen bereits damit befasst sind.
Vor allem aber bei der Bündelung
und Koordinierung können und müssen die Kommunen besser werden. Zugleich aber können sie ihr Potenzial zur
Sicherung und Förderung von Teilhabe
aufgrund der restriktiven Rahmenbedingungen, unter denen sie teilweise
arbeiten müssen, nicht so abrufen, wie
dies erforderlich wäre.
Die Kommunen können es nicht
alleine stemmen
Aus kommunaler Sicht können die großen Herausforderungen nicht bei den
Kommunen allein »hängenbleiben«. Die
schleichende, aber immer spürbarer
werdende Unterausstattung der Städte
und Landkreise führt auf lange Sicht zu
einer Gefährdung von Teilhabe und sozialer Integration und damit zur Gefährdung des sozialen Friedens.
Dies verschärft sich, wenn die Kommunalaufsicht bei der Haushaltsgenehmigung mit einer engen Definition
kommunaler Pflichtaufgaben reglementierend in Aufgaben eingreift, die von
den Kommunen als dringend eingeschätzt werden. n (bu)
Mehr Aufmerksamkeit für junge weibliche Flüchtlinge
Großer Bedarf an Erfahrungsaustausch und Vernetzung bei Tagung in Hamburg
B
ei der Tagung »Geflüchtete Mädchen und junge Frauen im Spannungsfeld von Fluchterfahrung, Aufenthaltsrecht und Jugendhilfe« am 23.
und 24. Juni 2015 in Hamburg stand
die spezifische Situation von Mädchen
und jungen Frauen mit Fluchterfahrungen im Mittelpunkt.
BAG EJSA, BAG Mädchenpolitik,
LAG Mädchenpolitik Hamburg und
die Hochschule für Angewandte
Wissenschaften in Hamburg wollten
erreichen, dass die Situation und der
besondere Schutz- und Hilfebedarf
von geflüchteten Mädchen und jungen
Frauen stärker in das Bewusstsein all
derer rückt, die für die Aufnahme und
Begleitung von jungen Flüchtlingen
zuständig sind.
Spezifische Angebote für weibliche Flüchtlinge
Denn: Bisher wird der spezifischen Situation von geflüchteten Mädchen und
jungen Frauen zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Das gilt auch für die
Kinder- und Jugendhilfe.
Angesichts globaler Entwicklungen und Kriege steigt die Anzahl geflüchteter Menschen in Deutschland
und damit auch die Anzahl von Kindern und Jugendlichen. Dies stellt die
Kinder- und Jugendhilfe insgesamt vor
neue Herausforderungen. Es gilt, die
Zugänge zu Jugendhilfeangeboten zu
verbessern, fachliche Standards zu hinterfragen und das sozialpädagogische
Handeln weiterzuentwickeln. Auf die
Situation geflüchteter Mädchen und
junger Frauen – ob unbegleitet oder in
Familien – muss mit spezifischen und
niedrigschwelligen Angeboten einge-
gangen werden, so die einhellige Einschätzung der Expertinnen. Zu diesen
Angeboten gehören nicht nur Sprachkurse, sondern auch geschlechtssensible Beratungs- und Freizeitangebote.
Geschlechtshomogene Unterbringung
ist ein erster Schritt, um einen sicheren
Zufluchtsort bereitzustellen.
Erstaufnahmestellen und Folgeeinrichtungen sind bisher nur in den seltensten Fällen mit Schutzräumen für
Mädchen, Frauen und Familien ausgestattet. Aufgrund des großen Ungleichgewichts zwischen männlichen und
weiblichen Flüchtlingen, gerade auch
im Bereich der unbegleiteten Minderjährigen, sind weibliche Flüchtlinge in
der Regel deutlich in der Minderheit.
Aus diesem Grund sind die Einrichtungen und ihre Angebote in vielen Fällen
männlich dominiert.
Genderblick als Qualitätskriterium
in der Flüchtlingsarbeit
Mit ihren Familien geflüchtete Mädchen werden oft »unsichtbar«, da sie
aufgrund der traumatischen Erfahrungen auf der Flucht von ihren Angehörigen abgeschirmt und extrem beschützt
werden. Der Blick auf mädchenspezifische Bedarfe muss daher standardmäßig ein Qualitätskriterium aller Flüchtlingsarbeit sein, geschützte Räume
müssen überall geschaffen werden!
Die Veranstalterinnen forderten – angelehnt an Nordrhein-Westfalen – eine
behördliche Handlungsanweisung für
die Jugendämter, nach der Mädchen
nur von weiblichem Personal betreut
werden sollen.
Aktuelle Herausforderungen für
die Jugendhilfe
Fachvorträge zu den rechtlichen Gegebenheiten und Rahmenbedingungen,
zur konkreten Situation und den sich
daraus ergebenden Handlungsansätzen und zu den aktuellen Herausforderungen an die Jugendhilfe lieferten die
Grundlage für einen intensiven Erfahrungsaustausch während der Tagung.
In Workshops zu den Themen Sensibilisierung zu interkulturellen Kompetenzen und Diversity, rassismuskritische Jugendarbeit, Traumatisierung
und Selbstregulation wurden einzelne
Aspekte des komplexen Tagungsthemas aktuell und praxisnah beleuchtet.
Auch fand ein Austausch über die
Angebotsentwicklung, die rechtlichen
Möglichkeiten und Ressourcenausstattung in den verschiedenen Bundesländern statt. Fachliche Kompetenzen, Qualifikationen, Ressourcen und
Rahmenbedingungen wurden identifiziert, die für die Kinder- und Jugendhilfe notwendig sind, um den Hilfe- und
Unterstützungsbedarfen von geflüchteten Mädchen und jungen Frauen gerecht zu werden.
Der Bedarf an Austausch über geschlechtssensible Handlungsansätze
und die Vernetzung in diesem Feld ist
groß. Das zeigte die starke Nachfrage
zu dieser Veranstaltung, die mit 150
Teilnehmenden und einer Warteliste
völlig überbucht war.
Deutlich wurde auch, dass es aktuell an belastbaren Zahlen zu geflüchteten Mädchen und jungen Frauen fehlt.
Geflüchtete Mädchen und junge
Frauen berichten
Während der Tagung wurde nicht nur
über die Zielgruppe gesprochen. Geflüchtete Mädchen und junge Frauen
berichteten selbst im Erzählcafé von
ihren Erfahrungen und formulierten ihre
Ideen, Wünsche und Bedarfe – eine der
wichtigsten Grundlagen zur Entwicklung von Perspektiven.
Die Vorträge und Ergebnisse der
Veranstaltung werden in Kürze unter
www.bagejsa.de abrufbar sein.
Auch wird zurzeit an einer fachlichen
Positionierung mit (An)Forderungen an
die gendersensible Arbeit mit geflüchteten Mädchen und jungen Frauen gearbeitet. n (wü)
7
BAG EJSA – Junge Flüchtlinge 2015
Handlungsfelder der Jugendsozialarbeit
Entwicklungsschub im Know-how für die Jugendsozialarbeit
Erfahrungen aus der Fortbildung zum Thema »Junge Flüchtlinge«
Es bedarf Fortbildungen, die Fachkräften einen Überblick ermöglichen
(»Rechtliche Situation bei UMF/UF«),
genauso wie Fortbildungen, die ins Detail gehen (»Geförderte Beschäftigung
für junge Flüchtlinge«). Es ist wichtig, für
Seminare zu sorgen, die die interkulturelle und interreligiöse Kompetenz der
oft sehr jungen und wenig berufserfahrenen MitarbeiterInnen schult, die wegen des Fachkräftemangels v.a. in vielen Metropolen in diesem Arbeitsfeld
vermehrt eingestellt werden (müssen).
K
önnen Sie sich erinnern, welche sozialpolitische Herausforderung zuletzt so viel Handlungsdruck und damit
verbunden Schulungsbedarf erzeugt
hat, wie aktuell das Thema Flüchtlinge,
insbesondere junge Flüchtlinge?
Als Fortbildungsanbieter für den
Bereich Jugendsozialarbeit erlebt ejsa
Bayern e.V. in dieser Menge ungekannten Zuspruch. Wie erklärt sich dieser
enorme Bedarf an Know-how zum
Thema »Junge Flüchtlinge«?
Chance für den interdisziplinären
Austausch
Wir können feststellen, dass es viele
und sehr unterschiedliche Gruppen
gibt, die zu unseren Seminaren kommen: Dies reicht von MitarbeiterInnen
in Jugendämtern, Vormündern, SozialpädagogInnen bis hin zu RechtsanwältInnen. Sie alle sind gleichermaßen
gefordert, sich sehr komplexes neues
Wissen anzueignen.
Jugendhilfe (stationäre und teilstationäre Einrichtungen, Vormundschaft,
Jugendämter), Schule (Übergangsklassen, Berufsschulen, Schulsozialarbeit), Freizeitstätten, das Feld der
beruflichen Integration (Jugendberufshilfe, Bildungsträger), Rechtsberatung,
Jugendmigrationsdienste und Ehrenamtliche sind gleichermaßen TeilnehmerInnen des Angebots – alle aus unterschiedlichen Regionen in Bayern und
über Bayern hinaus. Dies ist unter dem
aktuell großen sozialpolitischen Handlungsdruck eine enorme Chance des
interdisziplinären, interregionalen und
z.T. interreligiösen Austauschs. Manch
gute Entschlüsse wurden hier gefasst,
wie z. B. sich für die Einführung der
Krankenkassenkarte für UMF einzusetzen, die in einigen Jugendämtern Praxis und in anderen undenkbar waren.
ejsa Bayern e.V. hat in 2012 zusammen mit PraktikerInnen aus der Berufsbezogenen Jugendhilfe in Bayern den
Bedarf an Schulungen zum Thema
UMF erkannt. Die Arbeit mit traumatisierten jungen Menschen war dabei
besonders im Fokus. Schritt für Schritt
hat sich die Themenpalette erweitert –
im Gespräch mit den FortbildungsteilnehmerInnen, im Austausch mit ReferentInnen und mit den MitarbeiterInnen
in der Praxis vor Ort.
Themen für die Fortbildung
Aktuell auf dem Markt ist das neue
Fortbildungsprogramm 2015/16, in
dem das Themenspektrum und die
Angebotshäufigkeit nochmals ausgebaut wurden. Manche Themen werden
a priori mehrmals angeboten. Zusätzlich dazu behält sich ejsa Bayern e.V.
die Option der Erweiterung des Angebots unterm Jahr offen: Das Fortbildungsprogramm ist immer ein vorläufiges, das bei Bedarf (z. B. Wartelisten,
aber auch bei wichtigen neuen Themen) tatsächlich erweitert wird.
Existenzielle und schwerwiegende
ethische Fragen
Es stellt sich heraus, dass die rechtliche
Seite der Thematik für Fachkräfte besonders anspruchsvoll ist, denn wir bewegen uns hier an der Schnittstelle von
Asylrecht, Aufenthaltsrecht, Asylbewerberleistungsgesetz, SGB XII, SGB VIII,
SGB III, SGB II. Es geht um existentielle
und ethisch schwerwiegende Fragen
wie der Aufenthaltssicherung insbesondere junger unbegleiteter Flüchtlinge, für die die MitarbeiterInnen/Vor-
münder alleinige Verantwortung tragen.
Wir denken hier auch an Selbstfürsorge
der Fachkräfte in einem »uferlosen« Arbeitsbereich mit oft sehr erwartungsvollen KlientInnen mit viel Entwicklungspotential bei gleichzeitigem Risiko
abgeschoben zu werden.
Alles in allem sind die Fortbildungsherausforderungen enorm und die Teilnehmendengruppen heterogen und
anspruchsvoll. Macht doch der Blick
auf die Zielgruppe der jungen Flüchtlinge deutlich, dass sie ihr Hiersein mit
der Vorstellung von einem sicheren Ort
ebenso verbinden wie mit Perspektiven
für ihr weiteres Leben.
Bei genauerer Betrachtung erweist
sich das Themenspektrum »Junge
Flüchtlinge« – bis auf einige spezifische
Kenntnisse – jedoch für sehr viele sozialpädagogische Arbeitsbereiche als
entwicklungsförderlich. Eine hier geleistete Investition dürfte sich langfristig
auch für andere Arbeitsbereiche der Jugendsozialarbeit und Jugendhilfe auszahlen. (Barbara Klamt, Evangelische
Jugendsozialarbeit Bayern)
Fortbildungsangebote für die Jugendsozialarbeit
Fortbildungen der ejsa Bayern e.V. recht, Aufenthaltsrecht, Asylbewerzum Themenbereich »Junge Flücht- berleistungsgesetz, SGB XII, SGB
linge« finden Sie im Internet unter VIII, SGB III, SGB II. Hier eine Auswww.ejsa-bayern.de. Aufgrund der wahl aus dem Programm:
aktuellen Situation wurde das Angebot stark erweitert.
UMF/UF in der Jugendhilfe
Es handelt sich um Fortbildungen,
Termin: 10.11.2015
die einen Überblick ermöglichen (z. B.
Tagungsort: Nürnberg
»Rechtliche Situation bei UMF/UF«),
genauso wie Fortbildungen, die ins
Helferkreise/Freiwillige bei UMF/UF
Detail gehen (z. B. »Geförderte BeTermin: 19.11.2015
schäftigung für junge Flüchtlinge«).
Tagungsort: München
Die rechtliche Seite der Thematik ist
für Fachkräfte ganz besonders anJunge Flüchtlinge mit ihren Eltern
spruchsvoll, denn wir bewegen uns
Termin: 25.1.2016
hier an der Schnittstelle von AsylTagungsort: München
Was brauchen junge Flüchtlinge in der Schule?
Bildung von Anfang an und sozialpädagogische Begleitung notwendig!
J
unge Flüchtlinge haben ein Recht
auf Bildung. In der Schule brauchen sie zusätzliche Unterstützung
durch Jugendsozialarbeit an Schulen. Und sie brauchen mehr als die
formale Bildung.
Die gut organisierten Bildungsbehörden der Länder schaffen es i.d.R.
innerhalb kürzester Zeit, allen jungen
Menschen im schulpflichtigen Alter einen Schulplatz zu vermitteln. Ob die
zur Aufnahme verpflichtete Schule mit
ihrem Angebot im Einzelfall den individuellen Bedarfen entsprechen kann,
ist damit noch lange nicht geklärt.
Schulische Erstzuweisung bisher eher zufällig
Bisher ist die Erstzuweisung eher
zufällig; systematische Instrumente
zur Kompetenzerfassung der jungen
Menschen, die in der Regel ohne
Deutschkenntnisse ankommen, fehlen sowohl in den Schulen als auch in
den regional verorteten Jugendmigrationsdiensten.
In einem dieser Dienste wurde ein
Clearingverfahren entwickelt, mit dem
durch Kompetenzerfassung und Ressourcenermittlung die passgenaue
8
Verteilung der jungen Menschen an
die richtigen Schulen umgesetzt werden kann.
Die Ankunft junger Flüchtlinge verändert das soziale Gefüge der Bildungseinrichtung Schule. Bisher stabile
Interaktionsmuster müssen neu sortiert
werden – nicht nur einmal im Schuljahr,
sondern permanent. Junge Flüchtlinge
kommen regelmäßig ohne oder mit wenigen Vorkenntnissen, dafür »beladen«
mit den Erfahrungen der Flucht in der
Schule an. Ein Teil von ihnen geht nach
kurzer Zeit wieder – sei es, weil sie eine
Wohnung außerhalb des Einzugsbe-
reichs der Schule zugewiesen bekommen oder weil sie Deutschland wieder
verlassen (müssen).
Mehr Bedarf an Schulsozialarbeit
Die jungen Flüchtlinge brauchen in all
dieser Unsicherheit verbindliche AnsprechpartnerInnen, die sie verstehen
und die ihnen helfen, diese Situation
konstruktiv zu bewältigen. Deshalb ist
es unumgänglich, an dieser Stelle den
Bildungs- und Erziehungsauftrag der
Schule um den der Kinder- und Jugendhilfe, konkret der Jugendsozialarbeit, zu ergänzen.
Für die vielfältigen neuen sozialen Aufgaben in Schule sind die Fachkräfte der
Schulsozialarbeit gefragt. Diese sind
jedoch vielfach bereits mit ihren Regelaufgaben voll ausgelastet. Zusätzliche Stellen für SchulsozialarbeiterInnen zur Begleitung junger Flüchtlinge
wurden bislang nur an wenigen Schulen geschaffen.
Die sozialpädagogische Begleitung
von Einstiegsklassen, Integrationsklassen oder Sprachförderklassen (in den
verschiedenen Bundesländern und
unterschiedlichen Schulformen haben
sie unterschiedlichste Bezeichnungen)
wird zum Teil realisiert.
Die pädagogischen, sozialen und
psychischen Herausforderungen in diesen Klassen, die als erste Anlaufstelle
für die jungen Flüchtlinge in Schulen
fungieren, sind vielfältig: alltagspraktische Erstorientierung, Verarbeitung von
zum Teil traumatisierenden Erlebnissen,
völlig unterschiedliche Vorbildung, unterschiedlichstes Niveau der Deutschkenntnisse.
Für einen Teil der jungen Flüchtlinge
ist ein täglicher regelmäßiger Schulbesuch zudem weder selbstverständlich
noch leistbar. Ohne eine Ergänzung der
vorhandenen sozialpädagogischen Angebote durch zusätzliche Fachkräfte,
die derzeit vorrangig außerhalb einer
Regelfinanzierung gefördert werden,
sind diese Aufgaben nicht zu leisten.
Angebote über die Schule hinaus
Junge Menschen mit Fluchterfahrungen brauchen mehr als Unterricht, sie
brauchen Begleitung und Orientierung
in der ihnen fremden und oft unverständlichen Umgebung. Sie brauchen
Struktur für ihren Alltag. Ihre Eltern können ihnen diese aufgrund ihrer eigenen Situation (die in ihrer Vielfalt und
BAG EJSA – Junge Flüchtlinge 2015
Handlungsfelder der Jugendsozialarbeit
Integration im Rahmen des Bestmöglichen frühzeitig fördern
Beteiligung und Begleitung von Flüchtlingen im JMD Minden-Lübbecke
S
chon seit vielen Jahren bin ich immer wieder auch im Kontakt mit
jungen Asylsuchenden, obwohl die Jugendmigrationsdienste bislang für sie
offiziell nicht offen waren. So ist die
Wirklichkeit eben oft facettenreicher als
in der Theorie gedacht. Sie kommen
mit Freunden aus der Schule, gleicher
Herkunft oder aus dem gleichen Wohnheim, aber auch selbstständig zu uns.
Es darf in der Beteiligung an Angeboten keine Ausgrenzung geben.
Freunde müssen zusammen Spaß haben, gemeinsam etwas erleben, lernen,
diskutieren, ausprobieren – unabhängig
vom Aufenthaltstitel. Deshalb können
bei uns alle an den Gruppenangeboten,
Projekten und Seminaren, Ausflügen
und Festen teilnehmen. Bei einer Tagesfahrt gibt es viel zu entdecken, bei
einem Handballbundesligaspiel oder
im Kletterpark lässt sich Nervenkitzel,
Spaß und Spannung erleben, das Lob
für einen köstlichen afghanischen Reis
ist auch in der Mimik lesbar. Den Wert
von Sprachkenntnissen muss ich nicht
hervorheben. Viele sind wertvolle ehrenamtliche Helfer bei praktischen Aufgaben, als Dolmetscher, Umzugshelfer. Sehr wichtig ist uns ihre Beteiligung
in der Öffentlichkeitsarbeit auf Messeständen, Kongressen, Gesprächsrunden oder Stadtteilfesten, denn dort sind
junge Flüchtlinge die besten Botschafter in eigener Sache. All dieses stärkt
ihr Selbstbewusstsein und stabilisiert
ihr Selbstwertgefühl.
Oft ergeben sich aus verschiedensten Gründen gute Aussichten auf ein
Bleiberecht, z. B. durch gute schulische
Leistungen, Aussichten auf einen Ausbildungsplatz, Elternschaft oder humanitäre Aspekte. Dann helfen wir bei der
Durchsetzung der Rechte. Ausgestattet mit dem richtigen Paragraphen sind
die jungen Menschen dann plötzlich die
korrekte Klientel.
Komplexität hier nicht dargestellt werden kann) oft nicht im ausreichenden
Maß bieten. Sie brauchen Orte, an denen sie unter sich sein können, an denen sie sich mit FreundInnen treffen,
an denen sie Ruhe finden und sich zurückziehen können. Wohnunterkünfte
für Flüchtlinge können dies in der Regel nicht bieten.
Zusätzliche sozialpädagogische
Angebote der Träger
Deshalb bieten Träger der Evangelischen Jugendsozialarbeit jungen
Flüchtlingen zusätzliche sozialpädagogische Unterstützung an. Neben sozialpädagogischen Angeboten an Schulen
initiieren sie beispielsweise Patenprogramme unter SchülerInnen mit ähnlichen Muttersprachen, Mentoringprogramme (Vermittlung von Kontakten
zu Einheimischen), Erstorientierungskurse für Eltern, Schulung von Ehrenamtlichen, aber auch Kultur-, Sportund Freizeitangebote. Gemeinsam mit
anderen Akteuren der Zivilgesellschaft
werden Willkommenskulturen in den
Gemeinden entwickelt.
Diese Beispiele und auch die Auswahl der Projekte (siehe Kasten) zeigen,
Ein großer Anteil der Flüchtlinge sind
Jugendliche oder junge Erwachsene.
Ihre Asylverfahren können über Jahre
dauern und sind nicht immer erfolgreich, doch bleiben die jungen Menschen überwiegend dauerhaft oder zumindest für viele Jahre im Land.
Verlässliche Partner werden
Daher gilt es, ihre Integration im Rahmen des Bestmöglichen frühzeitig zu
fördern. Sie sind auf fachkompetente
Begleitung durch die Jugendhilfe, Jugendsozialarbeit und jugendspezifische
Angebote angewiesen. Junge Asylsuchende müssen komplexe Erlebnisse
und Herausforderungen in ihrer noch
jungen Biografie bewältigen. Oft brauchen sie praktische Hilfe, um Probleme
zu lösen. Bisher gehören sie erst mit
einem gesicherten Aufenthaltstitel zu
unserer potentiellen Klientel, aber spätestens dann in den Integrationskursen
lernen sie die JMD Fachkräfte kennen.
Weisen wir sie vorher ab, werden wir
keine verlässlichen Partner mehr sein.
Viele junge Flüchtlinge sind ohne familiäre Bezugspersonen oft schon seit
Jahren unterwegs. Ist der Aufenthalt
gesichert, gilt es eine umfassende Exis-
tenz mit eigenem Wohnraum, Einbindung in das soziale Umfeld und eine
schulische sowie berufliche Zukunftsperspektive aufzubauen. Das ist ein
umfassendes langfristiges Aufgabenpaket. Dabei begleite ich aktuell 48
Personen, fünfzehn von ihnen leben
allein hier. Erschütternde Fluchterfahrungen, Isolation von der Familie, traumatisierende Erlebnisse zuhause oder
unterwegs, monetäre Zwänge, ernste
Erkrankungen, Unverständnis und unterschiedlich begründete Überforderungen – es ist eine umfassende Bandbreite an Extremen, mit denen sie fertig
werden müssen, und mit der wir in der
Arbeit konfrontiert werden. Die jungen
Flüchtlinge, aber auch die Fachkräfte
in den JMD brauchen adäquate Unterstützung, um dies alles zu bewältigen.
Junge Flüchtlinge, Asylsuchende,
andauernd Geduldete, nach quälend
langem Asylverfahren oder durch sonstige Umstände mit einem dauerhaften Aufenthaltstitel in der Tasche, all
diese diffizil bürokratisch zugeordneten jungen Menschen begegnen mir in
der Arbeit. Sie alle benötigen Hilfestellung bei sehr unterschiedlichen Fragestellungen, und sie suchen Teilhabe.
Gute Beispiele, wie Angebote der Jugendsozialarbeit jungen Menschen helfen, sich in Deutschland
zurechtzufinden, entstehen derzeit an vielen Orten.
Vier Beispiele sollen hier kurz genannt werden:
»Startrampe« in Rosenheim: Die Diakonie Rosenheim hat
mit ihrer Schulsozialarbeit eine Art Patenschaftsmodell
entwickelt. Neu einreisenden jungen Menschen werden
solche mit der gleichen Muttersprache als »Paten« vermittelt. Diese Paten können dann Brücken bauen. Mehr
dazu: http://ejsa-bayern.de/artikel/342/startrampe-einprojekt-der-schulbezogenen-jugendsozialarbeit-im-diako​
nischen-werk-rosenheim
»FLOW – Für Flüchtlinge! Orientierung und Willkommenskultur« der Gemeindediakonie Lübeck: Junge Flüchtlinge werden bei ihrer Integration durch eine Verbesserung
ihrer allgemeinen Lebenssituation unterstützt. Ein auf Ehrenamt basierendes Mentoringprogramm enthält die Module »Kontakte zu Einheimischen«, »Praktische Anwendung von Deutschkenntnissen«, »Aufbau eines Netzwerks
für Traumatisierte« sowie Kultur-, Sport- und Freizeitakti-
welche gute pädagogische Arbeit bereits an und um Schulen geleistet wird,
ohne dass diese strukturell und finanziell verbindlich abgesichert ist. Für eine
ebenso professionelle wie nachhaltige
Begleitung und Unterstützung der jun-
Sie sind jung, oft beeindruckend mutig und stark, andere wiederum total
verunsichert oder nicht altersgemäß
entwickelt. Sie wollen vor allem in ihrer
individuellen Persönlichkeit akzeptiert
werden, neue wichtige Erfahrungen
sammeln und endlich auch altersspezifische gute Erlebnisse genießen.
Offenes synergetisches System
Über einen langen Zeitraum konnte
ich Erfahrung und Wissen in der Arbeit mit jungen Flüchtlingen aufbauen.
Es begann schon 1990, zur Zeit der
großen Zuzugsströme von Asylsuchenden und Spätaussiedlern. Seither sind
auch junge Flüchtlinge im noch laufenden Asylverfahren eine kleine stetige Gruppe innerhalb unserer mittlerweile breit gefächerten Klientel. Es gab
in unserem Diakonischen Werk das damalige Jugendgemeinschaftswerk und
eine Flüchtlingsberatungsstelle, in beiden Diensten waren mehrere Hauptamtliche tätig. Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge waren in Wohngruppen
oder Internaten in Obhut, und in diesen
Jahren wurde ich auch mehrfach für
UMF zum Vormund bestellt. Deutschkurse und Schulabschlüsse waren
vitäten. Erstorientierungskurse unterstützen die Eltern in
ihrer Erziehungskompetenz. Kulturelle Veranstaltungen für
die Bevölkerung und Weiterbildungen für die mit Flüchtlingen arbeitenden Fachkräfte ergänzen das Angebot im
Sinne einer Willkommenskultur. Mehr dazu unter www.
gemeindediakonie-luebeck.de/migration-integration/projekt-flow.html
Sozialkritischer Arbeitskreis Darmstadt: Die schulische
Deutschförderung an allgemeinbildenden Schulen wird
durch sozialpädagogische Angebote des Sozialkritischen
Arbeitskreises ergänzt. Durch freizeit- und erlebnispädagogische Angebote wird den jungen Flüchtlingen Kontakt
zu Einheimischen ermöglicht, sie lernen ihr neues Lebensumfeld kennen und sie bekommen zusätzliche Sprachförderung. Mehr dazu unter www.ska-darmstadt.de
In Hamburg engagiert sich das Rauhe Haus mit Angeboten vielfältiger Art an zwei Wohnunterkünften für die es
zuständig ist. Dazu zählen Angebote für Kinder, Sprachkursangebote für alle Altersgruppen und sozialpädagogische Begleitung aller BewohnerInnen. Mehr dazu unter
www.rauheshaus.de
gen Flüchtlinge muss Jugendsozialarbeit an Schulen jedoch strukturell besser verankert werden. Nur so ist eine
verlässliche, kontinuierliche und nachhaltige Hilfe für junge Flüchtlinge in unserem Bildungssystem möglich.
Fachlich ist es notwendig, spezifische Kompetenzen auszubauen. Insbesondere gilt es Clearingkompetenzen zu entwickeln (s.o.) und diese
Verfahren flächendeckend zu implementieren. Und es sind Fortbildungen
möglich, da alle jungen Flüchtlinge sofort die Förderschule für Spätaussiedler besuchen konnten. Die einzelnen
Dienste hatten ihre klaren Aufgabenstellungen und große Herausforderungen zu bewältigen. Wir arbeiteten
damals sehr offen und intensiv zusammen, um die fachlichen und finanziellen Ressourcen bestmöglich in der
sozialpädagogischen Begleitung der
Jugendlichen zu nutzen. Wir bildeten
gewissermaßen ein offenes synergetisches System. In unsere Ferienseminare musste ich immer zusätzlich auch
einige Flüchtlinge mitnehmen, da die Internate und Wohnheime in den Ferien
zeitweilig geschlossen waren.
Nun ja, damals gab es Arbeitsplatzbeschreibungen, aber noch keine Rahmenkonzepte und Grundsätze als Vorgaben und Prüfparameter für unsere
Arbeit. Ähnliches gilt sicher für die anderen Dienste. Die anstehenden Aufgaben und Probleme zu lösen, war unsere Leitlinie.
Begrenzte Zuständigkeit?
Die Flüchtlingsberatungsstelle wurde
2004 geschlossen, der Träger sagte
gleichzeitig: Wir weisen niemanden
ab. So machten wir die Grenzen unserer Zuständigkeit immer deutlich, blieben aber als unterstützende Einrichtung im Rahmen unserer inhaltlichen
und personellen Möglichkeiten offen
für Flüchtlinge ohne gesicherten Aufenthaltstitel. Die rechtlichen Rahmenbedingungen, Tücken im Ausbildungsund Arbeitsmarktzugang, persönliche
Defizite usw. blockieren ihre vollständige gesellschaftliche Teilhabe auf ungewisse Zeit. Doch es gibt nach meiner
Ansicht viele gute Gründe und Möglichkeiten, auch junge Flüchtlinge frühzeitig
durch die JMD zu unterstützen. (Claudia Armuth, Jugendmigrationsdienst
Minden-Lübbecke)
notwendig – und zwar auch gemeinsame Fortbildungen für die verschiedenen Professionen, die an Schulen
gemeinsam arbeiten.
Gemeinsame Anstrengungen
sind notwendig
Es braucht die grundsätzliche Bereitschaft von allen Beteiligten an
Schule, sich gemeinsam für die jungen Menschen mit Fluchterfahrung
einzusetzen. Das aktuell sehr hohe
Engagement von den verschiedensten gesellschaftlichen Gruppen lässt
hoffen. n (sei)
9
BAG EJSA – Junge Flüchtlinge 2015
Handlungsfelder der Jugendsozialarbeit
Junge Männer
nach der Flucht
Geflüchtete Mädchen und junge Frauen im Fokus
Spezifische Unterstützung durch gut ausgebildete weibliche Fachkräfte nötig
K
riege, politische Verfolgung, innerstaatliche »Fehden« und wirtschaftliche Not in ihren Heimatländern sind
der Grund, warum Mädchen und junge
Frauen flüchten oder auf die Flucht geschickt werden. Hinzu kommen auf der
persönlichen Ebene Erfahrungen von
sexueller Gewalt und Fremdbestimmtheit im Bezug auf Lebenskonzepte,
freie Partnerwahl, Schwangerschaft
oder sexuelle Orientierung.
Gewalterfahrungen
Diese Mädchen und junge Frauen sind
in Gefahr: im Herkunftsland, auf der
Flucht und in Deutschland! Ihre Fluchterfahrungen, Abhängigkeitsverhältnisse, das Erleben enormen Druckes
in scheinbar ausweglosen Situationen,
verstärken die Gefahr, immer wieder
Opfer von sexualisierter Gewalt (sexuelle Belästigung, Übergriffe, Vergewaltigung oder Zwang von sexuellen
Dienstleistungen als Bezahlung), Menschenhandel, Zwangsehen und Ausbeutung jeglicher Art zu werden.
Diese traumatisierenden Erfahrungen prägen die Mädchen und jungen
Frauen. Daher ist eine adäquate Arbeit
10
mit ihnen in geschütztem Rahmen in
den Angeboten der Jugendsozialarbeit
elementar. Nur so können auch schambesetzte und tabuisierte Gewalterfahrungen thematisiert werden.
Empfehlungen
Eine geschlechter-, traumasensible
und (kultur-)differenzbewusste Arbeit
mit geflüchteten Mädchen und jungen
Frauen
■■ schaut gezielt auch auf Mädchen
■■ verhindert (Re-)traumatisierung z. B.
und junge Frauen, die in Begleitung
bzw. mit ihren Familien geflüchtet
sind, um zu verhindern dass sie »unsichtbar« werden. Sie werden aufgrund traumatischer Erfahrungen
bzw. als extrem gefahrvoll empfundenen Situationen (auch in ihrer Unterbringungssituation) von ihren Angehörigen abgeschirmt und extrem
»beschützt«.
■■ achtet auf niedrigschwellige Zugänge zu den Angeboten (z. B. aufsuchende Angebote).
■■ bietet fremdsprachliche Elternarbeit.
■■ setzt sich für eine flächendeckende
Weiterqualifizierung und Fortbildung
von Fachkräften (auch Lehrkräften)
und Ehrenamtlichen ein. Inhalte hierbei sind: kulturelle und »ethnische«
Herkunft, Religionen, Sprache, LBTIQ (lesbisch, schwul/gay, bisexuell,
transgender, intersexuell), Trauma,
Flucht und sexualisierte Gewalt.
■■ hält weibliches Personal als Bezugspersonen für die geflüchteten Mädchen und jungen Frauen vor.
■■ bietet geschlechtshomogene
Räume / Schutzräume.
über erneute schutzlose Situationen,
rassistische Übergriffe und Bedrohungen.
■■ ermöglicht auch die Teilnahme an
Angeboten für Mütter mit Kindern
■■ hat ein Konzept für frauenspezifische
Beratung.
Eckpunkte eines Konzepts für
frauenspezifische Beratung
Folgende Eckpunkte muss ein solches
Konzept enthalten:
■■ Beratung und Begleitung durch
weibliche Fachkräfte
■■ Berücksichtigung der besonderen
Bildungsbedürfnisse von Mädchen
und jungen Frauen (auch im Hinblick
auf die berufliche Orientierung)
■■ Netzwerk geschulter weiblicher muttersprachlicher Therapeutinnen bzw.
mit weiblichen Übersetzerinnen für
Mädchen mit Trauma- und Ausbeutungserfahrungen
■■ Netzwerk geschulter Ärztinnen
(z. B. Frauenärztinnen besonders
bei Schwangeren, Opfern von
sexualisierter Gewalt und Opfern von
Genitalverstümmelungen)
(Die Eckpunkte stammen aus dem
Resümee der Tagung »Geflüchtete
Mädchen und junge Frauen im Spannungsfeld von Fluchterfahrung, Aufenthaltsrecht und Jugendhilfe« am 23. und
24. Juni 2015 in Hamburg. Dies war
eine Kooperationsveranstaltung der
BAG EJSA, der BAG Mädchenpolitik,
der LAG Mädchenpolitik Hamburg und
der Hochschule für angewandte Wissenschaften Hamburg, Departement
Soziale Arbeit. Siehe dazu auch den
Bericht auf Seite 7.)
Verantwortung für die Umsetzung
der Rechte
Zusammenfassend ist festzuhalten,
dass unbegleitete und begleitete minderjährige weibliche Flüchtlinge ein
Recht auf spezifische Unterstützung
von parteilichen, gut vorbereiteten und
ausgebildeten weiblichen Fachkräften
haben! Die Verantwortung hierfür liegt
bei den entsprechenden Behörden und
Ämtern, die zur Umsetzung des §9,3
des SGB VIII, der UN-Menschenrechtskonvention, der UN-Kinderrechtskonvention und der EU-Aufnahmerichtlinie beitragen müssen. n (suk)
BAG EJSA – Junge Flüchtlinge 2015
Rückblick und Ausblick
»Das Verlassen der Heimat ist nie schön«
Mojgan Nabizada erzählt von ihrer Flucht und ihren Zukunftswünschen
M
versteckt zu leben, damit uns die Polizei nicht findet, da wir illegal dort waren.
Diskriminiert und ohne Rechte
So sind mein Bruder und ich im Iran geboren und groß geworden. Dort hatten
wir leider keine Chance zur Schule zu
gehen aufgrund der Konflikte zwischen
den iranischen und afghanischen Leuten. Jeden Tag hatten wir Angst, ob
unsere Mutter oder unser Vater wieder
nach Hause kommt. Ohne Arbeitserlaubnis oder Aufenthaltsgenehmigung
war die Polizei immer hinter ihnen her.
Uns wurde das Leben dort ziemlich
schwer gemacht. Nicht nur der Schulbesuch oder die Arbeit ist Afghanen
verboten, auch existenzielle Dinge wie
eine Wohnung zu haben.
Häufig wurden wir von iranischen
Kindern als »dreckige Afghanen« beschimpft. Die Probleme wurden immer
größer und so kam der Entschluss meiner Eltern, erneut zu fliehen, mit dem
Ziel: Deutschland.
Wir sind mit meinen Brüdern und
meinen Eltern vom Iran in die Türkei gekommen, wo wir dann versucht haben,
gemeinsam mit anderen Flüchtlingen
Familie auseinandergerissen
Wir wurden von den Schleppern in
verschiedenen Orten untergebracht,
bis alle 40 Leute, mit zwei Autos zum
Strand gefahren wurden. Bevor wir losfuhren sollte eine schwangere Frau von
dem anderen Auto gegen einige Leute
von unserem Auto getauscht werden.
Einer dieser Leute war mein Bruder.
So haben die Schlepper meinen Bruder mit sehr unmenschlichem Verhalten mit den Anderen in das zweite Auto
geschoben.
Meine Mutter hatte lange geweint
und wollte, dass mein Bruder bei uns
bleibt − aber es hat nichts gebracht,
wir sind weiter gefahren. Die Fahrzeuge
waren rundherum komplett geschlossen, damit man niemanden sehen
konnte. ES gab lediglich eine Tür und
wir mussten alle auf dem Boden sitzen.
Als wir nach acht oder neun Stunden Fahrt am Strand angekommen waren, wurde uns gesagt, dass wir alle ins
Boot einsteigen müssen, aber von dem
Auto, in welchem mein Bruder war,
fehlte jede Spur. Wir wehrten uns und
wollten nicht ohne ihn auf das Boot.
Aus Angst vor der Polizei, da die
Nacht schon fast vorbei war und es
schon fast hell war, haben sie uns mit
Gewalt hineingeschoben. Sie haben
gesagt, dass mein Bruder mit einem
ein Name ist Mojgan Nabizada,
ich werde dieses Jahr 17 Jahre
und bin mit meinen Eltern und einem
Bruder seit ungefähr eineinhalb Jahren in Deutschland. Meine Eltern stammen aus Afghanistan. Nachdem dort
jedoch Krieg herrschte, mussten meine
Eltern das Land verlassen, und in den
Iran flüchten.
anderen Boot nachkommen wird. Das
Boot ist dann losgefahren und mein
Bruder wurde dort gelassen. Wir wissen immer noch nichts von ihm, wir
glauben, dass auch er in Europa ist.
Aber wie es ihm geht, was er macht
und wo er ist, wissen wir leider nicht.
Vielleicht hasst er uns jetzt und will gar
nicht zu uns, weil er denkt wir haben
ihn dort allein gelassen. Wir hatten aber
keine andere Wahl, obwohl meine Mutter die ganze Zeit geweint hat und versucht hat, da zu bleiben.
Wir sind unendlich traurig und vermissen ihn so sehr. Er denkt vielleicht,
dass wir hätten dort bleiben sollen und
auf ihn warten müssen, aber wir wurden mit Gewalt ins Boot geschoben,
weil die Schlepper schnell verschwinden wollten. Sechs Tage lang, saßen
wir mit 80 Leuten zusammen auf diesem Boot, ohne uns bewegen zu können, weil es so eng war. Es schockiert
mich immer noch, wenn ich heute daran denke. Nachts wache ich verschwitzt und erschreckt auf, wenn ich
wieder davon geträumt habe. Eigentlich
will ich mich gar nicht mehr daran erinnern. Von Italien kamen wir dann mit
der Bahn nach Deutschland.
Weiter machen, weiter lernen
Ein Wunsch meiner Eltern war, dass
wir Kinder die Möglichkeit haben, zur
Schule zu gehen, um später zu studieren. Wir leben jetzt in Kirchheim unter
Teck und mein Bruder und ich gehen
mittlerweile zur Schule. Im Moment bin
ich in der neunten Klasse und will natürlich weiter machen und weiter lernen.
Was mir an Deutschland gefällt
In Deutschland gefällt mir vor allem,
dass Männer und Frauen gleichberechtigt sind und die Frauen genauso arbeiten können wie die Männer und nicht
nur zuhause sitzen müssen. Auch deshalb will ich weiter lernen und alles tun,
um meine Ziele zu erreichen.
Hier ist sehr gut, dass man in der
Schule von allen Seiten unterstützt wird
und Hilfe bekommt. Dass ich hier etwas lernen kann, das ist für mich eine
große Chance, wenn ich an meine Zukunft denke und an die Wünsche für
mein Leben. Im Moment gehen meine
Eltern ohne meinen Bruder und mich
eigentlich nie nach draußen, weil sie
nicht wissen, was sie machen oder sagen sollen. Sie haben Angst davor, angesprochen zu werden und nicht antworten zu können − sie verstehen ja
kein Deutsch. Mama und Papa warten dann immer, bis mein Bruder oder
ich dabei sind.
Aber sie freuen sich darauf, wenn wir
den Aufenthaltstitel bekommen. Dann
können sie endlich einen Deutschkurs
belegen, sind nicht länger »sprachlos«
und können irgendwann arbeiten.
Die Zerissenheit bleibt
Das Verlassen der Heimat ist nie schön.
Mit ihr lässt man ja auch seine ganzen
Verwandten und Freunde hinter sich,
Leute die man liebt und natürlich denkt
man auch oft an sie zurück. Diese Zerrissenheit macht mich sehr traurig.
Ich bin keine Iranerin, und die Einheimischen dort sind auch nicht gut
umgegangen mit uns, deshalb habe
ich überhaupt keine Sehnsucht nach
diesem Land – meinem Geburtsland.
Mein Ziel war immer, eines Tages nach
Afghanistan zu gehen, wo meine Eltern
herstammen und eventuell auch dort
zu studieren und etwas für das Land
zu tun. (Das Gespräch führte Helena
Sauter, BAG EJSA.)
Unsere Türen stehen offen!
Junge Flüchtlinge erinnern die BAG EJSA an ihre Geschichte
B
ei uns im Dorf in der Nähe von Ulm
gab es in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts eine »Flüchtlingssiedlung«, in der die zugewanderten
Deutschen wohnten, die aus den Ostgebieten kamen, z. B. aus Pommern,
von den Masuren, aus Siebenbürgen,
Mähren und vielen anderen Gebieten,
die nun nicht mehr deutsch oder die
unter fremder Verwaltung waren. Diese
Bezeichnung »Flüchtlingssiedlung« war
gar nicht freundlich gemeint und viele
Dorfbewohner waren auch nicht so
freundlich zu den Menschen. Sie ließen sie spüren, dass sie nicht sehr willkommen waren.
Erst sehr viel später wurde vielen klar, dass die ganzen ungeliebten
Flüchtlinge aus dem Osten den Wiederaufbau und den unfassbaren Wohlstand Deutschlands in den 60er und
70er – Jahren und bis heute mitgeschaffen hatten. Ohne die vielen Flüchtlinge wäre das überhaupt nicht möglich
gewesen, da ja auch im Westen sehr,
sehr viele Menschen umgekommen,
bzw. nicht aus dem Krieg zurück gekommen waren und die Bevölkerung
dezimiert und in ihrem Leistungsvermögen geschwächt war.
Flüchtlingsströme nach dem
2. Weltkrieg
Die Flüchtlinge waren nach dem Krieg
aus den besetzten Gebieten geflüchtet. Während oder nach Kriegen entstehen große Flüchtlingsströme, so auch
im Nachkriegsdeutschland der späten
40er und frühen 50er – Jahre.
»Seit dem Ende der Vertreibungen
1948/49 ist deshalb der Strom deutscher Aussiedler aus Osteuropa nie
versiegt, und die bis heute nachwirkende Folge des zweiten Weltkrieges
sorgte dafür, dass bislang mehr als 3,5
Millionen Deutsche auf diesem Weg in
die Bundesrepublik gekommen sind.«
(Reiplinger, Weihe, in: Evangelische Jugendsozialarbeit im Wandel der Zeit,
1999, S. 152)
Viele junge Menschen kamen, die
ihre Eltern dort in den Ostgebieten oder
auf der Flucht verloren hatten, die heimatlos und elternlos waren. Heute nennen wir solche junge Menschen unter
18 UMF – unbegleitete minderjährige
Flüchtlinge.
Unbestritten ist inzwischen vonseiten von Historikern und Ökonomen,
dass das so genannte »Wirtschaftswunder«, der geradezu sensationelle
Wiederaufbau der Bundesrepublik nach
dem zweiten Weltkrieg hauptsächlich
eine Leistung der vielen Flüchtlinge war.
Niemals hätte Deutschland so einen
rasanten Wiederaufstieg erleben können, wenn die vielen Flüchtlinge nicht
gewesen wären! Hauptsächlich ihnen
haben wir unseren heutigen Wohlstand
zu verdanken.
Hilfe für junge Flüchtlinge aus den
Ostgebieten
Damals entstand die evangelische Jugendsozialarbeit als »Jugendaufbaudienst«, man wollte die jungen Leute
nach den schrecklichen, verlustreichen
und traumatischen Erfahrungen und Erlebnissen wieder aufbauen, sie trösten,
begleiten und fördern.
1949 wurde in Bremen die »Evangelische Arbeitsgemeinschaft der Heimstatthilfe für die Jugend« gegründet,
der Vorläufer der BAG EJSA. Sie entstand aus vielen unterschiedlichen
evangelischen Einrichtungen auf Landes- und regionaler Ebene. Im selben
Jahr hatte sich die Bundesarbeitsgemeinschaft Jugendaufbauwerk gegrün-
det, auf deren engagierte Lobbyarbeit
hin dann am 18.12.1950 von der neuen
Bundesregierung der »Bundesjugendplan«, der heutige Kinder- und Jugendplan des Bundes, beschlossen wurde
(vgl. auch ebd. S.119).
Jugendgilden, Jugendwohnheime,
Jugendgemeinschaftswerke
Es entstanden in dieser Nachkriegszeit u.a. Jugendgilden, Jugendwohnheime, Förderschulen und die so genannten Jugendgemeinschaftswerke,
die den Jugendlichen außer den elementaren Lebensnotwendigkeiten wie
Wohnraum, Integration in Schule und
Arbeit auch »Gemeinschaft« geben sollten, ein Platz, an dem sie sich treffen
konnten, an dem Beziehungen entstanden zu »Gleichgesinnten« und zu einheimischen Jugendlichen, ein integrativer Ort mit Spaß, Freizeitgestaltung
und Austausch.
Eben das, was junge Flüchtlinge
heute auch wieder brauchen.
Die Jugendmigrationsdienste haben
jahrzehntelang immer die Möglichkeit
zur Begegnung geboten, die Möglichkeit zum Reden über Erlebtes, die Gelegenheit zur Ablenkung von Belastendem durch Freizeitaktivitäten, durch
Ausflüge, die Möglichkeit zum Kennenlernen einer neuen Jugendkultur und
die Chance, an dieser teilzuhaben und
nicht zuletzt das Angebot zum Verarbeiten von kleineren und größeren Krisen bei der mühsamen und manchmal
sehr belastenden Ankunft und dem Einleben in völlig neuer Umgebung. Auch
Konflikte mit Eltern sind ohne die gewohnte Peergroup oder Clique schwer
zu verkraften. Deshalb müssen neue
Kontakte zu Gleichaltrigen geknüpft
werden und dafür braucht es Orte.
Gemeinsames Erleben in der
Gruppe wichtig
Dies waren immer schon die Jugendmigrationsdienste, aber auch andere
Einrichtungen der Jugendsozialarbeit.
Leider ist in den letzten Jahren die Einzelfallhilfe, das so genannte Case Management zu sehr in den Schwerpunkt
der Arbeit dieser Einrichtungen gerückt
und die Möglichkeiten des oben beschriebenen unstrukturierten Austauschs und gemeinsamen Erlebens
sind zu sehr in den Hintergrund gerückt. Genau dies bildet aber schließlich den sicheren Grund für eine gelingende Entwicklung, auch in Schule und
Beruf. Neu ankommende junge Menschen brauchen in Deutschland auch
heute noch diese Möglichkeiten, sich in
lockerer und zwangloser Atmosphäre
neu zu orientieren und andere junge
Menschen zu treffen, die entweder ähnliche Schicksale haben oder sich einfach interessieren.
Geschichte wiederholt sich
Sowohl die jungen Flüchtlinge nach
dem 2. Weltkrieg als auch die jungen
SpätaussiedlerInnen nach dem Fall
des eisernen Vorhangs in den Jahren
1990/91 haben diese Angebote der
evangelischen Jugendsozialarbeit angenommen. Jetzt steht eine neue Zielgruppe der Jugendsozialarbeit vor der
Tür: junge Flüchtlinge aus Kriegs- und
Bürgerkriegsgebieten aus der ganzen
Welt. Auch ihnen stehen unsere Türen
offen! Geschichte wiederholt sich immer! n (fä)
11
BAG EJSA – Junge Flüchtlinge 2015
Rückblick und Ausblick
Zehn Impulse
Menschenrechte realisieren – Freizügigkeit weiter denken
1. Leben retten
Das Mittelmeer ist unser gemeinsames
Meer, die Rettung von Bootsflüchtlingen eine gesamteuropäische Aufgabe.
Wir brauchen dringend eine zivile europäische Seenotrettung.
2. Legale und gefahrenfreie Wege
nach Europa eröffnen
Flüchtlinge müssen die Möglichkeit zur
legalen Einreise erhalten, über Aufnahmeprogramme, eine großzügige Visavergabe und unkomplizierte Familienzusammenführungen.
5. International Schutzberechtigten Freizügigkeit gewähren
Flüchtlinge mit einem Flüchtlings- oder
subsidiären Schutzstatus sollten nach
Abschluss des Asylverfahrens – Unionsbürgern gleich – mit dem Recht
auf Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Union ausgestattet werden,
damit sie sich überall in der Europäischen Union als Arbeitnehmende oder
Selbstständige niederlassen können.
3. Flüchtlinge neu ansiedeln
Die großzügige Neuansiedlung von
Flüchtlingen aus Erstaufnahmestaaten
kann die Länder, die zurzeit die meisten Flüchtlinge aufnehmen, entlasten.
Außerdem macht dies für die Betroffenen lebensgefährliche Fluchtwege
überflüssig.
6. Erstaufnahmestaaten
unterstützen
Europa muss die Erstaufnahmeländer
von Flüchtlingen besonders bei sich
verstetigenden Flüchtlingssituationen
besser und nachhaltiger unterstützen. Dazu bedarf es der konzeptionellen und programmatischen Verbindung
von kurzfristiger humanitärer Nothilfe
und längerfristiger Entwicklungszusammenarbeit.
4. Wahl des Asyllandes freistellen
Die Zuständigkeitsregelungen des Dublin-Systems müssen grundlegend verändert werden. Es sollte der Staat für
ein Asylverfahren zuständig werden, in
dem der Asylsuchende seinen Antrag
stellen möchte.
Parallel dazu müsste ein finanzieller Ausgleichmechanismus unter den
Staaten der Europäischen Union eingeführt werden.
7. Flucht- und Konfliktur­sachen
entgegenwirken
Angesichts der Tatsache, dass immer
mehr Flüchtlinge aus fragilen oder gescheiterten Staaten und aus lang anhaltenden Konflikten kommen, ist die
oft geforderte »Bekämpfung der Fluchtursachen« bestenfalls eine langfristige
Aufgabe, die friedensethisch und -politisch ausgerichtet sein und die Diaspora in Europa einbeziehen sollte.
8. Flüchtlinge ermächtigen
und beteiligen
In einer inklusiven, an den Menschenrechten orientierten Migrationsgesellschaft müssen sich alle Menschen
gleichberechtigt beteiligen können,
auch Schutz- und Asylsuchende. Vom
ersten Tag an.
9. Social Remittances fördern
Neben den monetären Rücküberweisungen von Flüchtlingen und MigrantInnen in ihre Herkunftsländer verdienen
die sozialen und politischen Transfers
und Austauschprozesse größere Beachtung. Sie können Konflikte sowohl
anheizen als auch Narrative einer befriedeten Zukunft transportieren.
10. Den Raum der Freiheit,
der Sicherheit und des Rechts
erweitern
Eine zukunftsfähige, an den Menschenrechten ausgerichtete europäische Migrations- und Flüchtlingspolitik muss
sich aus der sicherheitspolitischen Engführung befreien, legale Arbeitsmigration nach Europa in größerem Umfang
ermöglichen und einen inklusiven und
vernetzten Mittelmeerraum schaffen.
Einen detaillierten Text dazu finden
Sie unter www.bagejsa.de/handlungsfelder/Junge_Fluechtlinge (Andreas
Lipsch, Evang. Kirche in Hessen und
Nassau, Vorsitzender von PRO ASYL)
»Leben in Deutschland – Aus Sicht von Flüchtlingen«
Hinweise und Links zum Thema
Diakonie
Aktuelle Beiträge und Berichte der
Diakonie: www.diakonie.de/fluecht​
linge-9092.html
Diakonie magazin »Gut, dass ihr hier
seid«: www.diakonie.de/diakoniemagazin-01-2015-16216.html
Kirchenasyl
Website der ökumenischen Bundesarbeitsgemeinschaft Kirchenasyl
(Netzwerke aller Kirchengemeinden, die bereit sind, Flüchtlinge im
»Kirchenasyl« vor Abschiebung zu
schützen: www.kirchenasyl.de
Bundesverband Unbegleitete
minderjährige Flüchtlinge
Website des Bundesfachverbandes
unbegleitete minderjährige Flüchtlinge: www.b-umf.de
Jugendliche ohne Grenzen
Selbstorganisation von jungen
Flüchtlingen: http://jogspace.net
Kooperationsverbund
Jugendsozialarbeit
Aktuelle Informationen und Veröffentlichungen: www.jugendsozialar​
beit.de/junge_fluechtlinge
Arbeitsgemeinschaft Jugendhilfe
Positionspapier: www.jugendhilfe​
portal.de/fokus/fluechtlingspolitik
Arbeitshilfen
Zusammenstellung von Arbeitshilfen
für die Beratung, z. B. zu rechtlichen
Fragen und zum Zugang zu Bildung
vom Informationsverbund Asyl & Migration: www.asyl.net
Netzwerk Kinderrechte
Netzwerk zur Umsetzung der UNKinderrechtskonvention in Deutschland (National Coalition), Positionspapier: www.netzwerk-kinderrechte.
de/themen/fluechtlingskinder.html
UNICEF
In erster Linie Kinder, Flüchtlingskinder in Deutschland: www.unicef.de
UNICEF-Report 2015 Kinder zwischen den Fronten: www.unicef.de/
report2015
Pro Asyl
Website von Pro Asyl; Basisinformationen, Zahlen und Fakten, Informationen zu rechtlichen Fragen u.v.a.m.:
www.proasyl.de/de/themen
Flüchtlingsrat
Übersicht über die Landesflüchtlingsräte: www.fluechtlingsrat.de
Ein außergewöhnliches Filmprojekt
12
Bildung
Schulanaloger Unterricht für junge
Flüchtlinge, innovative Projekte,
sehr gutes Fortbildungsangebot:
www.schlau-schule.de
Integration in den Arbeitsmarkt
Migrationsspezifika beim Übergang
von der Schule in die Ausbildung:
www.dji.de/index.php?id=144
Der Deutsche Industrie- und
Handelskammertag zur aktuellen Zuwanderungsdebatte: www.
dihk.de​/presse/meldungen/201503-26-dihk-zdh-berliner-erklaerung
Gesetzliche Grundlagen
Von Abschiebung bis Zwangs­heirat,
alle wichtigen Begriffe von A-Z:
www.caritas.de/glossare/fluecht​linge
Überblick zu den Änderungen im
Asylbewerberleistungsgesetz zum
1. März 2015 mit Beispielen und
Hinweisen für die Beratungspraxis:
www.migration.paritaet.org/start/
publikationen
Gemeinnützige Gesellschaft zur Unterstützung Asylsuchender e.V.;
jahrzehntelange Erfahrung in der Arbeit mit Flüchtlingen, interessante
Projekte und gute Qualifzierungsangebote: www.ggua.de
Fachkonzept der Evangelischen
Jugendmigrationsarbeit
W
arum bist du geflohen? Was gefällt dir in Deutschland? Was war
oder ist schwierig? Hast du Heimweh?
– Diese Fragen stellten die Schülerinnen und Schüler einer beruflichen Vorqualifizierungsklasse, die erst vor kurzem als Flüchtlinge nach Deutschland
gekommen waren. Sie interviewten
Flüchtlinge, die bereits seit einigen Jahren in Deutschland leben.
So entstand der Film »Leben in
Deutschland – aus Sicht von Flüchtlingen«, den der Fachdienst Jugend,
Bildung, Migration der BruderhausDiakonie in Kirchheim/Teck initiierte –
unterstützt von Kooperationspartnern
(u.a. auch durch die BAG EJSA, deren Studierende Helena Sauter maßgeblich beteiligt war). Beeindruckend
an diesem Film ist, wie offen die Interview-PartnerInnen den fragenden jungen Flüchtlingen antworten, wie tief
sie Einblick geben in ihre Lebensgeschichte und ihre Gefühle.
Bei der Filmpremiere im April 2015
waren alle Mitwirkenden an dem Film
anwesend. Viele Menschen, überwiegend natürlich aus Kirchheim/Teck, wa-
Wohnen
WG-Leben statt Wohncontainer in
der Sammelunterkunft. Eine ­Berliner
Idee greift um sich: www.fluecht​
linge-willkommen.de
Lebensraum im Grandhotel
Cosmopolis in Augsburg: http://
grandhotel-cosmopolis.org/de/
www.bagejsa.de/publikationen-und-downloads/publikationen
I
n diesem Fachkonzept geht es im
Kern um die Arbeit der aus dem
Kinder- und Jugendplan des Bundes finanzierten Jugendmigrationsdienste. Sie wenden sich an alle
jungen Menschen mit Migrationshintergrund und unterstützen diese bei
ihrer sozialen, schulischen und beruflichen Integration. In der Jugendsozialarbeit ist die Integration junger
Menschen mit Migrationshintergrund
jedoch auch eine Querschnittsaufgabe. Junge Menschen mit Migrationshintergrund sind in allen Einrichtungen der Jugendsozialarbeit und
ren gekommen, um den Film zu sehen, und auch, um mit den AkteurInnen
zu sprechen. Als sich alle Mitwirkenden auf der Bühne zu einem Gruppenbild versammelten, konnte man in den
Gesichtern der jungen Flüchtlinge die
Freude darüber sehen, dass sie ein so
außergewöhnliches Projekt gemeinsam
zustande gebracht hatten. Der 40minütige Film ist zum Preis von 12,50 Euro
als DVD erhältlich.
Bestelladresse: BruderhausDiakonie, Fachdienst Jugend Bildung Migration, 72622 Nürtingen, Kirchheimer
Straße 60, Tel.: 07022 21 75-113, EMail: [email protected].
der Jugendhilfe anzutreffen, zurzeit in
deutlich steigender Zahl. Es ist folglich notwendig, migrationsbedingte
Unterstützungsleistungen nicht nur in
Migrationsfachdiensten zu erbringen.
Wichtige Voraussetzung für den Erfolg sind gemeinsame Zielvorstellungen und eine enge Vernetzung der
Akteure. Für das vernetzte Arbeiten
richtet sich das Fachkonzept nicht
nur an die Fachkräfte in den Jugendmigrationsdiensten. Auch Fachkräfte
aus anderen Handlungsfeldern der
Jugendsozialarbeit und der Jugendhilfe finden darin wichtige Hinweise.
Die Bundesarbeitsgemeinschaft Evangelische Jugendsozialarbeit (BAG EJSA) ist
der bundesweite Zusammenschluss der Jugendsozialarbeit in Diakonie und evangelischer Jugendarbeit. Sie fördert junge Menschen, die besondere Unterstützung
brauchen. Außerdem ist die BAG EJSA mitverantwortliche Zentralstelle für das
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Als Fachorganisation der Jugendhilfe vertreten wir die Interessen benachteiligter junger Menschen
und die gemeinsamen Anliegen unserer Mitglieder insbesondere in den Bereichen
Jugend-, Bildungs-, Arbeitsmarkt-, Migrations- und Sozial­politik.