Gesund essen – kein Thema für harte Jungs?

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ERNÄHRUNGSKOMMUNIKATION
Dorothee Hahne
Gesund essen – kein Thema
für harte Jungs?
Männer fühlen sich kerngesund, bis
sie tot umfallen: In diesem Spruch
steckt mehr als ein Körnchen Wahrheit. Denn das starke Geschlecht
geht wenig sorgsam mit der eigenen
Gesundheit um. Stattdessen strebt es
nach Leistung, Härte, Konkurrenz
und Macht. Diese Einstellung spiegelt sich auch im Verhalten wider:
Im Vergleich zu Frauen gehen Männer seltener zum Arzt und glauben
weniger, ihre Gesundheit selbst beeinflussen zu können (Übersicht 1).
„Männer und Gesundheit“ ist also
ein spezielles Thema und damit eine Herausforderung für alle, die sich
damit beschäftigen.
Viele Botschaften verfehlen
ihr Ziel
Foto: Mauritius
Bei näherer Betrachtung vieler Präventionskampagnen fällt auf: „Die
meisten Botschaften sind zwar gut
gemeint, aber nicht gut gemacht. Sie
sind oft unpräzise und gehen an den
Übersicht 1:
Lebenswelten der Zielgruppen vorEinschätzungen
von Frauen und Män- bei“, konstatierte Dr. Thomas Altnern zu Problemen
geld von der Landesvereinigung für
von Männern (nach
Altgeld T, tns emnid; Gesundheit und Akademie für So1.004 Befragte)
Die maskulinen Weggucker
Welche Probleme haben Sie?
Welches sind Ihrer Meinung nach typische Probleme der Männer?
befragte Männer
befragte Frauen
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zu geringer Verdienst
26
Übergewicht
15
zu wenig muskulös
über Gefühle
nicht reden können
12
Mangel an materiellen Dingen,
die einem Geltung verschaffen
11
sexuelle Probleme
48
28
13
Angst zu versagen
keinen Erfolg bei Frauen
36
18
unter Haarausfall leiden
52
6
5
56
62
38
31
33
Ernährung im Fokus 11-01 | 11
zialmedizin Niedersachsen auf dem
12. aid-Forum in Bonn. Ein Beispiel
ist die Kampagne des Deutschen
Sportbundes mit den Slogans „Sport
tut Deutschland gut“ und „Ene mene meck – der Speck ist weg“. Solche
Botschaften laufen ins Leere: „Wen
soll das zu einer anderen Form von
Bewegung, Ernährung oder Stressbewältigung motivieren?“, fragte Altgeld. Die Kritik des Experten
geht noch weiter: Er beobachtete
insbesondere bei Präventionskampagnen zum Thema Adipositas einen Trend zur Stigmatisierung von
Übergewichtigen, vor allem von
Kindern. So zeigt die „Gesundheitsförderung Schweiz“ im Rahmen einer Kampagne ein Plakat mit einem
doppelt breiten Schlitten. Darunter
steht: „Die Schweiz wird immer di-
cker“. Darstellungen wie diese machen Übergewichtige zur Lachnummer, anstatt Hintergründe und Ursachen von Gewichtsproblemen zu
thematisieren.
Im Fokus: Adipositas
Der Bereich Adipositasprävention
und -behandlung boomt bereits seit
einigen Jahren. Allein in Deutschland existieren über 400 Programme für Kinder und Jugendliche – eine Vielfalt, die Eltern, Schulen und
Kindertagesstätten die Orientierung
erschwert und zudem die Frage aufwirft, warum ausgerechnet das Thema Übergewicht derart im Fokus
steht und nicht andere Themen, etwa Suchtprävention, Verkehrserziehung oder AIDS-Aufklärung.
ERNÄHRUNGSKOMMUNIKATION
Broschüren: Für die Katz´?
Letztendlich tauchen bei Kampagnen zur Prävention und Gesundheitsförderung immer die gleichen
Fehler auf. Zum einen bleiben die
Zielgruppen bei der Themenauswahl
außen vor, zum anderen sind die
Ansprechkanäle, die Medien und
deren Gestaltung oft suboptimal.
Typisch ist eine Überbewertung
von Broschüren und Materialien,
die man „bunt auf weiß“ nach Hause oder in Settings tragen kann. Dagegen steht die Unterbewertung von
Investitionen in vorhandene und
zielgruppennahe kommunikative
Strukturen. Konkret bedeutet das:
Obwohl bekannt ist, wie schwer Jungen und Männer erreichbar sind,
produzieren und verteilen viele Institutionen stapelweise Broschüren,
zum Beispiel an Schulen – ohne zu
hinterfragen, ob Broschüren überhaupt der geeignete Kanal für ihre Zielgruppe sind. Das ist für Jungen mehr als fraglich: Männliche
Jugendliche stellen 57 Prozent der
Hauptschulabsolventen, 65 Prozent der Schulabbrecher, 60 Prozent der Sitzenbleiber und 64 Prozent der Sonderschüler. Damit gehören sie klar zu den Bildungsverliereren, und insbesondere hapert es mit
dem Lesen. Die Pisa-Studie stellte
bereits 2000 fest, dass Jungen deutlich schlechter und insgesamt weniger lesen als Mädchen. „Was wollen
diese Zielgruppen also mit Broschüren?“, fragte Altgeld.
Broschüren eignen sich eher für
Umbruchsituationen, etwa wenn eine Krankheit diagnostiziert wird, jemand seine Arbeit verliert oder ins
Berufsleben einsteigen will. Dann
sucht er gezielt nach Informationen.
Trends auf dem Männer­
gesundheitsmarkt
Die Betreuung kleiner Kinder ist
fest in weiblicher Hand. In Kindertagesstätten sind 96 Prozent Frauen tätig, in Grundschulen 86,7 Prozent, in Gymnasium noch 52,1 Prozent. Auch gibt es nur wenige Tagesväter. „Die Feminisierung der
Erziehung führt dazu, dass sich in
den frühen Bildungseinrichtungen eher klassische Geschlechterrollen reproduzieren“, erklärte Altgeld. Trotz allem existiert ein gewisser Männergesundheitsmarkt, der
vor allem mit Stereotypen arbeitet.
Ein erfolgreiches Beispiel ist Viagra: Der Hersteller Pfizer warb 2007
mit einem Plakat, auf dem ein muskulöser Mann und eine Frau zu sehen ist, die sich an seine Brust lehnt.
Darüber steht der Slogan: „Ich will.
Ich kann. Mit Leib und Seele Mann“.
Ohne den Produktnamen und das
Problem erektile Dysfunktion explizit zu nennen, bringt die Werbung
das Produkt an den Mann, einfach
indem sie an das klassische Männerbild appelliert. Generell spielen
Genderaspekte in der Medizin nur
selten eine angemessene Rolle – und
wenn, sind Frauen meist die treibende Kraft.
Der Männergesundheitsmarkt zielt
darauf ab, Verhaltensmuster zu ändern und neue Leistungen zu kreieren. So war die plastische Chirurgie über Jahrzehnte eine Domäne
der Frauen. Doch die zunehmende Präsenz idealer Männerkörper
in der Werbung motiviert immer
mehr Männer, sich unters Messer
zu legen. Zahlen der Amerikanischen Gesellschaft für Ästhetische
Plastische Chirurgie belegen diesen Trend: Besonders gefragt waren
2004 Nasenkorrekturen, Botox-Injektionen, Haarentfernungen, Fettabsaugungen und Kinnkorrekturen.
Von dem Wunsch, männlicher und
jünger auszusehen, profitiert auch
der wachsende Markt der Männerkosmetik.
Über die Hälfte der männerspezifischen Auftritte im Internet stammen von Anbietern aus dem Medi-
zinbereich. 88 Prozent vermarkten
eigene Dienstleistungen oder Produkte; Hauptthemen sind die erektile Dysfunktion, Wechseljahre des
Mannes, Hormonmangel, -substitution und -therapie, gefolgt von Sexualität, Sport und Bewegung. Auffällig ist der starke körperliche, aber
völlig fehlende psychosoziale Bezug.
Einfache Lösungen bevorzugt
Erfolgreiche Gesundheitskommunikation für Männer liefert nicht nur
Fakten, sondern spricht auch Gefühle an. Botschaften dringen vor
allem dann durch, wenn sie eine
einfache technische Lösung möglicher Gesundheitsprobleme versprechen. Beliebt sind auch überdeutliche Anglizismen, etwa „Powerfood
für Hirn und Herz“. „Solange es modern klingt, sind Männer mit höherem Einkommen und einem gewissen Körperbewusstsein für Gesundheitskommunikation empfänglich“,
sagte Altgeld. Komplexere psychische Ursachen werden allerdings
ausgeblendet, reale Erkrankungsverläufe bagatellisiert.
Das Streben nach
dem perfekten
Körper hat nun
auch die Männer
erreicht.
Foto: fotolia/Alexander Yakovlev
Doch auch einfache Botschaften und
der bewusste Einsatz von Bildern
sind kein Garant für erfolgreiche
Präventionsmaßnahmen. So nennt
die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung in einer Fast-FoodBroschüre vermeintlich simple Essensregeln, die an der Realität jedoch
oft vorbeigehen. Aussagen wie „Am
schönsten ist es, mit Freunden und
der Familie zu essen“ treffen längst
nicht für alle Kinder zu. Viele sind
heute von Medien geprägt und kommunizieren wenig mit ihrer Familie.
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11-01 | 11 Ernährung im Fokus
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ERNÄHRUNGSKOMMUNIKATION
Übersicht 2:Stufen der Partizipation in der Gesundheitsförderung (nach Wright et al. 2007)
Stufe 9:Selbständige Organisation
Weit über Partizipation hinaus
Stufe 8:Entscheidungsmacht
Stufe 7: Teilweise Entscheidungs-
kompetenz
Partizipation
Stufe 6:Mitbestimmung
Stufe 5:Einbeziehung
Stufe 4:Anhörung
Vorstufen der Partizipation
Stufe 3:Information
Stufe 2:Erziehen und Behandeln
Stufe 1: Instrumentalisierung
Vor diesem Hintergrund ergeben
sich vier Ansatzpunkte für eine jungen- und männerspezifische Gesundheitsförderung:
• Differenzierte Betrachtung der
Zielgruppen: Es gibt nicht die Jungen oder die Männer. Subgruppen
haben spezifische Ressourcen und
Belastungen, die genau analysiert
sein wollen.
• Sensibilisierung für männliche Gesundheitsprobleme: Zurzeit spielen Geschlechterrollen
in der Ausbildung zur Erzieherin oder zum Erzieher keine Rolle. Dabei ist diese Berufsgruppe
eine entscheidende Bildungsinstanz. Wie lassen sich Männer motivieren, einen Beruf im Bereich
der kindlichen Bildung zu ergreifen? Während die Erzieherquote
in Deutschland bei rund fünf Prozent dümpelt, liegt sie in Dänemark mittlerweile bei 18 Prozent:
Dort werden Erziehungsberufe
viel besser bezahlt als hier.
• Jungen- und männerspezifische
Gesundheitskommunikation.
• Abbau von Ungerechtigkeiten im
Bildungssystem in Bezug auf das
Geschlecht: Gender-Mainstreaming sollte eine Querschnittsanforderung an alle gesundheitsbezogenen Leistungen, aber auch an
Bildungsleistungen sein.
Der Schlüssel:
Frühe Partizipation
Der Schlüssel für eine erfolgreiche
Gesundheitsförderung liegt in der
Partizipation der Zielgruppen. Je
ausgeprägter diese ist, desto besser.
Ein Stufenmodell beschreibt neun
verschiedene Ebenen (Übersicht 2):
Ernährung im Fokus 11-01 | 11
Nicht-Partizipation
Ganz oben steht die selbstständige
Organisation, das heißt, ein Setting
wie Schule oder Kindergarten kümmert sich eigenständig um bestimmte Themen. Bemühungen im Bereich
der Gesundheitsförderung bleiben
jedoch oft in den unteren Stufen stecken, der Nicht-Partizipation oder
der Vorstufe zur Partizipation.
• Die unterste Stufe der Nicht-Partizipation wird als Instrumentalisierung bezeichnet. Auf dieser
Ebene spielen weder die Belange
der Zielgruppe eine Rolle noch ist
sie in Entscheidungen eingebunden.
• Marginal besser ist Stufe zwei.
Hier fallen Benachteiligungen
und Defizite der Zielgruppe zwar
auf, ob sich dies mit deren Eigenwahrnehmung deckt, ist jedoch
unerheblich: Defizite sollen beseitigt, die Zielgruppe zum richtigen Verhalten „erzogen“ werden.
Nicht nur im Bereich der Ernährungskommunikation orientieren sich Botschaften meist an der
Mittelschicht. Kaum jemand hinterfragt, ob sie für andere soziale
Schichten ebenso passen.
• Stufe drei nähert sich dem Ziel der
Partizipation immerhin an: Die
Entscheidungsträger teilen der
Zielgruppe mit, welche Probleme sie hat und wie ihnen geholfen
werden kann. Dabei erklären und
begründen sie ihr Vorgehen.
• Stufe vier interessiert sich erstmals für die Sichtweise der Zielgruppe und hört sie an. Meist bekommt sie Kommunikationsmaterialien zur Beurteilung. Auf Basis der Rückmeldungen erfolgen
dann marginale Änderungen.
• Stufe fünf bindet Zielgruppenver-
treter bereits relativ früh in Entscheidungsprozesse ein, ohne sie
jedoch tatsächlich teilhaben zu
lassen.
Fest steht: Je weniger fertige Angebote für von außen wahrgenommene Probleme konzipiert werden,
desto seltener hat man es später mit
„schwer erreichbaren Zielgruppen“
zu tun.
Wie lässt sich also Interesse für Ernährungsthemen wecken, wenn die
Zielgruppe eigentlich mit ganz anderen Problemen unterwegs ist? In
diesem Fall ist eine Situationsanalyse wichtig: Welche Defizite und Probleme nimmt der Einzelne wahr?
Wie könnten sich Schulen und Kindertagesstätten einbringen?
Gesundheitsressourcen
der Männer
Als Gegengewicht zum kommerziellen Männergesundheitsmarkt
entstand im Jahr 2007 das Männergesundheitsnetzwerk
(www.netzwerk-maennergesundheit.de). Dieser Zusammenschluss von Fachleuten eruiert unter anderem regelmäßig, welche Gesundheitsthemen für
Männer bedeutsam sind. 2007 setzte
das Netzwerk das Thema Ernährung
als Schlusslicht. Ähnlich „uninteressant“ schnitt nur noch das Thema Bewegung ab. Mehr Handlungsbedarf sehen die Multiplikatoren
bei Themen wie Work-Life-Balance, Sexualität, Krebsvorsorge, Entspannung, Bilder von Männlichkeit,
Jungengesundheitsförderung, Konfliktbewältigung, Depressionen und
Suchterkrankungen.
Einen anderen Ansatz verfolgt der
2008 veröffentlichte Gesundheitsreport der Deutschen AngestelltenKrankenkasse (DAK). Er versucht,
die Gesundheitsressourcen von
Männern zu beleuchten und kommt
zu folgenden Ergebnissen:
• Männer haben bessere Berufsund Aufstiegschancen als Frauen
und verdienen mehr bei gleicher
Qualifikation.
• Sie sind seltener doppelt oder
mehrfach belastet durch Berufstätigkeit, Hausarbeit und Versorgung pflegebedürftiger Angehöriger.
• Sie erfahren mehr soziale Unterstützung von Eltern, Familie, in
ERNÄHRUNGSKOMMUNIKATION
der Partnerschaft oder Vereinen.
• Sie beherrschen handlungsbezogene Copingstrategien, die das
Selbstwertgefühl steigern, unter
anderem sind sie körperlich aktiver.
• Sie haben eine höhere Symptomtoleranz und sind körperlich und
seelisch belastbarer.
• Männer sind mit sich selbst zufriedener und autonomer.
Geschlechtssensible
­Kampagnen
Altgeld plädierte dafür, auf die vorhandenen Ressourcen und ein positives Selbstbild zu setzen: „Wir wollen den Mann nicht nur als eine sieben Jahre früher sterbende Person
wahrnehmen, die sich gesundheitsriskant verhält.“
Einige Projekte haben derartige geschlechtsspezifische Überlegungen
bereits umgesetzt. Ein Beispiel ist
das Projekt „Selbst is(s)t der Mann“
von der Fachhochschule Lüneburg.
Offiziell ging es dabei um ein besseres Ernährungsverhalten sozial benachteiligter junger Männer und um
die Vermittlung von Alltagskompetenzen im Umgang mit Lebensmitteln. „Hätten wir dies so angekündigt, wäre die Resonanz gleich Null
gewesen“, sagte Altgeld. „Zugkräftiger war der Aspekt der Selbstverpflegung bei Freizeiten und Fêten.
Wir stellten reine Jungengruppen
zusammen, die gemeinsam kochten
und aßen“. In diesem Rahmen waren die Jugendlichen offen für Ernährungsthemen: Sie kauften erstmals frisches Gemüse ein und sprachen über Lebensmittel mit derselben Selbstverständlichkeit wie über
andere Themen.
Auf Geschlechtsunterschiede achtete auch die Kampagne „Rauchfrei“
der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung: Sie konzipierte getrennte Broschüren für Jungen und
Mädchen. Zwar arbeiteten auch diese mit Stereotypen – die Jungenbroschüre war himmelblau und zeigte
auf dem Titel einen Jungen in einer
riskanten Situation. Die Mädchenbroschüre war rosa und zeigte zwei
Mädchen zu Hause in einer kommunikativen Situation. Neben der
Gestaltung unterschieden sich die
Broschüren im Umfang – die Mäd-
chenbroschüre war dicker. „Hier hat
man sich Gedanken über die Lesegewohnheiten der Zielgruppen gemacht“, lobte Altgeld.
Ein weiteres erfolgreiches Praxisbeispiel ist die Kampagne „Voll im
Griff“ der niedersächsischen Landesstelle für Suchtfragen. Sie thematisierte die Vermeidung von Autounfällen nach Discobesuchen und richtete sich an Berufsschüler. Ziel war,
das männliche Verantwortungsgefühl zu steigern und die Selbstüberschätzung bezüglich des Alkoholkonsums zu reduzieren. Die Idee
war einfach, aber effektiv: Die Berufsschüler fuhren zunächst einen
ADAC-Parcours ab. Dann durften
sie so viel trinken, wie sie glaubten
zu vertragen und fuhren den Parcours erneut ab. Beide Fahrten wurden gefilmt, die Videos zwei Tage
später in der Klasse gezeigt und besprochen. „Etwas Ähnliches müsste man für den Ernährungsbereich
konstruieren, um eine andere Form
der Selbstwahrnehmung zu schaffen“, riet Altgeld.
Die Verhältnisse ändern
Ein effektiver Ansatz ist die Änderung der Verhältnisse. Zum Beispiel
ermittelte eine Studie aus England
und Schottland, dass es in sozial benachteiligten Stadtteilen etwa dreimal so viele Fast-Food-Restaurants
gab wie in besser situierten Stadtteilen. „Dagegen hilft Ernährungsberatung kaum. Hier kann man nur
die Stadtväter dazu bringen, etwas
an diesen Verhältnissen zu ändern“,
sagte Altgeld. In Los Angeles verbot
der Stadtrat in einem Stadtteil mit
über 30 Prozent Übergewichtigen
die Neueröffnung von Schnellimbissen. Dies ist zwar ein massiver Eingriff, er erleichtert aber die gesündere Lebensmittelauswahl vor Ort erheblich.
Maßgeschneiderte Konzepte
für den Alltag
Das geschlechtsspezifische Präventionsdilemma wird in Kampagnen
und der Materialproduktion rund
um das Thema Ernährung besonders
deutlich. Um Jungen und Männer zu
erreichen, braucht es Maßnahmen,
die sich an deren Lebenswelt orientieren. Zudem ist eine nachhaltige
Verhältnisprävention notwendig, etwa über die Gemeinschaftsverpflegung in Kitas, Schulen, Betrieben
und bei der Bundeswehr. Entscheidend ist die Vermittlung hauswirtschaftlicher Kompetenzen im Alltag
von Bildungs- und Jugendfreizeiteinrichtungen: Jugendliche sollten
sich an der Herstellung der Mahlzeiten beteiligen.
Wenig effektiv ist die aktuelle Praxis, ständig neue Präventionsthemen über Einzelprogramme von
außen in die relevanten Settings zu
tragen. Stattdessen sollten integrative Konzepte für den Alltag von
Bildungseinrichtungen entwickelt
werden, in die die Zielgruppen von
Anfang an eingebunden sind. Andernfalls bleiben die so genannten
„schwer erreichbaren Zielgruppen“
weiterhin schwer erreichbar – und
alle Präventionsbemühungen sind
für die Katz`.
Den vollständigen Vortrag finden Sie
im Tagungsband zum 12. aid-Forum.
Bestell-Nr. 60-3682
www.aid-medienshop.de
Die Autorin
Dorothee Hahne studierte an der Universität Bonn bis 1988
Oecotrophologie. Bis 1997 arbeitete sie als Medizinredakteurin
beim Deutschen Ärzte-Verlag. Seither ist sie als freie Journalistin
mit Schwerpunkt Ernährung tätig.
Dorothee Hahne
Redaktionsbüro
Mozartstr. 9, 50764 Köln
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11-01 | 11 Ernährung im Fokus
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