A. Urkundendelikte - Juristische Fakultät

Juristische
Fakultät
Prof. Dr. Frank Saliger
Lehrstuhl für Strafrecht,
Strafprozessrecht, Wirtschaftsstrafrecht und Rechtsphilosophie
Examinatorium
Strafrecht Besonderer Teil
Übersichtsblatt: 11. Einheit Urkundendelikte
Die Urkundendelikte des 23. Abschnitts des StGB dienen dem Schutz der Sicherheit und Zuverlässigkeit des Rechtsverkehrs mit Urkunden, technischen Aufzeichnungen und Daten als
Beweismittel, indem deren Echtheit und Unverfälschtheit geschützt wird.1
Schutz der Sicherheit und Zuverlässigkeit des
Rechtsverkehrs mit Urkunden
Schutz der
Echtheit
Urkundenfälschung
gem.
§ 267
Fälschung
technischer
Aufzeichnungen gem.
§ 268
Schutz der
Verfügbarkeit
Fälschung
beweiserheblicher Daten
gem. § 269
Urkundenunterdrückung
gem. § 274
Schutz der inhaltlichen
Wahrheit
Falschbeurkundung im
Amt
gem. § 348
Mittelbare
Falschbeurkundung
gem. § 271
1. Urkundenfälschung, § 267 StGB
Der Schutzbereich des § 267 beschränkt sich darauf, Angriffe auf die Echtheit oder Unverfälschtheit der Urkunde unter Strafe zu stellen. Insbesondere erfasst die Vorschrift ein darüber
hinausgehendes Interesse an der inhaltlichen Wahrheit der Erklärung grundsätzlich nicht. Sog.
schriftliche Lügen liegen regelmäßig außerhalb des Schutzbereichs der Norm.2 § 267 I 1. Var.
StGB schützt allein das Vertrauen in die „Echtheit“ (Identität) des Ausstellers, aber nicht in das,
was der Aussteller erklärt.3
I. Tatbestandsmäßigkeit
1. Objektiver Tatbestand
a) § 267 I 1. Var. Herstellen einer unechten Urkunde
P: Abgrenzung Beweiszeichen – Kennzeichen4
P: Urkunden ausländischen Ursprungs Fall 1
1
Vgl. Eisele, BT I, Rn. 782.
Vgl. Rengier, BTII, § 33 Rn. 1; Wessels/Hettinger, BT1, Rn.789.
3
Vgl. Heine/Schuster in: Schönke/Schröder, § 267 Rn. 48.
4
Vgl. Wessels/Hettinger, BT1, Rn. 804ff.
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Fall 3
Fall 1
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P: Gesamturkunden, zusammengesetzte Urkunden5 Fall 2
Fall 1
P: Vordrucke, Urkundenentwürfe
P: Durchschriften, einfache / beglaubigte Abschriften, Fotokopien, Telefax
P: Abgrenzung schriftliche Lüge – Namenstäuschung6
P: Stellvertretung7
b) § 267 I 2. Var.
aa) Vorliegen einer echten Urkunde als Tatobjekt
bb) Verfälschen
P: Abgrenzung zur Urkundenunterdrückung
P: Tatbegehung durch den Aussteller
c) § 267 I 3. Var.
aa) Gebrauchen einer unechten Urkunde
bb) Gebrauchen einer verfälschten Urkunde
P: unmittelbare sinnliche Wahrnehmung des Originals nötig8
2. Subjektiver Tatbestand
a) Vorsatz
b) Absicht der Täuschung im Rechtsverkehr (dolus directus 2. Grades genügt)
II. Rechtswidrigkeit
III. Schuld
IV. Strafzumessung: Besonders schwere Fälle (§ 267 III StGB)
V. Qualifikation (§ 267 IV StGB)
Urkunde ist jede verkörperte menschliche Gedankenerklärung („Perpetuierungsfunktion“), die
zum Beweis im Rechtsverkehr geeignet und bestimmt ist („Beweisfunktion“) und ihren Aussteller erkennen lässt („Garantiefunktion“).9
Eine Urkunde ist unecht, wenn sie nicht von demjenigen herrührt, der sich aus ihr als Aussteller
der verkörperten Erklärung ergibt. Das entscheidende Kriterium für die Unechtheit ist die Identitätstäuschung: Über die Person des wirklichen Ausstellers wird ein falscher Eindruck erweckt.10
Hier kann die Drei-Schritt-Prüfung helfen: (1) wirklicher Aussteller (= der Erklärende)
(2) scheinbarer Aussteller
(3) Identität zwischen wirklichem und scheinbarem
Aussteller
5
Vgl. Wessels/Hettinger, BT1, Rn. 815f.
Ausführlich dazu Rengier, BTII, § 32 Rn. 10-15.
7
Vgl. Eisele, BT I, Rn. 822ff.
8
Bejahend BGHSt 24, 140 (142); OLG Düsseldorf, JR 2001, 82. Verneinend Wohlers, JR 2001, 83 m.w.N.
9
Vgl. dreigliedriger Urkundenbegriff: ausführlich mit Beispielen Eisele, BT I, Rn. 786ff.; Wessels/Hettinger, BT1,
Rn. 790.
10
Vgl. Rengier, BTII, § 33 Rn. 5; Heine/Schuster in: Schönke/Schröder, § 267 Rn. 48.
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Die Art und Weise des Herstellens ist nicht von Bedeutung. Es genügt jede zurechenbare Verursachung der Existenz der unechten Urkunde.11
Eine echte Urkunde wird durch jede nachträgliche Veränderung des gedanklichen Inhalts verfälscht, durch welche der Anschein erweckt wird, dass der Aussteller die Erklärung von Anfang
an in dieser Form abgegeben hat.12
Eine gefälschte Urkunde gebraucht, wenn sie dem zu Täuschenden auf eine Weise zugänglich
gemacht wird, dass dieser die Möglichkeit der Kenntnisnahme durch sinnliche Wahrnehmung
hat.13
2. Fälschung technischer Aufzeichnungen, § 268 StGB
§ 268 StGB ist dazu gedacht, die Lücke zu schließen, die durch das Erfordernis der menschlichen Gedankenerklärung entsteht. Geschützt wird die Sicherheit und Zuverlässigkeit des Beweisverkehrs mit technischen Aufzeichnungen.14 Weiter dient die Vorschrift der Sicherheit der
Informationsgewinnung durch technische Geräte und dem Schutz des Vertrauens darauf, dass
ein Gegenstand, der im Rechtsverkehr als technische Aufzeichnung präsentiert wird, in dieser
Form ohne Manipulationen entstanden ist und deshalb als Ergebnis eines automatisierten Vorgangs die Vermutung inhaltlicher Richtigkeit für sich hat.15
I. Tatbestandsmäßigkeit
1. Objektiver Tatbestand
a) Tatobjekt: technische Aufzeichnung (tA)
P: Ist für ein selbsttätiges Bewirken das Hervorbringen eines neuen Aufzeichnungsinhalts mit neuem Informationsgehalt erforderlich?16
P: Abtrennbarkeit der Aufzeichnung nötig17
b) Tathandlungen
aa) Herstellen einer unechten tA
ODER bb) Verfälschen einer echten tA
UND/ ODER cc) Gebrauchen einer unechten oder verfälschten tA
ODER dd) Beeinflussung des Ergebnisses des Aufzeichnungsvorgangs durch störende
Einwirkung, § 268 I, III Fall 4
O2. Subjektiver Tatbestand
DER
a)Vorsatz
b) zur Täuschung im Rechtsverkehr
Fall 1
11
So Eisele, BT I, Rn. 830.
Vgl. OLG Köln NJW 1983, 769; Lackner/Kühl, § 267 Rn. 20.
13
So BGHSt 36, 64 (65) = BGH NJW 1989, 1099 (1100).
14
Vgl. Rengier, BTII, § 34 Rn. 1; Wessels/Hettinger, BT1, Rn. 859.
15
Vgl. BGHSt 40, 26 (30) = BGH NJW 1994, 743.
16
Vgl. Eisele, BT I, Rn. 865f.
17
Vgl. Wessels/Hettinger, BT1, Rn. 862ff.
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II. Rechtswidrigkeit
III. Schuld
IV. Strafzumessung: Besonders schwere Fälle (§§ 268 V i.V.m. 267 III StGB)
V. Qualifikation (§§ 268 V i.V.m. 267 IV StGB)
Technische Aufzeichnung ist in § 268 II StGB legaldefiniert und umfasst von technischen Geräten automatisch hergestellte beweisrelevante Aufzeichnungen. Der Begriff Darstellung verdeutlicht zusammen mit dem Begriff Aufzeichnung, dass auch hier eine gewisse Dauerhaftigkeit der Verkörperung gegeben sein muss (Perpetuierungsfunktion). Weiter muss das Gerät
eine eigene selbständige Leistung erbringen und neue Informationen hervorbringen. 4 Voraussetzungen:
- Darstellung von Daten etc.
- Erkennbarkeit des Aufzeichnungsgegenstandes
- Beweisbestimmung
- selbständig bewirkt
Eine technische Aufzeichnung ist unecht, wenn sie den falschen Eindruck erweckt, das Ergebnis eines von Störungshandlungen unbeeinflussten selbsttätigen Aufzeichnungsvorganges zu
sein. Herstellen entspricht dem Begriff bei der Urkundenfälschung. Abgesehen von Imitationsfällen, ist ein menschlicher Eingriff nötig.18
Eine technische Aufzeichnung wird verfälscht, wenn die vom Gerät automatisch hergestellten
Zeichen durch nachträgliche Veränderung einen anderen Erklärungswert erhalten. Der Beweisinhalt wird so geändert, dass der Anschein entsteht, als habe die technische Aufzeichnung in
der veränderten Gestalt nach ordnungsgemäßem Herstellungsvorgang das Gerät verlassen. 19
3. Fälschung beweiserheblicher Daten, § 269 StGB
§ 269 StGB steht in starkem Zusammenhang mit § 267 StGB und will die Lücke schließen, die
dadurch entsteht, dass die Perpetuierungsfunktion der Urkunde eine visuelle Wahrnehmbarkeit
der Erklärung voraussetzt. Häufige Fälle sind das unbefugte Abheben von Geld an Bankautomaten und Phishing.20
Daten sind alle codierten und codierbaren Informationen, die entweder bereits elektronisch,
magnetisch oder sonst nicht unmittelbar wahrnehmbar gespeichert sind oder in entsprechender
Weise gespeichert werden sollen.21
4. Urkundenunterdrückung, § 274 StGB
Schutzzweck des § 274 StGB ist das Beweisführungsrecht.
I. Tatbestandsmäßigkeit § 274 I Nr. 1 StGB
18
Vgl. Eisele, BT I, Rn. 872ff.
Vgl. Fischer, § 268 Rn. 21; Lackner/Kühl, § 268 Rn. 10.
20
Ausführlich dazu Eisele, BT I, Rn. 882-898.
21
Vgl. Wessels/Hettinger, BT1, Rn. 883.
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1. Objektiver Tatbestand
a) Tatobjekt: echte Urkunde und tA
b) die dem Täter nicht oder nicht ausschließlich gehört
Fall 4
c) Tathandlung:
Oaa) Vernichten
DER
bb) Beschädigen
Fall 1
cc) Unterdrücken
2. Subjektiver Tatbestand
a) Vorsatz
b) Nachteilszufügungsabsicht
II. Rechtswidrigkeit
III. Schuld
Taugliches Tatobjekt ist nur eine echte Urkunde oder technische Aufzeichnung.
Diese gehört dem Täter nicht oder nicht ausschließlich, wenn ein anderer das Recht hat, sie als
Beweismittel zu gebrauchen (Beweisführungsrecht).22
Eine Urkunde/technische Aufzeichnung wird vernichtet, wenn sie so zerstört wird, dass anschließend das ursprüngliche Beweismittel nicht mehr existiert.
Beschädigen bedeutet, dass die Urkunde/technische Aufzeichnung in ihrem Beweiswert zwar
beeinträchtigt wird, im Übrigen aber als solche mit Beweisqualität fortbesteht.23
Ein Unterdrücken liegt vor, wenn die Benutzung der Urkunde/technischen Aufzeichnung als
Beweismittel dem Beweisführungsberechtigten (auch vorübergehend) vorenthalten wird.
Im subjektiven Tatbestand verlangt § 274 I Nr. 1 StGB neben dem üblichen Vorsatz (§ 15) die
„Absicht, einem anderen Nachteil zuzufügen“. Für den Absichtsbegriff lässt die h. M. wie bei
der Täuschungsabsicht des § 267 StGB wissentliches Handeln genügen, also das sichere Bewusstsein des Täters, die Tat werde einen bestimmten Nachteil zur Folge haben.24
Für den Nachteil reicht ein Beweisnachteil aus, d. h. es genügt jede Beeinträchtigung eines
fremden Beweisführungsrechts.25
5. Mittelbare Falschbeurkundung, § 271 StGB und Falschbeurkundung im Amt, § 348
StGB
Beide Vorschriften schützen den Rechtsverkehr vor inhaltlich unwahren Urkunden und damit
bestimmte Fälle der schriftlichen Lüge. Diese Ausnahme ist beschränkt auf öffentliche Urkunden oder Dateien. Der behördliche Aussteller gibt falsche Erklärungen ab, ohne über seine Identität zu täuschen, womit § 267 StGB ausscheidet. Tauglicher Täter kann nur ein Amtsträger
22
Vgl. Wessels/Hettinger, BT1, Rn. 889.
Vgl. OLG Düsseldorf NJW 1983, 2341, 2342.
24
Vgl. Küper, BT, S. 239f. m.w.N.
25
Vgl. Eisele, BT I, Rn. 905.
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sein. Handelt der Amtsträger nach § 348 StGB nicht vorsätzlich, fehlt es an einer Haupttat nach
§ 26 StGB nach welcher der Außenstehende, der um die Falschheit der beurkundeten Tatsache
weiß, bestraft werden könnte. Mittelbare Täterschaft des Nichtamtsträgers scheitert genau an
der mangelnden Täterqualität, womit § 271 StGB seine Wirkung entfalten kann.26
Umstritten ist, ob bewirken stets ein Handeln in mittelbarer Täterschaft voraussetzt oder ob
auch jede sonstige Handlung genügt, die dafür ursächlich wird, dass der beurkundende Amtsträger den objektiven Tatbestand des § 348 I verwirklicht.27
I. Tatbestand § 271 StGB
1. Objektiver Tatbestand
a) Öffentliche Urkunde und ihr öffentlicher Glaube
aa) Öffentliche Urkunde
bb) Beweiskraft der Urkunde
(1) Beweiskraft durch Gesetz
(2) Beweiskraft und Reichweite durch Auslegung
b) Bewirken unrichtiger Erklärungen
2. Subjektiver Tatbestand
II. Rechtswidrigkeit
III. Schuld
Eine öffentliche Urkunde liegt vor, wenn es sich um eine Urkunde nach § 415 I ZPO handelt,
die für den Verkehr nach außen bestimmt und mit einer besonderen erhöhten Beweiskraft versehen ist („Beweiswirkung für und gegen jedermann“).28
26
Vgl. Wessels/Hettinger, BT1, Rn. 902ff.; Rengier, BTII, § 37 Rn. 1ff.
Zu den Einzelheiten vgl. Rengier, BTII, § 37, Rn. 8ff.
28
Vgl. Eisele, BT I, Rn. 920ff.
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