Gemeinsame Stellungnahme der betroffenen ärztlichen Verbände und Kammern zum Arbeitsentwurf des MGEPA zur Novellierung des Gesetzes über Hilfe und Schutzmaßnahmen bei psychischen Erkrankungen (PsychKG) vom 15. Januar 2016 Frau Ministerin Barbara Steffens Ministerium für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter des Landes Nordrhein-Westfalen Horionplatz 1 40213 Düsseldorf Sehr geehrte Frau Ministerin, den Arbeitsentwurf zur Novellierung des Psych-KG NRW vom 15.12.2015 (Ihre E-Mail vom 21.12.2015) haben die betroffenen ärztlichen Kammern und Verbände in NordrheinWestfalen mit Interesse zur Kenntnis genommen. Leider lässt die Rückmeldefrist bis zum 18.01.2016 eine fundierte Auseinandersetzung mit allen Aspekten des Arbeitsentwurfes nicht zu, was wir außerordentlich bedauern. Wir begrüßen die Schwerpunktsetzung auf Patientenrechte und Patientenautonomie. Zwei im Arbeitsentwurf formulierte Neuregelungen sind allerdings aus unserer Sicht mit großer Sorge zu sehen, da diese in erwartbarer Weise in der praktischen Anwendung das große Risiko in sich bergen, dass hierdurch erhebliche negative Konsequenzen für die betroffenen Patienten ausgelöst werden: • • die Neuregelung, dass als Bedingung für eine Behandlung der psychischen Erkrankung gegen den natürlichen Willen der nicht einsichtsfähigen Betroffenen (Zwangsbehandlung) lediglich die Eigengefährdung im Sinne einer „Lebensgefahr oder erhebliche Gefahr für ihre Gesundheit“ genannt wird (§18, Absatz 4); der fehlende Bezug auf konkrete Zeitkorridore des Verfahrens bei der Einführung des Richtervorbehaltes für die Zwangsbehandlung (§18, Absatz 6). Ad 1 Eine Behandlung selbstbestimmungsunfähiger Patienten ist nach diesem Entwurf möglich, wenn ihnen Lebensgefahr oder andere erhebliche Gefahren für ihre Gesundheit drohen. Entsprechend der Gesetzesbegründung kann eine alleinige Fremdgefährdung eine Behandlung nicht rechtfertigen. Dies entspricht auch unserer Auffassung. EineZwangsbehandlung selbstbestimmungsunfähigerPatientendarfdurchausauchdenInteressenDritterdienen, aberebenkeinesfallsausschließlich.Wenn allerdings als Bedingung für eine Zwangsbehandlung lediglich die Eigengefährdung im Sinne einer „Lebensgefahr oder erhebliche Gefahr für ihre Gesundheit“ genannt wird (§18, Absatz 4), legt das in der Praxis den falschen Schluss nahe, dass eine Zwangsmedikation bei einer akuten und erheblichen Fremdgefährdung durch eine untergebrachte Person mit z.B. einer akuten Psychose mit schwerer Agitiertheit nicht möglich sein soll. Dies hätte zur Folge, dass bei erheblicher und anders nicht abzuwendender gegenwärtiger Gefährdung Dritter während der Unterbringung nur noch besondere Sicherungsmaßnahmen (§1, Absatz 1, Satz 3; §9, Absatz 1 und 7; §1; §20, Absatz 1) wie Fixierung und Isolierung zur Anwendung würden kommen können (vgl. Begründung zum Gesetzesentwurf Seite 1, 5. Absatz, und S. 5 letzter Absatz). Jedoch würde eine Fixierung ohne Medikation zu einer erheblichen körperlichen Eigengefährdung des Patienten und/oder psychischen Traumatisierung sowie zu einer vermeidbaren Gefahr für die beteiligten Mitarbeiter führen. Eine solche Praxis ist aus medizinischer und ethischer Hinsicht als äußerst problematisch zu bewerten (siehe die Stellungnahmen der DGPPN 2014, 2015). Der Gesetzestext ist für uns gut nachvollziehbar, die Begründung zum Gesetzestext sollte aber – um Missverständnisse und Nachteile für die Patienten zu vermeiden – dahingehend präzisiert werden, dass sich in aller Regel nicht selbstbestimmungsfähige, fremdgefährdende 2 Patienten auch selbst krankheitsbedingt gefährden können. Die Begründung sollte dahingehend explizit ergänzt werden, dass die untergebrachten Personen ohne ihre Einwilligung behandelt werden können, wenn eine Gefährdung Dritter zwar unmittelbar gegenwärtig ist, aber darüber hinaus zumindest mittelbar auch eine erhebliche Gefahr für die eigene Gesundheit besteht. Ad 2) Bei grundsätzlicher Befürwortung der Einführung des Richtervorbehaltes für die Zwangsbehandlung ist wegen erwartbarer Konsequenzen zu beanstanden, dass weder im Gesetzesentwurf noch im Begründungstext hierbei Bezug auf konkrete Zeitkorridore des Verfahrens genommen wurde (§18, Absatz 6), was zu großen Nachteilen für die Betroffenen führt, wenn die Genehmigung einer erforderlichen medikamentösen Behandlung sich zeitlich verzögert. Das Genehmigungsverfahren für eine Zwangsbehandlung sollte durch geeignete Maßnahmen beschleunigt werden, z.B. indem eine gemeinsame persönliche Anhörung des Betroffenen und der behandelnden Ärzte durch einen Richter und einen psychiatrischen Sachverständigen vorgesehen wird. Eine solche Anhörung sollte grundsätzlich täglich nach der Beantragung durch die behandelnden Ärzte erfolgen, so dass eine richterliche Entscheidung unmittelbar erfolgen kann. Wir würden uns sehr freuen, wenn Sie unsere Einwände bei der Novellierung des Psych-KG NW berücksichtigt wollten. Die betroffenen ärztlichen Kammern und Verbände in NordrheinWestfalen stehen Ihnen für ein persönliches Gespräch sehr gerne zur Verfügung, über einen Terminvorschlag würden wir uns sehr freuen. Einzelne der beteiligten Verbände werden über diese gemeinsame Stellungnahme hinaus noch zusätzlich detailliertere Informationen einbringen. So wird beispielsweise die DGKJP auf die Besonderheiten und die spezifische Situation von Kindern und Jugendlichen, die die notwendige Einhaltung der Vorgaben aus der UN-Kinderrechtskonvention erfordert, in einer separaten Stellungnahme eingehen. Mit freundlichen Grüßen Arbeitskreis der Chefärztinnen und Chefärzte von Kliniken für Psychiatrie und Psychotherapie an Allgemeinkrankenhäusern in Deutschland (ACKPA), Prof. Dr. Karl H. Beine (Hamm), Vorsitzender Ärztekammer Nordrhein, Prof. Dr. Susanne Schwalen (Düsseldorf), Geschäftsführende Ärztin Ärztekammer Westfalen-Lippe, Dr. Markus Wenning (Münster), Geschäftsführender Arzt Berufsverband der Fachärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie (BJKPP), Dr. Gundolf Berg (Mainz), Vorsitzender Berufsverband Deutscher Nervenärzte e.V. (BVDN), Dr. Frank Bergmann (Aachen), Vorsitzender Berufsverband Deutscher Psychiater e.V. (BVDP), Dr. Christa Roth-Sackenheim (Andernach), Vorsitzende Bundesarbeitsgemeinschaft der Leitenden Klinikärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie e.V. (BAG NRW), Regionalgruppe Westfalen, Dr. Falk Burchard (Marsberg), Sprecher Bundesarbeitsgemeinschaft der Leitenden Klinikärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie e.V. (BAG NRW), Regionalgruppe Rheinland, Dr. Peter Melchers (Gummersbach), Sprecher 3 Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie e.V. (DGKJP), Prof. Dr. Dr. Tobias Banaschewski (Mannheim), Präsident Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e.V. (DGPPN), Dr. Iris Hauth (Berlin), Präsidentin Deutsche Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Ärztliche Psychotherapie e.V. – Landesverband Nordrhein-Westfalen (DGPM NRW), Dr. Norbert Hartkamp (Solingen), Vorsitzender Ärztliche Direktionen des LVR-Klinikverbundes, Prof. Dr. Dr. Euphrosyne GouzoulisMayfrank (Köln), Sprecherin Ärztliche Direktionen des LWL-PsychiatrieVerbund Westfalen, Priv.-Doz. Dr. Stefan Bender (Marsberg), Sprecher Fachausschuss Psychiatrie des Landesverbandes der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes NRW e.V., Dr. Eva Dorgeloh (Köln), Sprecherin Landesverband Gerontopsychiatrie und -psychotherapie (LV Geronto NRW), Prof. Dr. Ralf Ihl (Krefeld), Vorsitzender Landesverband Leitender Ärztinnen und Ärzte für Psychiatrie und Psychotherapie NRW e.V. (LLPP), Dr. Martin Köhne (Neuss), Vorsitzender Lehrstuhlinhaber für Psychiatrie und Psychotherapie (LIPPs), Prof. Dr. Dr. Frank Schneider (Aachen), Vorsitzender Verband leitender Ärztinnen und Ärzte der Kliniken für Psychiatrie und Psychotherapie e.V. (BDK), Prof. Dr. Thomas Pollmächer (Ingolstadt), Vorsitzender Literatur: DGPPN (2014) Achtung der Selbstbestimmung und Anwendung von Zwang bei der Behandlung von psychisch erkrankten Menschen - Eine ethische Stellungnahme der DGPPN, 23.09.2014; URL: http://www.dgppn.de/presse/stellungnahmen/detailansicht/article//achtungder.html DGPPN (2015) DGPPN-Eckpunktepapier für die Regelung der öffentlich-rechtlichen Unterbringung in psychiatrischen Krankenhäusern, 10.04.2015, URL: http://www.dgppn.de/presse/stellungnahmen/detailansicht/article//eckpunkte-f.html Kontaktadresse der beteiligten ärztlichen Kammern und Verbände: Prof. Dr. Dr. F. Schneider, Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik, Uniklinikum RWTH Aachen, Pauwelsstr. 30, 52074 Aachen, [email protected]
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