Aufbau Ost - Die Geschichte der Deutschen Bank

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Am 1. Juli 1990 drängen Tausende zum Geldumtausch Ost- gegen D-Mark. Die eingetauschte
DDR-Währung ist nur noch Altpapier
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Stationen eines Währungswechsels.
Ganz links: Im Sommer 1989 unterschreibt Deutsche Bank Vorstandssprecher
Alfred Herrhausen mit Michail Gorbatschow, Helmut Kohl und Hans-Dietrich
Genscher ein deutsch-sowjetisches
Wirtschaftsabkommen. Kurze Zeit später
stehen die DDR-Bürger in Berlin-Kreuzberg Schlange für das „Begrüßungsgeld“
Die Währung der Einheit
Um Mitternacht am 1. Juli 1990 beginnt die Deutsche Bank mit
der Einführung der D-Mark in der DDR. 25 Jahre später beschreibt
ein Buch die Geschichte der Bank in den neuen Ländern
FOTOS: ULLSTEIN BILD(3), DEUTSCHE BANK AG, HISTORISCHES INSTITUT
I
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m Sommer 1990 ist in Berlin nichts mehr wie
bisher. Es ist Samstagnachmittag, 30. Juni, wenige Stunden bevor die neue Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion in Kraft tritt. Und wenige
Stunden bevor die Bürger der noch existierenden
DDR ihre Ersparnisse in D-Mark tauschen können.
Es herrscht eine flirrende Stimmung, denn da
ist auch noch Fußball-WM, am nächsten Abend
wird Deutschland gegen die Tschechoslowakei
antreten. Tausende Autos sind dauerhupend in
der Stadt unterwegs, die Seitenfenster heruntergekurbelt, die Deutschlandfahne knattert im
Fahrtwind. Am Alexanderplatz vor dem „Haus der
Elektroindustrie“ sammelt sich gerade eine immer
größer werdende Menschenmenge. In einem der
Geschäfte hat die Deutsche Bank mit ein paar bunten Luftballons und Aufstellern hektisch Quartier
bezogen. Und alle wissen: In wenigen Stunden wird
hier Geschichte geschrieben.
Als um Mitternacht die Währungsunion beginnt,
öffnet die Deutsche Bank am Alex als erste Bank ihre
Schalter. Ab sofort kann jeder DDR-Bürger Mark in
D-Mark tauschen, in jene Währung, die für so viele
Ostdeutsche über Jahrzehnte das Symbol von Wohlstand und wirtschaftlicher Freiheit war. Per Lautsprecher beruhigt der Pressesprecher der Bank die
aufgeregt Wartenden: Man habe „genügend Geld
für alle da“. Rund 300 Fotografen, Journalisten und
TV-Reporter beschreiben den nächtlichen Tumult
für die ganze Welt. Polizei ist vor Ort, doch auch
sie wird dem Ansturm nicht Herr. Scheiben gehen
zu Bruch, mehr als zehn Personen werden in dem
Gedränge verletzt. Und irgendwann geht doch das
Geld aus, neues muss schleunigst beschafft werden.
Erst am Morgen beruhigt sich die Lage. Rund zehn
Millionen D-Mark hat die Bank allein am Alexanderplatz in diesen Stunden unter die Leute gebracht.
Die Bilder jener Nacht gehen um die Welt. So
startet die Deutsche Bank in Ostdeutschland. Nach
mehr als vier Jahrzehnten ist Deutschland wieder zu
einem gemeinsamen Wirtschafts- und Währungsraum vereint. Und für die Deutsche Bank ist es der
Beginn eines erfolgreichen Comebacks. Denn in dieser Nacht geht sie auch zu ihren ostdeutschen Wurzeln zurück. 1870 wurde die Bank mitten in Berlin
gegründet, dort soll sie bis April 1945 ihre Zentrale
haben. Dann schließen die Sowjets alle Filialen und
Geschäftstätigkeiten, die Deutsche Bank wird zum
„ruhenden Institut“ und darf nur noch Tätigkeiten
der eigenen Abwicklung und Auflösung durchführen. Aus dem ostdeutschen Alltag verschwindet die
vormals größte deutsche Bank für Jahrzehnte.
In keinem Planspiel vorgesehen
Aber nur bis 1989. Über Nacht öffnet sich nicht
nur eine Grenze, sondern auch ein Markt. Mehr als
16 Millionen DDR-Bürger hoffen auf Teilhabe an
westlichem Lebensstandard. Auch die Deutsche
Bank, die gerade mitten im zunächst hochgeheimen Vorstandsprojekt „Magic“ steckt, der Übernahme der Londoner Merchant Bank Morgan Grenfell,
erwischt der Umbruch kalt.
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D-Mark-Ausgabe an 140 Standorten
Gemeinsam mit der Staatsbank der DDR gründet
die Deutsche Bank ein Joint Venture: die „Deutsche
Bank – Kreditbank AG“. In nur wenigen Wochen
ist eine funktionsfähige Geschäftsbank mit über
9000 Mitarbeitern entstanden, davon mehr als 8000
aus der Staatsbank. So kann die neue Bank pünktlich zum Start der Währungsunion an 140 Standorten ihre Schalter öffnen. Was heute so kontrolliert klingt, läuft tatsächlich etwas wilder. Denn
zunächst mangelt es an allem: Telefonleitungen,
EDV-Netzen, Computern, Faxgeräten, Druckern, Rechenzentren. Und schnelle Antwort gibt es meist
nur per Funktelefon.
Zugleich müssen die ehemaligen Angestellten
der Staatsbank für das neue Bankgeschäft geschult
werden. Denn das eigentliche Kreditgeschäft
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Zweimal
Deutsche Bank
im Osten:
Wittenberger
Filiale zur
Wendezeit und
heutige
Deutsche Bank
Unter den
Linden in Berlin
und der Kern des Bankgeschäfts, die Bewertung
von Risiken, sind den meisten unbekannt. „Es ist
deprimierend für uns zu erfahren, dass wir von
dem, was wir gelernt haben, nichts anwenden
und übernehmen können. (…) Alles ist Neuland“,
beschreibt eine der neuen Kolleginnen ihren ersten Eindruck. Rund 1000 westdeutsche Mitarbeiter gehen für ein Jahr als „Starthelfer“ in die neuen
Bundesländer, 400 bleiben auf Jahre.
FOTOS: ULLSTEIN BILD, DEUTSCHE BANK AG
Allerdings ist die DDR für die Bank kein unbekanntes Land. Früher als andere Wirtschaftsvertreter plädiert der damalige Vorstandssprecher Alfred
Herrhausen schon kurz nach dem Fall der Mauer
für eine Einheit beider deutscher Staaten. Dies,
so Herrhausen, sei „historisch, kulturell und unter
menschlichen Gesichtspunkten ein natürliches Bestreben“. Herrhausen soll Recht behalten, erleben
darf er es nicht. Während sich die Deutschen noch
immer über den Fall der Mauer wenige Wochen zuvor freuen, wird er am 30. November 1989 ermordet.
Es ist ein schwarzer Tag für Deutschland, doch die
deutsche Geschichte lässt sich in diesen Monaten
nicht bremsen. Politiker in Ost und West verhandeln
bereits über die Form einer Währungs-, Wirtschaftsund Sozialunion zwischen den beiden deutschen
Staaten, zum 1. Juli 1990 tritt sie in Kraft. Es ist ein
Datum, das nach dem Mauerfall am 9. November
den zweiten bedeutenden Meilenstein auf dem Weg
zur deutschen Einheit bildet. DDR-Mark kann 1:1 in
D-Mark getauscht werden, alle laufenden Zahlungen wie Löhne oder Rente werden auf D-Mark umgestellt. Zugleich übernimmt die noch existierende
DDR die westdeutsche Wirtschafts- und Sozialordnung. Der Weg zur Einheit ist gelegt.
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Alles ist
Neuland für
Mitarbeiter
Beginn als „kontrolliertes Chaos“
„Wir haben in der DDR in einer Art kontrolliertem
Chaos begonnen”, wird Vorstandssprecher Hilmar
Kopper später sagen. Denn wofür die Bundesrepublik viele Jahre hatte, das müssen Menschen und
Wirtschaft in Ostdeutschland nun im Zeitraffer bewältigen. Rund 250 Millionen D-Mark investiert die
Deutsche Bank bis zum Start der Währungsunion
allein in den Aufbau des ostdeutschen Filialnetzes.
Kommentar von Bankchef Hilmar Kopper: „Jetzt beginnt das Geschäft, jetzt kommt der große Test.“ Die
Bank sollte den Test bestehen. Keine drei Monate
nach Geschäftsbeginn wird schon der 250 000. Privatkunde in den neuen Ländern begrüßt, gut ein
Jahr später sind es über eine Million. Täglich werden 5000 Konten eröffnet. Viele Menschen nutzen
die neue Zeit für den Aufbau einer beruflichen Existenz. Heute betreut die Deutsche Bank rund 1,5 Millionen Kunden in Ostdeutschland, davon rund
100 000 Firmenkunden. Vor allem mit Firmenkunden ist das Geschäft zunächst alles andere als ein-
Deutsche Bank
Vereint.
25 Jahre Deutsche Bank
in den neuen Bundesländern.
Eine Zeitreise in die ostdeutschenAufba ujahre der
Deutschen Bank bietet
ein vor wenigen Wochen erschienenes Buch. Zudem
beschreibt die Publikation
die Geschichte der Bank
seit ihrer Gründung 1870 in
Berlin. Martin L. Müller,
Reinhard Frost: „Vereint:
25 Jahre Deutsche Bank in
den neuen Bundesländern“.
Mitteldeutscher Verlag,
136 Seiten, 19,95 Euro
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Eine Chronik deutscher Geschichte
1870 Gründung der Deutschen Bank in Berlin
Oktober 1929 Fusion mit dem größten Wettbewerber, der
Disconto-Gesellschaft, zur neuen „Deutsche Bank und
Disconto-Gesellschaft“. Aufstieg zur führenden deutschen
Filialbank mit fast 300 Niederlassungen
fach. Die Bank hat sich zum Ziel gesetzt, die großen
Betriebe und Kombinate bei der Umstrukturierung
und Modernisierung mit Krediten zu unterstützen.
Doch jede reguläre Form der Risikoeinschätzung
ist praktisch unmöglich. Sachlich fundierte Bilanzen, Gewinn-und-Verlust-Rechnungen oder sonstige Zahlen sind nicht zu bekommen. Eine Vorhersage über den Erfolg unternehmerischen Handelns
zu geben ist da fast unmöglich.
Oktober 1937 Änderung des Firmennamens in Deutsche Bank
April 1945 Zwangsschließung aller Kreditinstitute in Groß-Berlin durch
den sowjetischen Stadtkommandanten
1947/48 Verschärfung des Konflikts zwischen den westlichen und östlichen Siegermächten, Aufspaltung der Deutschen Bank in zehn Teilinstitute in den drei Westzonen
Juni 1948 Währungsreform mit Einführung der D-Mark in den westlichen
Besatzungszonen und in West-Berlin, Beginn der Berlin-Blockade bis Mai 1949
Juli 1948 Gründung der „Deutschen Notenbank“ als
Deutsche Bank geht ins Risiko
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Zentralbank der sowjetischen Besatzungszone,
Währungsreform, Einführung einer eigenen Mark (Ost)
als nicht konvertierbare Binnenwährung
Oktober 1949 Gründung der DDR
Mai 1957 Wiedererrichtung der Deutsche Bank AG mit Sitz in Frankfurt am Main
November 1989 Mauerfall in Berlin, Übernahme der britischen Merchant Bank
Morgan Grenfell, Ermordung des Vorstandssprechers Alfred Herrhausen
April 1990 Gründung der Deutsche Kreditbank AG zur Aufnahme des Geschäftsbankenanteils der Staatsbank der DDR
Juni 1990 Gründung einer gemeinsamen Geschäftsbank
von Deutscher Bank und Staatsbank unter dem Namen
„Deutsche Bank – Kreditbank AG“ mit rund 9000 Mitarbeitern.
Aufbau des Privat- und Firmenkundengeschäfts
Juli 1990 Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion mit der
DDR, Einführung der D-Mark in Ostdeutschland
Oktober 1990 Deutsche Wiedervereinigung
1997 Gründung der Deutsche Guggenheim in Berlin als Kooperation zwischen
FOTOS: DEUTSCHE BANK AG(2), DPA-BILDARCHIV, ULLSTEIN BILD
Viele Kredite sind zunächst von der Treuhand besichert, doch die Bank geht immer mehr ins eigene
Risiko – zum Teil bis an die Grenzen des wirtschaftlich Machbaren. Ein ostdeutsches Kreditvolumen
von 18 Milliarden D-Mark steht Ende 1992 auf eigener Rechnung in den Büchern. Zwei Jahre später
werden die letzten noch vorhandenen staatlich
verbürgten Liquiditätskredite von der Treuhandanstalt abgelöst. Ab da verantwortet die Bank die
Risiken, die in den neuen Ländern dreimal so hoch
lagen wie in den alten, allein.
Nach etwa einem Jahrzehnt ist der Aufbau
des Geschäfts in den neuen Bundesländern im
Wesentlichen abgeschlossen. Noch heute arbeiten rund 1000 Mitarbeiter „der ersten Stunde“ für
die Deutsche Bank. Für viele von ihnen waren die
Jahre des Umbruchs und Aufbaus die prägende
Zeit ihres Berufslebens.
„Der Strukturwandel in Wirtschaft und Gesellschaft“, sagt Harald Eisenach, heute Vorsitzender
der regionalen Geschäftsleitung der Region Ost,
„war ohne Zweifel ein steiniger Weg.“ Doch die
Richtung stimmt. Seit etwa zehn Jahren belegen
steigende Beschäftigungs- und Umsatzzahlen
den Aufholprozess der neuen Bundesländer. Und
die Deutsche Bank ist heute in den neuen Ländern
ein selbstverständlicher Teil des Wirtschafts- und
Geschäftslebens. Das ist auch Zeichen einer neuen Normalität und als solches irgendwie angenehm beruhigend. Denn Aufregung gab es in den
vergangenen 25 Jahren ja genug für alle.
STEPHAN SCHLOTE
der Guggenheim Foundation und der Deutschen Bank
1998 Nach langen Investitionen schreibt die Region Ost der Deutschen Bank
erstmals schwarze Zahlen
September 2005 Eröffnung der Pilotfiliale „Q110“ in Berlin-Mitte
Juni 2006 Übernahme der Berliner Bank
April 2013 Gründung der Deutsche Bank KunstHalle als
Nachfolger der Deutsche Guggenheim
September 2013 Neuorganisation des Inlandsgeschäfts. Die
neue Geschäftsregion Ost umfasst die neuen Länder und Berlin
mit 1,5 Millionen Kunden, davon rund 100 000 Firmenkunden
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