Den Dingen Gestalt und Farbe geben

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Den Dingen Gestalt
und Farbe geben
Lebenslinien des Grafikdesigners
und Illustrators Werner Hölzl
EDITION
TANDEM
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Inhalt
Vorwort
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Kindheit und Lehre
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Die Sammlung von Erfahrungen
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Sprung in die Selbstständigkeit
31
Zeit des großen Aufschwungs
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Das neue Atelier
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Die fünf Salzburger Landesausstellungen
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Die Lebenswende
100
Besondere Passionen
110
Der Lieferinger Kultur-Wanderweg
140
Von Sarajewo zu Jedermanns Totentanz
153
Kelten reloaded
165
Wie war es in jener PreMacÄra?
185
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In ganz besonderer Weise ist das Buch
meinen geliebten Kindern
Max, Konstanze, Ella und Simon
gewidmet.
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Vorwort
Gleich zu Beginn meiner Geschichten – besser gesagt, einer Plauderei
ohne literarischen Anspruch, wofür man mir manche entdeckte Fehler
nachsehen möchte – will ich meinem Freund und Verleger Volker Toth
danken. Zum Gartenfest anlässlich meines 70. Geburtstages hat er
mich mit einem Buch mit leeren Seiten überrascht, einem unter Büchermachern bezeichneten Blindband. Auf dem Titel prangte mein Schriftzug
mit den Zeilen „Lebens- und Werkbilder“, ergänzt mit dem innenseitigen
Aufruf: Ohne Fleiß bleibt‘s weiß!
Damit verbunden war der Gedanke, dass ich möglichst innerhalb Jahresfrist die Geschichten meines bewegten und bunten Arbeitslebens zusammenstelle. Nun, es ist allemal leichter, einen das berufliche Können
äußerst fordernden Auftrag zu erfüllen, als sich durch die von massiven
Selbstzweifeln begleitete Aufgabe zu quälen. Besonders, wenn ich gleich
zu Beginn einen privaten Humus aufbereite, den ich als tragend erachte.
Denn es hat doch jede, bzw. jeder von uns als junger Spross begonnen,
um sich auf eigene Weise zu entwickeln.
Doch bevor sich nun die geneigten Leserinnen und Leser in den reich
illustrierten Inhalt stürzen, möchte ich der Landesstelle für Kulturelle
Sonderprojekte für die Unterstützung dieses verwirklichten Projekts recht
herzlich danken. Denn ein großer Abschnitt ist den Gestaltungsarbeiten
an den ersten fünf Salzburger Landesausstellungen gewidmet – einem
freudvollen Dienst an meiner Heimat Salzburg.
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Kindheit und Lehre
Es ist ja nichts Ungewöhnliches, wenn Kinder ihre regen Fantasien zu
Papier bringen, oftmals ein wahres Feuerwerk an Kreativität. Mit großer
Freude erlebte ich das bei meinen Töchtern und Söhnen und sehe es
weiterhin an meinen Enkelkindern. Doch schon als Schüler zielstrebig
den Willen auszurichten, ein mitgegebenes Talent in einem künftigen
Beruf einzusetzen, ist vielleicht ungewöhnlicher.
Von dieser frühen zeichnerischen Leidenschaft profitierten auch meine
Mitschüler in der Volks- und Hauptschule St. Andrä in der Salzburger
Hubert-Sattler-Gasse/Haydnstraße. Daher wurde ich von den üblichen
Rangeleien in Bubenklassen herausgehalten, in denen es vordergründig
darum ging, wer der Stärkste in der Klasse sei. Ansonsten hieß es gleich:
„Vabiagts dem Werner net de Händ, sunst kånn a uns nix mehr zeichna!“
Ebenso war ich von Ballspielen jeglicher Art ausgeschlossen. Zwar ging
es dabei nicht um meine Hände – aber aufgrund meiner Ungeschicktheit
und trägen Reaktionen bekam ich hart geschossene Bälle meist ins Gesicht gedroschen. Nach Meinung meines Großvaters, der in seiner Jugend
ein überaus draufgängerischer Kerl war, sei ich halt so ein richtiger
Schauer, dem sogar die Hühner die Butter vom Brot pecken, ohne darauf
zu reagieren.
Aber darüber hinaus war ich mit meinen Schulfreunden in unbekümmerter Weise unterwegs. Gleich streunenden Hunden erlebten wir eine Art
von Freiheit, die längst durch zahllose Reglementierungen unmöglich
geworden ist. So erkundeten wir sämtliche Bombenruinen im Stadtviertel, von denen es bis in die 1950er-Jahre ja noch zahlreiche gab. Daher
war das weite Gebiet von Schallmoos, wo ich im Haus Lasserstraße 10
aufgewachsen bin, von der Linzergasse bis ins Umfeld des Hauptbahnhofs ein einziger Abenteuerspielplatz, und der Kapuzinerberg Austragungsort wilder Räuber- und Indianerspiele.
Echte Brutalität spielte sich jedoch in den Familien der vaterlosen Halbwaisen ab – in Zwangsgemeinschaften mit oft kriegstraumatisierten
Stiefvätern, die in den seltensten Fällen gute Beispiele abgaben. Häufig
wurden diese Kinder als störender Nachwuchs des im Krieg umgekommenen Vorgängers angesehen und in niederträchtigster Weise behandelt
– in der Tierwelt werden fremde Junge oft gleich umgebracht. Aber selbst
bei den jungen Müttern, die in diesen neuen Beziehungen den Beginn
eines neuen Lebensglücks sahen, kam es vielfach vor, dass die zuvor
geliebten Sprösslinge ins Abseits geschoben wurden. Und das bekam
auch ich während meiner Schulzeit deutlich zu spüren. Die zuvor erlebte
mütterliche Herzenswärme verkümmerte, eine wiederholt so sehr gewünschte Anerkennung oder Lob für gute Schulleistungen wurde mir
nicht entgegengebracht.
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Doch in dieser weitgehend farblosen Nachkriegszeit begeisterte mich die
satte Buntheit von Comic-Heften, wie Batman, Dick Tracy oder Superman.
Diese wurden mir von amerikanischen Soldaten geschenkt, die in der im
Haus befindlichen Glaserei Reparaturen an ihren Fahrzeugen abwarteten.
Fasziniert vertiefte ich mich in diesen Bildgeschichten, wenn mir auch der
Text in den Spruchblasen vorerst unverständlich blieb. Wenn aber meine
durchwegs mit Literaturklassikern aufgewachsene Mutter derartige Hefte
in meinen Schulsachen entdeckte, zuckte sie förmlich aus, schlug mir diesen
ihrer Ansicht nach elenden Schund um die Ohren und verbrannte ihn.
Und weil vorhin von Farbigkeit die Rede war, so ist mir die erste Kinovorstellung im Turnsaal der Plainschule, die ich als Fünfjähriger zusammen
mit meiner Mutter erleben durfte, in Erinnerung geblieben. Es war jedenfalls in der Zeit, bevor sie den Stiefvater heiratete. In diesem Film wurde
das vergnügliche, unbeschwerte Treiben auf einer amerikanischen Farm
gezeigt – Jahre später hätte man diesen als unsägliches Propagandamachwerk bezeichnet – und dessen ohnehin berauschende Buntheit
wurde von aktionsreichen Mickey-Mouse- und Donald-Duck-Abenteuern
gekrönt.
Die Amerikaner brachten aber nicht nur leuchtende Farben in den grauen
Nachkriegsalltag, sondern auch neue Gerüche und Geschmacksgefühle.
Unvergesslich die dicksämige Kondensmilch, die Erdnussbutter, die LifeSaver-Zuckerln und diverse Kaugummis. Darunter galt der aufblasbare,
rosafarbene Bazooka-Bubble-Gum auch als begehrtes Tauschobjekt. Einfach wunderbar schmeckten die köstlichen Hershey-Schokoladen, sowie
die süßliche Trockenmilch. Gierig schaufelte ich dieses Pulver in den
Mund, das gleich am Gaumen festpappte, um es mit Fingern herunterzukletzeln. Und darüber hinaus gab es den wohl wunderbarsten Kakao der
Welt. Zusammen mit einer dicken Scheibe Rosinenmilchbrot wurden
damit nicht nur die Kleinen im evangelischen Kindergarten verwöhnt.
Gleich von der ersten Volksschulklasse an, zog es mich an den Wochenenden sowie auch in den Ferien, zu meinen geliebten Großeltern, den
Eltern meines im Krieg gefallenen Vaters. In ihrem kleinen Häuschen in
Hallwang-Tiefenbach, nächst den Teichen der Fischzucht des Simon Krieg
und unweit der Fischach gelegen, konnte ich, umgeben von Hunden,
Katzen, Hühnern und Schweinen, den Luxus eines eigenen Zimmers genießen. Es war mein Schneckenhaus, in das ich mich zurückzog, um alles,
was mir an Lesbarem in die Hände fiel, zu verschlingen – von Abenteuerbüchern bis Zeitungen. Gleich einem Schwamm saugte ich alles auf, um
früh zu erfahren, wie sehr damit Fantasie und Gedankenwelt erweitert
werden. Der in späteren Jahren aufgekommene Slogan „Lesen ist Abenteuer im Kopf“, ist mir daher mehr als treffend in Erinnerung geblieben.
Seltsamerweise mochte ich keine dieser vielfach beliebten Romane von
Karl May. Weit mehr bewegten mich die Schicksale der Akteure in Melvilles „Moby Dick“, James F. Coopers „Der letzte Mohikaner“ oder in den
klassischen Götter- und Heldensagen, aber auch die der liebenswerten
Charaktere in den Romanen von Erich Kästner – Winnetou und seine
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Gefährten ließen mich hingegen kalt. Völlig vereinnahmt wurde ich aber
von Harold R. Fosters unvergleichlich illustrierten Geschichten über den
Dschungelhelden Tarzan und den nicht minder großartigen Bildern zu
den Abenteuern des Prinzen Eisenherz, die darüber hinaus inspirierende
Zeichenvorlagen waren.
Jahrzehnte später, im Jahr 2007, besuchte ich mit meinem Enkel Leon
eine famos aufbereitete Comicausstellung im MdM am Mönchsberg.
Dabei konnte ich einige der in den 1930er Jahren entstandenen Tarzanund Eisenherz-Originale bestaunen, verfolgte die flott gesetzten Pinselstriche und erinnerte ich mich an eine Schilderung aus Hal Fosters Leben.
In Ermangelung eines ruhigen Arbeitsplatzes zog er sich meist in eine
zugige, kalte Scheune zurück, wo er seine Zeichnungen schnell und diszipliniert auf Papier brachte. Gegensätzlich dazu vermute ich, dass klösterliche Schreibstuben im frühen Mittelalter ordentlich beheizt waren. Denn
mit klammen Händen hätten vor Kälte bibbernde Mönche wohl kaum
herausragende Meisterwerke der Buchkunst schaffen können. Doch auch
in meinem Atelier, das bis 2004 lediglich von einem kleinen Kachelofen
beheizt wurde, ließen Kunden und Besucher oftmals ihre Mäntel oder
Jacken an. Und so verliefen in kalten Jahreszeiten Besprechungen entsprechend kurz.
1958: Das Häuschen meiner Großeltern
in Hallwang-Tiefenbach; Federzeichnung.
Die mir von meinem Zeichenlehrer vermittelte Beachtung der Perspektive
konnte ich dabei einbringen.
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1951: Als 7-Jähriger, der Liebhaber
eines Leghorn-Huhnes.
Gerne denke ich immer wieder an die glückliche Kindheit bei meinen
Großeltern. Ganz gleich, was die beiden auch unternahmen oder taten,
mit großer Freude war ich immer dabei. Auch wenn wir – was in den
1950er-Jahren ja allgemein üblich war – weite Strecken zu Fuß zurücklegten, wie allmonatliche Wallfahrten nach Maria Plain, Besuche bei
Opas Verwandten in Eugendorf und Bergheim, oder die langen Märsche
nach Mattsee zu Omas Bruder. Eine Fahrt auf dessen selbstgebautem
Segelschiff wurde dann zum Höhepunkt dieser Ausflüge. Des Weiteren
wanderten wir mit einem Leiterwagerl zu Einkäufen nach Seekirchen,
aber auch zu einer entlegenen Mühle, um Brot, Mehl und Hühnerfutter
zu holen oder zur Hallwanger Dorfkrämerei. Dazu musste man sich allerdings viel Zeit nehmen, denn nachdem der penible Krämer am liebsten
alles mit einer Apothekerwaage abwogen hätte, dauerten Einkäufe entsprechend lang. Andererseits erfuhr man sämtliche dörfliche Neuigkeiten.
Hingegen hörte man in den Wirtshäusern immer wieder die heroischen
Taten von Kriegsheimkehrern. Aber nachdem mein Vater „Für Führer,
Volk und Vaterland den Heldentod starb“, wie es in jenen Zeiten auf den
Trauerparten stand, jedoch wie vorstellbar auf elende Weise umgekommen ist, war mein Interesse an derartigen Geschichten eher gering.
Gerne begleitete ich den Großvater beim Fischen an der Fischach – bachaufwärts bis Eugendorf und in der Gegenrichtung hinunter zum idyllisch
gelegenen Missionshaus Maria Sorg in Lengfelden. Und wenn nicht unsere Tiere zu versorgen waren, irgendetwas im Garten oder ums Haus zu
machen war, haben Opa und ich gelesen – die Oma fand kaum Zeit dazu
und ließ sich lieber erzählen. Oder wir saßen gemeinsam in der Küche
vor dem Radioapparat. Dieser stand unter dem Kruzifix im Herrgottswinkel, auf einer mit Klöppelspitzen verzierten Ablage, umgeben von
Erinnerungsbildern der im Krieg gefallenen Söhne. In Blickrichtung zum
Empfangsgerät lauschten wir gespannt den Hörspielen. Sonntags nach
der Kirche folgten wir den heiteren Geschichten im „Frühschoppen beim
Reslwirt“ und der allerorts beliebten Wunschsendung „Ein Gruß an
Dich“. Doch abends zog ich mich zurück in mein Zimmer, um Musik auf
AFN (American Forces Network) Munich, die Station of the Stars auf
Radio Luxemburg oder „Tanzmusik auf Bestellung“ auf Radio Salzburg
zu hören. Anfangs über Ohrstöpsel eines arg rauschenden Detektorgerätes – was den Hörgenuss nicht sonderlich beeinträchtigte – und später
aus einem Transistorradio.
Im Gegensatz dazu waren die Wochentage nur schwer zu ertragen. Denn
der mich abgrundtief hassende Stiefvater und meine sich völlig gewandelt habende Mutter, die ihm stets um des Friedens willen alles zu recht
tun wollte, machten mir das Dasein recht freudlos. Meine Mutter, die
noch dazu meist alleine für den Lebensunterhalt der Familie aufkommen
musste, hatte selbst oft unerträgliche Erniedrigungen zu erleiden, was
ich allerdings erst viel später begriff. Und ich rechne es meinem um
sechs Jahre jüngeren Bruder Harald noch heute im höchsten Maße an,
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dass er unsere Mutter mehrmals inständig darum gebeten hat, sich von
seinem Vater scheiden zu lassen.
So hielt ich bis zu den Wochenenden trotzig durch zahllose Streitereien
und Demütigungen durch. Unter anderem wurde ich von „Vati“ abends
in den düsteren Keller geschickt – sehr wohl wissend um die furchtbare
Panik die ich jedes Mal zu erleiden hatte. In immer wiederkehrenden
Albträumen wurde ich von dort aus über die Stiegen hetzend von einem
Unhold verfolgt oder sah in der Waschküche meine Mutter, weißhaarig
und von dichten Spinnweben umgeben, wie aufgebahrt auf einer Holzpritsche liegen. Dazu gab es Ohrfeigen und Schläge aus nichtigen Gründen, oftmaliges Knien auf kantigen Holzscheiteln – um dann in der
Küche auf einem durchgelegenen Diwan zu liegen. Kaum eingeschlafen,
wurde ich des Öfteren durch Marschmusik aus dem Radio aufgerissen,
zu der der von einer Wirtshaustour heimkehrende Stiefvater auf den
Tisch trommelte. Wiederholt hielt er dann meiner Mutter lautstark vor,
wann sie mich denn nun endlich in ein Erziehungsheim bringe, denn
erst dann könnte ihr gemeinsames Glück vollkommen werden.
Aber es gab auch viele freudvolle Zeiten bei Freunden und Verwandten.
Vor allem bei der Familie meines Onkels Karl Berlinger, der mir zu meinem 15. Geburtstag einen Schmincke-Aquarellfarbkasten schenkte, den
ich heute noch verwende – sowie bei der immer wieder Trost spendenden Großmutter mütterlicherseits. Und wenn ich einige dieser Erlebnisse
verkürzt niederschreibe, so bin ich mir dennoch voll bewusst, dass ich
damit nicht alleine stand. Denn nach wie vor erleiden zahllose Kinder
und Heranwachsende wesentlich Schlimmeres. Andererseits wurden mir
gerade diese Erfahrungen zur starken Triebfeder einer frühen Selbstständigkeit und Loslösung von Zuhause, und dem entsprechend strengte ich
mich in der Schule besonders an. Außer in Mathematik und Chemie
bekam ich daher immer gute Noten. In diesem Zusammenhang schreibe
ich von der reichlich überzogenen Reaktion meines Chemielehrers, als
ich ihm eingestand, mich auf eine entscheidende Prüfung „nur so halb“
vorbereitet zu haben. Geifernd schrie er mich darauf hin an, dass ich
wohl das ganze Leben alles „nur so halb“ zu machen gedenke – und so
wurde mir dieser Ausruf zum prägenden Schlüsselsatz, so dass ich später
keine Arbeit aus der Hand geben mochte, von der ich nicht überzeugt
war, sie zur Gänze und bestens erfüllt zu haben. Und dennoch plagten
mich so manches Mal selbstkritische Zweifel.
1958: In der 4. Klasse der Hauptschule
St. Andrä schnitt ich diese Postkartenansicht des Schlosses Schönbühel in
der Wachau aus Linol.
Als es um die Frage meiner beruflichen Ausbildung ging, hätte es der
Großvater gerne gesehen, dass ich wie er und sein Neffe Karl Bachinger
– in dem ich eine Art Vaterersatz sah – zur Bundesbahn ginge. Eine gewisse Begeisterung dafür wurde ja in meiner Kindheit geweckt. So zieht
es mich auch heute noch zu Zügen und an den mit zahllosen Erinnerungen verbundenen Hauptbahnhof. Doch mein Deutsch- und Zeichenlehrer
hat mich in meinem früh erfolgten Vorsatz bestärkt. Dabei legte er mir
nahe, nach Schulabschluss eine Lehre in einem grafischen Gewerbe zu
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Bei der Durchsicht des umfangreichen
Archivs des Fotografen Johann Barth
im Jahr 1986 habe ich ihn gebeten,
mir von diesem Bild einen Abzug zu
machen.
Es weckte Erinnerungen an meine
Jugend. Die Aufnahme entstand im
Spätsommer 1959, als Herr Barth eine
Gruppe von jungen Leuten ins Visier
nahm, die sich vor dem Stadtkinogebäude – dem heutigen „republic“ –
versammelten. Auch ich stand oft vor
diesem stadtbekannten Haus, in dem
mein Lehrbetrieb, das Atelier für Gebrauchsgrafik „Die Drei“, untergebracht war. Am Parkplatz stehen einige
der heißen Puch MS 50 Mopeds, und
links im Hintergrund ist der Eingang
ins Gasthaus „Zur goldenen Sonne“,
über dem ich neun Jahre später mein
erstes Atelier einrichtete.
Im Herbst 1960 wurde von den Schülern
der 3. Klasse der Berufsschule des
Grafischen Gewerbes ein Kalender
produziert. Dazu durfte ich unterschiedliche Berufsbilder zeichnen –
hier eine Schneiderei – und meine
Mitschüler schnitten Farbflächen aus
Linol. Von den Zeichnungen wurden
Klischees gefertigt und nacheinander
die Linolschnitte eingepasst und gedruckt. Seltsamerweise machte ich den
meisten Figuren dünne Steckerlbeine ...
absolvieren, um eine Ausbildung zum Gebrauchsgrafiker an der Höheren
Grafischen Bundeslehr- und Versuchsanstalt in Wien mit Diplom abzuschließen. In Folge eines Berufseignungstests wäre ich dabei Schriftsetzer in der Salzburger Druckerei geworden, als sich kurzfristig die ideale
Konstellation ergab, in einem Grafikatelier als Siebdruckerlehrling aufgenommen zu werden. Mein rühriger Lehrer und Mentor hat, als ehemaliger Kriegskamerad des künftigen Lehrherrn Ludwig Steffny, diesem einen
entsprechenden Hinweis gegeben. Daher wurde ich gleich nach Schulende, am 1. Juli 1958, im angesehenen Atelier für Gebrauchsgraphik
„Die Drei“, im damaligen Stadtkinohaus, wo sich längst das allseits
bekannte „republic“ befindet, aufgenommen.
Und damit kam ich zu einem neuen Vornamen. Denn ein schon zuvor
eingetretener gleichnamiger Volontär rannte, wenn der Chef einen von
uns rief, hinaus in dessen Büro. Da schrie ihn dieser an, er hätte doch den
kleinen Werner gemeint. Und so kam entweder der eine oder der andere
– oder gar keiner. Kurz darauf zuckte der zu Zornesausbrüchen neigende
Lehrherr aus und schrie auf mich ein, ich möge doch als der Jüngere
einen deutlich unterscheidbaren Namen annehmen, entweder Otto oder
Willi! Und so wurde aus mir ein Willi – ein Name, der sich im Freundesund Bekanntenkreis vielfach bis heute einprägte. Auch meine Enkelinnen
nennen mich Willi-Opi. Lediglich mein Bruder Harald mag diesen Namen
überhaupt nicht, denkt, ich wäre eine gespaltene Persönlichkeit, so eine
Art „Dr. Jekyll or Mr. Hyde“.
An der Rückseite des anfangs der 1950er-Jahre erbauten Stadtkinogebäudes, auf dem Areal des zerbombten Salzburger Museums Carolino
Augusteum, ragten noch Ruinenmauern und Schutthügel auf. Vor der
Wiedererrichtung des 1967 eröffneten Museums befand sich dort in
einem schmalen hohen Schluff, unmittelbar hinter der Abgrenzung zur
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riesigen Cinemascope-Projektionsfläche, das Atelier des Filmplakatmalers
Max Leidinger. Während der 1930er Jahre war er in den großen UFAStudios in Berlin Babelsberg unbestrittener Meister seines Faches. Nach
meinen Arbeitszeiten bekam ich manchmal Gelegenheit, ihm über die
Schulter zu schauen. Besonders dann, wenn er an der Gestaltung von
haushohen „Billboards“ arbeitete, die an der Frontseite des Stadtkinos
auf Großproduktionen aufmerksam machten, und ich ihm zur Hand
gehen konnte. Da kam ich oft aus dem Staunen nicht heraus, wie er packende Szenen aus „Die zehn Gebote“, „Ben Hur“ oder „Krieg und
Frieden“ auf riesigen Leinwänden lediglich kurz mit Kohlestiften anriss,
um sie flink und eindrucksvoll auszuarbeiten. In der Barockzeit wäre er
sicher einer jener begnadeten Künstler gewesen, die Kirchen und Dome
mit üppigen Fresken ausgestattet hätte – mit apokalyptischen Höllenfahrten und von knackigen Putti begleitete Himmelfahrten.
Am Beginn meiner Lehrzeit wurde ich in Hallwang von einem Witzbold
gefragt, was ich denn da einmal werde – und voll Stolz entgegnete ich:
„Ein Grafiker!“ Listig grinsend stellte er die weitere Frage: „Jå – wås
tuast denn åftnd, wånn da de Kråh (Krähen) davofliagn?“ Aber als Vierzehnjähriger bekam ich schon mit, was mit den beiden letzten Silben der
Berufsbezeichnung gemeint sei. Später beantwortete ich derartige Fragen
damit, dass ich in einer Druckerei arbeite – was ja in gewisser Weise auch
stimmte. „Aha – då wos de Zeidunga druckan! Jå, då wiast jå amoi a
gaunz a Gscheida“.
Meine Ausbildung wurde von den beiden Grafikern und Malern Josef
Prem und Ludwig Steffny, sowie von Helmut Donat, einem hervorragenden Kalligraphen und Schriftenmaler, nachhaltig geprägt. Peppo Prem
war ein brillanter vielseitiger Illustrator und weitum bewunderter Künstler. Seine von leichter Hand geradezu hingezauberten Aquarelle und ausdrucksstarken Tier- und Porträtstudien waren hochbegehrt. Andererseits
... was sich schon zwei Jahre später
merklich änderte, nachdem mir der
Maler und Grafiker Josef Prem den regelmäßigen Besuch von Abend-AktZeichenkursen angeraten hat. Sie
fanden in der damaligen Staatsgewerbeschule am Rudolfskai statt – heute
ein Teil der Uni Salzburg. In gnadenloser Weise korrigierte Sepp Prem die
ihm vorgelegten Blätter. Damit lernte
ich, im wahrsten Sinn, die Augen zu
öffnen.
Darunter eine Kugelschreiberskizze
von Zeichenprofessor Rudolf Dimai,
der an manchen Abenden selbst den
Stift zur Hand nahm.
Mein erstes 1-Bogen-Plakat
(59,4 x 84 cm)
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hatte er die Gabe, nicht nur mich des Öfteren in Verlegenheit zu bringen.
So etwa gleich nach meiner ersten Woche im Atelier, als er von einem
Kurzurlaub zurückkehrte, polternd die Tür aufriss, mich bemerkte, anstarrte und rief: „Wås måchst denn du då!“ und ich verdattert stotterte:
„Grafiker möcht’ i werd'n“. Und mit geradezu hervorquellenden Augen
schrie er mich an: „Wås – a Grafiker! Ob des wås wiad!“ Erst Jahre
später erzählte ich ihm, wie sehr er mich damals in Panikstimmung versetzte. Worauf er begütigend meinte, ich hätte ja trotzdem meinen Weg
gemacht.
Das frühere Vorhaben, nach der Gesellenprüfung zur weiteren Ausbildung nach Wien zu gehen, ließ ich fallen und bin weiterhin bei „Die
Drei“ geblieben. Vielleicht auch verbunden mit dem Gefühl von Dankbarkeit. Mein Kollege Volker Uiberreither, der gelegentlich im Atelier im
Stadtkinohaus praktizierte und selbst Absolvent der Meisterklasse an der
„Graphischen“ war, hat mich in diesem Entschluss bestärkt. Nachdem er
sein Studium letztlich als wenig praxisnah bezeichnete, riet er mir, einige
Jahre in verschiedenen Ateliers und Werbeagenturen zu assistieren.
Damit kam ich zur Einsicht, dass ein mitgegebenes Talent möglichst früh
geschmiedet und geformt werden muss. Denn erst das Erfahren und Erlernen vielseitigster Arbeitstechniken, unter immer wieder neuen und geänderten Umständen, der vorbehaltlosen Annahme von oft schwierigen
Aufgaben und Herausforderungen, sowie sich von Rückschlägen nicht irritieren oder gar beugen lassen – bilden die breit angelegte Basis zu
einem Sprung in die Selbstständigkeit.
Arbeiten aus meiner Lehrzeit:
Ein Kleinplakat und der Titel zu einem
Flugblatt.
1963, nach dem Umzug des Atelier
„Die Drei“ in die Imbergstraße: Mit
Kollegin Nada Ofner-Kiš, einer vormaligen Zeichnerin in einem Zagreber
Trickfilmstudio.
Mit meinem jüngeren Kollegen, Knut „Bibi“
Elsenwenger, am Siebdrucktisch. Bibi macht
darauf einen eher introvertierten Eindruck.
Aber als begnadeter Schlagzeuger der damals
weitum bekannten Gruppe „Tornados“ war er
ein echter Wirbelwind.
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Die Sammlung von
Erfahrungen
Nach etwa einem halben Jahr zog es mich für beinah sechs Monate weg
von Salzburg – als Volontär bei „European Displays“, einem führenden
Großstudio für Grafik- und Produktdesign in Athen. Mit Griechenland
verbanden mich schöne Erinnerungen, die ich vier Jahre zuvor auf einer
mehrwöchigen Rundfahrt per Autostopp mit einer Wandervogel-Jugendgruppe erfahren durfte. Kurz vor Antritt der großen Fahrt machte ich die
Bekanntschaft mit einem Astrologen. Nach Erstellung meines Horoskops
– Zwilling, mit Aszendent Skorpion – gab er mir den Rat mit auf die
Reise, beim Baden im Meer Vorsicht walten zu lassen, denn er sehe Verletzungsgefahr. Nun, bei den vielfachen und weiten Wanderungen –
denn allzu viele Autos waren im Griechenland der 1950er Jahre nicht auf
den Straßen – lief ich mir eine ordentliche Blase am rechten Fuß. Endlich
erstmals im Leben am Meer, hielt ich gleich meine Beine zur Kühlung ins
nicht gerade saubere Hafengewässer von Piräus und infizierte dabei die
Wunde. Schon am übernächsten Tag war das entzündete Bein bis zum
Knie herauf geschwollen, sodass ich nach einer mühsamen Begehung
der Ausgrabungen von Mykene von einem mitleidigen Bauern auf dessen
Eselkarre ins nächst gelegene Krankenhaus von Argos verbracht wurde.
In einer von Palmen umgebenen, idyllisch gelegenen Heilstätte, wurde
ich liebevoll umsorgt und innerhalb von drei Tagen kuriert. Die Symptome einer Blutvergiftung kannte ich ja aufgrund einer drei Jahre zuvor
erlittenen an der rechten Hand, die beinah fatale Folgen gehabt hätte.
Als mir der Arm bis zur Schulter hinauf geradezu exorbitant anschwoll,
riet ein auf Kinder losgelassener Mediziner, der sich anscheinend zuvor
als gefühlloser Feldscher durch den Krieg brachte, zur radikalen Amputation. Aber der unermüdlichen Fürsorge meiner naturheilkundigen Großmütter habe ich es zu verdanken, dass sie mit immer wieder heiß aufgelegten Leinsamenumschlägen die Entzündung innerhalb weniger Tage
Zwei Seiten aus einem Album, das ich
kurz nach einer 4-wöchigen Fahrt
durch Griechenland mit einer Wandervogel-Jugendgruppe im Sommer 1959
anlegte. Nach Fotos gezeichnet und
gemalt, eines der Meteora-Klöster und
eine kleine Ansicht des Löwentores in
Mykene. Darunter die verzerrte Impression meines kurzen Spitalaufenthalts aufgrund einer Blutvergiftung.
Ich zeichnete mich darauf viel zu groß,
denn ich bin erst im Alter von 16 Jahren
auf das heutige Maß gewachsen.
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zum Abklingen brachten. Mit Schaudern denke ich daran, was ich wohl
ohne rechten Arm gemacht hätte – Grafiker wäre ich höchst wahrscheinlich nicht geworden.
Ende der 1960er Jahre erstellte mir der Astrologe von damals ein ausführliches Lebensbild. Seinen Berechnungen zufolge würde ich zwei Mal heiraten, bekäme vier Kinder – und trotz manch schlechter Bekanntschaften,
die meinen Lebensweg kreuzen – in meinem Beruf große Erfüllung finden,
und mit 70, wie er betonte, durch meine Arbeit sogar „berühmt“ werden
– was natürlich höchst relativ zu sehen ist. Allerdings über das „Nachher“ habe ich als junger Mensch, dem dieses Alter ja noch weit entfernt
lag, nicht gefragt – wahrscheinlich auch nicht wissen wollen.
Anfangs April 1963 fuhr ich kurz entschlossen und weitgehend unvorbereitet los. Von Salzburg nach Athen war man in jener Zeit mit dem Zug
42 Stunden unterwegs. Gleich nach Ankunft wanderte ich zum Büro des
österreichischen Handelsdelegierten. Eigentlich wollte ich ja zur Botschaft, aber die Handelsdelegation lag der Station am nächsten. Dort
habe ich vorgesprochen und gebeten, mir bei der Suche nach einer mir
adäquaten Stelle behilflich zu sein. Nachdem die Bevölkerung des Landes schon damals hohe Arbeitslosigkeit zu ertragen hatte, konnte mir
lediglich ein niedrig honoriertes Volontariat geboten werden, was innerhalb kurzer Zeit durch den liebenswürdigen Herrn Handelsdelegierten ermöglicht wurde. Zwischenzeitlich durfte ich mich in seinem kleinen Stück
Österreich erfrischen, bekam von seiner gütigen Frau ein Wiener Schnitzel
zu essen und die Gelegenheit, mich um ein günstiges Quartier zu kümmern – vorerst in einer nahe liegenden, etwas heruntergekommenen
Jugendherberge.
Bereits um fünf Uhr nachmittags saß ich als Filmretuscheur – einer mir
von der Lehrzeit her geläufigen Tätigkeit – in der Reproabteilung einer
modern ausgestatteten Druckerei. Eigentlich gefiel es mir dort recht gut.
Aber schon nach drei Tagen bekam ich die mir insgeheim gewünschte
Stelle in einem Grafikstudio, da der Bruder des Druckereibesitzers Chef
des Großstudios „European Displays“ war. Während des obligaten Einstandes bei einem Glas Ouzo, starkem Greek Coffee und dem Rauchen
einer weit gehaltvolleren Zigarette Papastratos ohne Filter, schwanden
mir zwar kurz die Sinne – ich bekam aber daraufhin meinen Arbeitsplatz
zugewiesen, gleich gegenüber dem Leiter der Grafik, Herrn Vakis Papadandonakis. Und nachdem der mir später zum kollegialen Freund gewordene Vizechef unbedingt Deutsch lernen wollte, gab es ergänzend zu
unseren Englischkenntnissen keinerlei Kommunikationsprobleme. Zu
meinen Haupttätigkeiten zählten Fotoretuschen, meist mittels Luftpinsel,
die Ausarbeitung von Illustrationen für Bauanleitungen – man denke
dabei an IKEA – sowie Reinzeichnungen zu Logos und Schriftzügen,
selbstverständlich in Griechisch – von Alpha bis Omega. Vakis blätterte
da z. B. in einem amerikanischen Magazin, suchte eine dem Auftrag entsprechende Schrift, um mir die Ausarbeitung der Reinzeichnung eines
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gewünschten Schriftzuges zu übertragen. Wie war ich da meinem Meister
Helmut Donat dankbar, der mir nicht nur die solide handwerkliche Basis
zu derartigen Arbeiten vermittelt hat, sondern darüber hinaus das richtige Gespür für subtile Schriftgestaltung.
Nach etwa zwei Wochen in der elenden Jugendherberge – noch dazu
schwer belästigt von blutsaugenden Wanzen – überkam mich ein unverhofftes Glück. Auf Zimmersuche im Büro der zentralen Touristenpolizei
am Omoniaplatz wies der mit einem Mal süffisant lächelnde Beamte
auf eine soeben eintretende, mir schier den Atem raubende damenhafte
Erscheinung. Seiner guten Vermittlung zufolge nahm sie immer wieder
Gäste in ihrem Appartement auf. Die rotblonde, etwas anämisch wirkende und wunderbar „kuhäugige Göttin“ entsprach dem Schönheitsideal des klassischen Altertums. Nicht nur ihren dunklen, von langen
hellen Wimpern umflorten Augen und ihren lasziv verlangenden Blicken
war ich geradezu verfallen. Wenn sie mir auch an Jahren beinah doppelt
voraus war, entstand kurz darauf eine ganz besondere Liebesbeziehung.
Und diese konnten wir vor ihrem längst versprochenen Mann, der im fernen Süden des Peloponnes beschäftigt war, geheimhalten. Er kam lediglich an den Wochenenden und manchmal lud er mich zu einem gemeinsamen Essen ein.
Eine besondere Wertschätzung meiner Mitarbeit im Studio erfuhr ich
durch die Akzeptanz der Entwürfe zur künstlerischen Außengestaltung
des griechischen Pavillons zur Weltausstellung 1964 in New York. Es war
ein das gesamte Gebäude umlaufender breiter Fries im Stil attischer
Keramikmalerei, mit Szenen aus der griechischen Mythologie, die mir
durch die als Schüler begeistert gelesenen klassischen Heldensagen
nicht unbekannt waren. Bedauerlicher Weise sind davon keine Entwürfe
oder Fotos erhalten geblieben.
Bei der Vielzahl interessanter Arbeiten verschob ich immer wieder einen
Aufstieg zur unweit gelegenen Akropolis. Aber an manchen Wochenenden war ich mit Kollegen über Land unterwegs, sah höchst interessante
Plätze und erlebte Dinge, die vom Tourismus weitgehend unentdeckt
waren. Doch das turbulente Alltagsleben in der Großstadt wurde oftmals
von Streiks geprägt. War man da mittags bei derartigen Aktionen unterwegs, musste man sich vor aufgebrachten Demonstranten und der einschreitenden Polizei in Hauseingänge flüchten, um nicht dazwischen zu
geraten. Denn unterschiedlich zum geflügelten Sprichwort „Mad dogs
and Englishmen go out in the midday sun“, war ich gerade an glutheißen Mittagsstunden unterwegs zu meinem Quartier, um dort einem erquickenden Schlaf nachzugehen. Denn im Gegensatz zu Touristen hätte
man die üblichen Arbeitszeiten von 9 bis 13 Uhr sowie von 17 bis 21,
meist jedoch bis 22 Uhr, und den folgenden Ausgängen zum Essen oder
ins Kino, kaum ausgehalten. In diesen strikt eingehaltenen Ruhezeiten
war es auch höchst unstatthaft jemanden zu besuchen. Da wurde selbst
der nette Herr Handelsdelegierte ziemlich ungehalten, als ich ihn anfangs einmal mit der Frage störte, ob für mich Post da wäre.
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Titelgrafik zum Prospekt der Vorankündigung der Teilnahme des Königreichs
Griechenland an der Weltausstellung
1964–65 in New York.
Auf der rechten Seite: Vier der 1963
erstellten Motive aus der 12-teiligen
Kartenserie „The Twelve Olympians“.
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Sozusagen nebenberuflich zeichnete und malte ich Karikaturen griechischer Götter. Daraus entstand die Bildkartenserie „The Twelve Olympians“.
Nach meiner Rückkehr nach Salzburg wurden sie gedruckt und in der
Folge im ganzen Land verbreitet. An jedem Straßenkiosk und Souvenirladen von Saloniki bis Kreta wurden meine Götterkarten zum Verkauf
geboten – jedes Mal ein höchst erfreulicher Anblick, wenn ich in den
Jahren bis 1972 öfters ins Land kam. Jedoch keineswegs erfreulich für
mein Bankkonto. Denn in mehr als einfältiger Weise habe ich den Versprechungen des schlitzohrigen Verlegers vertraut und keinen Nutzungsvertrag abgeschlossen, in dem meine Anteile an einem Verkaufserfolg
schriftlich fixiert worden wären. Letztlich musste mir der im Grunde ja
liebenswürdige alte Herr Verleger doch entgegenkommen. Als im Laufe
der Zeit einige der Motive für Werbezwecke kopiert und zur Dekoration
an Wänden mancher Tavernen gemalt wurden, beabsichtigte er von den
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Wirten Nutzungsrechte einzuklagen. Dazu wünschte er von mir als Urheber
eine beglaubigte Bestätigung für die Überlassung des Copyrights. Doch
aufgrund meines vorgebrachten Sachverhalts und eines notariellen
Schreibens erreichte der noch akkreditierte und erneut hilfsbereite
Handelsdelegierte per Gerichtsbeschluss das Zugeständnis des Verlegers,
die Karten des Weiteren nicht mehr zu verbreiten und die Zahlung einer
Abfindung von 20.000 Schilling – im Jahr 1969 eine ganze Menge an
Drachmen. Als mir der Verleger kurz danach in deutsch-englischem Mischmasch ein erneutes gerichtliches Vorgehen gegen einen Tavernenwirt auf
Rhodos schilderte, tat er mir ja wieder leid – ein Zitat daraus: „Der Wirt
took me by the neck und ich flog schwebend über stufen, and was blessed
all over“. So wurde er schwebend nicht nur überall gesegnet, sondern
war eher, wie vorstellbar, von schmerzhaften Blessuren bedeckt.
Am 21. April 1968 erlebten die Griechen eine schwere Zäsur. Aufgrund
jahrelanger politischer Zerwürfnisse übernahm eine Gruppe von Obristen die staatliche Führung, wies die Königsfamilie außer Landes und erklärte zahllose Landsleute zu Volksfeinden. Das Büro von „European
Displays“ wurde geschlossen, nachdem sich die Agenturleitung weigerte
für die Militärjunta zu arbeiten. Sämtliche Mitarbeiter landeten auf der
Straße und einer meiner Kollegen wurde sogar auf der berüchtigten Verbannungsinsel Jaros interniert. Und Freund Vakis konnte seine Familie
lediglich mit der Gestaltung volkskundlicher Reliefs durchbringen, mit
denen er Hotels und Touristikbetriebe ausstaffierte.
Doch zurück zum Herbst 1963 und der Riesenchance mit einem Arbeitsteam der Agentur in New York vor Ort die Entwürfe an dem inzwischen
errichteten Pavillon umzusetzen – und die Agentur dem nicht nachkommen wollte. Denn auf derart einfache Weise in den damals vielgepriesenen
„Goldenen Westen“ zu gelangen, sprengte meine Vorstellungen. Denn
für mich war dieser Schritt vom kleinen überschaubaren Salzburg in die
Großstadt Athen schon ein überaus bedeutsamer. Und so bin ich innerhalb weniger Tage zurück nach Salzburg. Zum Abschied übergab mir die
göttliche Artemis noch den Bildband eines Athener Illustrators mit dem
bezeichnenden Titel „OΔOΣ ONEIPΩN“ (Weg der Träume), in den sie
die Widmung schrieb: „With the wish, to meet you in another life“. Und
sollte es ein derartiges geben, so würde ich dort mit offenen Armen empfangen.
In der folgenden Woche, am 1. Oktober, hätte ich ja ohnehin meinen Präsenzdienst beim Österreichischen Bundesheer antreten müssen. Denn bei
späterer Rückkehr wäre ich sicher an der Grenze abgefangen und den
Militärbehörden übergeben worden. Aufgrund meiner Unsportlichkeit
seit Schulzeiten war die sechswöchige Grundausbildung entsprechend
hart und mühsam. Und so hing ich während der Dienstzeit in einer Artillerieeinheit in der Siezenheimer Schwarzenberg-Kaserne immer wieder
wehmütigen Auswanderungsgedanken nach. Der zuvor so plötzlich verwirklichbar gewesene amerikanische Traum war nicht verflogen. Eigent-
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lich wurde dieser schon in meiner Lehrzeit geweckt, als mir die Bibliothek des Amerikahauses in der Münzgasse zu einer Art Wohnzimmer
wurde. Wenn ich nicht gerade Aktzeichenkurse in der ehemaligen HTL
am Rudolfskai besuchte, verbrachte ich dort so manche Abende und
schmökerte in aufliegenden Magazinen und Zeitschriften. Insbesondere
war ich von den brillanten Illustrationen des Großmeisters Norman Rockwell angetan, die auf den Titelseiten der „Saturday Evening Post“ prangten. Und darüber hinaus lernte ich so manche Werke der amerikanischen
Literatur zu schätzen.
Aufgrund dieser starken proamerikanischen Einstellung hat mich daher
das Attentat auf Präsident John F. Kennedy überaus getroffen. Ich habe
noch die Szene vor mir, als ich am späten Abend des 22. November 1963
mit dem Bus zur Kaserne unterwegs war, bei der Haltestelle Aiglhof
plötzlich ein Mann beim Fahrer hereinsprang und entsetzt schrie: „An
Kennedy haums daschossn!“ – sich umdrehte und weglief.
Mein Bundesheerkollege Otto Urban war ebenfalls beseelt von der Idee
nach Amerika auszuwandern. Nachdem wir nach der Grundausbildung
einen Kurs in einer Artillerie-Feuerleitstaffel belegten, spielten wir mit
den Gedanken uns als Vermessungsgehilfen bei einer amerikanischen
Ölförderfirma zu bewerben. Um künftigen Strapazen gewachsen zu sein,
meldeten wir uns zu einem dreiwöchigen Ausbilderlehrgang – zwar in
Ermangelung von Wüstenbedingungen – so doch im Schnee auf der Glasenbacher Fageralm, im tiefwinterlichen Hochfilzen und der hochalpinen
Axamer Lizum. Nach erfolgreichem Abschluss vermittelten wir Jungmännergruppen militärische Basiskenntnisse – und zwar in freundschaftlicher,
kameradschaftlicher Weise – im Gegensatz zu der oft stumpfsinnigen
und geradezu menschenver-achtenden Ausbildung, die wir zuvor zu erdulden hatten. Aufgrund meiner beruflichen Vorbildung bekam ich den
zusätzlichen Auftrag, für den theoretischen Unterricht Lehr- und Schautafeln zu erstellen. Und weil in der Kaserne nicht die rechten Arbeitsbedingungen vorzufinden waren, erlaubte man mir im früheren Lehrbetrieb
zu arbeiten. So wurde ich wiederholt vormittags mit einem Jeep in die
Stadt zum Atelier „Die Drei“ chauffiert und nachmittags zur Standeskontrolle zurückgebracht. Dazu ein ergänzendes Gschichterl:
Im Fasching 1964, am noblen Technikerball im alten Salzburger Kongresshaus, erhielt ich die unverhoffte Gelegenheit zu einer Begegnung
mit dem damaligen Oberbefehlshaber der Heeresgruppe West, Generalmajor Zdenko von Paumgarten. Als einfacher Kanonier, lediglich dekoriert mit einem geflochtenen Pfeiferlschnürl an der linken Schulter, das
mich als erfolgreicher Absolvent eines Ausbilderkurses auswies, in einer
von meiner Großmutter tadellos zurecht geschneiderten Ausgehuniform
(wäre nach §9 der ADV unter Beschädigung von Heeresgut strafbar gewesen) – war ich ihm aufgefallen und von einer Ordonanz an seinen Tisch
beordert worden. Dabei nutzte ich die Gelegenheit, nicht nur von meiner
Arbeit an den Lehrtafeln zu berichten, sondern ihn zu bitten – nachdem
ich ein zauberhaftes Mädchen kennenlernte – meine Ausgangserlaubnis
Eines meiner Wehrpass-Bilder –
ausgeschnitten und „ergänzt“.
Das Dokument zu einer besonderen
militärischen Begegnung.
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Abbildungen rechts oben:
Vorschläge bzw. Ausarbeitungen
von Sternzeichen-Motiven für einen
Glückwunschkartenverlag.
Auf Anregung des Bruders einer amerikanischen Freundin, damals Coach
eines American Football Teams der USArmy, zeichnete ich diese turbulente
Massenszene.
Fast ein Suchbild – einer der Spieler ist
sogar im Ballbesitz, der Referee wird
regelwidrig festgehalten.
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bis zur Tagwache zu verlängern. Das Gespräch hatte zur Folge, dass er
sich zu einer Besichtigung der Einheit ansagte, was dort allgemein
enorme Unruhe verursachte – außer bei dem mich fördernden Leutnant
Gerhard Fasching, dem stellvertretenden Batteriekommandanten. Die Bemühungen des Generalmajors, sich im Verteidigungsministerium für die
Verwendung der Illustrationen in einem bevorstehenden Neudruck der
Dienstvorschriften einzusetzen, gingen letztlich nicht durch. Andererseits
hätte ich mir eine Laufbahn als uniformierter, oder gar beamteter Grafiker,
nicht vorstellen können.
Freund Otto Urban blieb für drei weitere Monate im Dienst, um seine
Kenntnisse als Landvermesser zu vertiefen. Ich wurde zuvor schon im
Atelier „Die Drei“ dringend gebraucht und so verkaufte ich Otto meinen
Puch DS 50 Mopedroller, mit dem er leichter in die Kaserne kommen
konnte. Zwischenzeitlich korrespondierte Otto mit diversen Ölfirmen und
bekam schließlich die Zusage einer amerikanischen Firma, die im arabischen Raum bohrte. Unmittelbar nach Abschluss seiner Dienstzeit, Ende
August 1964, fuhr er mit der Absicht sich persönlich vorzustellen, aber
auch getrieben von unstillbarer Abenteuerlust, mit dem Moped los.
Im syrischen Aleppo fand seine Mission jedoch ihr jähes Ende. Das aufgrund eines Vorderradgabelbruchs havarierte „Pucherl“, ließ Otto nach
Salzburg transportieren, erwarb kurz darauf einen VW-Käfer, mit dem er
einige Wochen später tödlich verunglückte. Damit starb auch meine
Sehnsucht nach Amerika, die andererseits auch aufgrund meiner innigen
Beziehung zu den Großeltern immer wieder zurückgehalten wurde. Denn
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mich so weit entfernt zu wissen, hätte nicht nur ihnen das Herz gebrochen
– war ich doch der einzige Nachkomme ihrer verstorbenen bzw. gefallenen
fünf Kinder. Des Weiteren wurde mein glänzendes Amerikabild durch das
zunehmende Kriegsengagement der US-Administration in Vietnam arg
angekratzt. Besonders als Gerüchte kursierten, dass junge Einwanderer
bei der Registrierung zu befürchten hätten, nach einer Schnellausbildung
an die südostasiatische Front geschickt zu werden.
Der Wunsch ins vormalige Land der Träume zu kommen, ist daraufhin
völlig verkümmert. Ich war daher niemals in New York und auch nicht in
Pocatello, Idaho, von wo einst ein geliebtes Mädchen herkam, dessen
Bruder Spielerstar eines führenden Footballteams der US-Air-Force war.
Meine erste Frau Heide, die als Puppenspielerin des Salzburger Marionettentheaters dieses weite Land auf zahlreichen Tourneen auf ihre Weise
erleben durfte, sowie mein weitgereister Bruder Harald, der mit seiner
Frau mehrmals monatelang Nordamerika durchkreuzte und mit einem
Campingbus sogar die Welt umrundete, brachten mir das Land zwar
nahe, aber dorthin zog es mich nie mehr.
In den folgenden Monaten verfolgte ich verschiedentlichste berufliche
Ziele. Nach einigen abschlägigen Kontakten zu Glückwunschkartenverlagen und Firmen absolvierte ich Kurzvolontariate bei Werbeagenturen in Düsseldorf und Hamburg. In dem dort ansässigen Tabakwerk
Reemtsma präsentierte ich ganzseitige Inserate für deren Marke Peter
Stuyvesant, die mit dem Slogan „Der Duft der großen weiten Welt“ warb.
1965: Über einige realistische Darstellungen von wagemutigen Entdeckern
und Pionieren versuchte ich den Marketingleuten bei Reemtsma in Hamburg den Duft der großen, weiten Welt
schmackhaft zu machen. Wie z. B. mit
dem Afrikaforscher Georg Schweinfurth, dem Alpinisten Hermann Buhl ...
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... und den britischen Weltumsegler
James Cook. Sie vertrauten jedoch
alleine dem Geschmack der Raucher
der über lange Zeit beliebten Zigarettenmarke.
Die griechischen Götter ließen mich
auch danach nicht ruhen:
Zwei weitere Versionen des Götterboten Hermes – rechts als Motiv zu
Anzeigen und Plakaten für die damalige
griechische Luftlinie Olympic Airways.
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Nach anfänglich gezeigtem Interesse für meine Weltentdecker bekam ich
jedoch nach einigen Tagen einen abschlägigen Bescheid. Im Frühjahr 1965
legte ich, anlässlich eines Kurzaufenthaltes in Athen, in der Zentrale der
griechischen Luftlinie Olympic Airways, Entwürfe zu einer Anzeigenserie
vor, die letztlich ebenfalls nicht akzeptiert wurden. Doch darüber hinaus
bewarb ich mich erneut bei „European Displays“. Dieses Mal mit der Absicht gemeinsam mit meinem Kollegen Elmar Prack, einem wunderbaren
und vielseitigen Lebenskünstler, aufgenommen zu werden. Dabei hätte
ich sogar eine offizielle Arbeitserlaubnis bekommen können. Doch kurz
vor der Abreise im Juni bekam Elmar beinah psychotische Bedenken, wie
gesundheitlich beeinträchtigend sich die hohen Temperaturen in Griechenland auf ihn auswirken könnten. So blieb ich höchst widerwillig in
Salzburg. Daraufhin gründeten wir eine Ateliergemeinschaft und nannten sie „Alpha“, als kleine Reminiszenz an unser verfahrenes Vorhaben.
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Angeregt durch beeindruckende Illustrationen im amerikanischen Männermagazin „Esquire“, versuchte ich mich
als Modezeichner ...
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... die schließlich zu Aufträgen für das
Salzburger Modehaus Thalhammer
führten. Und dem entsprechend kleidete ich mich auch.
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Anfangs bezogen wir einen Nebenraum in der Steuerberatungskanzlei
seines Vaters im Mozartkinohaus in der Kaigasse, um kurz darauf in
einen Neubau, im Innenhof des Hauses Mirabellplatz 10, zu übersiedeln.
Am Arbeitstisch, in dem gemeinsam
mit Elmar Prack geführten Atelier, im
Hinterhofgebäude am Mirabellplatz 10.
Unser Atelier wurde zum beliebten Treffpunkt unserer Freunde und Ausgangspunkt zahlloser Lokaltouren. Im Sommer ging es besonders hoch
her, denn da kamen auch Elmars frühere Schauspiel- und Sängerstudienkollegen aus Wien zu ihren Engagements bei den Salzburger Festspielen.
Manche dieser etwas exzessiven Abende endeten in unseren Stammlokalen, wie im „Weißen Kreuz“ in der Herrengasse oder im „Salzachkeller“
des Österreichischen Hofes. Eines späten Abends landeten wir in der
alten Wachstube der Polizeidirektion in der Churfürststraße – aufgrund
zweier abgerissener Hortensienblütendolden aus Blumentrögen, die wir
entgegen kommenden jungen Damen hätten überreichen wollen. Ein uns
dabei beobachtender Zivilpolizist, dem Elmar noch dazu die vorgewiesene Dienstmarke aus der Hand schlug, führte uns folglich recht energisch zur Wache ab. Nach einer etwa einstündigen Festhaltung wurden
„die depperten Intelligenzler“ entlassen – obwohl sich Elmar despektierlich darüber aufpudelte, dass es im Wachzimmer gar arg stinke.
Umschlag zu einem Rezeptheftchen für
Wiberg-Gewürze, wofür wir auch Etiketten für Streugläser und Gewürzbeutel ausarbeiten.
Darunter Entwürfe zu Anzeigen für ein
Salzburger Autohaus.
Elmar schnitt dazu in Linol ein Pferdchen, das mehrmals aufgedruckt
wurde, um in eindrucksvoller Weise die
hohe PS-Stärke eines Austin Cooper S
zu demonstrieren.
Aufgrund relativ weniger, aber dennoch interessanter und herausfordernder Aufträge, die meist im Café Bazar durch Elmars geschickte Aquisitionskünste von bekannten Firmen wie Mirabell Süßwaren und Wiberg
Gewürze zustande kamen, arbeitete ich in unserem Studio lediglich in
den frühen Abendstunden. Denn untertags war ich freier Mitarbeiter im
Atelier meines verehrten Kollegen, des Grafik- und Produktdesigners
Prof. Rudolf Ferch. In dieser überaus erfahrungsreichen Zeit arbeitete ich
gemeinsam mit Rudis Schwager, dem Fotografen Alfons Graf Coreth, an
den Ausarbeitungen von Rudis Entwürfen und Gestaltungen zu Skidesigns,
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Katalogen und Prospekten für Fischer und Kästle Ski, sowie zu Etiketten
und Werbemitteln für die Österreichische Brau AG und die Brauerei Zipf.
Zur Präsentation neuer Etiketten wurden da nicht wie üblich zwei Varianten
auf Flaschen geklebt, sondern gleich sämtliche Flaschen einer ZwanzigerKiste ausstaffiert. Von einem ausgereiften Entwurf wurde die Reinzeichnung ausgearbeitet, mit farbgetrennten Filmen im Siebdruck eine volle
Ausstattung erstellt, teils von Hand effektvoll ausgeschmückt und als
kleine Gesamtkunstwerke dem staunenden Vorstand präsentiert. Darüber
hinaus fertigten wir, gemeinsam mit dem Kollegen Georg Altenburg, in
akribischer Weise Modelle für Messestände, aber auch höchst beeindruckende zu aufwändigen Architekturprojekten. Daran mitzuwirken war für
mich besonders erfahrungsreich, nachdem meine in der Kindheit gebastelten Vogelhäuschen immer gleich zusammenfielen und Flugdrachen selbst
bei günstigsten Winden nie aufstiegen.
Doch zu Beginn des Jahres 1968 stellte uns Rudi vor die Entscheidung,
entweder am Aufbau eines Grafik- und Werbestudios bei Fischer Ski in
Ried mitzuwirken oder uns selbstständig zu machen. Alfi, der sich bis
Mitte der 1950er Jahre in Waizenkirchen, im nördlichen Innviertel, auf
dem Besitz seiner Eltern als Gemüsebauer seinen Unterhalt verdiente,
wollte alleine schon aus familiären Gründen nicht zurück aufs Land. Mit
der Zusicherung, anfangs weiterhin Aufträge von Fischer und Kästle zu
erhalten, entschieden wir uns für die Selbstständigkeit.
1967: Mein erster Buchumschlag entstand für den Salzburger BerglandVerlag im Kiesel-Gebäude.
Ausgehend von den Etruskern, begann
sich ein Bogen an Gestaltungen für die
Archäologie zu spannen, der mit den
Kelten bis in die jüngere Zeit führt.
Eine der vielen Ausarbeitungen für den
Kollegen Rudi Ferch.
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