Gedanken zum Lied - Das neue Gotteslob

Lied des Monats März: Gl 288
Hört das Lied der finstern Nacht (GL 288)
von Mag. Johann Simon Kreuzpointner, Kirchenmusikreferent der Diözese
Sehr schlicht oder simpel ist vermutlich der erste Eindruck, den man von diesem kurzen achttaktigen
Lied gewinnt. Eine klare Sprache mit vielen wörtlichen Wiederholungen zu einer leichten Melodie, die
sich mit einem Tonumfang von einer Sexte begnügt.
Warum wurde aber dieses Lied in das neue Gotteslob aufgenommen?
Bevor wir es vielleicht voreilig der Kategorie geistliches Kinderlied zuordnen, versuchen wir zunächst
einmal, die Intention des Textautors und Komponisten Erhard Anger (1928 –1999) zu ergründet, denn
der Text bietet mehr, als man zunächst vermuten möchte.
Mit der Formulierung „Hört das Lied“ knüpft der Autor scheinbar an die alte Tradition des
Bänkelgesanges an, wo zu einzelnen Bildern eine Geschichte singend erzählt wurde. Er wählt dieses
Stilmittel jedoch nicht, um oberflächlich einen Bezug zu alten Erzählformen herzustellen. Nein, es
geht ihm um etwas ganz anderes. Mit diesem Kunstgriff schlüpft der Singende nämlich selbst in die
Rolle des Erzählers, der damit die Geschichte vom Tod Jesu verkündet und seine Auferstehung preist:
das Geheimnis des Glaubens. Er nimmt uns hinein in die Passion, in der das Wort Nacht eine zentrale
Position einnimmt. Mit dem Wort Nacht verbinden wir eigentlich Zeiten der Ruhe und Raum für
Träume. Die Nacht ist aber auch Synonym für Dunkelheit, Not und Zeit der Einsamkeit und der
Gottferne.
Nacht voll Sünde
Mit Nacht und Sünde wird gleich in der ersten Strophe der Grund für die Passion des Herrn genannt.
Die Geschichte ist fern und doch so nah, denn alljährlich bedenken wir aufs Neue das Leiden und
Sterben unseres Herrn. Jede Heilige Woche gehen wir neu den Heilsweg des Herrn mit vom Einzug in
Jerusalem bis zu seiner Auferstehung. Jede Karwoche gehen wir neu den Weg durch den Karfreitag
hindurch zu Ostern. Die Nacht ist bedrohlich, dunkel und kalt und in der Nacht kommt das Handeln
der Menschen zum Vorschein: Judas, die Jünger, Kaiphas und Petrus werden in ihrer Gottferne
beschrieben.
Der Verräter Judas
Als Judas den Bissen Brot genommen hatte, fuhr der Satan in ihn. Jesus sagte zu ihm: Was du tun
willst, das tu bald! Als Judas den Bissen Brot genommen hatte, ging er sofort hinaus. Es war aber
Nacht (Joh 13,27;30).
Die Nacht des Verrats. Durch ein Zeichen der Freundschaft und der Vertrautheit verrät Judas seinen
Herrn und Meister. Die Nacht erscheint noch schwärzer als sonst. Alles hat sich verdunkelt. Verrat
schreit es in die Nacht hinaus. Und doch: Der Verratene lässt den Verräter gehn, denn es muss
geschehn.
Die angsterfüllten Jünger des Herrn
Da verließen ihn alle Jünger und flohen (Mt 26,57b).
Sie kamen dorthin mit Fackeln, Laternen und Waffen (Joh 18,3).
Die Jünger fliehen und lassen Jesus im Stich. Sie halten nicht zu ihm, weil sie es nicht mehr aushalten
können. Die Nacht der Gefangennahme macht ihnen Angst: Todesangst. Nur schnell weit weg von
hier, das kommt ihnen in den Sinn. Einfach verschwinden in die Dunkelheit der Nacht. Nur die
Fackeln der Ordnungsmacht werfen ihr verräterisches Licht auf Jesus.
Voller Hass: Kajaphas
Nach der Verhaftung führte man Jesus zum Hohenpriester Kajaphas (Mt 26,57).
Gleichsam in einer Nacht- und Nebelaktion wird das Urteil, das schon vorab festgesetzt wurde,
gesprochen: er ist schuldig und muss sterben. Mit allen Mitteln wird versucht, die Verhandlung
dahingehend zu manipulieren. Es wird ein Schauprozess. Jesus wird gedemütigt und geschlagen. Jesus
schlägt aber nicht zurück, er lässt sich ans Kreuz schlagen. Jesu stilles Leid wird zu einem lauten
Aufschrei gegen Unrecht und Gewalt.
Der leugnende Petrus
Simon Petrus stand am Feuer und wärmte sich. Wieder leugnete Petrus, und gleich darauf krähte ein
Hahn (Joh 18,25;27).
Petrus kann das Geschehen nicht verstehen. Die Nacht der Gefangennahme bringt ihn weit weg von
seinem Herrn. Er verleugnet ihn. In seinem Herzen ist es so dunkel geworden, dass er nichts mehr
sieht, nichts mehr spürt: Das Zeichen für das Reich Gottes ist eben nicht der Held mit dem
Lorbeerkranz, sondern der gekreuzigte Gottessohn mit der Dornenkrone.
Erlösung durch den Tod hindurch: Jesus
Von der sechsten bis zur neunten Stunde herrschte eine Finsternis im ganzen Land (Mt 27,45).
War in den vorangegangenen Strophen Nacht nur eine allgemeine Zeitangabe, wird sie nun zum Bild
für den Tod: Jesus stirbt. Da wird es Nacht. Diese Strophe besingt aber auch die befreiende Erlösung
durch das Sterben Jesu. Dies wird deutlich durch die erstmalige Abwesenheit des Wortes Sünde. Jesus
erleidet selbst die Gottesferne und überwindet sie für uns. Er bricht die Finsternis auf und reißt uns aus
dem sicheren Tod. Gerettet und erlöst sind wir durch Jesu Mitleiden und seine Treue bis in den Tod.
Die Nacht ist vorbei, der Ostermorgen ist angebrochen. Er durchbricht meine Nacht, er macht mein
Leben hell.
Das Lied überzeugt durch eine gelungene Verbindung von Text und Musik. Die Melodie geht gut ins
Ohr und kann auch ohne Begleitung sicher gesungen werden. Das lässt sich vielleicht darauf
zurückführen, dass der Autor neben Lehrer, Katechet und Dichter auch Kirchenmusiker mit einem
sicheren Gespür für die Praxis war. Mit diesem Lied kann z.B.: die Gemeinde an den jeweiligen
Stellen der Passion singend das Geschehene reflektieren.
http://gotteslob.dsp.at/sites/www.dsp.at/files/u195/032016.pdf