Kein Asyl – dennoch keine Abschiebung OÖN vom 5.1.2016 LINZ/WIEN. Die Zahl von Marokkanern, die in Österreich Asyl beantragen, steigt stetig. Eine Chance auf Asyl-Anerkennung haben sie kaum – und dennoch können sie nicht abgeschoben werden. Kein Abkommen mit Marokko: Österreich muss auf die freiwillige Rückkehr abgelehnter Asylwerber hoffen. Die Zahlen sprechen für sich: Exakt zwei von rund 300 Marokkanern wurde 2014 Asyl in Österreich zuerkannt. 2015 zeigt sich kein anderes Bild: Die Asylanerkennungsquote lag in beiden Jahren jeweils deutlich unter einem Prozent. Kein Wunder: Das Königreich im Nordwesten Afrikas ist kein Krisengebiet. Und dennoch suchten bis Ende November 2015 erneut 560 Marokkaner in Österreich um Asyl an – 150 davon allein im November. Tendenz rasant steigend. Denn Deutschland schiebt zuletzt regelmäßig einreisewillige Marokkaner über die Grenze nach Österreich zurück. Beispiel Sonntag: Da stammten nach Polizeiangaben mehr als zwei Drittel der rund 60 Flüchtlinge, die Deutschland nach Oberösterreich zurückwies, aus Marokko. Zwischenfälle bleiben nicht aus. Frust und Alkohol führten vergangene Woche im ehemaligen Postverteilzentrum in Linz, das als Durchzugsquartier für Flüchtlinge dient, zu einer Schlägerei, an der rund 20 Marokkaner beteiligt waren. Der für Flüchtlinge zuständige Landesrat Rudi Anschober (Grüne) sieht derzeit noch kein großes Problem speziell mit Marokkanern. Von den rund 12.000 in Oberösterreich in Quartieren des Landes untergebrachten Asylwerbern seien nur zwölf Marokkaner, sagt er. Allgemein stellt aber auch der Grünen-Politiker fest: Zwar sei ein wirtschaftlicher Fluchtgrund auch ein Fluchtgrund – "derzeit müssen wir die Priorität aber auf Kriegsflüchtlinge legen. Denn sonst kriegen wir nicht genügend Quartierplätze zusammen." Zu Abschiebungen sagt An-schober: "Wenn ein Asylbescheid negativ ist, gibt es zur Abschiebung derzeit keine gesetzliche Alternative." Als Landesrat müsse er die Gesetze einhalten. Da gibt es mit Marokko – wie mit etlichen anderen Ländern – aber ein Problem. Österreich hat kein Rückübernahmeabkommen mit Marokko. Was nichts anderes heißt, als dass Österreichs Behörden auf die freiwillige Rückkehr abgelehnter Asylwerber nach Marokko hoffen müssen. Zwangsabschiebungen nach Marokko sind nicht möglich. Nicht einmal bei abgelehnten Asylwerbern, die straffällig geworden sind – eine Erfahrung, die Innsbruck machen musste, wo Marokkaner den Cannabis-Handel kontrollieren. Mit Algerien (Asylanerkennungsquote 2014: 0,5 Prozent) gibt es dasselbe Problem. Beides ist den österreichischen Behörden schmerzhaft bewusst. Sie müssen sich aber gedulden. Derzeit führt die EU-Kommission sowohl mit Marokko als auch Algerien Verhandlungen über ein EU-weit gültiges Rückübernahmeabkommen. Verhandlungen über zwischenstaatliche Abkommen sind da nicht möglich. "Bisher war das nicht das große Problem, weil der Zustrom aus Marokko vergleichsweise gering war", sagen Exekutivkräfte hinter vorgehaltener Hand. "Sollten sich die Entwicklungen der vergangenen Monate aber verfestigen, brauchen wir rasch ein Abkommen." Anträge, Abschiebungen und Asylherkunftsländer Insgesamt rund 80.000 Asylanträge bis Ende November 2015: 560 Asylanträge von Marokkanern zählte das Innenministerium von Jänner bis Ende November 2015 (jüngste verfügbare Zahlen). Bei insgesamt rund 80.000 Asylanträgen im selben Zeitraum ist das zwar nur ein geringer Teil (0,7 Prozent). In den vergangenen beiden Monaten stiegen die Antragszahlen aus Marokko aber stetig. Woher kommen die meisten Asylwerber? Der größte Teil der Asylwerber, die 2015 in Österreich einen Antrag gestellt haben, stammt nach wie vor aus Syrien (bis Ende Oktober rund 30 Prozent), Afghanistan (24 Prozent) und dem Irak (16 Prozent). Wobei die Zahl der Anträge von Afghanen zuletzt rasant stieg – und in den Monaten Oktober und November jene aus Syrien übertraf. Wie viele Abschiebungen gab es 2015? 3040 Personen wurden von Jänner bis Ende November 2015 zwangsweise aus Österreich weggebracht – 1300 davon in andere EU-Länder („Dublin-Überstellungen“), 1740 in Länder außerhalb der EU. Dazu kamen 4384 freiwillige Ausreisen. Das ergibt insgesamt 7424 (ehemalige) Asylwerber, die Österreich verließen. Das sind zwar um 36 Prozent mehr als im Vergleichszeitraum des Vorjahres, noch viel stärker gestiegen sind freilich die Asylantragszahlen. Wohin führten die Abschiebungen? In den Kosovo (13 Flüge) sowie nach Bulgarien, Georgien/Armenien, Nigeria, Pakistan, Polen und Russland führte Österreich von Jänner bis Ende November 2015 insgesamt 29 Charterflüge/bzw. Bustransfers durch. 18 davon organisierte Österreich als Frontex-Rückführungen, an denen sich auch andere EU-Staaten beteiligen konnten. (mst/eda)
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