Öffnet Herzen und Türen

„Öffnet Herzen und Türen“
Aufruf der Pfarrerinnen und Pfarrer in der Evangelischen Kirche A. und H.B. in Österreich
an ihre Gemeinden, Presbyterinnen und Presbyter, Kuratorinnen und Kuratoren, die
Mitglieder in den Superintendenzen und im Kirchenpresbyterium, im Oberkirchenrat: Lasst
uns gemeinsam unser Möglichstes tun, den geflüchteten Menschen Unterkunft und
Aufnahme zu Teil werden lassen, die Gottes Gebote erfüllt, die Würde des Menschen
achtet und den Kinder- und Menschenrechten entspricht.
I.
Unser Herr Jesus Christus hat uns mit seinem Leben und Sterben dazu befreit, mutig und furchtlos
mitzuarbeiten am Reich Gottes in unserer Welt. Unsere Welt erlebt in diesem Sommer in einem
besonderen Ausmaß eine neuzeitliche Menschenwanderung. Menschen flüchten vor Gewalt, Terror,
Verfolgung, Hass, Intoleranz, Zukunftslosigkeit aus ihren Heimatorten und suchen Schutz, Frieden,
Zukunft und Gerechtigkeit. Diese Menschenwanderung heute wird uns alle verwandeln. Sie stellt an
jede und jeden einzelnen von uns die Frage: Bist Du bereit dazu?
Viele von uns können sich aus der eigenen Familiengeschichte an Krieg, Vertreibung, Flucht und
Aufnahme erinnern. Viele von uns wissen, wie bedrückend und gefährdend es sein kann, als
Minderheit in gewalttätigen Zeiten zu leben. Viele von uns wissen, in wie viel Schuld und Scham
unsere Vorfahren verstrickt waren, weil sie zu spät bekannt haben und zu zaghaft widerstanden. Wir
begreifen die besorgten und angstvollen Äußerungen auch als Erinnerung an die vergangenen
traumatischen Erfahrungen. Wir sind dankbar für alle spontanen und hoffnungsvollen Initiativen von
Menschen, die die Not sehen und zu „Nächsten denen werden“, die in unserer Zeit heute „unter die
Räuber“ (Lk 10, 36) gefallen sind. Der Wochenspruch (am 13. Sonntag nach Trinitatis) zu unserer
diesjährigen PfarrerInnentagung und Vollversammlung des Vereins der Österreichischen Pfarrerinnen
und Pfarrer in Österreich (VEPPÖ) mahnt uns, dass unser Herr Jesus Christus uns die Barmherzigkeit
als Quelle all unseres Tun und diakonischen Handelns aufgetragen hat: „Christus spricht: Was ihr
getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan.“ (Mt. 25,40)
Wir hören dieses Wort auch als Frage an uns und unsere Pfarrgemeinden, für die wir als Dienerinnen
und Diener am Wort Christi beauftragt sind: Bist Du bereit, Dein Herz und Deine Türen zu öffnen, und
Dich verwandeln zu lassen von der Barmherzigkeit in diesem Geschehen, dass es uns zum Glück eines
neuen Lebens werden kann?
Wir sind dazu bereit.
II.
Wir Pfarrerinnen und Pfarrer der Evangelischen Kirche A. und H.B. rufen heute alle Schwestern und
Brüder in unseren Pfarrgemeinden, alle, die in unserer Kirche Dienste, Ämter und Funktionen und
damit Verantwortung übernommen haben, damit wir gemeinsam wachsen als Leib Christi, dazu auf,
jetzt und in den kommenden Wochen und Monaten ihre Herzen und ihre Türen zu öffnen und mit
aller Kraft und Möglichkeit die Anstrengungen unserer diakonischen Gemeinden, unserer
Gemeindediakonie und der diakonischen Einrichtungen dahingehend tatkräftig zu unterstützen,
damit auch in unseren Pfarrgemeinden geflüchtete Menschen Unterkunft und Aufnahme finden
können. Jedes Kind und jeder Mensch ist Gottes Angesicht auf Erden und mit Würde zu begegnen.
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Kein Kind soll unbegleitet und schutzlos sein, keine Frau und kein Mann ausgeliefert und an Leib und
Leben gefährdet, kein Mensch ohne menschengerechte Chancen und Verfahren. Lasst uns
gemeinsam unser Möglichstes tun, den geflüchteten Menschen Unterkunft und Aufnahme zu Teil
werden lassen, die Gottes Gebote erfüllt, die Würde des Menschen achtet und den Kinder- und
Menschenrechten entspricht.
Wir bitten um die Behandlung folgender Fragen im Rahmen aller gemeindlichen Gremien:
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„Welchen Raum, welchen Wohnraum kann unsere Pfarrgemeinde zur Verfügung stellen?“
„Auf welchen Grundstücken können bis zum Winter Unterkünfte aufgestellt, eingerichtet
werden?“
„Auf welche Weise können wir beitragen, mit Einrichtungsgegenständen und Dingen des
täglichen Gebrauches Menschen wieder einen Raum zum Leben zu ermöglichen?“
„Auf welche Weise können wir die Flüchtlingshilfe der Diakonie Österreich in ihrer Arbeit
unterstützen?“
Wir bitten alle evangelischen Schwestern und Brüder, diejenigen in unserer Kirche, die sich für die
Aufnahme und Integrationsbegleitung von geflüchteten Menschen einsetzen, zu unterstützen mit
Worten und Taten.
Wir fordern unsere Superintendenten, unsere Oberkirchenrätinnen und -räte und unseren Bischof
dazu auf, sich nach Kräften dafür einzusetzen, dass sich die politischen Verantwortlichen in unserem
Land nicht ihrer Verantwortung entziehen und dass sie in den kommenden Wochen und Monaten
ihre Stimme erheben gegen jegliches Ausspielen von Bedürftigen, gegen menschenverachtende und
unbarmherzige Hetze und gegen Verängstigung und Intoleranz.
Wir beauftragen unseren Vorstand des Vereins der Evangelischen Pfarrerinnen und Pfarrer in
Österreich, unsere Denkschrift über den Evangelischen Pressedienst und an alle Superintendenzen
und Pfarrämter kund zu tun und auch dazu, mit unserem Aufruf in die außerkirchliche Öffentlichkeit
zu treten.
Bregenz, am Dienstag, den 1. September 2015
Initiative: Pfarrerin Dr. Margit Leuthold, Klinische Seelsorge AKH und EKH Wien; Pfarrerin Dr. Ines
Knoll, Lutherische Stadtkirche Wien; Pfarrer Mag. Arno Preis, Klinische Seelsorge AKH und EKH Wien
Unterschriften:
1. Pfarrer Mag. Manfred Perko, Evangelische Pfarrgemeinde Liebenau, Graz, Stmk. Stellv.
Vorsitzender VEPPÖ
2. Pfarrerin Maga. Anne Tikkanen-Lippl, Evangelische Pfarrgemeinde A.B. Mödling, NÖ
3. Pfarrer Mag. Hans Humber, Evangelische Pfarrgemeinde Timelkam, OÖ
4. Mag. Wolfgang Ernst, Vorstand VEPPÖ (Sektion)
5.
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