Hinweis: Die folgenden Textauszüge konnten wegen technischer Probleme (Verwandlung von PDF in WORD) nicht dem fertigen Buch entnommen werden. Sie sind dem noch wenig gestalteten Manuskript entnommen und sehen entsprechend anders aus als im fertigen Buch. Wir bitten dafür um Verständnis. Brigid und Rahimo 1 Rahimo Täube / Brigid S.Täube Drachenyoga Erfahrungen – Übungen – Hintergründe Heilige Schriften Handbuch Phänomen-Verlag 2 Inhalt Danksagung Vorwort – Der Natur in uns eine Stimme geben 10 Einführung - Praxis und Vision eines psychotherapeutischen Yoga 13 Kapitel 1: Schlange und Drache – Symbole für das Leben in uns 23 1.1 Der Verlust der Stammesgemeinschaft – Yoga als Zuflucht 1.2 Die Kundalini – ein Relikt der zerstörten Schlangenkultur 1.3 Der Drache in uns – ein Lebensgefühl 1.4 Unsere christlichen Wurzeln: Der Drache wird verbannt – und kehrt wieder 1.5 Wie und warum der Drachenyoga entstand Kapitel 2: Hathayoga – Den Drachen aufspüren und wiederbeleben 24 33 43 56 69 87 2.1 Heilsame Räume – Yoga im ständigen Wandel 2.2 Einführung – Grundlegende Körperübungen 2.3 Ein tranceartiges Yoga-Üben 2.4 Prana, die Atemkraft – zwischen Tun und Geschehen(lassen) 2.5 Der Weg zur Atemfülle – und die Hindernisse 2.6 Lässt die Yoga-Werteordnung Raum für Gefühle? 88 97 113 122 132 141 Kapitel 3: Psychotherapeutischer Yoga – Mit dem Drachen spielen, reden, fühlen 153 3.1 Körpergefühl – dem Körper eine Stimme geben 3.2 Vom direktiven zum dialogischen Yoga 3.3 Sich schlängeln – ein Dialog mit der inneren Schlange 3.4 Was Fühlen bedeutet: Die fünf Felder der inneren Bühne 3.5 Das Fühlen lernen – Der Drache wird heftig 154 163 179 183 191 3 Kapitel 4: Selber mal Drache sein – Ausdruck – Katharsis – Ekstase 199 4.1 Den Drachen befreien – Geschehen lassen 4.2 Rituale zum Aus-sich-rausgehen 4.3 Heftige Gefühle kreativ lenken – und verwandeln 4.4 Den Drachen zufrieden stellen, damit er Frieden gibt 200 210 220 226 Kapitel 5: Meditation und Bewusstheit – Der Drache wird friedlich – der Kopf wird frei 237 5.1 Viele Wege, den Kopf mal frei zu bekommen 5.2 Mein zehntägiges Meditieren – Einfach-Dasein 5.3 Der Sog zum Einfach-Dasein – der Ruhetrieb (S. Freud) 5.4 Die aufgeklärte Mystik des Patanjali – praktische Übungen 238 246 257 268 Kapitel 6: Selbstliebe und Verbundenheit – Drachenpräsenz im Alltag und in Beziehungen 283 6.1 Bewusstheit – auch im Alltag 6.2 Wie die Vaterkraft meine Beziehung bereicherte 6.3 Einen entspannten Beziehungsraum herstellen 6.4 Drachenpräsenz in der Partnerschaft 6.5 Drachenrituale – Gemeinschaft lernen 284 294 302 308 320 Kapitel 7: Drachenweisheit – Yoga-Leitbilder neu beleuchtet 335 7.1 Von der Stammeskultur zum Kastensystem 7.2 Shiva – Entwurzelte suchen neue Wurzeln 7.3 Upanishaden und Buddha – die spirituelle Gegenkultur 7.4 Yoga in der Bhagavad-Gita: Folge Deiner Kastenpflicht! 7.5 Vedanta – die Einheit der religiösen Vielfalt 7.6 Unser Leben – im Kreislauf von Tun und Geschehen(lassen) 336 347 356 369 387 393 Verwendete Literatur Die Autoren 403 422 4 ………. Einführung Praxis und Vision eines psychotherapeutischen Yoga Die Essenz des Yoga – ein freier Kopf …….Viele unserer Schüler*innen wollen im Yoga hauptsächlich mal wieder ihren Kopf frei bekommen und ihr Chaos im Kopf ordnen. Sie wissen und spüren aber, dass ihr Gedankenchaos mit dem Gefühlschaos zusammenhängt und von ihm in Gang gehalten wird. Deshalb wollen sie auch ihre Gefühle ausdrücken und ihr Gefühlsleben wieder einigermaßen ordnen und ins Gleichgewicht bringen. Allerdings ist dies mit klassischem Hathayoga nicht so einfach zu erreichen. Deshalb haben wir viele neue Übungen entwickelt, die von den klassischen Übungen abweichen und sie kreativ ergänzen. Da kommt dann gelegentlich die Frage auf: Ist das denn noch Yoga? Der Yoga – im ständigen Wandel Was ist denn „der Yoga“? Was ist der „wahre Yoga“? Yoga hat sich im Laufe seiner langen Geschichte viele Male grundlegend verändert – je nach sozialen und kulturellen Umständen. So ist beispielsweise der beliebte und berühmte Sonnengruß (suryanamaskar), dieser beschleunigte Yoga, ein Produkt des beschleunigten 20. Jahrhunderts. Erfahrungsgemäß suchen und gestalten die Menschen sich immer den Yoga, von dem sie glauben, dass er ihnen und anderen weiterhilft. Auch wir tun das. Beim Import in den Westen hat der Yoga seine einstige asketisch-patriarchale Strenge und Härte weitgehend verloren. Das ist gut so. Er wird von heutigen Anhänger*innen meist weicher, menschlicher und natürlicher praktiziert. Yoga ist heute für viele Menschen eine wunderbare Kraftquelle. Wenn wir erschöpft sind, dann können wir in den Yoga-Haltungen, den Asanas, neue Kraft schöpfen. Bis unser Energietank wieder einigermaßen gefüllt ist, so dass wir wieder normal funktionieren können. Vielen genügt das. 5 Aber vielen anderen genügt das heute nicht mehr. Viele sind empfindsamer und anspruchsvoller geworden. Sie haben erkannt, dass sie mehr brauchen, als sich nur zu regenerieren. Viele fragen sich inzwischen: Ist der landesübliche Hathayoga noch geeignet, mir dieses Mehr zu bieten und meine tieferen seelischen Bedürfnisse zu erfüllen? Bekanntlich wurde die altbewährte Yoga-Heilkunst nicht für typisch moderne Probleme geschaffen. Unsere heutigen psychosozialen Nöte, etwa Vereinzelung, Leistungsdruck, Dauerstress und Gefühlsstau, fordern uns heraus, ganz neu nachzudenken über das, was wir mit Yoga erreichen können – und was nicht…… Die Erweiterung der Kundalini-Theorie Der hier angebotene Yoga ist nicht einfach eine weitere Yoga-Methode, sondern er beruht auf einer grundsätzlich anderen geistigen Haltung zur Yoga-Tradition und zum Yoga-Geschehen. Zu dem, was auf unserer Inneren Bühne geschieht. Für diese erweiterte Praxis braucht es auch eine weiter gefasste Theorie, eine Vision: Der klassische Yoga bietet uns schon ein Konzept an. Nach ihm soll die Kundalini, die in unserem Beckenboden ruhende Schlangenkraft, befreit werden. Sie soll dem traditionell vorgezeichneten Weg folgen, der für alle der gleiche ist: vom Beckenboden ausgehend – durch die einzelnen Chakren – die Wirbelsäule aufwärts – bis zum Scheitel. Diese Lehre erschien uns irgendwann allzu festgelegt und zu wenig offen. Die abweichenden, befreienden Erfahrungen, die wir und viele andere mit der Schlangenkraft machten, finden in diesem engen Konzept keinen Platz und keinen Ausdruck. Also haben wir das Konzept erweitert und umgestaltet. So ist aus dem Bild von der inneren Schlange die Vision vom inneren Drachen entstanden. Die Vision vom inneren Drachen Um zu dem heute weit verbreiteten positiven Drachenbild zu gelangen, müssen wir erst einmal die uns tief eingeprägten christlich-patriarchalen Bilder von der „bösen Schlange“ und dem „bösen Drachen“ aus unseren Köpfen vertreiben. Hier der mythologische Hintergrund – zunächst einmal in aller Kürze: 6 Die Schlange wurde ursprünglich, in der Ur- und Frühgeschichte, als heilbringendes, göttliches Wesen verstanden und verehrt. Als positives Symbol für das Leben und für den Kreislauf des Lebens. Dann allerdings wurde sie, im jüdisch-christlichen Mythos vom „Sündenfall“, von Gott höchstpersönlich verflucht (1. Mose 3, 14-15). Sie wurde zum „bösen Drachen“, zum „Satan“ erklärt, verteufelt, niedergekämpft und verbannt (Offenbarung, Kap. 12 und 20). Diese Umdeutung wirkte einige tausend Jahre lang. Und wirkt bis heute in vielen Köpfen beharrlich weiter. Doch seit einigen Jahrzehnten, seitdem die Deutungshoheit der Kirche rapide schwindet, erleben wir eine erneute Umdeutung, eine erfreuliche Wende in der Wahrnehmung der Schlange und des Drachen. Die ursprünglichen, vorpatriarchalen Bilder werden, besonders von Frauen, wiederbelebt. Der Drache kehrt in der öffentlichen Bilderwelt aus seiner Verbannung zurück. Gegenwärtig wird er, als positive Figur, zunehmend rehabilitiert und respektiert. Dieses aktuelle, positive Drachenbild greifen wir auf, um es hier zu verwenden. In diesen ursprünglichen Bildern sind Schlange und Drache Symbole für das Leben, für unsere Lebensenergie. Im Yoga geht es darum, diese Energie ins Fließen zu bringen. Nach einigem Üben können wir sie als pulsierende und strömende Energie leibhaftig empfinden und bewusst wahrnehmen. Wir verwenden das Bild des Drachen für das Leben, das wir in uns fühlen können, für ein neues Selbstgefühl und Lebensgefühl. Für die Freude an diesem Sich-lebendig-fühlen, für die Freude am Dasein. Der Drache steht aber auch für das noch nicht Gefühlte, für das noch Unbewusste. Er steht für unsere inneren Triebkräfte, für die Energie, die sich in Handeln umsetzen will. Der Begriff Drache mag an das Freud`sche Es erinnern, ist aber etwas Umfassenderes. Er ist kein präziser psychologischer Begriff, der zur strengen Analyse taugt. Er ist eher eine poetisch-mythische, spielerische Metapher, mit der wir über die Imagination unsere Selbstwahrnehmung anregen und ausgestalten können. Mit der wir unser Selbstbild bestärken können: Wir sind von Natur aus energetische, handlungsfähige, spirituelle und auch wehrhafte Wesen…. Drachenyoga – das Spiel mit dem inneren Drachen Im Drachenyoga praktizieren wir die vertrauten Yogaübungen, jedoch mit einer besonderen inneren Ausrichtung. Sie könnte heißen: Mit dem Drachen in uns spielen, atmen, kommunizieren, fühlen. 7 Wir wollen nicht nur vorgegebenen Programmen folgen und dem Körper Weisungen erteilen, wie er sich zu bewegen und zu atmen hat, sondern auch auf ihn, auf sein Befinden und seine Bedürfnisse lauschen. Wir gehen nicht nur in ein direktives Verhältnis zu ihm, sondern auch in ein dialogisches. Das traditionelle Yoga-Konzept tendiert dazu, den Körper wie ein Objekt zu behandeln. Da wird eingewirkt auf Glieder und Gelenke, Organe, Chakren und Hormone. In diesem Konzept hier soll der Körper eher als ein Subjekt begriffen werden. Als ein beseeltes Wesen, mit dem wir in Dialog treten. Denn er hat uns auch viel zu sagen. Nämlich das, was er dringend braucht und wünscht. Körper und Seele wollen fühlen und gefühlt werden. Und die Gefühle ausdrücken. Im Drachenyoga lassen wir dafür den nötigen Raum. Hier wird ein Yoga vorgestellt, der viel mehr auf individuelle Belange eingeht, als es im Konzept des klassischen Yoga vorgesehen ist. Ein Yoga, der unser ganzes Lebenspotential mobilisieren kann. Nicht nur die vertraute Schlangenkraft, sondern auch ihren großen Bruder, den inneren Drachen….. Dem Drachen begegnen – und ihn zähmen Wir möchten Dir Anregungen und Anstöße geben. Und Sehnsucht wecken, Deinem eigenen inneren Drachen zu begegnen und ihn zu zähmen. Das bedeutet, mit ihm vertraut zu werden. So erklärt es der Fuchs in der Geschichte vom Kleinen Prinzen: Zähme mich! Auch der Drache will gezähmt werden. Er will aus seiner Einsamkeit und Verbannung erlöst und verwandelt werden. Der Dichter Rainer Maria Rilke kann Dir vielleicht helfen, Dich mit diesem Drachenbild anzufreunden. Er fühlt sich in die alten Drachenmythen ein und schmückt sie mit poetischen Bildern aus. Rainer Maria Rilke über die Drachen: "Wie sollten wir jener alten Mythen vergessen können, die am Anfange aller Völker stehen, der Mythen von den Drachen, die sich im äußersten Augenblick in Prinzessinnen verwandeln; vielleicht sind alle Drachen unseres Lebens Prinzessinnen, die nur darauf warten, uns einmal schön und mutig zu sehen. Vielleicht ist alles Schreckliche im tiefsten Grunde das Hilflose, das von uns Hilfe will." (Rainer Maria Rilke: Briefe an einen jungen Dichter, 12.08.1904) 8 KAPITEL 1: SCHLANGE UND DRACHE SYMBOLE FÜR DAS LEBEN IN UNS 9 1.1 Der Verlust der Stammesgemeinschaft – Yoga als Zuflucht …..Entstehung des Yoga – Von der Gemeinschaft zur Vereinzelung …….Wie kam es dazu, dass einzelne Menschen sich alleine auf den Yoga-Weg machten, um eine neue Identität zu suchen? Wie kam es überhaupt zu dieser historisch völlig neuen Vereinzelung der archaischen Menschen? Um das zu verstehen, müssen wir wissen: Vor der Entdeckung des Yoga lebten die Menschen grundsätzlich in Stammesgemeinschaften. So bildete sich in ihnen eine Stammesidentität, das sichere Gefühl, Teil eines Stammes zu sein. Das Kontinuum des Stammeslebens war ihre soziale und zugleich auch spirituelle Heimat. Der Yoga entstand erst, nachdem die indischen Stammeskulturen durch patriarchale Gewalt zerschlagen wurden. Jahrhundertelang verloren Massen von Menschen ihre Angehörigen, ihre Zugehörigkeit und ihre bis dahin sichere soziale Identität. Ganze Generationen scheinen traumatisiert worden zu sein. Um diesen traumatischen Verlust zu verkraften und auszugleichen, zogen sich viele, vermutlich trauernd und orientierungslos, erst einmal in sich selbst zurück. Sie beschäftigten sich länger, als es bis dahin üblich war, mit sich selbst. So lernten sie zu meditieren und entdeckten dabei neue, beglückende innere Zustände. So fanden sie im Yoga ihre Zuflucht, eine neue Art von Kontinuum. Sie fanden etwas Sicheres, Beständiges und sogar „Ewiges“ im eigenen Inneren. Als Vereinzelte schufen sie sich eine neue, eine spirituelle Identität. Von den Stammesgemeinschaften lernen Hier setzen unsere Fragen ein: Ist dieses vereinzelte Kontinuum ein angemessener Ausgleich für den Verlust des gemeinschaftlichen Kontinuums? Ist das Konzept eines individualisierten Weges ausreichend für das soziale Wesen, das wir Menschen sind? Aus der Perspektive der Stammeskultur erscheint die Yogakultur als das Unternehmen vieler Einzelner, sich individuell zu retten und zu optimieren. Dem Einzelnen geht es dabei mehr um das Ich – und weniger um ein Du und ein Wir. Es geht vorrangig um das Individuelle und weniger um das Gemeinschaftliche. Das ist von Anfang an das Selbstverständnis des Yoga. Doch das könnte und sollte sich gegenwärtig wandeln, weil wir heutigen Westler schon allzu sehr vereinzelt sind und dringend mehr Gemeinschaft brauchen. 10 Im heutigen Yoga fehlt mir, und manchen anderen auch, die Brücke vom Ich zum Du und die Einbettung in ein Wir. Es fehlt das Erlernen sozialer und emotionaler Kompetenzen. Deshalb schufen wir den Drachenyoga, der ja auch ein Sozialer Yoga ist und auf unsere existentiellen Bedürfnisse nach Gemeinschaft eingeht……. 1.2 Die Kundalini – ein Relikt der zerstörten Schlangenkultur …..Die Schlangenkraft in den alten Schlangenkulturen In Indien und anderen Ländern werden uns zahllose mythische Geschichten, Bilder und Skulpturen überliefert. In ihnen werden häufig Menschen und göttliche Wesen dargestellt, die mit den Schlangen noch interaktiv und eng verbunden sind: Sie sind mit Schlangen geschmückt und nutzen sie als Krafttiere. Sie werden von Schlangen beschützt oder sind selbst halb Mensch, halb Schlange. Sie verehren und feiern die Schlangenkraft in religiösen Mysterienfesten, in gemeinschaftlichen, ekstatischen Ritualen. In diesen Bildern nehmen die Schlangen, als allumfassende, göttliche Wesen, noch viel Raum ein, nehmen am sozialen Leben teil, sind aktiv, äußerlich sichtbar und präsent. Sie werden als kraftvolle, erwachte Wesen gezeigt. Sie müssen nicht erst noch geweckt werden, wie in der späteren Kundalini-Praxis. So hat sich beispielsweise bei Shiva, dem mythisch-göttlichen Urvater des Yoga, die Schlange noch nicht zur Ruhe gelegt. Shiva, der ruhelos Wandernde und Suchende, ist noch von Schlangen umringelt. Sie winden sich als kraftvolle Begleittiere um seinen Hals und seine Schultern, als Zeichen seiner Würde und schamanischen Macht….. 1.3 Der Drache in uns – ein Lebensgefühl …..Mit dem Drachen umgehen – aber wie? Vielleicht hast Du eine vage Ahnung oder bist Dir voll bewusst, was für ein Drache da in Dir lauert. Vielleicht weißt Du, welche Situationen und Anlässe er gerne nutzt oder nutzen möchte, z.B. Stress, Überforderung, Frust, Gereiztheit, Ärger, um mal wieder richtig auszurasten. Wir haben unendlich viele Möglichkeiten, mit Ihm umzugehen….. 11 Lena – Vom Burnout zur Entdeckung der Drachin Sie ist eine ältere, sehr engagierte Sozialpädagogin. Was sie über ihr Leben erzählt und schreibt, fasse ich hier mit meinen Worten zusammen: „Ich war die älteste von drei Geschwistern, fühlte mich immer verantwortlich, musste und wollte oft sogar die Mutter ersetzen. Meine Laufbahn als Sozialpädagogin hatte ich als idealistischer „Gutmensch“ begonnen. Ich hatte für alle Verständnis, wollte es allen recht machen, wollte allen helfen, die in Not waren. Ich konnte mich noch nicht wehren und abgrenzen. So hab` ich mich gnadenlos überfordert und mich auslaugen lassen. Ich kam in eine existentielle Krise mit Krankheit und Burnout-Syndrom. Und wurde berufsunfähig. Innehalten war angesagt. Ich war genötigt, eine mehr als einjährige Auszeit zu nehmen, machte verschiedene Psychotherapien, vor allem Körpertherapien. Vieles musste ich mühsam lernen: Mich selbst wahrnehmen und ernst nehmen, meine Grenzen spüren, anderen Grenzen setzen, mich schützen und behaupten und immer öfter Klartext reden: „Nein! So geht das hier nicht.“ In hilfreichen therapeutischen Prozessen entdeckte ich die vitale Ebene, meine Körperlichkeit, meine eigene Kraftquelle. Ich musste sie erst freischaufeln, um daraus schöpfen zu können.“ Lena arbeitet wieder in ihrem alten sozialen Beruf, aber mit neuem Selbstbewusstsein, mit Klugheit, Leidenschaft und Hingabe. Allerdings ohne sich aufzuopfern. Sie schildert ihre neue Position mit drastischen Worten: „Ich brauche regelmäßig meinen dynamischen Yoga, brauche immer wieder diese Vitalisierung, um aus den sozialpädagogischen Fallstricken, dem defensiven Ausgeliefertsein heraus zu kommen. Um die Situationen zu gestalten und zu meistern! Dafür brauche ich etwas, was mir Kraft und Klarheit gibt, etwas Animalisches. Ich brauche die Drachin in mir, um beruflich und privat meine Frau zu stehen! Meine Klienten stehen sozial und energetisch ganz woanders als ich. Sie agieren sehr vital, derb und direkt. Ich bin ihnen nur gewachsen, wenn meine Drachin mir als Krafttier vital zur Seite steht.“……. 12 1.5 Wie und warum der Drachenyoga entstand …..Wie wir Kriegskinder das Fühlen verlernten Als Kriegskind, Jahrgang 1942, bin ich noch mit den Kraftsprüchen der Nazizeit aufgewachsen. „Hart wie Kruppstahl“ sollten wir damals sein, und die meisten legten sich auch einen gewissen seelischen Schutzpanzer zu, um an den Härten und Schrecken des Krieges nicht zu zerbrechen. Schon als Kleinkinder lernten wir, uns zusammenzureißen, Schreckliches auszuhalten, durchzuhalten und tapfer durchs Leben zu gehen. Das materielle Überleben hatte absoluten Vorrang. Die Väter waren zumeist abwesend. Überlastete, erschöpfte und dennoch tatkräftige, zupackende Mütter lebten es uns vor: Man musste handlungsfähig bleiben, funktionieren und nach vorne schauen, um zu überleben. Man durfte sich seinen Gefühlen, seinen Schwächen und dem inneren Schweinehund, wie es damals hieß, nicht hingeben. Wir lernten, Angst, Schmerz und Trauer zu übergehen, sie nicht mehr zu fühlen. Wir lernten, unsere Gefühle tapfer abzutöten, bevor sie überhaupt fühlbar wurden. Über die tiefen seelischen Verwundungen, die viele mit sich trugen, wurde nicht gesprochen. Seelisches Leid wurde tief im Inneren vergraben. In den Verspannungen der verängstigten Körper wurden die unerträglichen Erinnerungen gespeichert….. Yoga – und der kritische Geist der 70er Jahre Im Alter von Mitte 20 fand ich in Indien eine neue spirituelle Heimat. Meine ganze Leidenschaft galt der indischen Kultur und der Kritik der westlichen. So lernte ich auch den Yoga kennen und wurde bald darauf selbst ein begeisterter Yogalehrer. Ich lernte das altindische Sanskrit und übersetzte alte Yogatexte aus dem Sanskrit in ein zeitgemäßes, ansprechendes Deutsch, wie z. B. die BhagavadGita und Patanjali. Der erwachte und belebende Geist der 70er Jahre lehrte mich, mich selbst und die Gesellschaft neu zu sehen. Aus dieser neuen Perspektive konnte ich auch den Yoga und die indische Mystik ganz neu einordnen: Als soziale und psychologische Phänomene. Yoga und Mystik begriff und präsentierte ich, sozialgeschichtlich, als Teil einer altindischen, freiheitssuchenden Gegenkultur, die sich außerhalb des 13 Kastensystems bildete. Yogis und Buddhisten waren, so gesehen, Streikende und Aussteiger im besten Sinne. Sie verweigerten sich der leidvollen normalen Welt und suchten, in ihrem Inneren, nach einer besseren Welt. In dieser Tradition zu stehen, das bestärkte mich und hob mein Selbstwertgefühl. Im geistigen Klima der politisierten 70er Jahre wurden Yoga und Meditation noch häufig als „Nabelschau“, als „asozial“ und „Weltflucht“ abqualifiziert. Das forderte mich heraus, dieses „Nichtstun“ in einem ganz neuen Denkmodell darzustellen – als ein Inneres Tun. Als etwas für viele Lebensnotwendiges. Die Aufwertung von Yoga und Meditation als sinnvolle innere Tätigkeit hat bis heute vielen Menschen geholfen, sich die Beschäftigung mit sich selbst eher zu erlauben. Sie werden ermutigt, sich selbst mehr Zuwendung zu geben, ohne Schuldgefühle haben zu müssen. Der Yogaweg wird mir zu eng Durch die kritische Neu-Interpretation der klassischen Texte bekam ich einen geweiteten Blick für die Essenz des Yoga. Er half mir, die überlieferten Konzepte des Hathayoga kritisch zu sehen und zu erweitern. Mit meiner abweichenden inneren Haltung konnte ich mich im damals recht orthodoxen deutschen Yogabetrieb bald nicht mehr wohlfühlen. Er war mir zu reglementiert, zu perfektionistisch, zu konformistisch, kurz gesagt: etwas zu deutsch. Die leidvolle Disziplinierung des inneren Drachen, die wir im Alltag ohnehin schon leisten müssen, setzte sich im Yoga fort: Da erlebte ich oft einen starren Rahmen mit einer beklemmenden Atmosphäre von Heiligkeit. Da spürte ich viele ungelöste Spannungen in der Luft. Viele hatten Angst, die beim Entspannen frei werdenden Gefühle, etwa Ärger, Lust oder Traurigkeit, zuzulassen oder gar zu zeigen. Erst allmählich begriff ich: Hinter unseren Spannungen verbergen sich verdrängte Gefühle, auch unbewältigte tiefsitzende Traumata, die selbst mit bester Yogatechnik nicht einfach weggemacht oder wegmeditiert werden können. Ich war bereit, tiefer zu fühlen. Aber die Yoga-Größen jener Zeit verkündeten: Gefühle haben im Yoga nichts zu suchen, man muss sie überwinden…… 14 KAPITEL 2: HATHAYOGA DEN DRACHEN AUFSPÜREN UND WIEDERBELEBEN 15 2.2 Einführung – Grundlegende Körperübungen ………Die Rückseitendehnung Hier nun eine weitere grundlegende Übung, die offiziell Rückseitendehnung genannt wird. Das Hathayoga-Lehrbuch (1500 n. C.) beschreibt diese Haltung so: Svatmarama lehrt: Man soll beide Beine gerade auf dem Boden ausstrecken, mit den Händen die beiden großen Zehen halten, und so verweilen – die Stirn auf die Knie gelegt. Das wird Rückseitendehnung genannt. (I/28) Diese Rückseitendehnung – die wichtigste unter den Körperhaltungen – lenkt den Atemenergiestrom (prana) den Rücken entlang, entzündet das Feuer der Verdauung, verringert den Bauch und bringt dem Übenden Gesundheit. (I/29) Ich nehme mir die Freiheit, diese Haltung Muschel zu nennen. Denn das klingt weniger anatomisch, verhilft zu einem deutlicheren Körperbild und einem lebendigeren Körpergefühl. ÜBUNG: DIE MUSCHEL – UND IHRE PERLE Du sitzt am Boden und beugst Dich über die ausgestreckten Beine – und verweilst so. Du kannst Dich wie eine Muschel fühlen: Unten eine feste Schale – die Beine. Oben eine feste Schale – der Rücken. In der Mitte das Weiche, Bewegliche, Atmende – Bauchraum und Herzraum. Vielleicht spürst Du die darin versteckte Perle..... Wenn Du die Zehen mit den Händen nicht erreichst, nimm ein Tuch zu Hilfe, leg es um die Fußsohlen und ziehe damit den Rumpf näher zu den Beinen hin. Wichtig ist, die Kniekehlen am Boden zu lassen, damit auch die Rückseite der Beine gedehnt wird. In angemessener Dosierung. Mit der Dehnungsgrenze angemessen umgehen Jede Dehnung hat ihre Grenze, an der es schmerzhaft wird. Jeder hat seine ganz persönliche Dehnungsgrenze. Es ist wichtig, sie wahrzunehmen und zu respektieren. 16 An dieser Grenze kannst Du einen belebenden Dehnungsreiz spüren. Wenn Du ihn ganz natürlich wirken lässt, dann wird er Deine Atmung aktivieren. Du wirst wahrscheinlich tiefer einatmen müssen und wollen. Sinnvoll ist es, Dich mit Hilfe des vertieften, bewussten Atmens an der Dehnungsgrenze entlang zu tasten: Kannst Du vielleicht noch ein bisschen mehr in die Dehnung hineingehen? Geht das, ohne dass der Dehnungsschmerz zu stark wird und – als Gegenreaktion – erneute Spannung erzeugt? Am Beispiel dieser gedehnten Haltung lässt sich grundlegend zeigen, auf was es bei einem sensitiven Yoga auch ankommt: Auf den stimmigen Umgang mit der Schmerzgrenze. Es geht nicht vorrangig um die Körperleistung, etwa darum, besonders dehnfähig und gelenkig zu sein. Sondern um das Körper- und Atemgefühl, das durch die Dehnung bewirkt wird. Körperleistung und Körpergefühl Vielleicht gehörst Du zu denen, die nicht so gelenkig sind und deshalb klagen: „Ich kann diese Übung nicht, die schaff ich nie, da tut mir alles weh.“ Vielleicht bist Du dann abgeschreckt – von dieser Übung und vom Yoga überhaupt. Das wäre sehr schade. Der Grund für dieses Nicht-Gelingen liegt nicht nur in Deinen Gliedern und Gelenken, sondern im Leistungsanspruch, den Du glaubst erfüllen zu müssen. Es ist schade, wenn die Aura der Korrektheit so viel Macht über uns gewinnt. Und wenn der Anspruch so hoch geschraubt wird, dass viele damit überfordert sind – und sich dann als unfähig erleben. Von diesem hohen Maßstab möchte ich hier Abstand nehmen. Denn es soll uns hier nicht auf sichtbare Präsentationen ankommen, sondern auf fühlbare innere Prozesse. Entscheidend ist also nicht, wie toll man seine Glieder dehnen kann, also wie weit man seine Dehnungsgrenze hinausschieben kann. Sondern, was man an der Dehnungsgrenze erlebt. Und wie man mit ihr umgeht. Wir brauchen Grenzen, Widerstände und ein Gegenüber, um uns zu spüren. An der Dehnungsgrenze, oder Schmerzgrenze, erleben wir einen natürlichen Widerstand – und dadurch spüren wir hier mehr von uns selbst. Wir können diesen gering dosierten, aktivierenden Schmerz meiden – oder als Chance nutzen. Wir können uns mit ihm auseinandersetzen und auf diese Weise 17 eine begrenzte Körperpartie genauer fühlen und uns bewusst machen. Und uns ein Stück des eigenen Körpers bewusst aneignen….. 2.3 Ein tranceartiges Yoga-Üben Selbstwahrnehmung und Selbstveränderung Das Körper-Spüren ist meist erst möglich durch ein Körper-Verändern. Denn unser innerer Spürsinn ist überfordert, dort etwas zu spüren, wo alles so ist wie immer. Wir sind gewohnt, Sensationen eher wahrzunehmen als irgendetwas Unscheinbares. Sensation bedeutet ja ursprünglich nur: Sinnesempfindung. Es bedeutet eigentlich, alles zu empfinden, was wahrnehmbar ist, auch das Unscheinbare, scheinbar Unbedeutende. Diese Wort-Bedeutung ist uns ziemlich verloren gegangen. Heute meint Sensation bekanntlich: Herausragendes, Auffälliges, Lautes, Spektakuläres, also einen besonderen Kick. Den braucht man heute anscheinend, um etwas zu spüren, um sich zu spüren. Wegen des fehlenden Kicks sind bestimmte konzentrative Methoden wie Autogenes Training oder meditative Spürübungen bei vielen nicht so wirksam. Übende werden leicht ungeduldig und frustriert. Dann klagen sie: „Ich spüre da nichts, da ist nichts los“. Sie haben noch keinen Draht zu sich selber. Noch kein Gefühl für das Unauffällige in sich. Wo soll der innere Draht auch herkommen, wenn er irgendwann in der Kindheit oder Jugend abgerissen ist? Es ist also nötig, ihn allmählich und geduldig wieder zu knüpfen. Dazu braucht es zwei Enden, wie bei einer klassischen Telefonleitung: Zum einen: Der Kopf, das Bewusst-sein, muss sich erst mal für das Körper-sein interessieren, muss es – unter den zahllosen Sensationsangeboten – auswählen, anwählen, anrufen und sich mit ihm beschäftigen wollen. Zum anderen: Das Körper-sein muss auch schon ein bisschen interessant sein, damit sich der Anruf lohnt. Genau dazu dient Hathayoga: Je mehr der Körper vorbehandelt ist, je mehr innerlich passiert, je mehr energetische Sensationen stattfinden, desto leichter fällt die Selbstwahrnehmung. Es geht also darum, den Körper möglichst effektiv und zugleich sensitiv in diesen energetischen Zustand zu führen. 18 Ein tranceartiges Pendeln – im Atemrhythmus Um diesen Prozess zu beschleunigen ohne zu pushen, haben wir eine etwas dynamischere Übungsform entwickelt, das rhythmisch-fließende, tranceartige Üben. Dabei pendeln wir im Atemrhythmus eine Weile zwischen zwei Polen, zwischen einer Haltung in bewusster Anspannung und einer Haltung in bewusster Entspannung. Es ist eine ständige Pendelbewegung – ohne ein Anhalten. Wir steigen hinunter in die Entspannung, in die Tiefe und steigen wieder hoch für die nächste Anspannung. Danach steigen wir wieder hinab. Diese ständige kreisende Wiederholung kann uns in einen Trance-Zustand führen. Vom Kopf in den Körper. Hier ein Beispiel für das Pendeln zwischen zwei einfachen Asanas……….. ÜBUNG: PENDELN ZWISCHEN KAMEL UND ERDHALTUNG……… …………… …………. ………... …………… ………………… Das Geheimnis des rhythmischen Pendelns Diese Bewegungsfolgen sind allgemein sehr beliebt. Sie sind vor allem sehr einfach. Du kannst sie leicht und schnell lernen und verinnerlichen – und dadurch auch eigenständig üben. Eine gute Chance, vom Kopf mehr in den Körper zu kommen….. …….Allmählich wirst Du ganz zur Bewegung und bist ganz Körper. Bei den meisten Übenden verschwinden die Gedanken und machen die innere Bühne frei für ein neues Körpergefühl. Du kommst in einen energiegeladenen Trancezustand. Vielleicht ähnlich wie beim Trance-Tanz. So kannst Du Dich noch besser Deinem Atem- und Bewegungsflow hingeben. In diesem Flow hast Du genügend Muße, den tieferen Geheimnissen Deiner Atemkraft auf die Spur zu kommen. Und in diesem aktivierten und belebten Zustand ist es auch leichter, Dein inneres Pulsieren wahrzunehmen – z.B. in der folgenden Übung: ÜBUNG: DEIN HERZ STREICHELN Du konzentrierst dich darauf, Deinen Puls zu spüren – irgendwo, wo er leicht spürbar ist. Vielleicht am Handgelenk, am Hals, am Bauch oder direkt am 19 Herzen. Du fühlst das Pulsieren in Dir wie ein Pochen. An einer Stelle oder gleich an mehreren. Dann spürst Du Dein Herz schlagen und bleibst mit ihm in Verbindung – über das Atmen. Du kannst nun das Pulsieren mit dem Atmen verbinden: Drei Pulsschläge einatmen und drei Pulsschläge ausatmen. Oder zwei oder vier, je nach Befinden. Die Hauptsache: Du findest einen Rhythmus, der Dich trägt. Stell Dir vor: Dein Atem streicht, wie ein Atemwind, zwischen Bauch und Kopf, ständig auf und ab. Er streicht an Deinem Herzen vorbei und um Dein Herz herum. So streichelst Du Dein Herz von innen – mit jedem Atemzug. Du bist liebevoll zu Dir selbst. Dabei lässt Du Dein Herz aufgehen, lässt Deinen Herzraum offener und weiter werden. Und lässt die Sonnenstrahlen herein scheinen…… 2.6 Lässt die Yoga-Werteordnung Raum für Gefühle? Selbstgefühl und Selbstlosigkeit …….Die zwei Modelle zeigen uns: Die innere Fülle können wir auf zwei unterschiedliche Weisen erleben. Wir können uns als Floß verstehen oder als Segelboot. Das Floß steht für Hingabe und Ichlosigkeit, das Segelboot für Selbstbestimmung und Selbstgefühl. Beide Modelle sind in der mystischen und gesellschaftlichen Tradition bedeutsam geworden. Beide sind von ihrer Gesellschaft und vom jeweiligen Zeitgeist beeinflusst: Im Westen hat sich das Streben nach Selbstbestimmung und Individualität ausgebreitet. Diese Werte haben wir zumeist tief verinnerlicht….. …..In Indien dagegen…..haben sich unsere westlichen Werte – Menschenwürde, Menschenrechte, Selbstbestimmung – bisher kaum durchsetzen können. Dort wirkt die traditionelle Moral der Selbstlosigkeit noch sehr mächtig. Das rigide Kastensystem verlangt vom Einzelnen, sich einzufügen in sein Dharma, in den von der gottgegebenen Ordnung vorgezeichneten Weg – und persönliche Gefühle zurückzustellen…... 20 Die Yoga-Werteordnung in der Bhagavad-Gita Die kastengesteuerte Lebenshaltung der Ichlosigkeit wird auch schon in den Yoga-Lehren der einflussreichen Bhagavad-Gita (ca. 300 v. C.), der sogenannten indischen Bibel, propagiert (s. Kap. 7). Im Yoga der Gita haben Persönliches, Seelisches und Emotionales so gut wie keinen Platz. Die Gita beginnt mit einer Konfliktsituation: Angesichts eines bevorstehenden Bruderkrieges bricht der Krieger Arjuna, der mit seiner Sippe noch eng verbunden ist, in Trauer und Verzweiflung aus. Er folgt seinem sozialen Gefühl, seinem Mitgefühl und weigert sich, gegen die eigenen Verwandten und Freunde zu kämpfen. In ihm erwacht so etwas wie ein Gewissen, ein selbstbestimmtes, mündiges Ich. Arjuna wird für diesen Ausbruch des Persönlichen von Krishna, seinem göttlichen Kameraden, seinem Kutscher und Coach, als Versager gemaßregelt und gedemütigt..….. …...Dabei nimmt Krishna die friedensbetonte Yogamoral zu Hilfe und verdreht sie für seine kriegerischen Zwecke ins genaue Gegenteil: Arjuna solle sich doch ein Beispiel nehmen an den Yogis, die, in Gleichmut und Gelassenheit, über alle persönlichen Gefühle erhaben seien und sich im Überpersönlichen verankern. So solle er in die Schlacht ziehen. Krishna richtet sich besonders gegen Arjunas erwachenden Eigensinn und die Idee eines selbstständig denkenden Ich. Das könne es gar nicht geben, das sei nur eine Wahnvorstellung. Und seine Gefühle und Zweifel solle er doch mit Hilfe von Yoga wieder in den Griff bekommen und dann kämpfen und töten wie ein richtiger Mann und Krieger. So belehrt Krishna seinen Freund. Krishna lehrt: Du sprichst weise Worte. Und doch beklagst Du die, die man nicht beklagen soll. Die Weisen klagen nicht über Tote und nicht über Lebende. (II/11) Denn allem, was geboren ist, ist der Tod gewiss. Und allem Gestorbenen ist die Geburt gewiss. Deshalb sollst Du nicht über Geschehnisse trauern, die unvermeidlich sind. (II/27) Dieses Leben (dehi) ist ewig und unzerstörbar im Leib (deha) eines jeden. Deshalb sollst Du keine Wesen betrauern – Du, Bharater. (II/30) Die Aufforderung, nicht zu trauern, wird insgesamt sieben Mal in Folge wiederholt. Als ob Krishna seinem Kriegskameraden und den Leser*innen des 21 heiligen Buches diese elementaren und sozialen menschlichen Gefühle – Mitgefühl und Trauer – geradezu austreiben wollte…… Im Yoga Raum schaffen – auch für Gefühlsausdruck In unseren Gruppen erfahren viele, dass in einer längeren Entspannungsphase ihre seelische Abwehr aufweicht. Sie werden durchlässiger und offener gegenüber ihrem inneren Geschehen. Sie erleben, wie die in den Spannungen verborgenen Energien und Gefühle sich melden. Zaghaft oder heftiger. Bisher abgewehrte und aufgestaute Gefühle kommen allmählich ins Fließen, werden wahrnehmbarer und wollen sich vielleicht auch ausdrücken. Die meisten Menschen jedoch zensieren ihre Gefühlsregungen und gestehen sich heftige oder ungute Gefühle gar nicht mehr zu. Deshalb entziehen sich diese Gefühle der bloßen Beobachtung. Sie erscheinen gar nicht erst, weil man meint, sie dürften nicht erscheinen. Wie soll man sie dann beobachten? Viele Gefühle erscheinen erst dann, wenn eine Atmosphäre der Offenheit und des Vertrauens hergestellt ist. Wenn sie sich auch zeigen und ausdrücken dürfen. Wenn sie durch Interaktionen getriggert, angeschubst und ermutigt werden. Wenn ihnen eine wohlwollende Haltung entgegengebracht wird. Wenn sie sich angenommen fühlen. Manche Teilnehmer*innen entdecken, wie ein aufbrechender innerer Stau sich eine Bahn sucht, sich endlich äußern zu dürfen. Sie entdecken beispielsweise, wie sich ihr Halschakra durch jahrzehnteelange Kontrolle verengt und gleichsam zugeschnürt hat. Sie spüren einen Kloß im Hals, der verschiedene Gefühle verbirgt, die sich zeigen wollen. Um den Kloß zu zerbröseln und in Gefühle rückzuverwandeln, braucht es schon besondere, psychodynamische Yoga-Übungen….. 22
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