Nieder-Gemünden - Evangelische Sonntags

24 · 26. April 2015 · Sonntags-Zeitung
GEMEINDEREPORT
Fotos: Traudi Schlitt
Seite
Gut gelauntes Team mit vielen Ideen: Pfarrer Thomas Schill inmitten
seiner Kirchenvorstandsmitglieder Birgit Ertl (links) und Monika
Dreiucker (oben). Eine gute Idee, die viel Anklang findet: die biblische
Weinprobe in Elpenrod (links).
Altes lassen, Neues denken
Kooperation oder wie man der Demografie ein Schnippchen schlägt • Von Traudi Schlitt
Zum Kirchspiel Nieder-Gemünden im Vogelsbergkreis gehören
die Gemeinden Nieder-Gemünden, Elpenrod, Hainbach und
Otterbach. Pfarrer für rund 850
Gemeindemitglieder ist Thomas
Schill.
D
ie Zahl der Mitglieder in
kleinen Kirchengemeinden des Vogelsbergs
schrumpft. Aufgabenteilung ist
angesagt. Da ist es ganz praktisch, dass die Kirchengemeinde
Nieder-Gemünden nicht nur
geografisch nah an Burg-Gemünden liegt, sondern auch eine persönliche Verbindung die Zusammenarbeit mit der Nachbargemeinde erleichtert. Pfarrer
Thomas Schill, zuständig für die
vier kleinen Gemeinden im
Kirchspiel Nieder-Gemünden,
teilt sich Pfarrhaus und Verwaltung mit seiner Ehefrau Ursula
Kadelka, als Pfarrerin zuständig
für Burg-Gemünden und Bleidenrod. Doch auch mit den anderen Nachbargemeinden ist
man in ständigem Austausch,
teilt Aufgaben und organisiert gemeinsame Veranstaltungen.
»Wir reagieren strukturell auf
dieses Problem, und wenn es eine
Lösung gibt, dann ist es das Zusammenwachsen«, sagt der Pfarrer. Angefangen bei der Jugend,
beim Konfirmandenunterricht.
Während die beiden Kirchenvorstandsmitglieder Birgit Ertl und
Monika Dreiucker noch von 40
und mehr Konfirmanden in einzelnen Dörfern berichten, gibt es
heute gerade mal noch 8 Konfirmanden in den Kirchspielen Nieder-Gemünden und Burg-Gemünden zusammen.
Die andere Seite des demografischen Wandels: die Seniorenarbeit differenziert sich aus. »Wir
bewegen uns von einer Versorgungsstruktur hin zu einer Beteiligungsstruktur«, erklärt der Pfarrer. Die verschiedenen Senioren-
angebote sieht er exemplarisch
für einen Bereich der Gemeindearbeit. Da ist zum einen die Seniorengruppe der Frauen. Sie sei historisch gewachsen. Schills Vorvorgänger im Amt wollte in den
60er Jahren die Frauen, die damals auf den Dörfern in der Landwirtschaft und den Haushalten
die meiste Arbeit erledigten, ohne
Lohn, ohne großes Ansehen und
ohne einen Tag Urlaub, aus ihrem
täglichen Trott herausholen.
Er wollte ihnen zeigen, dass es
noch etwas anderes gibt, als nur
zu arbeiten und zu funktionieren.
Er organisierte sogar kleinere
Fahrten für die Frauen. »Das war
ganz klar auch ein politischer Akt,
der von der Kirchengemeinde
ausging«, findet Pfarrer Schill.
Und genauso politisch findet er,
der selbst die Kommunalpolitik
aktiv mitgestaltet, das Anliegen
seiner Kirchengemeinde heute:
»Mit den Müden reden« ist die
Überschrift über dem Leitbild seiner vier Gemeinden.
Gemeinden eingebettet in
eine weltweite Perspektive
»Man kann müde werden, wenn
man sich immer wieder den gleichen Problemen gegenübersieht.
Es hat ja nicht nur die Kirchengemeinde mit dem Schwund zu
kämpfen, sondern auch die Kommune. Aber ich sehe uns und unsere Gemeinden eingebettet in eine weltweite Perspektive, eingebettet in den Leib Christi. Und
das gibt Stärke, auch etwas loszulassen.« Thomas Schill wird
nicht müde, dieses Eingebettetsein in eine Weltgemeinschaft zu
betonten. Genau das scheint es zu
sein, das ihn die gute Laune nicht
verlieren lässt, wenn er über seine
kleinen Dörfer spricht, die er ganz
offensichtlich sehr mag.
Der Frauenkreis aus den 60er
Jahren hat sich erhalten, die Frauen sind nun fast alle an die 80 Jah-
re alt. In anderen Gruppen treffen
sich jüngere Senioren. Für sie gibt
es ein Bingo, Sitzgymnastik, Lesungen oder Vorträge. Und natürlich nehmen daran auch Männer
teil, manchmal sogar ausschließlich. Vor kurzem stand ein Diavortrag auf dem Programm.
Ein sehr früher Vorgänger von
Pfarrer Schill, Friedrich Münch,
verließ 1834 seine Heimat, um in
Nordamerika ein neues Leben zu
beginnen. Er nahm zahlreiche
Menschen mit, um dort seinen
Traum von einem besseren Leben
zu realisieren. »Wir wissen heute,
dass diese Utopie nicht in Erfüllung gegangen ist. Doch diese
Auswanderung war nicht nur die
Tat eines Kirchenmannes, sie war
auch politisch«, erläutert Thomas
Schill. »Schon damals suchte
man eine weltweite Perspektive,
wollte sich nicht von Problemen
lähmen lassen.« Und damit wäre
man auch schon wieder in der
Gegenwart. Und die spielt sich
nicht nur in der Gemeinde selbst,
sondern auch in der Nachbarschaft ab: im Chor treffen sich
Sängerinnen aus den Kirchspielen Nieder-Gemünden und BurgGemünden.
»Das Medium Musik ist wunderbar, um auch Menschen verschiedener Generationen zusammenzubringen«, freut sich der
Pfarrer. Veranstaltungen für die
Kinder laufen in Kooperation mit
dem Dekanat, genauer gesagt,
mit der Dekanatsjugend. Und da
an den jährlichen Bibeltagen
auch die Konfirmanden mitarbeiten, zieht diese Kooperation weite
Kreise und hat einen nachhaltigen Wert. »Die Dekanatsstruktur
hilft, Arbeiten zu übernehmen,
die sonst nicht gehen würden«,
betont Thomas Schill.
Bei so viel Gemeinsinn tut einer Kirchengemeinde aber auch
ein wenig Eigensinn ganz gut. Mit
einer biblischen Weinprobe lockten die Nieder-Gemünder vor ei-
nigen Jahren neugierige Leute in
ihre Kirche, aber sie erregten auch
die Gemüter. Darf man das? Eine
Weinprobe in der Kirche? Oder
soll man das sogar, da doch der
Wein in seinen vielen Ausprägungen ganz häufig in der Bibel vorkommt? Die Vertreter der Kirchengemeinde waren schnell dafür, als Birgit Ertl den Vorschlag
von einer biblischen Weinprobe
in die Diskussion brachte.
Festgefahrene Rituale will
der Pfarrer durchaus beleben
»Es war ein Gottesdienst mit allen
Sinnen«, erinnert sich der Pfarrer,
der zwischen den einzelnen Verkostungen eines Winzers den
Wein in seinem biblischen Kontext vorstellte. »Kirche ist Gemeinschaft – warum sollte man
da nicht hergehen und festgefahrene Rituale beleben, Diskussionen anregen«, sagt er. Die Weinprobe jedenfalls verbuchten die
Nieder-Gemünder als vollen Erfolg; in diesem Jahr haben sie eine
solche in der kleinen Elpenröder
Kirche angeboten, die sehr idyllisch liegt. »Die kleinen verschiedenen Kirchen in jedem Ort sind
ein Reichtum, dessen wir uns ruhig bewusst sein dürfen«, findet
der Pfarrer, dem es nicht schwerfällt, seinen Gemeinden viele positive Seiten abzugewinnen.
Und über Probleme, etwa den
zunehmenden Schwund an
NIEDER-GEMÜNDEN
■ Pfarramt Nieder-Gemünden
Pfarrer Thomas Schill
Hohlstraße 7
35329 Gemünden
Telefon: 0 66 34 / 229
Fax: 0 66 34 / 91 98 73
E-Mail: [email protected]
www.ev-kirche-burg-nieder-gemuen
den.de
Kirchgängern, müsse man eben
sprechen und schauen, was man
dem entgegensetzen kann. Zum
Beispiel einen Gottesdienst, der
speziell für kleine Gruppen konzipiert ist mit viel Stille, so dass sich
alle wohlfühlen, die kommen.
Wohlfühlen sollen sich die
Gemeindeglieder auch in anderen besonderen Gottesdiensten:
dem Taizé-Gebet, zum Himmelfahrtstag, zur Oster- oder Christnacht. Mit dem Ansatz, Altes loszulassen, Neues zu denken und
mit anderen Gemeinden und
Einrichtungen zu kooperieren,
hat Thomas Schill gemeinsam
mit seiner Gemeinde die Zeichen
der Zeit erkannt und wie es
scheint, passenden Antworten
gefunden.
DREI FRAGEN AN ...
... Pfarrer Thomas Schill
von der Kirchengemeinde
Nieder-Gemünden:
?
Was macht einen Gottesdienst
zu einem Traumgottesdienst?
Eine traumhafte Gemeinde.
?
Wo ist Ihr Lieblingsplatz in der
Gemeinde?
Mittendrin.
?
Welcher Kirchenmann/welche
Kirchenfrau beeindruckt Sie?
Friedrich Münch – ein Freigeist
mit Bodenhaftung.