Vorgeschichte zum Soldatenfriedhof in Gutenzell

Vorgeschichte zum Soldatenfriedhof in Gutenzell
Bericht des Bürgermeisters August Müller, 15. Oktober 1953
Anfangs des Krieges 1939/45 ahnten wir hier in unserem so ruhig ins Rottal eingebetteten
Dorf Gutenzell mit seinen 4 Filialen die Schrecken des Krieges weniger, nur daß sich 174
Mann zum Wehrdienst stellen mußten, von denen 41 gefallen und 15 vermißt geblieben
sind. Auch mancher Bauer hat sein bestes Pferd vom Wagen und Pflug spannen müssen,
um Heeresdienst zu leisten. Aber im Laufe der Jahre hat man zur Genüge verspürt, wie
schrecklich und mit welchen Folgen ein Krieg geführt und auch ausgehen kann. Die ersten
Gefallenenmeldungen trafen ein, welche von Jahr zu Jahr anstiegen, so daß in mancher
Familie eine dritte Meldung eintraf.
Auch der Bombenkrieg und die Fliegerangriffe wurden mit der Zeit schlimmer; man war
kaum mehr auf dem Felde bei der Arbeit zur Sicherung der Ernährung vor Überraschung
von Fliegern sicher, wenn die schweren Bomber mit Begleitung bei Tag und Nacht über
unsere Markung kommend oder gehend in Richtung Ulm, Augsburg, Nürnberg, Stuttgart,
Laupheim oder München, ja sogar nach Biberach gingen, mit furchtbarem Gebrumm, daß
die Häuser erzitterten.
Am 3. Januar 1945, 13.00 Uhr, ereignete sich über unserem Dorf ein Luftkampf. Sechs
amerikanische Flieger überfielen drei in der Nähe übende deutsche Flugzeuge vom
Fliegerhorst Baltringen und schossen diese ab; es waren nur Schulflugzeuge, daher
unbewaffnet. Eines derselben ging bei Benedikt Grimm (Albrechtsbauer) zwischen einem
Apfelbaum und der Feldscheuer hinter dem Haus brennend nieder, so daß die Scheuer
Feuer fing und abbrannte; leider verbrannte auch der im Flugzeug sitzende Flieger. Ein
zweites ging ebenfalls brennend am Waldrand an der Straße nach Bollsberg oberhalb der
Kunstmühle nieder; ein Absprung ist dem Piloten nicht mehr gelungen. Das dritte Flugzeug
mußte bei Laubach landen, in dem zwei deutsche Flieger den Tod fanden. Von den
amerikanischen Flugzeugen mußte eines notlanden, welches dann am Fußweg nach
Dissenhausen aufgesetzt hat, aber im Schnee unter der Starkstromleitung fortgeglitten ist bis
zur Straßenabzweigung Dissenhausen-Huggenlaubach. Der Insasse ist dann ausgestiegen
und ging der Halde entlang, ließ sich dann vom Bauern Josef Hörmann von Dissenhausen
gefangennehmen, welcher ihn hierher nach Gutenzell verbracht hat. Die Aufregung in
Gutenzell war groß
während des Luftkampfes, weil dieser ganz ungeahnt in der guten Annahme, es wären
lauter deutsche Flieger. Nur Gottesfügung war, daß es keine Verluste aus der Bevölkerung
gegeben hat, denn man hörte die Geschosse zu Massen fliegen und manches Haus hat
Spuren bekommen.
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Im April, einige Tage vor dem Einmarsch, zogen sogenannte Wlassow-Truppen durch
unser Dorf; von Münsingen kommend gingen diese in Richtung Memmingen über die Iller.
Genannte Wlassow-Armee war im Auftrag der deutschen Führung unter dem gefangenen
russischen General Wlassow aufgestellt, eine freiwillige Armee, welche aus lauter
gefangenen Russen bestand, die gegen die Russen und andere Gegner Deutschlands
kämpfen sollten. Sie kamen bald in größeren oder kleineren Trupps, in völlig auf-gelöstem
und disziplinlosem Zu-stand, zum Teil noch bewaffnet daher und machten das Dorf
unsicher, so daß sie von der Ein-wohnerschaft gefürchtet waren, zudem bemerkte man,
daß sie vom Hunger getrieben wurden. Man mußte die Beobachtung machen, daß sie die
schon gesteckten Kartoffeln aus dem Boden holten, denn die Verpflegung hatte in den
letzten Wochen des Krieges nicht mehr so recht funktioniert; daher bettelten sie von Haus
zu Haus um Lebensmittel. Auch nahmen sie mit, was sie erwischen konnten. Kleider,
Schuhe und Wäsche, um die Sachen woanders gegen Lebensmittel einzutauschen. Von
allen Seiten kamen Klagen und Beschwerden; aber es war alles machtlos dagegen, denn es
waren mehrere Tausend, die hier durch-kamen. Den Bauern nahmen sie die Wagen im Hof
weg, um ihre Sachen aufladen zu können; auch Kinderwagen und Milchkarren nahmen sie
mit und verkauften sie wieder im nächsten Dorf. Um einen Laib Brot konnte man alles
bekommen, ja sogar um 20 RM konnte ein Jungpferd gekauft werden. Es war direkt
beängstigend, wenn man diese Soldaten sah, wie die daherkamen, nicht wie Soldaten, mehr
wie Bettler oder Hausierer. In allen entlegenen Straßen waren sie zu bemerken, und
mancher war sehr überrascht, als nach ihrem Abzug manches nicht mehr da war. Alles war
froh, als es nach einigen Tagen ein Ende fand. Wie man später noch erfahren hat, soll im
Filialort Weitenbühl der Führer und Stab der Armee einquartiert gewesen sein. Man merkte
zusehends, daß der Feind näher rückte; man hörte von der Ferne Kanonen-donner und
Sprengungen, am nächtlichen Himmel hat es immer aufgeblitzt,
wie wenn ein starkes Gewitter im Anzug wäre. Im Dorf und auf sämtlichen Filialorten
waren deutsche Truppen in Massenquartieren in allen großen Scheunen untergebracht und
zudem noch die vielen Evakuierten aus Duisburg, Essen, Stuttgart, Ulm, Nürnberg und
München und Vertriebene aus Slowenien, Arbeitsverpflichtete aus dem Elsaß. Im Dorf war
ein Treiben wie in einer Großstadt.
Der 23. April 1945 war der Tag, an dem wir zum erstenmal den Feind sahen. Am Tag
zuvor noch glaubte man, daß es noch nicht so schnell gehe, da vom Feind nichts Genaues
bekannt war. Aber das Ober-kommando der Kraftfahrertruppen V aus Stuttgart, das auch
schon drei Wochen im hiesigen Landjahrlager untergebracht war, räumte in der Nacht vom
22. auf 23. April fluchtartig das Lager, und auch die Truppen, die seit einigen Wochen hier
einquartiert waren, gingen noch in derselben Nacht weg in Richtung Kempten über
Haslach; es war ein Ersatzbataillon aus Ulm. Am anderen Morgen aber waren schon
wieder andere Truppen im Dorf angekommen, die auch auf dem Rückzug waren, so unter
anderem Arbeitsdienst, Organisation Todt, welche in der Waldabteilung Lerchenhau, gleich
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oben an den Feldern, ihre Zelte und Telefonnetze ausgespannt hatten, Gendarmerie,
Infanterie, Bagagewagen, Sanitäts- und Nachrichtentrupps; es wimmelte von Truppen.
So kam der Mittag des 23. April; man hörte nun den Kanonendonner immer näher
kommen. Alles war in Aufregung und Spannung, da am Sonntag, den Tag zuvor, noch
bekanntgemacht wurde, daß die Einwohner sich bereitzuhalten haben für den Fall einer
Räumung des Dorfes; auch wurde bekannt, daß Truppen zur Verteidigung des Dorfes
bereit wären, was die Bewohner allgemein erschreckte und in Aufregung brachte. Doch an
eine Schließung der Panzersperren wollte niemand gehen, obwohl alles schon vor Wochen
vorbereitet war. so zwischen 13.00 und 14.00 Uhr fiel der erste Schuß, welcher von
Richtung Eichen kam und im Dach von Eichmann einschlug. Nun merkte man gut, daß die
feindliche Panzerspitze unser Dorf in kurzer Zeit erreichen würde. Jetzt kam erst die richtige
Aufregung ins Dorf; alles rannte durcheinander und den Kellern zu, um Schutz zu suchen.
Die Truppen, die nicht zur Verteidigung bestimmt waren, verließen fluchtartig das Dorf nach
allen Richtungen, um über die Rot zu kommen und dann in den nahe gelegenen Wald. Aber
immer wieder kamen im Rückzug befindliche Truppen durchs Dorf.
Auf einmal bemerkte man die schnell auf der Höhe herannahende französische Spitze,
welche ihr Maschinengewehr- und Granatfeuer auf die Ochsenhauser Straße und Hürbler
Straße verlegte. Und nun wurde der Kampf an der Bachbrücke und bei Biechele gegen die
Spitze aufgenommen; eine furchtbare Schießerei begann .Gefallene und Verwundete lagen
am Boden, Pferde, Wagen und Munition, Kartuschen, Panzerfäuste,
Handgranaten und Gewehre lagen wie gesät bald auf Haufen in den Straßen. Was von den
deutschen Truppen noch am Leben und nicht in Gefangenschaft geraten war, mußte sich
zurückziehen.
Und nun begannen die französischen Truppen mit der Hausdurchsuchung nach deutschen
Soldaten, welche sich in den Kellern und Ställen, sogar Schweineställen, versteckt gehalten
haben. Bei dieser Durchsuchung wurde ein Bürger, Friedrich Rief, Hafnermeister, der sich
mit seiner Familie und einigen Soldaten in seinem Keller beim Haus aufgehalten hatte, von
einem französischen Soldaten erschossen. Auch ein Soldat wurde getroffen, der bald
darauf verstarb. Die Frau Rief und zwei Töchter wurden ebenfalls schwer verwundet,
welche dann ins Krankenhaus nach Ochsenhausen verbracht wurden. Bei der
Durchsuchung der Häuser hatten sie auch mehrere junge Burschen und Entlassene,
Verwundete, gewesene ehemalige Soldaten als Gefangene mitgenommen, darunter auch
den Lehrer Otto Kuhr, welche dann mit „Hände hoch“ am Berg rechts der Ochsenhauser
Straße aufgestellt wurden. In der Nacht sind diese dann im Zehntstadel untergebracht
worden, wo reichlich Stroh vorhanden war. Am anderen Morgen sind die Gefangenen in
Richtung Schwendi abtransportiert worden, und manche Mutter, die ihren Sohn
vorbeiziehen sah, konnte sich der Tränen nicht erwehren. Es waren ungefähr hundert Mann.
Nachdem nun die Haussuchung abgeschlossen, mußten sämtliche arbeitsfähigen Männer,
soweit noch einige da waren, an die Aufräumungsarbeiten, und so wurden wir endlich
wieder vom Keller befreit, den wir vorher nicht verlassen durften.
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Und nun sind die manch halbzerfetzten Pferde und Wagen von der Straße entfernt und die
übrigen Pferde auf einer Wiese zusammengetrieben worden. Wieder andere haben sich nun
um die Gefallenen angenommen, welche in den Zehntstadel zusammengetragen und
registriert wurden. Dabei ist festgestellt worden, daß noch ein Bürger der Gemeinde, der
Waldarbeiter Georg Grab, sein Leben lassen mußte bei diesem schreck-lichen Kampf.
Dieser hatte die Absicht, in den Wald zu gehen, um sein Handwerkzeug zu holen. Als er in
die Wassergasse (Hürbler Straße) kam, von den feindlichen Panzern überrascht, mußte er
in den Zehntstadel flüchten, und wie es das Schicksal wollte, flog eine Granate zwischen
Tor und Mauer in den Stadel, wo gerade Grab Zuflucht genommen und schlug ihn nieder.
Die schwere Schulterverletzung führte jedenfalls seinen baldigen Tod herbei. Er war kaum
mehr zu erkennen, denn Staub und Ziegelsteinsplitter lagen auf seinem Gesicht.
Im Auftrag eines französischen Kommandanten ist dann eine Bekanntmachung erlassen
worden, wonach von 19.00 Uhr bis 7.00 Uhr ein Ausgehen verboten sei. Und nun haben
die Truppen ihre Quartiere aufgesucht. Die Zivilpersonen durften sich nicht in ihre
Schlafräume begeben, sondern mußten sich im Wohnzimmer aufhalten oder im Keller; die
Truppen legten sich in die Betten. Vor dem wurde aber noch gut gegessen und getrunken,
wollten in mancher Familie noch allerhand herauspressen mit dem Griff nach dem Revolver;
Wein und Branntwein wollten sie auch haben. Leider ging es nicht ohne Vergewaltigung ab.
Wieder andere aber benahmen sich höchst anständig, was hier auch gesagt werden muß,
so daß gleich ein gutes Verhältnis bestand. Es gibt eben überall unter den Schäflein auch
Böcke, was auch jedenfalls bei den Deutschen Truppen gesagt werden konnte. Und so
haben wir nun auch die Feindeswillkür zu spüren bekommen.
Nun dachten wir, nun ist für uns der Krieg vorbei, was auch von den Truppen bestätigt
wurde. Aber man hat eine große Enttäuschung erlebt. Nämlich um Mitternacht stießen
wieder deutsche Truppen in das mit feindlichen Truppen besetzte Dorf von Richtung
Dissenhausen her vor, welche aber von dort gewarnt worden sind. Nun begann eine
furchtbare Schießerei, wobei es wieder Tote, Verwundete und Gefangene gab. Die
Bewohner wollten ihre Keller und Behausungen aus Furcht nicht mehr verlassen.
Hoffnungsvoll hat man wieder den Tagesanbruch erwartet, denn die französischen Truppen
zogen dann so nach und nach in Richtung Illertal ab.
Aber immer wieder hörte man Schüsse und Detonationen, denn in den Wäldern um das
Dorf befanden sich noch deutsche Soldaten. Die Waldabteilungen Lerchenau, Kappelberg
und Buchwald glichen einem großen Heerlager; es wimmelte von Soldaten, Pferden,
abgestellten PKW, LKW, KFZ, Feldküchen und anderen Fahrzeugen. Hier konnte man
alles antreffen, was zur Kriegsführung für Menschen und Tiere und Maschinen notwendig
war.
Nachdem nun die französischen Truppen abgezogen, wurde eine Bekanntmachung
erlassen, daß sämtliche Waffen, Radios und Fotoapparate abgeliefert werden müssen.
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Kurz vor Mittag hörte man einen furchtbaren Krach, wie wenn eine Bombe eingeschlagen
hätte; Fensterscheiben klirrten, Ziegel flogen von den Dächern. Nun dachte man, was jetzt
nun wieder los wäre. Keinen Menschen sah man auf der Straße. So nach und nach kamen
einige aus den Häusern und fragten, was das nun wieder wäre. Da lag eine Polenfrau wie
ein Knäuel am Boden, war schwer verwundet und vom Luftdruck niedergeworfen. Einige
Leute nahmen sich der Frau an. Aber im gleichen Moment standen Viehhaus und Stadel
von Adlerwirt Anton Willburger in Flammen. Das hat noch gefehlt, keine Männer im Dorf,
die einen gefangen, andere als Geiseln eingesperrt! Wenige waren, die zur
Brandbekämpfung kamen; es sollen fünf oder sechs gewesen sein. Auch die Frauen
wurden herangezogen; es mußten unter allen Umständen die Nachbargebäude gerettet
werden, um noch größeres Unheil zu vermeiden. Wie es sich nachher herausstellte, war es
ein Racheakt, den die Franzosen, bevor noch die letzten abgezogen, auf falsche oder
übertriebene Beschuldigungen einer ehemaligen Magd vollführten; sie wollten die Wirtschaft
zum „Adler“ in die Luft sprengen. Die Wirtschaft wurde nur beschädigt; die Fenster auf der
Straßenseite wurden alle eingedrückt und viele Ziegel vom Dach geworfen.
Zu bemerken ist noch, daß am 23. April abends von einem französischen Kommandanten
10 Geiseln aus dem Dorf verlangt wurden, darunter der damalige Bürgermeister Härle und
Gemeindepfleger Wiest und noch acht Mann. Diese wurden im Schloßkeller zwei Tage und
zwei Nächte festgehalten. Sie mußten sich wegen der noch damaligen Kälte teils im Keller,
teils im Schreibzimmer aufhalten. Der damalige Forstamtmann Stadler mußte die Geislen im
Auftrag und auf Befehl des französischen Kommandanten bei Todesstrafe bewachen und
durfte sie nicht herauslassen, bis er dazu Befehl erhalten werde. Als aber am dritten Tag im
Schloß bekannt wurde, daß wieder deutsche Soldaten im Dorf wären, was man nachher
noch hören wird, glaubten die Geiseln, daß der Zeitpunkt für ihre Befreiung gekommen sei,
und der Forstamtmann ließ diese dann auf seine Verantwortung frei, denn die Franzosen
waren ja schon drei Tage weg und kamen nicht wieder.
Nun kamen auf diese Aufregung zwei ruhige Tage; die Leute konnten sich etwas erholen,
kleinere Aufräumungsarbeiten vornehmen, die Toten bergen und begraben. Man dachte,
jetzt das Ärgste überstanden zu haben; dem war aber nicht so.
In der Nacht von Dienstag auf Mittwoch fuhren ziemlich viel Lastwagen mit Truppen und
Geschützen durch das Dorf. In Decken eingehüllt saßen die Soldaten auf den Wagen; es
war recht kalt. Erst meinte man, es wären feindliche, denn man konnte sie nicht recht
erkennen, denn es war noch Nacht. Als es aber heller geworden, sah man, daß es deutsche
Truppen sind. Beim Rathaus hörte man ein paar Schüsse fallen, das Halten eines Autos; ein
paar laute Rufe vernahm man, dann ein Springen in den Schloßbezirk. Das waren dann die
französischen und belgischen Kriegsgefangenen, die schon beinahe fünf Jahre bei den
hiesigen Bauern in Arbeit standen, welche sich immer gut gehalten hatten. Diese
Gefangenen sind am ersten Tag von den Franzosen bewaffnet worden und übten sozusagen
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das Ortskommando aus; sie standen eben Wache beim Rathaus und hatten auch die
Schlüssel dazu.
Ob diese auf die Deutschen geschossen oder umgekehrt, ist nicht bekannt; aber auf jeden
Fall sind sie dann fortgesprungen, als sie die Deutschen erkannten. Es waren in jenen Tagen
so 25 Gefangene hier.
Nach einer Stunde ungefähr kamen die Autos mit den deutschen Truppen wieder zurück
und man dachte nur, jetzt sind sie jedenfalls auf feindlichen Widerstand gestoßen oder
können nicht mehr über die Iller; das könnte eine schwere Sache für Gutenzell werden oder
zu einer Kesselschlacht führen. Alles verließ eiligst das Dorf; die einen gingen nach
Bollsberg, andere nach Niedernzell oder in den Wald, mit Sack und Pack auf Wagen,
Rosse vorgespannt, mit Kinderwagen und Schubkarren, um etwas zu retten und dem
sicheren Tode zu entgehen. Mütter mit neugeborenen Kindern mußten ebenfalls
weggebracht werden. Und nun war Gutenzell zu einem menschenleeren Dorf geworden mit
Ausnahme der Wassergasse; hier sind alle in Zweifels Keller geflüchtet. Niemand war mehr
zu sehen. Die Türen standen überall offen, denn man sagte sich und hatte bereits Erfahrung,
sonst werden sie von den Soldaten eingeschlagen. Der Amtsdiener Jörg ging immer am
Rathaus auf und ab, wenn er konnte. Da kamen zwei junge deutsche Offiziere von der
Mühle herauf auf ihn zu und fragten ihn allerhand über die Lage; sie suchten Munition, rissen
das Spritzenhaus auf und nahmen auch mit, was sie brauchen konnten. Dann frugen sie ihn,
wo sich die französischen Kriegsgefangenen befinden; er erwiderte, im Lager. Darauf soll
einer barsch gesagt haben, die werden erschossen. Er sagte ihnen, das dürft ihr nicht
machen; das würde eine böse Sache für uns geben, wenn die feindlichen Soldaten wieder
zurückkommen, diese würden das ganze Dorf aus Rache erschießen. Sie sagten dann
nichts mehr. Unterdessen kamen sie auf die Straße beim Bäcker Grimm; hier ist ein Auto
stehen geblieben welches sie durchsuchten. Dann schimpften sie noch über die weiße
Fahne, welche auf der Post gehißt war, und rissen diese herunter; denn es war von
deutscher Seite das Hissen von weißen Fahnen bei Todesstrafe verboten.
Der Tag verging dann im allgemeinen ruhig; kein Feind ließ sich sehen, die Leute kehrten
zum Teil wieder heim ins Dorf. Am Nachmittag wurden dann die Gräber geschaufelt zur
Beerdigung der Toten. Die Soldaten wurden in ein Massengrab gelegt, die zwei Bürger in
je einen Sarg hinter der Kirche; denn auf den Friedhof zu gehen war noch zu gefährlich. Sie
sind dann erst acht Tage später auf den Friedhof überführt worden.
Während der Einsegnung bemerkte man, daß der Feind schon wieder in der Nähe ist;
denn es klirrten die Kirchenfenster und alles eilte wieder den Kellern zu. Gegen Abend
kamen wieder feindliche Panzer ins Dorf eingefahren, diesmal aber Amerikaner, und stellten
sich in den Straßen und Gärten auf. Wir dachten nur, das kann eine schreckliche Nacht
werden. So gegen 22.00 Uhr begann die Schießerei und wurde von Stunde zu Stunde
stärker; an Schlaf war nicht zu denken. Niemend wußte, warum denn geschossen wurde,
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erst als die SS-Feldherrnhalle-Truppen von einem Haus zum andern durch die Fenster
gingen und die amerikanischen Panzer angegriffen haben mit Panzerfaust, Maschinengewehr
und auch Artillerie.
Auch die Amerikaner erwiderten das Feuer aus allen Rohren. So gegen 2.00 Uhr morgens
mußte mancher sein Haus verlassen, wenn er noch nicht geflüchtet war, denn man
bemerkte besonders in der Wassergasse, daß das eine um das andere Haus in Flammen
aufgeht, so bei Norbert Kästle, Alois Biechele, Josef Rosenstock, bei dem sein Vater
krank im Bette lag und nicht mehr gerettet werden konnte, so daß er, der alte Mesner
Franz Rosenstock, in den Flammen umkam, bei Lorenz Zepf, Josef Wiest, Julius Weiger,
dann im Oberdorf bei Josef Zinser; auch der vor einem Jahr neu erbaute Fruchtstadel bei
Anton Högerle wurde ein Raub der Flammen. Auch brennende Autos sah man in den
Straßen, wo nur noch das Wrack übriggeblieben ist. Auch manche Häuser haben schwere
Schäden erlitten. Die Straßen glichen einem Trümmerfeld. Eine schreckliche Nacht, kaum
zu beschreiben, was hier die Bevölkerung von Gutenzell ausgestanden, soweit sie sich im
Dorf aufgehalten hat.
Endlich begann es zu tagen, es war der 26. April 1945, und alles war froh; man dachte,
vielleicht hört das Schießen und Häuserabbrennen doch auf, wenn es Tag ist. Richtig, das
Schießen wurde schwächer und hörte nach und nach ganz auf. Amerikanische Kommandos
ertönten, unterdessen hörte man auch Fliegergebrumm. Wiederum stieg eine furchtbare
Angst in uns auf, besonders, als die amerikanischen Panzer und Autos das Dorf verließen;
nun dachte man, jetzt werden wohl noch die Flieger eingesetzt, um unser Dorf noch
vollends zusammenzuwerfen und dem Erdboden gleich zu machen. Alles ging wieder in die
Keller; die anderen verließen fluchtartig mit Wagen und Kinderwagen das Dorf in die
nächsten Filialorte oder in den Wald. Die abziehende Bevölkerung wurde sogar unter
lächelnder Miene von den Amerikanern fotografiert. Die Keller oben am Berg bei Laux und
im Kellerwald waren dicht von Menschen gefüllt, von denen, die noch ab und zu nach dem
Vieh schauen mußten, und solchen, welche nicht mehr gut gehen konnten. Der Pfarrer
Erwin Sontag ging am Morgen nach der schrecklichen Nacht von Keller zu Keller und
spendete den verängstigten und aufgeregten Bewohnern die Generalabsolution; auch mußte
er einigen alten Leuten die hl. Sterbesakramente spenden, bei denen Herz und Nerven
versagen wollten. Auch wurde er noch zu einem sterbenden deutschen Soldaten nach
Dissenhausen gerufen. Auch die Hebamme Karolina Mensch mußte in der fraglichen Nacht
zu zwei Wöchnerinnen, nämlich zu Emma Bär geb. Ehrhard und Maria Eggert geb.
Mußotter aus Warthausen. Die Frau Eggert war im Keller bei Wirt Zweifel in der
Wassergasse, wo noch alle anderen der Wassergasse Unterschlupf gesucht haben. Diese
mußten aber auf Anordnung eines amerikanischen Offiziers den Keller verlassen und
wurden sogar an die Wand gestellt. Wir dachten nur, so, jetzt ist´s für uns aus, bis daß
einer mit dem Offizier gesprochen hatte, warum er dieses vorhabe; dann wurden wir wieder
freigelassen. Nun aber haben wir wieder leichter aufgeatmet.
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Die Leute wollten die Keller nicht mehr verlassen, noch als der Feind längst fort war. Wie
furchtbar der Schreck und die Aufregung in den Bewohnern saß, geht daraus hervor, als
der Bürgermeister bei der Besichtigung der brennenden Häuser der schwerbeschädigten
Wassergasse eine Handgranate, die auf der Straße lag, um ein Unglück zu verhüten abzog
und zur Explosion brachte, sprangen die Leute, die beim Löschen beschäftigt waren, als sie
den Knall hörten davon und dem Keller beim Zweifel zu, bis man sie aufklärte, was los
wäre; so waren die Nerven erledigt und verbraucht. Auf der Straße sah es ebenfalls
verheerend aus, Wagen, Pferde, Autos, Fahrräder lagen wieder am Boden, abgeschossene
Munitionshülsen und Kartuschen, Gewehre und Ausrüstungsstücke lagen haufenweise
umher. Die Hauptwasserleitung in den Schloßhof war von den Panzern abgefahren; im
Graben beim Hafner Rief spritzte das Wasser heraus wie an einem Brunnen und
verwandelte die Straße in einen Sumpf. Gräben und Gartenzäune waren
zusammengefahren. Manche Häuser hatten zum Teil keine Fenster mehr und im Dorf war
nicht soviel Glas vorhanden. Notdürftig wurden dann die Fenster mit Brettern zugemacht,
denn es war immer noch kalt hier, ein reines Zigeunerleben.
Zum Unterschied der französischen Panzer, welche von Ochsenhausen über Eichen zu uns
kamen, fuhren die amerikanischen Panzer von Schwendi über Niedernzell ins Dorf ein; es
dürften jedesmal bei hundert Stück gewesen sein von allen Größen.
Die Abfahrt ging wieder über Niedernzell. Bis Mittag war dann Ruhe im Dorf; aber die
meisten Leute blieben in den Kellern, nur die notwendigen Stallarbeiten wurden noch
gemacht. Das Essen war Nebensache; man spürte wenig Hunger.
Gegen Mittag hörte man Motorengeräusche; die Amerikaner waren wieder angefahren. Die
Schießerei begann nochmals; jedenfalls hatten die Amerikaner den Kampf am Morgen
abgebrochen, um auf die angestrengte Kampfnacht ihre Truppen zu verpflegen und neu zur
Ordnung zu bringen und nun soll der Kampf weitergehen, um mit den im Dorf noch immer
versteckten deutschen Soldaten aufzuräumen, was dann bald beendigt war.
Im Laufe des Nachmittags haben dann die Amerikaner mehrere Männer und Frauen aus
dem Dorf mit „Hände hoch“ , darunter auch den Bürgermeister und den Amtsboten, zum
Rathaus zusam-mengetrieben und bewacht; die Frauen wurden dann bald darauf wieder
entlassen. Die Männer mußten ungefähr eine Stunde beim Rathaus stehen bleiben.
Während dieser Zeit hörte man oben im Rathaus ein Geklopf und Gepolter; am anderen
Tag bemerkte man, wie sie alles aus den Kästen herausgeworfen, zusammengeschlagen
und mitgenommen hatten. Nun mußten sie in Linie antreten, Mann an Mann; darauf kamen
zwei Amerikaner mit Maschinenpistolen auf den Bürgermeister zu. Er mußte kehrtmachen
und vor ihnen hergehen in Richtung Mühle. Nun dachte man, was wird jetzt mit ihm
geschehen? Wird er jetzt erschossen? Jedenfalls haben sie etwas auf dem Rathaus
gefunden, das ihn belastet. Jeder, der dies miterlebte, dachte, jetzt wird der Bürgermeister
hinter der Klostermauer erschossen; aber glücklicherweise ist alles gut abgelaufen. Nach
einer Weile kamen sie mit dem Bürgermeister zurück, er mußte ihnen nur das
Munitionslager zeigen. Der Bürgermeister wurde noch von den Amerikanern gefragt,
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warum die Deutschen geschossen hätten; er aber zuckte die Achsel und sagte, ich weiß
nicht. Später erfuhr man, daß beim Rathaus am selben Tag ein amerikanischer Soldat
gefallen wäre; daher auch dieses strenge Vorgehen. Und nun wurden sämtliche Männer
wieder von den Amerikanern entlassen. Jetzt suchten sie wiederum die Häuser durch nach
deutschen Soldaten. Es wurde dann mitgenommen, was ihnen gefallen hat, so Uhren,
Schmuckstücke, wo sie meinten, es wäre aus Silber oder Gold, und altes Geld aus der
Inflation 1922. Nach einer Stunde haben sie dann das Dorf geräumt und fuhren über
Bollsberg, Edelbeuren und Erolzheim. Und nun wurden die Leute in den Kellern, Wäldern
und die Abgewanderten benachrichtigt und kamen auch bald zurück, voll Neugierde, um zu
sehen, was noch am Leben und was unversehrt geblieben in diesen schrecklichen Tagen.
Nun aber waren endlich die Kampfhandlungen abgeschlossen und der Krieg für uns
beendet, aber leider teuer bezahlt. Am anderen Morgen mußte dann von jedem Haushalt
eine Person zur Arbeit, denn es gab viel Aufräumungsarbeiten im Dorf, so das Bergen und Begraben der restlichen toten Soldaten, von denen
nun 25 Deutsche in und um Gutenzell den Heldentod fanden, welche alle bei der Kirche im
Massengrab der Auferstehung harren. Was der Feind Verluste hatte, hat man weder
gesehen noch erfahren; denn sie haben ihre Toten und Verwundeten stets mitgenommen.
Bei den Kampfhandlungen sind 32 Pferde erschossen oder verwundet worden, so daß
diese dann eingingen. Diese wurden am Allenweg zwischen dem Acker und der Wiese 80
m von der Hürbler Straße entfernt vergraben, bevor sie in Verwesung übergingen. In dem
Filialort Weitenbühl sind beim Bauern Josef Mensch auch fünf Stück Großvieh im Stall
erschossen worden, da die Truppen Verdacht hatten, hier könnten sich auch deutsche
Soldaten versteckt haben.
Ungefähr 120 Pferde kamen mit dem Leben davon und liefen herrenlos umher und nährten
sich an dem jungen Grün der Wiesen und Äcker. Doch bald gab es Liebhaber genug;
jeder, der eines brauchte, holte sich eines, denn gebrauchen konnte bald jeder Bauer eines,
denn im Krieg mußten viele Pferde abgegeben werden. Auch von auswärts bis vom Illertal
kamen Bauern, brachten einen Franzosen oder Polen mit Gewehr mit sich, der sich als
Ortskommandant des betreffenden Ortes ausgab und wollten so die Herausgabe der
Beutepferde bei unseren Bauern erzwingen. Ja, manchmal ist es sogar vorgekommen, daß
sie bald die eigenen Pferde des Bauern herausgeholt hätten, wenn nicht alles
zusammengestanden wäre und noch die französischen und belgischen Kriegsgefangenen
dafür eingetreten wären. Auch Militärwagen aller Art, Autos, Autoreifen, Autobatterien
konnte man mit nach Hause nehmen. Bagagewagen und Verpflegungswagen wurden
ausgeplündert, ebenso das Verpflegungsmagazin im Dorf, hier konnte man alles finden, was
man schon Jahre entbehren mußte. Wer Glück hatte, konnte ziemlich hamstern. Zwar
sollten die Heeressachen später wieder abgegeben werden; aber es kam nicht mehr viel
heraus. Wohl aber mußten die Beutepferde restlos abgegeben werden. auch in den
Wäldern um Gutenzell standen und lagen eine Unmenge von Kriegsmaterial, hauptsächlich
im Lerchenhau, Kapellberg und beim Friedhof. Immer wieder knallte es im Wald, denn die
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jungen Leute konnten das Schießen nicht lassen. Es war geradezu lebensgefährlich im
Walde; es vergingen Monate, bis dann durch Sammlung der Waffen dem Zustand ein Ende
bereitet wurde. Leider mußte auch ein Kind beim Spielen mit Munition das Leben lassen,
ein Kind von dem Waldarbeiter Martin Niedermaier.
Die feindlichen Kriegsgefangenen wurden mit einem Lastwagen über die Schweiz
heimgefahren, da sie nach langer Trennung auch in die Heimat wollten. Die Eisenbahn
konnte noch lange nicht fahren, weil beim Rückzug alle Brücken zerstört wurden. Auch eine
Elsäßer Familie mit Namen Kügelin fuhr mit den Gefangenen weg; diese Familie wurde wie
noch viele zwangsversetzt, weil die Söhne nicht im deutschen Heer dienen wollten und
daher über die Schweizer Grenze gingen. So war auch noch in Bollsberg eine Familie mit
Namen Herro, auch aus dem Elsaß.
Wie bekannt, wurden wegen der schweren Bombenangriffe auf die Städte die wertvollen
Sachen wie Möbel, Wäsche und Warenlager in weniger gefährdete Gebiete verbracht, so
auch nach Gutenzell. Und da wir im Kellerwald einen großen, zum Teil benutzten 80 m
langen Keller haben, hat eine Ulmer Weingroßhandlung Weinvorrat nach hier verbracht, so
ca. 15 000 Liter in großen Fässern; Flaschenbranntwein war auch noch dabei eine
beträchtliche Menge. Beim Keller hatte der Weinhändler für seine Familie ein kleines
Holzhaus errichtet. Aber die fremden Truppen erfuhren auch bald von diesem Weinlager,
welches während der Kampfzeit unbemerkt vermauert war. Sie kamen mit Autos und
wollten Wein haben, aber ohne Bezahlung. Deshalb entschloß sich der Weinhändler, den
Wein an die Deutschen zu verkaufen, bevor ihn die Besatz-ungstruppen wegholen. Er hätte
ihn aber doch gerne nach Ulm verbracht, aber das war unbemerkt nicht möglich, ließ
deshalb so ungeachtet sagen, daß Wein zu kaufen wäre. Die Bewohner haben hiervon
regen Gebrauch gemacht, denn man hatte schon lange keinen Wein mehr zu kaufen
bekommen und Geld hatten alle genug, weil um Geld nichts mehr zu bekommen war. Alles
hat der Krieg verschlungen; keine Schuhe, Kleider, nichts mehr konnte man kaufen, denn
der Tauschhandel, Schwarzhandel um Lebensmittel, hat stark überhand genommen. Somit
wurde, an einem Sonntag war’s, von morgens sieben bis abends sieben Uhr der Wein
ausgeschenkt, soviel ein jeder wollte. Und nun lief alles mit Kannen, Eimern, Kübeln; auch
mit Fässern kamen die Leute angefahren, immer mehr. Auch in den Nachbarorten wurde es
bekannt; auch diese kamen angefahren und holten von dem Weinsegen. Es war ein
Drängen und Streiten und jeder glaubte, er käme zu kurz. Man glaubte sogar, dieser Segen
werde ein Verhängnis für das Dorf, aber es ging gut ab. Aber auch die fremden Truppen
erfuhren von dem Verkauf und holten somit nun den Wein bei den Einwohnern, stahlen
dann noch Lebensmittel nebenbei wie Eier, Schmalz, Butter, Hühner und Enten. Alles hatte
Angst und war aufgeregt; jeder versteckte seine Sachen so gut er konnte. Auch schon vor
dem Einmarsch wurden wertvolle Sachen in Kisten und Koffern verpackt und vergraben.
Und nun kam der Wechsel mit den Besatzungstruppen und der Einteilung in Zonen. Die
amerikanische Besatzung wurde nach kurzer Zeit von den Franzosen abgelöst. Eine
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Ablieferung verlangte der Amerikaner nicht; um so ärger war diese beim Franzosen. Als
erstes war dann die Ablieferung der Beutepferde und nur ausgesuchter schöner
Arbeitspferde. Von der Gemeinde mußten 16 Arbeitspferde abgeliefert werden, hier kann
man sich vorstellen, was das zur Bedeutung hatte für die Landwirtschaft. Dann kam die
Ablieferung von Nutzvieh; die schönsten Stücke wurden wiederum ausgesucht.
Welch großer Verlust und Milchausfall! All dieses mußte ohne Murren und ohne Zögern
hingenommen werden. Das ganze Vieh von der Gemeinde wurde im Schloßhof zur
Musterung an Leiterwagen angebunden, gleich einem großen Viehmarkt. Auch mußte jede
männliche Person über 20 Jahren einen noch brauchbaren Anzug zur Ablieferung aufs
Rathaus bringen, welche dann verpackt und mit Lastwagen weggefahren wurden.
Die nächsten Besatzungstruppen befanden sich in Erlenmoos, denen als Oberhaupt ein
Kapitän zugeteilt war, der auch für Gutenzell zuständig war. Am 20. Juli zog eine
Abordnung von dort ein; nun war es mit der Ruhe in unserem Dorf wiederum aus. Eine
große Arbeit begann, in der Hauptsache für die damalige Gemeindeverwaltung. Am 23. Juli
wurde ich dann als zukünftiger kommissarischer Bürgermeister nach Abtretung des
bisherigen Bürgermeisters Härle auf 20. August zu den Verhandlungen der Vorarbeiten für
die Unterbringung der Truppen eingeladen. Das Verlangen der Truppen ging auf die
Unterbringung von ca. 65 Mann Besatzung und 70 erholungsbedürftigen französischen
Kindern. Die ganze Torwirtschaft und die Schule wurden beschlagnahmt für die Truppen,
das frühere Landjahrlager und die Wirtschaft zur „Bräuhausschenke“ für die Kinder. Nun
begann die Arbeit der Beibringung von Bettstellen, Betten samt Bettwäsche; auch eine
ganze Kücheneinrichtung, Teller, Tassen, Löffel, Gabeln, Messer, Blumen und Bilder, auch
Nähmaschinen und Bügeleisen mußten bereitgestellt werden. Die Gemeinde Hürbel und
auch Reinstetten wurden zur Mithilfe bei der Beschaffung herangezogen. Sämtliche
Gartenzäune im Schloßhof mußten alle weiß getüncht werden, die Vorderfront des
Kinderheims mit Blumen bepflanzt werden. Den ganzen Tag kamen nur Forderungen an
den Bürgermeister; Bestellung von Küchenpersonal für das Heim und für die Besatzung im
Gasthaus zum „Tor“, Herbeischaffung von Kartoffeln und Brennholz. Das alles mußte von
der Gemeinde beschafft und geregelt werden. Als vorgesetzter Offizier war Leutnant Simon
für alles verantwortlich , der bei Eberhard Diebold untergebracht war. Das Dienst-zimmer
war bei Anton Gumbold in der Stube eingerichtet. Leutnant Simon hatte eine Strenge im
Angesicht wie kein anderer und war unerbittlich gegen die Deutschen. Das Gegenstück
aber war Leutnant Britto, der bei Franz Härle im Quartier war; mit diesem konnte man sich
gut vertragen. Anfangs September zogen dann die französischen Rekruten von der Schule
wieder ab, so daß nur noch die Kinder mit einem Lehrer und 26 Mann Besatzung hier
waren. Nun aber kamen dann manche Eltern der Kinder aus Frankreich, für welche auch
um Unterkunft zu sorgen war. Jeden Tag wurden frische Tischtücher und Servietten
verlangt und wenn die Anforderung erst um 20.00 Uhr erfolgte, eine Schikane nicht zum
Erdenken. An dem Tag wurden 27 Stück Stallhasen verlangt. jetzt, wo die holen, dachte
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ich mir; denn die Bevölkerung ist auch nicht so eingestellt, daß diese einem gleich
entgegengebracht wurden, denn jeder hat diese gehalten, um sie für sich zu verwenden bei
der Fleischknappheit. Abends 18.00 Uhr, 15.00 Uhr war Termin, konnte ich diese zur
Ablieferung bringen; mancher war nur eine Hand voll, aber egal, die Stückzahl war da.
Wenn man aber dann miterleben durfte, wie die Kinder mit dem Essen umgingen, so muß
man sich an den Kopf greifen.
Schokolade ist von den Kindern auf die Straße geworfen worden; wenn sie dann die
Wahrnehmung machten, daß deutsche Kinder sich danach sehnten, wurde sie zertreten.
Ein Sportplatz sowie eine Brücke über die Rot wurden ebenfalls verlangt, um bequem zum
Sportplatz zu kommen. Dieses mußte alles in harter Fronarbeit von den drei Gemeinden
geleistet werden. Als aber dann der Sportplatz seiner Vollendung entgegenging, sind die
Truppen abgezogen. Auch mancher Bürger oder Bürgerin mußte die Strenge der Besatzung
am eigenen Leibe verspüren. Bei der Ablieferung von Fahrrädern für die Besatzung hat sich
eine Frau unwillig benommen; dafür ist sie von der Besatzung kurzerhand auf acht Tage in
den Ortsarrest verbracht worden, so daß sie über ihre Tat nachdenken konnte. Ein
Berliner, der nach dem Krieg auf der Landwirtschaft arbeitete, ging jeden Abend in die
Kirche, um das Orgelspielen zu erlernen. Dabei vergaß er, daß die Ausgehzeit auf 21.00
Uhr beschränkt war und wurde als Mahnung über die Nacht auch in den Ortsarrest
verbracht. Eine andere Frau kam an einem Abend vom Nähen vom Friedhof, ging dann mit
dem Fahrrad durch den Schloßhof, wo eben die französische Flagge heruntergeholt wurde.
Diese fuhr kurzerhand mitten durch die Truppen, ohne eine Ehrenbezeigung abzugeben,
noch mit lächelnder Miene. Der Bürgermeister bekam dann den liebevollen Auftrag, nach
der Person zu fahnden; denn sie war von ihnen nicht erkannt worden. Mit detektivischer
Umsicht gelang es, die unbekannte Person dem Leutnant Simon vorzustellen; diese wurde
wiederum auf volle acht Tage, drei Tage ohne etwas zu bekommen, in den Ortsarrest
verbracht. Zur Sicherung wurden dem Bürgermeister die Schlüssel zum Arrest
abgenommen. Ein Mann wurde auf einen Tag dorthin verbracht, weil er beim Vorbeigehen
bei der Flaggenhissung den Hut nicht vom Kopf genommen hat. Als die Rekruten vom
Schulhaus weggezogen, kam es an einem Sonntagnachmittag vor, daß sich die Jungen und
Mädel der Gemeinde in das untere Schullokal begaben, um dort zu tanzen. Sie hatten
bereits Erlaubnis beim Dolmetscher eingeholt und bekommen. Dieses hatte dann sofort
Leutnant Simon wieder erfahren, der dann bald darauf den Bürgermeister zur
Verantwortung gezogen hat. Ich wurde nur gefragt, ob ich die Erlaubnis hierzu gegeben
hätte; ich verneinte dies, und sofort mußte ich in die Schule und die angeblichen
Rädelsführer zu ihm bringen. Diese erhielten dann eine ziemlich scharfe Verwarnung mit der
Folge, daß ab 17.00 Uhr ein Ausgehverbot bestünde. Viele Dorfbewohner waren noch
auswärts, auch sämtliches Vieh noch auf der Weide. Ich ging dann wieder in die Schule
zurück und beauftragte die übrigen Tanzlustigen, dafür besorgt zu sein, daß sämtliches Vieh
bis 17.00 Uhr in den Ställen ist. Die Besatzung erhielt dann den Auftrag, sofort im Dorf zu
patrouillieren, ob sich niemand mehr auf der Straße aufhalte. Diese gingen mit
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aufgepflanztem Bajonett und Stahlhelm durch die Straßen, wiederum ein schrecklicher
Anblick; man erinnerte sich wieder an die Kampftage.
Die Feindeswillkür wurde immer bemerkbar. Anfang November sind dann die Truppen
sowie die Kinder abgezogen. Die requirierten Sachen konnten den Besitzern, soweit sie
noch vorhanden waren, zurückgegeben werden; hier gab es auch manche
Auseinandersetzung.
Dann begann der Hallenbau in Erlenmoos zur Unterbringung der Fahrzeuge der Truppen
über den Winter, jeden Tag hatte die Gemeinde 10 Mann zu dieser Arbeit zu stellen und zu
bezahlen. Am 13. September morgens früh kamen drei Mann der französischen
Gendarmerie mit Auto; diese begaben sich sofort in meine Wohnung, da ich noch nicht im
Amt war. Sofort begann die Vernehmung über den vorhergehenden Bürgermeister und die
Mitglieder der NSDAP der Gemeinde. Diese aber merkten bald, daß ich mich nicht zur
Denunzierung derselben hergebe.
Dann aber nahmen sie Abstand von mir, verließen meine Wohnung und gingen dann
weiter ins Dorf. Ich begab mich nun aufs Rathaus. Kurz darauf brachten sie schon
den früheren Bürgermeister mit Blut im Gesicht und erheblich aufgeregt; wieder eine Weile
darauf brachten zwei den früheren Ortsbauernführer und noch drei weitere Männer. Darauf
dann ist von der Gendarmerie ein zweites Auto in Biberach verlangt worden, um alle in
einem Schub nach Biberach zu bringen. Gegen Abend sind sie dann abgefahren und in der
„Krone“ in Biberach in einem Stall untergebracht worden für einige Tage. Nach einem
gründlichen Verhör sind alle fünf Mann in das Lager Birkendorf eingeliefert worden, wo sie
allerhand Arbeiten verrichten mußten. Wenn man Glück hatte, konnten sie auch besucht
werden, oder man konnte Lebensmittel in das Lager schmuggeln. Es verging auch eine
längere Zeit, bis daß der letzte nach Hause kam, noch kurz bevor die Weihnachtsglocken
läuteten. Die Ablieferung von landwirtschaftlichen Erzeugnissen begann dann auch wieder. Jede Gemeinde bekam ihr Jahres- und Monatssoll an
Schlachtvieh, Kälbern, Schweinen; auch Mutterschweine mußten wegen des
Kartoffelverbrauchs zwangsweise zur Ablieferung gebracht werden, ebenso Milch und
Eier, Heu und Stroh. Manchmal, zu besonderen Anlässen und Festtagen, bekam man noch
ein extra Liefersoll an Gänsen, Enten und Hühnern. So konnte man sich als Bürgermeister
bei seiner Gemeinde besonders beliebt machen, nicht zu vergessen, was man dann den
Bürgern dafür bieten und austeilen konnte an Bezugsscheinen; ein bis zwei Paar
Arbeitsschuhe im Monat für eine Gemeinde mit 900 Einwohnern, an Textilien nur
minderwertige Ware wie Büsten- und Strumpfhalter. So ging es bis zu Währungsumstellung
am 20. Juni 1948; und dann war auf einen Schlag wieder alles zu bekommen, wenn nur
genügend DM vorhanden waren. Auch ist noch zu bemerken, daß die Feindmächte nicht
nur landwirtschaftliche Erzeugnisse wollten, sondern auch fortswirtschaftliche, nämlich Holz.
Die hiesige Herrschaft, der Graf Toerring, hat eine Auflage zur Lieferung von 24 000 fm
Lang- und Brennholz bekommen. Dieses Holz wurde von fremdländischen Arbeitern aller
Rassen geschlagen und aufbereitet. Für die Unterbringung der Arbeiter hatte wieder der
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Bürgermeister zu sorgen; welch eine Belastung für die ganze Gemeinde! Dagegen für die
Verpflegung sorgte der Franzose; hier war alles zu sehen, Wein und Branntwein in Massen,
so daß wenig
gespart wurde. Das verarbeitete Holz wurde alles mit Lastwagen auf den Bahnhof in
Schwendi gebracht und dann nach Frankreich und der Schweiz verladen.
Auch ein schwerer Ausfall für die deutsche Holzwirtschaft, nicht zu verwundern, welche
enorme Höhe der Holzpreis nach diesem Abgang erreicht hat. Die Entschädigung war aber
gering, da diese erst nach der Währungsumstellung bezahlt oder gutgeschrieben wurde, so
daß eine Neuaufforstung mit dieser Summe kaum bezahlt werden konnte.
Vorstehender Bericht ist vom Bürgermeister August Müller zum Gedenken an eine schwere
durchgemachte Zeit gegeben.
Gutenzell, den 15. Oktober 1953
(Kreisarchiv Biberach)
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