m i ss e r St z t a s n i E u ch b d n a h s Pr axi r ä f te k h c a F e für zivil m i ss S tr e t z Einsa u ch b d n a h s Pr axi r ä f te k h c a F e für zivil at ria Nash , Da a Henke k i n o M : Text Impressum Zentrum für Internationale Friedenseinsätze gGmbH (ZIF) Ludwigkirchplatz 3–4 10791 Berlin Mitarbeit Verantwortlich Layout Copyright Ines-Lena Mahr Dr. Maren Rößler, Brigitta von Messling finedesign, Berlin ZIF 2014 Vorwort Liebe ZIF-Expertin, lieber ZIF-Experte, wir freuen uns, Ihnen hiermit das Praxishandbuch für zivile Fachkräfte „Stress im Einsatz“ an die Hand geben zu können. Wer in einem internationalen Friedenseinsatz arbeiten möchte, muss überdurchschnittlich belastbar und stressresistent sein. Viele von Ihnen wissen bereits aus eigener Erfahrung um die Herausforderung, in einem Krisengebiet mit eingeschränkter Bewegungsfreiheit unter oftmals schwierigen Lebens- und Arbeitsbedingungen den eigenen Leistungsansprüchen gerecht zu werden. Wenn Sie als Führungskraft in einer Mission tätig sind, müssen Sie stressreduzierende Prozesse entwickeln, um Ihr Team in diesem Umfeld zu unterstützen. Wir schätzen Ihr Engagement, Ihre Professionalität und anhaltende Einsatzbereitschaft. Ihre psychische wie auch Ihre physische Gesundheit sind uns wichtig. Das ZIF setzt sich dafür ein, dass Missionen ihr Angebot an psychologischer Unterstützung für Expertinnen und Experten erweitern, damit Sie auch im Einsatz kompetent betreut werden. Wir sind im Austausch mit Aufnahmeorganisationen und internationalen Partnern, um unser Angebot in diesem Bereich weiter auszubauen. Seit 2002 bereiten wir zivile Expertinnen und Experten in unserem „Core Course Peace Operations“ auch auf den Umgang mit Stress und psychischer Belastung im Einsatz vor. Die Aufarbeitung belastender Ereignisse oder des durch den oftmals unberechenbaren Missionsalltag kumulierten Stresses spielt seit mehreren Jahren auch bei unseren jährlichen Rückkehrertreffen eine wichtige Rolle. Seit 2012 bieten wir Ihnen zudem eine psychosoziale Einsatzbegleitung in Kooperation mit externen Partnern an. Das Handbuch „Stress im Einsatz“ soll Ihnen nun zusätzlich im Eigenstudium die Möglichkeit bieten, Ihre Bedürfnisse und Reaktionen in herausfordernden Lebenssituationen zu reflektieren und neue Anregungen zu bekommen, wie Sie diesen begegnen können. Zwei Expertinnen haben das Material so aufbereitet, dass es hoffentlich Ihrer besonderen Einsatzsituation gerecht wird. Praktische Übungen und konkrete Tipps werden ergänzt um theoretisches Hintergrundwissen. Das Buch lässt sich problemlos kapitelweise und in jeder beliebigen Reihenfolge lesen, individuell angepasst an Ihre situativen Bedürfnisse und Interessen. Im Anhang finden Sie weiterführende Literatur, Links und Hinweise zu Trainings, die es Ihnen ermöglichen, sich in bestimmte Themen zu vertiefen. Wir konnten bei dieser Arbeit auch auf exzellente Materialien zum Umgang mit Stress und psychischer Belastung der Krisenleitstelle COPE der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) zurückgreifen. Für die großzügige Bereitstellung der Unterlagen möchte ich mich an dieser Stelle bedanken. Ich wünsche Ihnen eine anregende und hilfreiche Lektüre! Dr. Almut Wieland-Karimi Direktorin, ZIF 3 Inhaltsverzeichnis Vorwort ............................................................................................................................................................................................................................... 3 Inhaltsverzeichnis ................................................................................................................................................................................................. 4 Kapitel 01 | Stress im internationalen Einsatz ............................................................................................................. 7 Kapitel 02 | Was ist Stress? .................................................................................................................................................................... 8 Kapitel 03 | Negativer Stress ............................................................................................................................................................... 9 3.1 Übungen und Tests zur Selbsteinschätzung ................................................................................................................. 11 Kapitel 04 | Formen von Stress und Stresssymptome..................................................................................... 13 4.1 Erhöhter und anhaltender Stress .............................................................................................................................................. 13 4.2 Existentieller Übergangsstress .................................................................................................................................................... 14 Kapitel 05 | Katastrophen, traumatischer und posttraumatischer Stress, kumulatives Trauma, Sekundäre Traumatisierung ................................................................................................ 15 5.1 Traumatischer Stress .............................................................................................................................................................................. 16 5.2 Posttraumatische Belastungsstörung und Posttraumatischer Stress ............................................. 17 5.3 Kumulatives Trauma (Häufung von Belastungssituationen) ......................................................................... 21 5.4 Stellvertretende oder Sekundäre Traumatisierung ............................................................................................... 21 5.5 Zweittraumatisierung durch unpassende Reaktion der Umwelt.............................................................. 24 Kapitel 06 | Unterschiedliche Aspekte und Auswirkungen von Stress ..................................... 26 6.1 Körperliche Reaktionen ........................................................................................................................................................................ 26 6.2 Emotionale und psychische Veränderungen ................................................................................................................. 28 6.3 Arbeitsstörungen ......................................................................................................................................................................................... 29 6.4 Verhaltensänderungen .......................................................................................................................................................................... 30 Kapitel 07 | Stressfaktoren vor dem Einsatz ................................................................................................................ 31 Kapitel 08 | Stressfaktoren während des Einsatzes ........................................................................................... 32 8.1 Stress durch Ankunft und Einleben ........................................................................................................................................ 32 8.2 Stress am Arbeitsplatz .......................................................................................................................................................................... 33 8.3 Stress im beruflichen Miteinander .......................................................................................................................................... 34 8.4 Stress für Führungskräfte ................................................................................................................................................................. 35 8.5 Persönlicher und familiärer Stress .......................................................................................................................................... 36 8.6 Stress durch Sicherheitsvorfälle und persönliche Verluste ......................................................................... 37 8.7 Stress durch das Scheitern einer Mission ...................................................................................................................... 38 8.8 Medienübertragung .................................................................................................................................................................................. 39 8.9 Geschlechtsspezifische Gewalt ................................................................................................................................................... 39 4 Stress im Einsatz Inhaltsverzeichnis Kapitel 09 | Stressfaktoren nach dem Einsatz ........................................................................................................... 43 Kapitel 10 | Möglichkeiten zur Stressvorbeugung ................................................................................................ 44 Kapitel 11 | Verhaltensänderung zur Stressvorbeugung ............................................................................. 45 Kapitel 12 | Physische Verhaltensänderungen zur Stressvorbeugung ...................................... 47 12.1 Körperbewusstsein ................................................................................................................................................................................ 47 12.2 Bewegung und Sport ........................................................................................................................................................................... 48 12.3 Schlaf .................................................................................................................................................................................................................... 49 12.4 Ernährung ......................................................................................................................................................................................................... 50 12.5 Konsum von Alkohol ............................................................................................................................................................................. 51 12.6 Freizeitaktivitäten, Muße und Geselligkeit .................................................................................................................. 52 12.7 Übungen und Selbsttests ............................................................................................................................................................... 53 Kapitel13 | Emotionalität und Stressvorbeugung ................................................................................................. 56 13.1 Gefühle achtsam wahrnehmen ................................................................................................................................................ 57 13.2 Erfahrungen von Trauer und Verlust .................................................................................................................................. 57 13.3 Lachen und Humor ................................................................................................................................................................................ 58 Kapitel 14 | Die Bedeutung von sozialen Kontakten zur Stressvorbeugung ...................... 59 14.1 Soziales Netzwerk und Unterstützung ............................................................................................................................. 59 14.2 Übung und Selbsttest ......................................................................................................................................................................... 60 14.3 Soziales Netzwerken ............................................................................................................................................................................ 60 14.4 Soziale Medien ........................................................................................................................................................................................... 61 14.5 Stressmanagement durch Buddy-System ................................................................................................................... 62 14.6 Kontakt mit Familie und Freunden im Heimatland ............................................................................................ 62 14.7 Fernbeziehung und Reaktionen des daheimgebliebenen Partners ................................................. 63 14.8 Beziehungen und Freundschaften im Einsatzland .............................................................................................. 66 14.9 Konflikte verstehen ............................................................................................................................................................................... 68 14.10 Kommunikation für friedliche Konfliktlösung ........................................................................................................ 69 Kapitel 15 | Kognitive Möglichkeiten der Stressvorbeugung................................................................... 70 15.1 Aufmerksamkeitslenkung ............................................................................................................................................................... 71 15.2 Dekatastrophisierung ......................................................................................................................................................................... 72 15.3 Geistiges Entrümpeln .......................................................................................................................................................................... 73 15.4 Positive Selbstinstruktion .............................................................................................................................................................. 74 15.5 Gedankenstopp .......................................................................................................................................................................................... 76 15.6 Einstellungsänderung ......................................................................................................................................................................... 76 Kapitel 16 | Therapie und professionelle Hilfe bei Stress und Trauma....................................... 78 16.1 Überblick über verschiedene Therapieformen ....................................................................................................... 80 16.2 Suche nach therapeutischer Hilfe ........................................................................................................................................ 84 16.3 Unterstützung und Nachsorgeangebote der Bundesregierung ............................................................ 85 Kapitel 17 | Spiritualität und Verhaltensänderungen ....................................................................................... 86 5 Stress im Einsatz Inhaltsverzeichnis Kapitel 18 | Entspannungsübungen für Körper, Geist und Seele ...................................................... 87 18.1 Autogenes Training ................................................................................................................................................................................ 87 18.2 Klopf-Akupressur ..................................................................................................................................................................................... 89 18.3 Progressive Muskelentspannung ........................................................................................................................................... 90 18.4 Meditation ....................................................................................................................................................................................................... 93 18.5 Achtsamkeit ................................................................................................................................................................................................... 95 18.6 Yoga ........................................................................................................................................................................................................................ 97 18.7 Tai Chi ................................................................................................................................................................................................................... 99 Kapitel 19 | Weiterbildung und Hilfe zur Selbsthilfe bei Stress und Trauma ................ 100 Kapitel 20 | Hilfe und Verantwortung für andere ............................................................................................... 101 20.1 Was kann ich für traumatisierte Menschen tun? ............................................................................................. 102 20.2 Professionelle Hilfe und Unterstützung bei späteren Reaktionen ................................................ 104 20.3 Überreaktionen ...................................................................................................................................................................................... 105 20.4 Führungskräfte und Verantwortung für Mitarbeiter ..................................................................................... 106 Kapitel 21 | Kollektive Traumata .............................................................................................................................................. 108 Kapitel 22 | Literatur- und Linkverzeichnisse ......................................................................................................... 109 22.1 Literaturverzeichnis .......................................................................................................................................................................... 109 22.2 Linkverzeichnis........................................................................................................................................................................................ 111 22.3 Einzelne Themen.................................................................................................................................................................................... 114 Benutzerhinweise Nutzen Sie die hilfreichen Funktionen von Acrobat Reader. Inhaltverzeichnis Vorherige Ansicht In der Lesezeichenleiste links ist das vollständige verlinkte Inhaltsverzeichnis. Sie können es permanent geöffnet lassen und zu den Themen springen. Mittels „Vorherige Ansicht“ können Sie zu der zuvor gesehenen Seite zurück springen. Haben Sie beispielsweise auf einen Link geklickt und kommen dadurch auf ein anderes Kapitel, so springen Sie durch „vorherige Ansicht“ direkt wieder auf die ursprüngliche Seite zurück. 6 01 Stress im internationalen Einsatz Die Arbeit innerhalb einer Friedensmission bedeutet immer auch, vor, während und sogar nach dem Auslandseinsatz mit Stresssituationen konfrontiert zu sein. Wir möchten Ihnen hier Hinweise, Möglichkeiten, Anregungen, Maßnahmen und praktische Übungen aufzeigen, die Ihnen dabei helfen, diesem Stress sowohl vorzubeugen als auch ihn zu erkennen und möglichst gut zu bewältigen. Unsere Ziele dabei sind, Sie so zu unterstützen, dass Sie Ihre jeweilige Aufgabe vor Ort gut bewältigen können und Ihnen Hinweise für ein möglichst unbeschwertes Leben vor, während und nach dem Auslandseinsatz zu geben. Ein Auslandseinsatz ist eine intensive Erfahrung, die Sie bereichern kann. Die verschiedenen Belastungen, die Sie im Zusammenhang mit diesem Einsatz erleben werden, können ebenfalls sehr intensiv sein. Obwohl jeder Mensch individuell auf Stress und Belastung reagiert, haben wir versucht eine allgemeine Zusammenstellung zu erstellen, die Sie in der Stärkung Ihrer Widerstandskraft gegen Beund Überlastung unterstützt. Wir hoffen, dass für jeden Leser und jede Leserin etwas dabei ist. Informieren Sie sich in unserem Handbuch über die Themen Stress und Stressmanagement und übernehmen Sie dadurch Verantwortung für sich selbst. Wir weisen hier auch auf andere Angebote des ZIF hin, die zu Ihrer Unterstützung zur Verfügung stehen, wie zum Beispiel das Handbuch „In Control“, eine Checkliste zur Einsatzplanung, eine psychosoziale Onlinebetreuung während Ihres Friedenseinsatzes durch externe Experten sowie Coachingstipendien zur beruflichen Orientierung für Rückkehrer aus Langzeiteinsätzen. Sie finden diese und weitere Angebote im ZIF-Mitgliederbereich. In diesem Handbuch haben wir das generische Maskulinum verwendet, das stellvertretend für das männliche und das weibliche Geschlecht steht. 7 02 Was ist Stress? Stress beschreibt zunächst auf neutrale Weise psychische sowie physische Reaktionen, die durch äußere Reize oder Stressfaktoren hervorgerufen werden, und ist dementsprechend eine normale Reaktion unseres Körpers bzw. unseres gesamten Organismus. Diese Reaktionen befähigen uns, besondere Anforderungen zu bewältigen, die mit einer hohen Belastung einhergehen (UNDPKO 1994: 20). Solche Reaktion werden als positiver Stress bezeichnet, da punktuelle Stressreaktionen den Körper zwar stark belasten, die Gesundheit jedoch auf lange Sicht fördern können. So kann sich Stress vor einem Einsatz zum Beispiel durch die Vorfreude auf den Einsatz und die vielen Vorbereitungen ausdrücken, die damit einhergehen. Durch diesen Stress erhält der Körper mehr Energie, der Stoffwechsel wird angekurbelt und Sie sind in der Lage, Ihre Vorbereitungen schneller und effizienter zu treffen. Während des Einsatzes können die neuen Herausforderungen, die mit der ungewohnten kulturellen Umgebung und einem neuen Arbeitsumfeld zusammenhängen, ebenfalls eine Art von positivem Stress darstellen und Sie dabei unterstützen, Ihre Aufgaben zu bewältigen. Die Rückkehr in Ihre Heimat und das Wiedersehen mit Familie und Freunden kann sich ebenso als positiver und damit belebender Stress auswirken. Stress kann also durchaus konstruktiv wirken und uns motivierter und sogar ausgeglichener machen. Der Zustand der Verliebtheit ist ein Beispiel für intensiven positiven Stress (1). Was es bedeutet, wenn Stressreaktionen sich zu negativem Stress [Kap. 3] entwickeln und welche Formen von Stress und von Stresssymptomen es gibt, erfahren Sie in den nachfolgenden Abschnitten. Mehr zum Thema (1) Psychologisches Grundwissen zum Thema Stress. 8 03 Negativer Stress Menschen gehen mit Stresssituationen unterschiedlich um. Es kann sogar sein, dass für den einen als Stress gilt, was den anderen noch motiviert. Versuchen Sie herauszufinden, wo Ihr persönlicher Stresslevel liegt. Machen Sie sich klar, dass dieser sich auch verändern kann (Litzke, Schuh, Pletke 2013). Stress hat grundsätzlich nur dann einen positiven Effekt, wenn die Belastung von kurzer Dauer ist und sich der Körper danach wieder beruhigen kann. In diesem Fall können die ausgeschütteten Stresshormone im Körper verarbeitet und die Reserven für diese Alarmstoffe im Körper wieder aufgefüllt werden. Bei anhaltender Belastung durch Dauerstress kann es sein, dass der Organismus durch diese Überbelastung körperliche und psychische Störungen oder Krankheiten entwickelt. Vor dem Einsatz kann diese Art von Stress zum Beispiel dadurch entstehen, dass die Vor bereitungen auf einen Auslandseinsatz sehr intensiv sind, aber gleichzeitig ein angemessener Abschied von Familie und Freunden gewünscht ist. Während eines Einsatzes, vor allem in der Anfangsphase, können die vielen neuen Eindrücke überwältigend und somit sehr stressreich wirken. Außerdem können ein ständiges Gefühl der Gefährdung der eigenen Sicherheit, Sprachbarrieren, interkulturelle Herausforderungen, eine geringe Unterstützung von Kollegen oder traumatische Erlebnisse im Einsatz starken Stress erzeugen. Auch die Rückkehr aus dem Einsatz ist nicht immer unproblematisch, da sich das Wiedersehen mit Familie und Freunden und die Wiedereingewöhnung in das alte Umfeld möglicherweise unerwartet schwierig gestalten (1). 9 Stress im Einsatz Negativer Stress 03 Da Stresssituationen im Zusammenhang mit Auslandseinsätzen so gut wie unvermeidbar sind, ist es wichtig, sich mit dem Thema Stressmanagement vor, während und nach dem Einsatz auseinanderzusetzen. Machen Sie sich bewusst, wie sich Stress ausdrückt, wie Sie die eigenen Stresssymptome erkennen, wie Sie ihm vorbeugen können und wie Sie mit Stresssituationen am besten umgehen. Dies ist nicht nur hilfreich für Ihren eigenen Umgang mit Stress, sondern stellt auch eine große Hilfe für Kollegen dar, die mit Stress konfrontiert sind. Darüber hinaus kann Stressmanagement und entsprechende Beratung und Unterstützung für die Angehörigen hilfreich sein, da diese ebenfalls vor, während und nach Ihrem Einsatz unter Stress leiden können. Zu diesem Thema sind die Systemische Beratung und die Systemische Therapie empfehlenswert. Bitte lesen Sie in diesem Zusammenhang auch unsere Kapitel Therapie und professionelle Hilfe bei Stress und Trauma [Kap. 16], Überblick über verschiedene Therapieformen [Kap. 16.1] und Suche nach therapeutscher Hilfe [Kap. 16.2]. Schließlich kann Ihnen das Wissen über Stress und Stressreaktionen auch dabei helfen, manches Verhalten und manche Reaktionen anderer Menschen besser zu verstehen, denen Sie in Ihrem Einsatzgebiet und in Ihrem Team begegnen werden. Wir empfehlen Ihnen, sich mit dem Thema Stressmanagement auseinanderzusetzen, um zu lernen, möglichst konstruktiv mit Stress umzugehen. Werden Sie aktiv. Vermitteln Sie sich und anderen Unterstützung und, wenn möglich, beseitigen oder vermindern Sie die Stressfaktoren. Die nachfolgenden Informationen sollen Sie dabei unterstützen. ( fi b Mehr zum Thema (1) Psychologisches Grundwissen zum Thema Stress. 10 Stress im Einsatz Negativer Stress 03 3.1 Übungen und Tests zur Selbsteinschätzung Dieser Selbsttest wurde von der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ, jetzt Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GIZ) entwickelt und hilft Ihnen bei der persönlichen Selbsteinschätzung. Die genaue Selbstbeobachtung kann Ihnen ermöglichen, Stress frühzeitig zu erkennen und somit besser zu managen. Checkliste Checkliste Stressanfälligkeit (Litsch und Novoa 2002: 23) Gehen Sie diese Checkliste mit typischen Anzeichen der Überforderung regelmäßig durch, um persönliche Warnsignale zu erkennen und rechtzeitig gegenzusteuern. •• •• •• •• •• •• •• •• •• •• •• •• •• •• •• •• Ich reagiere bei kleinen Anlässen übermäßig gereizt. Ich fühle mich innerlich gehetzt, komme schwer zur Ruhe. Ich grüble ständig und muss dauernd etwas tun. Es fällt mir schwer, anderen zuzuhören. Ich habe den Eindruck, in letzter Zeit mit Scheuklappen durch die Welt zu gehen. Alles wird mir zu viel, ich ziehe mich immer häufiger zurück. Ich interessiere mich kaum für meine Lieblingsbeschäftigung. Ich mache häufig unnötige Fehler, meine Leistungsfähigkeit ist im Vergleich zu früher gesunken. Ich bin häufig im Begriff zu resignieren. Ich habe das Gefühl, »urlaubsreif« zu sein. Ich will am liebsten von niemandem angesprochen werden. Ich schlafe häufig schlecht und fühle mich dann am Tag angespannt, schlapp und erschöpft. Ich kann mich nicht mehr richtig konzentrieren. Ich leide häufig unter Spannungskopfschmerzen, Magenbeschwerden oder Muskelverspannungen. Ich habe das Gefühl, von Arbeit überhäuft zu sein, und gehe vielen täglichen Anforderungen aus dem Weg. Ich bin in letzter Zeit häufiger krank. 11 Stress im Einsatz Negativer Stress 03 Test Professional Quality of Life Self-Test (Compassion Satisfaction Test) Dieser Fragebogen soll Sie darin unterstützen, Ihre berufliche Zufriedenheit bzw. Unzufriedenheit zu reflektieren. Die Zielgruppe dieses Tests sind Menschen, die mit und für andere Menschen arbeiten. > The ProQol Measure In English and Non-English Translations Übung Lebensrad-Selbsttest zur Work-Life Balance Diese Übung kann Ihnen dabei helfen, einen allgemeinen Überblick über Ihre Zufriedenheit und Wachstumsmöglichkeiten in den verschiedenen Bereichen Ihres Lebens zu gewinnen (Beruf, Freizeit, Beziehung, Finanzen etc.). Genaue Anleitungen (auch YouTube-Filme) finden Sie im Internet unter dem Suchbegriff „Coaching Tool Lebensrad“. 12 04 Formen von Stress und Stresssymptome Stress drückt sich immer individuell und häufig in unterschiedlicher Intensität aus. Persönliche (Lebens-)Erfahrungen und Prägung, individuelle Fähigkeiten und Fertigkeiten, im Laufe des Lebens erworbene Bewältigungsstrategien, die Art der sozialen Einbindung und die aktuelle körperliche und seelische Verfassung beeinflussen die Ausprägung von Überbeanspruchung und Stress maßgeblich. Außerdem hängt die Stärke der Reaktion von Art, Intensität und Dauer des Ereignisses oder der anhaltenden Situation ab. Mit anderen Worten: Wie Sie auf Stress und Stress erzeugende Situationen und Ereignisse reagieren, hängt auch mit Ihrer Persönlichkeit, Ihrer persönlichen Geschichte, Ihrem Selbstbild und Ihren Ansprüchen an sich und andere zusammen. Ihr Umfeld ist ebenfalls relevant sowie die Art und Weise, wie Sie mit sich und anderen in Beziehung treten. Eine wichtige Rolle bei den Reaktionen auf Stress und auf Stress erzeugende Situationen und Ereignisse spielen auch eigene Traumata – hier besonders diejenigen, die nicht verarbeitet wurden (Bundesminis terium der Verteidigung Heft II 2002). Nachfolgend werden zwei Ausprägungen von Stress aufgeführt und wie sich Stress auf der psychischen, physischen, emotionalen und kognitiven Ebene ausdrückt. 4.1 Erhöhter und anhaltender Stress Bei akuter Überforderung und/oder Ermüdung treten Überbeanspruchung und Überlastung des Organismus auf, der dann Symptome von erhöhtem Stress zeigen kann. Erfolgt auf diese Symptome keine angemessene und konstruktive Reaktion oder ist dies nicht möglich, wird die Ausnahmesituation zum Normalzustand. Die Kraftreserven werden aufgebraucht, ohne sie erneuern zu können, und es entsteht das Gefühl des Ausgebrannt-Seins (Litsch und Novoa 2002: 44). Dieses Gefühl kann mit dazu beitragen, einen Burnout zu entwickeln, der unter anderem das Resultat von lang anhaltendem Stress sein kann. Burnout ist ein schwer fassbares Phänomen, das viele Ursachen, zahlreiche verschiedene Beschwerden und ebenfalls viele unterschiedliche Behandlungsweisen umfasst. Es umschließt sowohl die überlastenden Rahmenbedingungen in der jeweiligen Lebens- und Arbeitsumgebung als auch die Art und Weise der betroffenen Menschen, damit umzugehen (Hillert in Wirtschaftspsychologie Aktuell 2/2010: 29–30). 13 Stress im Einsatz Formen von Stress und Stresssymptome 04 Eine größere Gefährdung für einen Burnout besteht für Menschen, die sich schlecht gegen Überlastung abgrenzen und eigene Schwächen nicht akzeptieren können. Ebenso sind Menschen gefährdet, die allen Ansprüchen und Erwartungen entsprechen wollen, sogar den schon vorausgeahnten. Menschen, die glauben, unter allen Umständen funktionieren zu müssen, haben kein gutes Verhältnis zu ihren eigenen Bedürfnissen und auch nicht zu denen von anderen, mit denen sie leben oder arbeiten. Auch Menschen, die durch eine starke Konkurrenzorientierung und durch eine ausgeprägte Suche nach Anerkennung motiviert sind, sind ähnlich gefährdet. Anzeichen von anhaltendem Stress können laut Litsch und Novoa (2002: 49) u.a. sein: •• Erschöpfung und Überarbeitung; •• Gefühl des Ausgebrannt-Seins; •• Abstumpfung gegenüber realer Gefahr; •• Immer weniger und schlechtere Leistungsergebnisse trotz verstärkter Willensanstrengung; •• Suchtgefährdung; •• Ankämpfen gegen körperliche Krankheiten, Schuldkrisen und Zweifel an der eigenen beruflichen Kompetenz; •• Unlustgefühle, Fluchtgedanken, Gefühl der Ausweglosigkeit, permanente Müdigkeit, versteckte Depressionen. 4.2 Existentieller Übergangsstress Schwerwiegende Veränderungsprozesse, die sich auch durch einen Auslandsaufenthalt ergeben können, werden als existentielle Übergangssituationen bezeichnet. Stützende Rahmenbedingungen und Menschen sind nicht mehr vorhanden und die neue Umgebung ist noch zu fremd und ungewohnt, um als sichernd oder Halt gebend empfunden zu werden. Das kann phasenweise starke Stressgefühle hervorrufen, die durch Ängste, mangelnde Entscheidungsfähigkeit, Traurigkeit und Hoffnungslosigkeit gekennzeichnet sind. Existentieller Übergangsstress kann bei allen Menschen auftreten, die tiefgreifende Veränderungen erleben oder ihnen unterworfen sind (Litsch und Novoa 2002: 45). 14 Katastrophen, traumatischer und posttraumatischer Stress, kumulatives Trauma, Sekundäre Traumatisierung 05 Traumatische Grenzerfahrungen erschüttern das Selbstverständnis eines Menschen. Es sind Ausnahmeerfahrungen, die mit Kontrollverlust, extremer Furcht und häufig auch mit dem Erleben der Unterwerfung unter einen Aggressor verbunden sind. Diese Grenzerfahrungen beinhalten oft, dass die betroffene Person brutale Gewalt und/oder (drohenden) Tod entweder an sich oder an anderen Menschen erlebt. Das können Raubüberfälle, Entführungen, Folter, Vergewaltigung und andere Vorfälle sein, die mit normalem menschlichem Empfinden und Verhalten nicht vereinbar und nicht verstehbar sind. Wenn Menschen andere Menschen durch ihr Verhalten traumatisieren (Manmade Disaster), ist die Grenzerfahrung häufig schwerer zu überwinden, als wenn es sich zum Beispiel um Naturkatastrophen oder um Unfälle handelt. Traumatisierungen, die durch Menschen ausgelöst werden, erschüttern die Beziehungsfähigkeit der Opfer und ihr Vertrauen in andere Menschen stärker als Naturkatastrophen oder vergleichbare Ausnahmeerscheinungen. Die Überschreitung von grundsätzlichen menschlichen Grenzen gegenüber anderen Menschen ist auf einer tiefen emotionalen Ebene sehr schwer zu verstehen und zu verarbeiten (Litsch und Novoa 2002: 45–46). Allgemeine Anzeichen von Stress, der mit Katastrophen verbunden ist, können u.a. sein (Litsch und Novoa 2002: 49): •• •• •• •• •• •• •• •• •• •• •• Angstzustände; Sinnlosigkeitserleben; Diffuse Traurigkeit; Schuldgefühle; Depression; Verlust von Interesse an Aktivitäten, die vorher Freude bereitet haben; Selbstmordgedanken; Verdeckte Selbstschädigung (auch Suchtverhalten); Mangel an Zuversicht in die Zukunft; Irrationales Verhalten; Erstarrung. Mit Katastrophen verbundener Stress, der sich relativ schnell entwickeln kann, wird auch als Flame-Out bezeichnet. In einem solchen Fall ist es wichtig, die betroffene Person zeitweise von der Katastrophen-Umgebung zu entfernen. Damit wird ihr die Möglichkeit gegeben, sich wieder zu erholen und wieder Kontrolle über das eigene Verhalten zu entwickeln (UNDPKO 1995: 24). Erkundigen Sie sich, ob die Organisation, die Sie entsendet, in einem solchen Fall Unterstützung anbietet. 15 Stress im Einsatz Katastrophen, traumatischer und posttraumatischer Stress, kumulatives Trauma, Sekundäre Traumatisierung 05 5.1 Traumatischer Stress Eine Traumatisierung erlebt ein Mensch, wenn er grenzverletzenden Bedrohungs- und Gewalterfahrungen ausgesetzt ist, die ihn intensiv ängstigen und/oder das Gefühl des Entsetzens in ihm hervorrufen. Gleichzeitig kann er der Situation nicht entfliehen und auch nicht dagegen ankämpfen, weil er dem Geschehen hilflos ausgeliefert ist oder sich als hilflos erlebt. Die Fülle der Emotionen und der Erlebnisse, denen er ausgesetzt ist, kann sein Organismus nicht mehr in der gewohnten Weise verarbeiten. Der Körper und die Psyche sind überlastet und überflutet. Der Organismus stellt sich dann auf gewisse Weise tot und spürt die zu intensiven Gefühle nicht mehr. Er verarbeitet die extremen Bilder, Geräusche, Gerüche, Schmerzen etc. nicht mehr. Traumatisierte Menschen wirken oft wie betäubt und haben mitunter Schwierigkeiten, sich im Hier und Jetzt zu orientieren. Ihr Organismus führt nur noch die überlebenswichtigen Funktionen aus. Die Verarbeitung der Erlebnisse wurde und wird unterbrochen oder eingeschränkt, da sie den Körper und die Psyche zu diesem Zeitpunkt zu sehr schädigen würde. Dies führt dazu, dass insgesamt die Reaktions- und Wahrnehmungsfähigkeit eingeschränkt sein kann. Der Mensch verfügt also über die Fähigkeit, traumatisiert zu werden, um Grenzerfahrungen zu überleben (Litsch und Novoa 2002: 45–46). Dieses Überleben hat den Preis, dass der Organismus später versuchen wird, die nicht verarbeiteten Eindrücke, Gefühle und Gedanken auf mehr oder weniger belastende Art und Weise zu verarbeiten. Anzeichen von traumatischem Stress können u.a. sein: •• Schock, Gefühl von Betäubt-Sein; •• Die Aufmerksamkeit engt sich ein, die Fähigkeit, externe Reize zu verarbeiten, nimmt ab; •• Die Fähigkeit, sich zeitlich und räumlich zu orientieren, nimmt ab; •• Alle genannten Anzeichen von erhöhtem Stress können auftreten; •• Unentschlossenheit, Schreckhaftigkeit, Reizbarkeit, extreme Nervosität, plötzliche Tränenausbrüche, Zittern, Schweißausbrüche, Übelkeit, Erbrechen; •• Hilflosigkeit, Ohnmachtsgefühle, Gefühl des Ausgeliefertseins; •• Zunehmender Rückzug von der Umwelt, Erleben als sei alles ein Traum, Eindruck, neben sich selbst zu stehen; •• Entsetzen, Fassungslosigkeit; •• Trance-Empfinden; •• Totale Gefühllosigkeit, Erstarrung; •• Erinnerungslücken für das auslösende Ereignis (Litsch und Novoa 2002: 50); 16 Stress im Einsatz Katastrophen, traumatischer und posttraumatischer Stress, kumulatives Trauma, Sekundäre Traumatisierung 05 •• Erinnerungsfetzen an das traumatische Ereignis (Flashbacks), als ob das traumatische Erleben teilweise wiedererlebt wird; •• Vermeidung von allem, was an das Erlebnis erinnert (z.B. Gefühle, Gespräche, Orte, Personen) (Sass, Wittchen, Zaudig 1999). Viele dieser Anzeichen zeigen, dass die Selbstheilungskräfte des Organismus aktiviert sind und dass dieser versucht, das Erlebte stückchenweise zu verarbeiten und in das normale Gedächtnis zu verlagern. Das braucht Energie, die der Organismus während der Verarbeitungszeit nicht oder nur eingeschränkt für andere Aktivitäten zur Verfügung hat. Wenn die betroffene Person genügend Unterstützung, eventuell auch professioneller Art, erhält und Raum und Zeit dafür hat, ihre Selbstheilungskräfte zu aktivieren, und wenn das traumatische Erlebnis nicht zu tiefe Spuren hinterlassen hat, dann lassen die entsprechenden Symptome und Anzeichen innerhalb einiger Tage oder Wochen nach dem traumatischen Erlebnis nach. Wichtig ist auch, dass die Person die eigene (menschliche) Schwäche für sich akzeptieren kann bzw. lernt, diese zu akzeptieren. Das Erlebnis kann dann von der Person verarbeitet und in das eigene Selbstverständnis und das Verhältnis zu Umgebung und Umwelt so eingebaut werden, dass sie sich wieder sicherer fühlt. Die erlebten Eindrücke werden oft immer noch intensiv empfunden, sind aber nicht mehr überwältigend. Wenn die erlebten traumatischen Eindrücke nicht in dieser Weise verarbeitet werden können, kann eine Posttraumatische Belastungsstörung [Kap. 5.2] entstehen. 5.2 Posttraumatische Belastungsstörung und Posttraumatischer Stress Werden das traumatische Ereignis oder die Ereignisse ebenso wie länger andauernde traumatisierende Lebensphasen nicht in der Weise verarbeitet, dass sie in das eigene Erleben integriert werden können, entsteht eine Posttraumatische Belastungsstörung. Die Symptome treten oft erst nach längerer Zeit auf (Monate, sogar Jahre). Dann ist es mitunter schwer, einen Zusammenhang zum belastenden Ereignis herzustellen. Die Symptome können aber auch direkt nach dem Erlebnis auftreten. Entscheidend ist, dass sie nicht mehr nachlassen, sondern anhalten und sich störend weiter entwickeln. Viele der Symptome ähneln denen, die bereits unter dem Punkt traumatischen Stress [Kap. 5.1] beschrieben wurden. 17 Stress im Einsatz Katastrophen, traumatischer und posttraumatischer Stress, kumulatives Trauma, Sekundäre Traumatisierung 05 Die Nichtverarbeitung der Ereignisse und der damit verbundenen Gefühle, Gedanken und Verhaltensweisen kann damit zusammenhängen, dass das Ereignis zu tiefgreifend und zu stark abseits der Vorstellungen des Individuums von der Welt und dem Verhalten der Menschen war. Die Person kann sich auch zu sehr schämen, dass ihr so etwas, für sie selbst unfassbares, passiert ist. Sie wird unter Umständen nicht wollen, dass jemand merkt, wie es ihr geht und deswegen weder darüber sprechen, noch sich professionelle oder andere Hilfe suchen. Die Akzeptanz der eigenen Schwächen spielt also auch hier eine wichtige Rolle. Manche Menschen versuchen, alles zu vermeiden, was sie an das Erlebnis erinnert, weil die Gefühle und Gedanken, die sie dann erleben, zu belastend für sie sind. Dies verhindert die Verarbeitung der Erlebnisse und führt dazu, dass die Symptome nicht verschwinden, sondern paradoxerweise oft zunehmen. Das liegt daran, dass auch hier der gesamte Organismus und besonders die Psyche immer wieder versuchen, die Erlebnisse zu verarbeiten. So entwickeln sich verschiedenste Symptome, die mit dem Ereignis und dem traumatischen Erleben zusammenhängen. Je tiefer sich die Posttraumatische Belastungsstörung ausbildet, umso schwerer sind die Symptome zu verstehen. Sie sind oft mit starkem Leiden und Beeinträchtigungen verbunden und nicht klar und direkt, sondern eher bildhaft und metaphorisch zu begreifen. Einige Menschen befinden sich durch die Posttraumatische Belastungsstörung in einem Zustand der andauernden Erregung, sind zum Beispiel schnell gereizt oder wütend oder fühlen sich ständig angegriffen. Es scheint, als wären sie teilweise noch in der traumatisierenden Situation, ohne es zu wissen. Wenn die Ereignisse nicht verarbeitet werden, sind sie der normalen Erinnerung auch nicht zugänglich. Die Menschen wissen dann oft nicht, warum sie ständig angespannt sind. Wieder andere Menschen erzählen immer wieder auf die gleiche Art von ihren Erlebnissen. Auch das ist ein Versuch der Verarbeitung, der jedoch ohne weiter gehende Methoden selten zur erfolgreichen Verarbeitung und Bewältigung des Erlebten führt. Eine Posttraumatische Belastungsstörung kann sich genauso bei Menschen entwickeln, die Zeuge von traumatisierenden Ereignissen für andere Menschen wurden, also auch bei professionellen Helfern. Menschen, die Opfer von grenzverletzender Gewalt, von Unfällen oder von Unglücken, von Katastrophen, aber auch von Krieg und insgesamt von Situationen wurden, in denen sie intensive Furcht, starke Hilflosigkeit oder tiefes Entsetzen empfunden haben, sind anfälliger für eine Posttraumatische Belastungsstörung. Dies gilt sowohl für die Posttraumatische Belastungsstörung als auch für den traumatischen Stress [Kap. 5.1]. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat die in diesem Handbuch verwendeten Kriterien zur Definition dieser Störung definiert und als solche anerkannt. Die Kriterien der WHO werden auch bei der Ausbildung von Psychologen und Psychotherapeuten verwendet, die mit betroffenen Menschen arbeiten. Posttraumatische Belastungsstörungen und andere Folgen von extremem Stress sollten unbedingt kompetent, angemessen und professionell diagnostiziert und behandelt werden (Litsch und Novoa 2002: 46 und 51). 18 Stress im Einsatz Katastrophen, traumatischer und posttraumatischer Stress, kumulatives Trauma, Sekundäre Traumatisierung 05 Weitere Anzeichen von posttraumatischem Stress können u.a. sein: •• •• •• •• •• •• •• •• •• •• •• •• •• •• •• •• •• •• Wiederholte, stark belastende Träume; Schlafstörungen; Erinnerungslücken, Gedächtnis- oder Konzentrationsstörungen; Schuldgefühle; Starke Selbstzweifel; Zynismus oder Gleichgültigkeit; Vermindertes Interesse an Aktivitäten, die früher Spaß gemacht haben; Die Antennen sind eingefahren, Entfremdung von anderen; Reduziertes Gefühlsleben, Abstumpfung; Diffuse Traurigkeit, verminderte Lebensperspektive; Zweifel am Lebenssinn; Depression; Selbstmordgedanken bis hin zum Selbstmord; verdeckte Selbstschädigung, Suchtverhalten (Alkohol, Rauchen, Essen, Sex etc.); Veränderung der Realitätswahrnehmung bis hin zu einer schweren psychischen Erkrankung; Durch unkontrolliertes Wiedererleben des Ereignisses (Flashbacks) wird die Erregung aufrechterhalten; Das traumatische Erlebnis wird immer wieder durchlebt, besonders in Träumen; Der Jahrestag des Ereignisses oder das Erleben von ähnlichen Elementen der Situation (Gerüche, Geräusche etc.) können die gleichen Reaktionen und Gefühle wie in der traumatischen Situation hervorrufen. Eine Posttraumatische Belastungsstörung kann bei allen Menschen auftreten und ist weder ein Zeichen besonderer Schwäche noch von individuell geringer Belastungsfähigkeit, sondern zeugt von Menschlichkeit. In verschiedenen Kulturen werden die Auswirkungen von tieftraumatisierenden Ereignissen unterschiedlich behandelt. Das grundsätzliche Prinzip der Posttraumatischen Belastungsstörung ist bei allen Menschen hingegen ähnlich (Litsch und Novoa 2002: 51). Untersuchungen und Schätzungen gehen davon aus, dass zwischen 5 und 30 Prozent der Menschen, die aus Einsätzen in Friedensmissionen und in Katastrophengebieten nach Hause zurückkehren, eine Posttraumatische Belastungsstörung entwickeln oder entwickelt haben. Viele dieser Menschen nehmen die Symptome bei sich selbst nicht bewusst wahr oder ordnen sie nicht richtig ein. Stattdessen begeben sie sich auf die Jagd nach der nächsten Krise. Im Grunde wollen diese Menschen sich wieder so fühlen wie vor ihrer Traumatisierung, so als ob ein neuer Einsatz dazu führen könnte, dass alles auf null gestellt wird. 19 Stress im Einsatz Katastrophen, traumatischer und posttraumatischer Stress, kumulatives Trauma, Sekundäre Traumatisierung 05 Dies hat jedoch zur Folge, dass diese Menschen nicht angemessen beraten und behandelt werden und oft auch dazu, dass ihre Arbeit negativ beeinflusst wird. Manche Menschen, die spüren, dass mit ihnen etwas nicht in Ordnung ist, fürchten sich davor, sich mit ihrem Arbeitgeber wegen ihrer Traumatisierung in Verbindung zu setzen. Sie haben Angst vor negativen beruflichen Konsequenzen. Andere empfinden die institutionelle Hilfe, die für solche Fälle vorgesehen ist, als unpassend und der Situation nicht angemessen, oder sie haben in der Realität keinen bzw. wenig Zugang dazu (1). Mitunter ergeben sich durch die Diagnose einer Posttraumatischen Belastungsstörung auch tatsächliche berufliche Beeinträchtigungen für die Betroffenen. Es gibt einige Berufsgruppen, in denen Emotionalität unterdrückt und nicht besprochen wird, auch weil das Rollenbild Emotionalität oder Hilflosigkeit nicht zulässt. Auf diese Hintergründe sollte bei der Behandlung einer Posttraumatischen Belastungsstörung ebenso angemessen eingegangen werden wie auf die unterschiedliche Ausprägung und das Erscheinungsbild einer Posttraumatischen Belastungsstörung auf Grund potentiell wirksamer Rollenstereotype oder genderspezifischer Prägung. Schließlich muss erwähnt werden, dass auch Täter tief traumatisiert werden können, da sie durch ihre Taten die allgemeingültige menschliche Wertewelt nicht nur beim Opfer, sondern auch bei sich selbst verletzen (Litsch und Novoa 2002: 51). Wenn schwere traumatische Erlebnisse oder Situationen andauern, wenn ein Mensch, ganze Gruppen oder Gesellschaften also über längere Zeit in einer traumatisierenden Umgebung leben oder leben müssen, können schwere und umfassende körperliche und/oder psychische Folgeschäden auftreten, die mit dem Begriff der Posttraumatischen Belastungsstörung nicht mehr ausreichend beschrieben sind. Dies betrifft sowohl Menschen, die als Kinder schweren Traumatisierungen ausgesetzt waren, als auch Erwachsene, die Extrembelastungen überlebt haben. Hier finden Sie Hinweise zum Umgang mit dem Themenbereich der Trauma und traumatischer Stress [Kap. 5.4]. Mehr zum Thema (1) „Aid workers and post-traumatic stress disorder“. 20 Stress im Einsatz Katastrophen, traumatischer und posttraumatischer Stress, kumulatives Trauma, Sekundäre Traumatisierung 05 5.3 Kumulatives Trauma (Häufung von Belastungssituationen) Wenn ein Mensch mehrere belastende Situationen durchlebt hat, die jeweils für sich genommen nicht traumatisierend gewirkt haben, kann die Häufung dieser Ereignisse schließlich traumatisierend wirken. Es ist, als ob die Person durch die unterschiedlichen Belastungen verwundbarer geworden ist oder wird. Ein Ereignis, das andere möglicherweise nicht so gravierend finden, kann dann traumatische Reaktionen auslösen (Litsch und Novoa 2002: 48–49). 5.4 Stellvertretende oder Sekundäre Traumatisierung Eine stellvertretende oder Sekundäre Traumatisierung kann entstehen, wenn Sie mit Menschen in Beziehung treten, die durch einen oder mehrere andere Menschen, ein Ereignis oder eine Katastrophe traumatisiert wurden und darunter leiden. Besonders, wenn Sie stark mitfühlen und versuchen, sich in das Erleben des anderen einzufühlen, kann es passieren, dass Sie dessen Gefühls- und Erlebniswelt auf eine Art und Weise teilen, die Sie emotional mit dem Gegenüber und mit dessen verstörenden Erlebnissen verstrickt (1). Die Fähigkeit zur Empathie kann dann zum Risikofaktor werden. Es ist sehr empfehlenswert zu lernen, sich gegen diese Art des Überschwemmt-Werdens mit fremden Gefühlen und Erlebnissen abzugrenzen, ohne allerdings gefühllos für das Leid anderer zu werden. Dazu ist es notwendig eine gewisse Selbstfürsorge zu entwickeln. Anderenfalls besteht die Gefahr, dass sich Gefühle der chronischen Überforderung, Ärger oder sogar psychosomatische und depressive Störungen sowie Suchtprobleme entwickeln (Hofmann, Reddemann, Gast in Hudnall Stamm (Hrsg.) 2002: 7). Es kommt vor, dass Helfer, die mit traumatisierten Menschen arbeiten und motiviert helfen möchten, die gleichen oder ähnliche Symptome entwickeln, wie diese Menschen. Das kann die Lebensqualität der Helfenden, aber auch die Qualität der Arbeit dieser Menschen stark beeinflussen. Das Grenzverletzende an der ursprünglichen traumatischen Situation wirkt dann gewissermaßen weiter und hat Effekte auf die psychischen Grenzen der Helfer (Pross 2004: 210). 21 Stress im Einsatz Katastrophen, traumatischer und posttraumatischer Stress, kumulatives Trauma, Sekundäre Traumatisierung 05 Menschen, die in sogenannten helfenden Berufen arbeiten, haben ein erhöhtes Risiko dafür, eine Sekundäre Traumatisierung zu erleben. Das gilt auch für Menschen, die in Krisengebieten tätig sind. Achten Sie deswegen gut auf sich und auf Ihre Grenzen der Belastbarkeit. Anzeichen einer Sekundären Traumatisierung können u.a. sein (Pross 2004: 210): •• Schlafstörung und Alpträume; •• Ängste, bedrohliches Erleben von Alltagsereignissen; •• wachsendes Entfremdungsgefühl, verbunden mit Rückzug und Isolierung; •• Gefühl des Unverstanden-Seins; •• Verlust der zuversichtlichen Haltung, Verlust des Sicherheitsgefühls; •• Desillusionierung. Manchmal machen Menschen mit Sekundärer Traumatisierung Opfer für deren Leid verantwortlich. Sie beschuldigen diese dann für das, was ihnen passiert ist. In anderen Fällen werden sie zynisch, halten Opfer für hoffnungslose Fälle und versuchen, die Beziehung zu ihnen abzubrechen. Manche Menschen entwickeln eine abwertende Grundhaltung gegenüber den Menschen, mit denen sie arbeiten. Sie entwickeln zum Beispiel eine abwertende Sprache und entsprechende Kommunikationsformen. In ganz schweren Fällen beuten Menschen mit sekundärer Traumatisierung Opfer von Traumata körperlich, emotional oder sexuell aus. In solchen Fällen setzt sich die helfende Person nicht mehr mit dem eigenen Gefühlshaushalt auseinander. Stattdessen werden, meist unreflektiert, das oder die Opfer für alles Belastende verantwortlich gemacht, was für sie selbst so schwer auszuhalten ist (Huber 2004: 285–288). In Zusammenhang mit der Sekundären Traumatisierung gibt es ein weiteres, verwandtes Phänomen, die sogenannte Mitempfindens-Müdigkeit (Compassion Fatigue). Das Phänomen wird häufiger bei Menschen beobachtet, die in helfenden Berufen tätig sind. Diese Art der Arbeit kann dazu führen, sich mit den Menschen, mit denen die Helfer arbeiten, sehr stark zu identifizieren und sich in deren Erlebnisse und Emotionen zu verstricken. Das kann passieren, wenn die Helfenden zu wenig auf sich und ihre Bedürfnisse achten und stattdessen die Bedürfnisse der Menschen, mit denen sie arbeiten, dauerhaft für wichtiger halten. In der Zusammenarbeit mit Menschen, die leiden oder denen es sehr schlecht geht, kann es leicht passieren, dass dieses Ungleichgewicht eintritt. Dabei erleben die Helfenden durch die intensive Beziehung zu traumatisierten Menschen teilweise eigene, frühere (oft unverarbeitete) Traumatisierungen. Manche reagieren sehr schnell gereizt, andere erleben intensiv die traumatischen Symptome der Menschen, mit denen sie arbeiten, ohne deren Traumata erlebt zu haben. Sie fühlen sich dann vom traumatischen Stress der Personen, mit denen sie arbeiten, wie angesteckt, ermüdet und häufig hoffnungslos (Huber 2004: 283–284). 22 Stress im Einsatz Katastrophen, traumatischer und posttraumatischer Stress, kumulatives Trauma, Sekundäre Traumatisierung 05 Eine weitere Variante der Sekundären Traumatisierung ist aus der Familientherapie bekannt. Kinder entwickeln mitunter eine besondere Art der Sekundären Traumatisierung, wenn ihre Eltern Kriege, Vertreibungen, Genozide, ethnische Säuberungen, Katastrophen oder andere gewaltsame Ereignisse überlebt haben, die häufig ganze Gesellschaften oder große Gruppen von Menschen betroffen haben. Die Kinder spüren das Leid der Eltern und der Elterngeneration, auch oder gerade wenn diese nicht über ihre Erlebnisse und Erfahrungen sprechen (können). Sie werden durch die enge Bindung an die und das Mitleid mit den Eltern von deren Erfahrungen und unausgesprochenen Gefühlen überschwemmt und sekundär traumatisiert. Lesen Sie dazu bitte auch den Abschnitt über Trauma und traumatischer Stress [Kap. 5.4]. Bei Sekundärer Traumatisierung empfehlen wir eine kompetente und erfahrene Supervision und Beratung, damit eigene, oft durchaus verständliche und menschliche Reaktionen in Extremsituationen konstruktiv bearbeitet werden können. Damit kann auch verhindert werden, dass das eigene Wohlbefinden, die eigene Arbeit und andere Menschen destruktiv beeinflusst werden (Huber 2004: 288). Mehr zum Thema (1) Sekundäre Traumatisierung 23 Stress im Einsatz Katastrophen, traumatischer und posttraumatischer Stress, kumulatives Trauma, Sekundäre Traumatisierung 05 5.5 Zweittraumatisierung durch unpassende Reaktion der Umwelt Wünschenswert wäre ein Klima an Ihrem jeweiligen Arbeitsplatz, das auch die Sorge um die Bedürfnisse derjenigen beinhaltet, die mit leidenden und traumatisierten Menschen arbeiten. Die Organisation, für die Sie tätig sind, oder die Behörde, die Sie vertreten, sollte bestenfalls Ressourcen bereithalten und Verantwortung übernehmen. Dadurch könnten Traumatisierungen und Sekundäre Traumatisierungen vermieden oder zumindest gemindert werden. Leider ist aber mitunter zu beobachten, dass sich in beruflichen und institutionellen Zusammenhängen ein mangelndes Verständnis für die Auswirkungen von Traumata auf Menschen zeigt, die in Ihrer Arbeit per Definition viel direkten oder indirekten Kontakt mit Trauma, Leid und Katastrophen haben (Litsch und Novoa 2002: 49). Hierarchische Strukturen können diese Erscheinungen befördern, insbesondere wenn höhere Hierarchiestufen weiter entfernt vom eigentlichen traumatischen Umfeld agieren (Rudolph und Hudnall Stamm in Hudnall Stamm (Hrsg.) 2002: 250). Es kann auch eine unausgesprochene Übereinkunft darüber bestehen, sich gegen das unfassbare Leid stark abzugrenzen. Dies ist eine Art institutioneller Müdigkeit und Erschöpfung durch das ständige Beobachten von Leid. Oft werden als Reaktion starke bürokratische Prozesse entwickelt, die im Grunde als Abstandshalter zum eigentlichen Geschehen und nur scheinbar der Problemlösung dienen. Menschen, die dazu neigen, sich an bestehende Strukturen stark anzupassen, entwickeln im Team oder in der Gruppe ein gemeinsames Klima der Bagatellisierung von Gefahr und von den Belastungssituationen. Menschen, die durch gefährliche Situationen und Ereignisse traumatisiert wurden, werden als besonders anfällig für Leid und Stress gesehen. Mitunter wird den Schilderungen von betroffenen Mitarbeitern mit Misstrauen begegnet. Dadurch können einzelne Teammitglieder im Team isoliert werden. Deren Traumatisierung kann durch ein solches Verhalten verstärkt werden, da diese im Anschluss möglicherweise an ihrem eigenen Erleben zweifeln und noch unsicherer werden, als sie sich sowieso schon fühlen. Sie werden zweittraumatisiert (Litsch und Novoa 2002: 49). Es kann aber auch sein, dass im Team keine Unterschiede akzeptiert und anerkannt werden, also auch keine unterschiedlichen Kompetenzen, Sensibilitäten, Talente etc. Dadurch wird eine konstruktive Konfliktbewältigung, aber auch eine Wertschätzung unterschiedlicher Positionen und Erfahrungen vermieden und durch konfliktvermeidende (Pseudo-)Harmonie ersetzt. Hier besteht ebenso die Gefahr der Isolierung und Abwertung derjenigen Personen, die sich in dieses Klima nicht einfügen bzw. nicht anpassen, weil deren (traumatisches oder stressbewusstes) Erleben und Verhalten davon abweicht. 24 Stress im Einsatz Katastrophen, traumatischer und posttraumatischer Stress, kumulatives Trauma, Sekundäre Traumatisierung 05 In solchen Fällen ist es notwendig und wichtig, eine Art kollegiale oder eine externe Gruppensupervision in Anspruch zu nehmen, damit die Reflexionsfähigkeit und Handlungsfähigkeit des Teams verbessert wird. Auch eine Organisationsberatung kann helfen, damit die destruktiven Aspekte innerhalb der Organisation bzw. Institution und der Kommunikation untereinander erkannt und verändert werden. Eine Einzelberatung für Menschen, die stark unter Ihrer Arbeit leiden und davon sehr belastet oder sogar traumatisiert sind, ist ebenfalls empfehlenswert. Erkundigen Sie sich hierzu beim ZIF oder bei der Organisation, die Sie entsendet hat. Wichtig ist es auch, sich immer wieder klar zu machen, dass alle Menschen Schwächen haben und Krisen erleben. Es kann sein, dass eine persönliche und individuelle Krise, die vorher latent vorhanden war, oder sogar eine körperliche Erkrankung, die vorher weniger bedeutsam war, durch ein traumatisches Ereignis ausbricht. Dann ist es für den betroffenen Menschen und für die Umwelt schwer, einen Zusammenhang zum traumatischen Ereignis herzustellen, ähnlich wie beim kumulativen Trauma [Kap. 5.3]. Mögliche emotionale Auffälligkeiten oder Verhaltensweisen tauchen dann scheinbar plötzlich auf, sind aber eher Hilferufe und Anzeichen dafür, dass der betroffene Mensch überlastet ist. Es ist sinnvoll, aufmerksam hinzuschauen, wenn jemand starke Selbstzerstörungstendenzen, extremen Zynismus oder andere aggressive Verhaltensweisen zeigt. Vielleicht wirkt jemand aber auch abgestumpft oder entwickelt einen starken Drang nach sexueller Erfahrung und Bestätigung (Litsch und Novoa 2002: 49). Es ist nicht immer leicht, jemanden mit diesen Verhaltensweisen nicht zu isolieren, sondern im Gegenteil zu versuchen, mit ihm in Kontakt zu bleiben, ihn zu unterstützen und ihm klar zu machen, dass etwas nicht stimmt. Denken Sie jedoch daran, dieser Mensch könnten auch Sie einmal sein und dann wäre es schön, wenn jemand Ihnen dabei hilft, die Dinge wieder gerade zu rücken. 25 06 Unterschiedliche Aspekte und Auswirkungen von Stress Wir stellen Ihnen im Folgenden verschiedene generelle Reaktionen auf Stress und daraus resultierende Verhaltensweisen vor, die die bereits erwähnten Reaktionen, Anzeichen und Symptome ergänzen. 6.1 Körperliche Reaktionen Durch die Ausschüttung der Stresshormone reagieren Menschen in belastenden Situationen natürlich auch körperlich. Diese Reaktionen dienen dem Kampf- oder Fluchtreflex und sind normal. Anzeichen einer normalen Reaktion auf starken Stress während und direkt nach besonders belastenden Ereignissen können sein (Bundesministerium der Verteidigung Heft II 2002: 10): •• •• •• •• •• Übelkeit; Muskelzittern; Schwitzen, Schüttelfrost; Schwindel-/Schwächeanfall; Erhöhter Puls, erhöhter Blutdruck, Hyperventilation (zu schnelles, zu starkes Atmen); •• Benommenheit, Schockreaktion. Wenn Sie merken, dass jemand in Ihrer Umgebung auf eine dieser Weisen reagiert, führen Sie ihn an einen sicheren Ort, möglichst weg von der Stelle, an der das belastende Ereignis stattgefunden hat oder noch stattfindet, so dass kein Blick mehr auf diesen Ort möglich ist. Bleiben Sie bei der Person, falls irgend möglich. Prüfen Sie auch, ob Sie selbst unter diesen Reaktionen leiden. Versuchen Sie in diesem Fall, sich selbst aus der Situation weg zu bewegen und sich Unterstützung zu holen (Bundesministerium der Verteidigung Heft II: 10). 26 Stress im Einsatz Unterschiedliche Aspekte und Auswirkungen von Stress 06 Spätere Reaktionen nach einem belastenden Ereignis können u.a. sein: •• •• •• •• •• •• •• •• •• Schwindel-/Schwächeanfälle; Benommenheit; Schlafstörungen; erhöhter Puls und Blutdruck; Atemprobleme/beschleunigte Atmung; Sehschwäche; vermehrte Flüssigkeitsaufnahme; Müdigkeit; Übelkeit und Erbrechen, Muskel-/Nervenzucken/Lähmungen, Kopf- und Brustschmerzen, Schockanzeichen, Zähneknirschen (Bundesministerium der Verteidigung Heft II: 10 –11); •• Rückenschmerzen, Herzbeschwerden, Kreislaufprobleme, Verdauungsbeschwerden (Litsch und Novoa 2002: 48). Zu einem späteren Zeitpunkt können viele unterschiedliche körperliche Reaktionen auftreten, da auch der Körper die Überlastung verarbeiten muss. Später bedeutet, dass diese Reaktionen Stunden, Tage, Wochen, Monate und manchmal Jahre nach dem Ereignis auftreten können. Wundern Sie sich nicht, wenn Sie merken, dass Ihr Körper unterschiedliche Reaktionen entwickelt. Wenn Sie akzeptieren können, dass Sie mit dieser (vermeintlichen) Schwäche, die in dieser Situation eine angemessene Reaktion Ihres Körpers ist, auf stark belastende Ereignisse reagieren und sich danach schonen und entsprechende Selbstfürsorge betreiben, wird auch Ihr Körper sich wieder erholen können. Wenn Sie den Eindruck haben, dass die körperlichen Reaktionen nicht nachlassen und sie belasten, suchen Sie sich kompetente, erfahrene und professionelle Hilfe. 27 Stress im Einsatz Unterschiedliche Aspekte und Auswirkungen von Stress 06 6.2 Emotionale und psychische Veränderungen Auf viele emotionale und psychische Anzeichen und Symptome im Zusammenhang mit Stress [Kap. 2], negativem Stress [Kap. 3], anhaltendem Stress [Kap. 4.1], traumatischem Stress [Kap. 5.1] und posttraumatischem Stress [Kap. 5.2] haben wir bereits unter den vorherigen Punkten Bezug genommen. Wir werden Ihnen hier einige weitere Anzeichen und Symptome auflisten, damit Sie diese entsprechend einordnen können, falls Sie sie bei sich oder bei anderen bemerken. Wichtig ist, dass nicht alle Menschen, die kurzfristig unter einem dieser Symptome leiden oder kurzfristig eine dieser Verhaltensweisen zeigen, traumatisiert sind. Wenn Sie jedoch wissen, dass eine starke Belastung vorliegt oder ein schwerwiegendes Ereignis stattgefunden hat, und wenn Sie merken, dass sich Ihr eigenes oder das Verhalten anderer stark verändert hat, sollten Sie über Zusammenhänge nachdenken. Zusätzlich zu den bereits beschriebenen emotionalen und psychischen Anzeichen nach einer belastenden bzw. traumatisierenden Erfahrung können folgende Symptome auftreten: •• •• •• •• •• •• •• •• •• •• •• Panik, Beklemmung; übertriebene Trauer; veränderte Wahrnehmung des Umfeldes; Schwächen in Konzentration und Aufmerksamkeit, Gedächtnisund Erinnerungslücken; Schwächen im abstrakt-logischen Denken (Bundesministerium der Verteidigung Heft II 2002: 11); Schlafstörungen, Alpträume; deutliche Stimmungsschwankungen; Überempfindlichkeit gegenüber Kritik; Niedergeschlagenheit; Ängstlichkeit, Angstzustände, Unsicherheit, allgemeine Verwirrung und Konfusion, Schwierigkeiten bei der Identifikation von (bekannten) Personen, räumliche und zeitliche Desorientierung; Veränderte Reaktionsbereitschaft (Litsch und Novoa 2002: 48). 28 Stress im Einsatz Unterschiedliche Aspekte und Auswirkungen von Stress 06 Auch hier gilt: Was Menschen auf der psychischen und emotionalen Ebene nach belastenden oder traumatisierenden Erfahrungen erleben, drückt oft aus, dass der gesamte Organismus versucht, die Erlebnisse nachträglich zu verarbeiten und in sein Gesamtsystem als Mensch im Verhältnis zu seiner Umwelt einzubauen. Das Trauma kann das Gesamtsystem Mensch tief erschüttern und berührt zudem oft existentielle Fragen und Wertevorstellungen. Deswegen braucht ein Mensch oft viel Energie und Unterstützung, um sich neu zu sortieren. Das normale Funktionieren kann dadurch für eine gewisse Zeit beeinträchtigt sein. 6.3Arbeitsstörungen Wenn der Organismus nach einem traumatischen oder auch einem schwer belastenden Erlebnis andere Prioritäten hat, entstehen die beschriebenen Einschränkungen im alltäglichen Leben und möglicherweise Auffälligkeiten und veränderte Verhaltensweisen im Arbeitsleben. Diese können unterschiedlich lange andauern. In wenigen Fällen sind sie sehr hartnäckig Arbeitsstörungen können nach Litsch und Novoa (2002: 48) u.a. sein: •• •• •• •• Abnahme von Konzentration und Aufmerksamkeit; Zunahme der Ablenkbarkeit; Gedächtnisstörungen, Vergesslichkeit, Täuschungen, Denkstörungen; Abnahme der Organisationsfähigkeit und Fähigkeit zu langfristiger Planung; •• Probleme beim Setzen von Prioritäten; •• Abschieben von Verantwortung; •• Wegbewegung vom Arbeitsplatz. 29 Stress im Einsatz Unterschiedliche Aspekte und Auswirkungen von Stress 06 6.4Verhaltensänderungen Zusätzlich zu den bereits beschriebenen möglichen Verhaltensänderungen im Zusammenhang mit Stress [Kap. 2], negativem Stress [Kap. 3], anhaltendem Stress [Kap. 4.1], traumatischem Stress [Kap. 5.1 und posttraumatischem Stress [Kap. 5.2] wurden weitere Verhaltensänderungen beobachtet. Falls Sie diese bei sich oder bei anderen bemerken, können Sie sie entsprechend einordnen. Auch hier gilt wieder, dass nicht jeder Mensch, der kurzzeitig eine dieser Verhaltensweisen entwickelt, traumatisiert sein muss. Wenn Ihnen das Verhalten jedoch auffällig erscheint oder wenn Sie bei sich oder bei anderen starke Verhaltensänderungen bemerken, ist es sinnvoll, darüber nachzudenken, ob Zusammenhänge zu belastenden oder traumatisierenden Episoden und Ereignissen bestehen. Weitere Verhaltensauffälligkeiten oder Verhaltensänderungen können sein: •• riskantes Verhalten im Verkehr; •• irrationales, leichtsinniges Verhalten; •• gesteigerter Zigarettenkonsum, Alkohol- und/oder Tablettenmissbrauch, Drogenkonsum; •• verändertes Reaktionsvermögen; •• Bagatellisierung und Verleugnung von Gefahr; •• Vernachlässigung des äußeren Erscheinungsbildes; •• Absinken der moralischen Hemmschwelle (Litsch und Novoa 2002: 48); •• Überempfindlichkeit; •• unsoziale Handlungen; •• Veränderungen im Sprachgebrauch; •• Hunger oder Appetitlosigkeit; •• unkontrollierte Bewegungen (Bundesministerium der Verteidigung Heft II 2002: 12). 30 07 Stressfaktoren vor dem Einsatz Bei aller Vorfreude auf einen Einsatz im Ausland gibt es viele praktische Vorbereitungen, die getroffen werden müssen. Dazu gehören die vorbereitende Organisation zu Hause, verschiedenste Behördengänge und andere bürokratische Aufgaben (Visa, Versicherung, Impfungen, Reisebuchung). Die Vorbereitungszeit bis zur Abreise ist oft kurz und intensiv und mit finanziellem Aufwand verbunden. Ein weiterer Stressfaktor kann das Abschiednehmen von Familie und Freunden sein (siehe hierzu auch Fernbeziehung und Reaktionen des daheimgebliebenen Partners [Kap. 14.9]). Wir empfehlen Ihnen deshalb, sich rechtzeitig damit vertraut zu machen, wie sich Stress bei Ihnen äußern kann (siehe Kapitel 2, 3, 4 und 6) und welche Möglichkeiten Sie zur Stressvorbeugung ergreifen können (Kapitel 10–15). Auf der ZIF-Webseite finden Sie außerdem eine Checkliste Friedenseinsatz und das Handbuch „In Control“ für die Einsatzvorbereitung, die Ihnen bei der Organisation dieser Phase helfen. 31 08 Stressfaktoren während des Einsatzes Obwohl jede internationale Mission anders ist, gibt es eine Reihe von allgemeingültigen Faktoren, die den Stress rund um den Einsatz erhöhen können. In diesem Abschnitt haben wir verschiedene Stressfaktoren aufgeführt, die eine Rolle beim Einsatz spielen. Gehen Sie die Liste der Stressfaktoren durch und überlegen Sie, welche Faktoren für Sie relevant sein könnten. 8.1 Stress durch Ankunft und Einleben Obwohl die Aufgaben in Ihrem neuen Einsatzgebiet wahrscheinlich schon auf Sie warten, ist es wichtig, die Ankunfts- und Eingewöhnungsphase nicht zu unterschätzen und sich möglicher Stressfaktoren bewusst zu sein: Ihr Körper braucht Zeit, um sich an die neue Umwelt zu gewöhnen und einzuleben (Jetlag, Ernährung, Klima). Sie werden sich im Alltag und Ihrer neuen Umgebung orientieren und zurecht finden müssen (Ortskenntnisse, Kulturunterschiede, Sprache). Vielleicht empfinden Sie bei Ihrer Ankunft Ernüchterung oder sogar Enttäuschung, weil Sie andere Vorstellungen über Ihren Einsatz hatten. Sie stellen plötzlich fest, wie sehr Ihnen Ihr soziales Netzwerk fehlt und wie anders Freundschaften und soziale Beziehungen in diesem Land ablaufen. Ihre Wohnsituation ist neu und ungewohnt und Sie vermissen Ihre gewohnte Bewegungsfreiheit und Privatsphäre. Externe Faktoren, wie z.B. eine instabile politische Situation oder Sicherheitslage, alltägliches Gewaltpotential, erschreckende Armut und schlechte Infrastruktur, können den persönlichen Stress erhöhen. 32 Stress im Einsatz Stressfaktoren während des Einsatzes 08 8.2 Stress am Arbeitsplatz In einer Friedensmission spielt Ihr Arbeitsplatz oft eine wichtigere Rolle als in Deutschland. Das besondere Arbeitsumfeld einer Friedensmission, unter anderem gekennzeichnet durch hohe Fluktuation unter den Kollegen, ein undefiniertes Aufgabenfeld oder überforderte Führungskräfte, können Ihr Wohlbefinden negativ beeinflussen. Aber auch fehlende Freizeitmöglichkeiten und ein – zumindest zu Beginn – begrenztes soziales Netzwerk können sich belastend auswirken. Daher fallen Stressfaktoren bei der Arbeit oft mehr ins Gewicht als zu Hause. Zu den Stressfaktoren am Arbeitsplatz im Auslandseinsatz gehören (Litsch und Novoa 2002: 19): •• berufliche Aufgabenverlagerungen und Rollenänderungen; •• vielseitige, selbständige Tätigkeit und ein erweiterter Entscheidungsspielraum; •• (unzureichende) Kontrolle über Projektmittel sowie die Außendarstellung Ihrer Organisation; •• Verantwortung für Personal und Klienten; •• Ausweglosigkeit im Umfeld und begrenzte Möglichkeiten, etwas daran zu ändern; •• unerfüllbare persönliche Ansprüche oder Selbstüberschätzung; •• Schwierigkeiten bei Prioritätensetzung und Zeitmanagement; •• widrige Arbeitsumstände (fehlende Technik etc.); •• konstante Veränderung der Arbeitsbedingungen; •• defizitäre Arbeitsorganisation und Bürokratie. Natürlich spielen auch Ihre eigenen beruflichen Rahmenbedingungen eine Rolle, wie z.B. Arbeitsplatzunsicherheit. Die Fragen „Was mache ich nach diesem Einsatz?“ und „Wie finde ich den nächsten Arbeitsvertrag?“ beginnen oft schon zu Beginn Ihres Missionseinsatzes. Informieren Sie sich auch über das ZIF Angebot zur Karriereberatung. 33 Stress im Einsatz Stressfaktoren während des Einsatzes 08 8.3 Stress im beruflichen Miteinander Wie überall in der Arbeitswelt gibt es auch im Missionskontext Konflikte und Unvereinbarkeiten am Arbeitsplatz. Eine Besonderheit ist hierbei allerdings die zentrale Rolle, den Ihr Arbeitsplatz in Ihrem Leben einnimmt. In internationalen Missionen kommt es oft zu einer Vermischung von Beruf und Privatsphäre, da Sie Ihren Feierabend häufig mit denselben Menschen verbringen, mit denen Sie den ganzen Tag zusammenarbeiten. Aus diesem Grund kann Stress am Arbeitsplatz stärkere Auswirkungen auf Ihr Wohlbefinden haben, als das zu Hause der Fall wäre. Beispiele von möglichen Stressfaktoren sind (Litsch und Novoa 2002: 20): •• •• •• •• •• •• •• •• •• Konflikte mit Arbeitspartnern (auch kulturell bedingt); mangelnde Unterstützung durch Führungskräfte, Kollegen oder Klienten; interkulturelle Probleme mit lokalen Kollegen; hohe Leistungserwartungen; überdurchschnittlicher Arbeitsanfall oder auch unzureichende Aufgaben; ständiger Personalwechsel; sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz; Konkurrenz, Machtkämpfe und Mobbing; Gegensätze zwischen Anforderungen der Zentrale und Arbeitsrhythmus im Einsatzland; •• undurchsichtige Entscheidungsprozesse oder Organisationskultur; •• unzureichend ausgebildete Führungskräfte. 34 Stress im Einsatz Stressfaktoren während des Einsatzes 08 8.4 Stress für Führungskräfte Der hohe Personalwechsel, multikulturelle Teams, das komplexe Arbeitsumfeld und die Entsendung mit oftmals unklaren Berichtslinien machen Führen in internationalen Missionen zu einer besonderen Herausforderung. Gerade auf Grund dieser Rahmenbedingungen ist der Bedarf an guten Führungskräften enorm hoch. Zu den Stressfaktoren für Führungskräfte zählen für Litsch und Novoa (2002: 20): •• Funktions- und Einflussverlagerungen; •• Einschränkung der Entscheidungsspielräume bei gleichem Verantwortungsgrad; •• Verwicklung in Reibereien zwischen Abteilungen, Konflikte mit Mitarbeitern; •• Führung von überlastetem Personal; •• hohe Leistungsvorgaben bei personeller Unterbesetzung; •• Koordination komplexer Aufgaben; •• Gesprächsführung in schwierigen Situationen; •• Führungseinsamkeit nach unpopulären Entscheidungen. Bitte beachten Sie hierzu auch Führungskräfte und Verantwortung für Mitarbeiter [Kap. 20.4]. 35 Stress im Einsatz Stressfaktoren während des Einsatzes 08 8.5 Persönlicher und familiärer Stress Der Einsatz in internationalen Missionen bringt viele Abschiede und Neuanfänge mit sich, die belastend sein können. Da die meisten Friedenseinsätze in sogenannten Non-Family Duty Stations stattfinden, werden Sie wahrscheinlich allein ausreisen. Mögliche Stressfaktoren für Sie sind (Litsch und Novoa 2002: 21): •• Heimweh und zu verarbeitende Verluste (Beziehungen, Freunde, Familie, Lebensverhältnisse); •• Kulturschock; •• mögliche unerwartete Eigenveränderung; •• Interessens- und Werteverschiebungen; •• Einsamkeit. Weitere Informationen zu diesem Thema sowie konkrete Tipps finden Sie im Kapitel Die Bedeutung von sozialen Kontakten zur Stressvorbeugung [Kap. 14]. Falls Sie mit Ihrem Partner oder Ihrer Familie umziehen, werden Sie sich eventuell verantwortlich fühlen für das Wohlergehen der anderen Familienmitglieder. Mögliche Stressfaktoren für Ihren mitausgereisten Partner sind (Litsch und Novoa 2002: 21): •• •• •• •• •• •• •• Änderungen der sozialen Position und des Familienstatus; Verlust von Freunden, Kollegen, Arbeitsplatz; neuer Lebensrhythmus; Veränderung partnerschaftlicher und familiärer Rollen; Heimweh; Kulturschock; soziale Isolation. Für Ihre Kinder sind mögliche Stressfaktoren: •• •• •• •• Verlust von Schule, Freunden, Familie (Großeltern); Kulturschock; neue Sprache und neues Umfeld; Eingewöhnung in ein anderes Schulsystem. 36 Stress im Einsatz Stressfaktoren während des Einsatzes 08 8.6 Stress durch Sicherheitsvorfälle und persönliche Verluste Während eines Einsatzes kann es zu unvorhersehbaren Sicherheitsvorfällen oder Verlusten kommen, die große Auswirkungen auf Ihr Wohlbefinden haben. Zu diesen Vorfällen gehören u.a. (UNHCR 2001: 18): •• •• •• •• •• •• Tod oder schwere Verletzung eines Kollegen; Schuldgefühle, wenn Sie selbst überlebt haben; Miterleben von Sterben und Tod; Versorgung von verzweifelten Überlebenden; Verantwortung für Entscheidungen über Leben und Tod; Verlust des Gefühls der Unverwundbarkeit nach einem Sicherheitsvorfall. Mehr Informationen zu diesem Bereich finden Sie im Kapitel traumatischen Stress [Kap. 5.1]. Die Bundesregierung verfügt über eine eigene Koordinierungsstelle Nachsorge, Opfer- und Angehörigenhilfe (NOAH) für die psychosoziale Versorgung von Deutschen, die im Ausland durch schwere Unglücksfälle, Katastrophen oder Terroranschläge zu Schaden gekommen sind. NOAH gehört zum Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), einer Bundesbehörde im Geschäftsbereich des Bundesinnenministeriums. Hauptaufgabe von NOAH ist es, den Betroffenen und ihren Angehörigen eine akute und längerfristige psychosoziale Versorgung anzubieten sowie die durch das Auswärtige Amt am Unglücksort veranlassten Betreuungsmaßnahmen im Inland nahtlos fortzusetzen. Sie steht sowohl den Angehörigen bzw. weiteren nahestehenden Personen als auch den direkt Betroffenen nach deren Rückkehr nach Deutschland zur Verfügung. Sie erreichen die Koordinierungsstelle Nachsorge, Opfer- und Angehörigenhilfe (NOAH) gehört zum Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) durchgehend unter der (kostenlosen und innerhalb Deutschlands gültigen) Telefonnummer 0800/1888433 oder unter der Telefonnummer 0049(0)228/995502444. Weitere Informationen finden Sie auf der Webseite des BBK: > Nachsorge, Opfer- und Angehörigenhilfe (NOAH) 37 Stress im Einsatz Stressfaktoren während des Einsatzes 08 Die Koordinierungsstelle NOAH unterstützt Sie im Wesentlichen durch: •• Informationen über wohnortnahe, psychosoziale Hilfsangebote und Kontakte und Vermittlung von Akuthilfen (z.B. Notfallseelsorge); •• Informationen über weitere Behörden, die aufgesucht werden müssen; •• Traumaberatung und die Vermittlung regionaler Psychotherapeuten; •• Hilfe bei administrativen Fragen und Problemen; •• durchgehende telefonische Erreichbarkeit bei Fragen und Problemen im psychosozialen Bereich. In diesem Zusammenhang möchten wir Sie auch auf den Terroropferfonds bzw. die Härteleistungen für Opfer terroristischer Übergriffe hinweisen. Informationen zur Leistungsgewährung erhalten Sie beim Bundesamt für Justiz, das diesen Fonds verwaltet. Bitte beachten Sie hierzu den folgenden Link: > Härteleistungen für Opfer terroristischer Straftaten 8.7 Stress durch das Scheitern einer Mission In manchen Fällen kann es zum Scheitern oder dem vorzeitigen Abbruch (z.B. aus Sicherheitsgründen) einer Mission kommen. Ein vorzeitiges Ende Ihres Einsatzes kann belastend sein und dazu führen, dass Sie sich selber eine (Mit-)Schuld geben oder Ihr Vertrauen in Kollegen bzw. Ihre Organisation verlieren. Ein weiterer Stressfaktor kann Ihre Betroffenheit über einen möglichen lokalen Schaden sein, den der Einsatz verursacht hat (UNHCR 2001: 18). 38 Stress im Einsatz Stressfaktoren während des Einsatzes 08 8.8Medienübertragung In Ihrem Einsatz kann es zu Situationen oder Vorfällen kommen, über die in den Medien berichtet wird. Stressfaktoren, die Sie in solch einer Situation belasten können, sind (UNCHR 2001: 18): •• •• •• •• kritische Außenbeobachtung; fehlerhafte oder gefahrensteigernde Berichterstattung; übertriebene Dienstvorschriften als Resultat von Medienberichten; Angst vor zu erbringenden Leistungen. 8.9 Geschlechtsspezifische Gewalt Die Diskussion zum Thema geschlechtsspezifische Gewalt ist komplex und vielschichtig. Im Auslandseinsatz ist es sehr wahrscheinlich, dass Ihre soziale und kulturelle Rolle als Frau oder Mann, und die damit verbundenen Erwartungen, stärker ausgeprägt sind als in Deutschland. „Der Begriff geschlechtsspezifische Gewalt wird verwendet, um allgemeine Gewalt von jener Form von Gewalt zu unterscheiden, die sich gezielt gegen Personen auf Grund ihres Geschlechts richtet. […] Sie schließt Handlungen ein, die körperlichen, seelischen oder sexuellen Schaden oder Leid verursachen, die Androhung derartiger Handlungen, Nötigung und Freiheitsberaubung“ (UNHCR 2003: 18). Geschlechtsspezifische Gewalt im Missionskontext ist ein noch wenig aufgearbeitetes Thema. Oft ist es schwierig für Frauen, ihre Sorge über die persönliche Sicherheit zu formulieren bzw. gehört zu werden. Für Männer im Einsatzgebiet kann es schwierig sein, sich in die Situation einer Frau hineinzuversetzen und mögliche Gefahren nachzuvollziehen. Hinzu kommt eine Organisations- und Managementkultur, die Achtsamkeit und Selbstsorge nicht ernst nimmt und risikoreiches Verhalten implizit gut heißt. Aus diesen Gründen werden Vorfälle zu sexueller Gewalt häufig nicht aufgezeichnet und nicht ausreichend ernst genommen. Dies schafft ein Klima des Zulassens, in dem noch mehr geschlechtsspezifische Gewalt stattfinden kann. 39 Stress im Einsatz Stressfaktoren während des Einsatzes 08 In vielen (aber nicht in allen) Fällen wird geschlechtsspezifische Gewalt von Männern gegen Frauen ausgeübt (1). Daher sind das Verhalten und die Haltung von Männern zu diesem Thema wichtig, wenn es um Prävention geht. Bei geschlechtsspezifischer Gewalt spielen Macht und Kontrolle oft eine Rolle. In vielen Fällen kennt der Täter das Opfer. Darüber hinaus haben oder hatten die beiden häufig eine Beziehung (Ex-Partner, Ehepartner, Arbeitskollegen, Partner, Bekannte etc.). Aus diesem Grund werden Vorfälle selten berichtet. Erschwerend kommt hinzu, dass die Vorgesetzten im Einsatzgebiet überwiegend Männer sind, die selten auf das Thema vorbereitet sind. Im Missionskontext treffen mit den internationalen Experten unterschiedliche Kulturen und Rollenerwartungen aufeinander, die nicht immer von den Beteiligten reflektiert werden. Darüber hinaus führen der Stress und die Belastung, die mit der Arbeit verbunden sind, in manchen Fällen dazu, dass einige Menschen ein abweichendes Sozialverhalten gegenüber anderen entwickeln. Das spiegelt sich auch im Verhältnis zwischen Männern und Frauen wider. Geschlechtsspezifische Gewalt führt zu kurz- und langfristigen seelischen und körperlichen Folgen für Gesundheit und Wohlergehen. Daher ist es wichtig, dass Sie besonders gut auf Ihr körperliches und seelisches Wohlergehen achten. Ihre persönliche Sicherheit und Gesundheit sollte immer an erster Stelle stehen. Achten Sie auf Ihre Intuition und versuchen Sie, Gefühle wie Angst oder Unbehagen als Hinweisgeber ernst zu nehmen. Unterschätzen Sie Ihr eigenes Bauchgefühl als Warnsig nal nicht. Es könnte Sie vor einer ernsten oder sogar lebensgefährlichen Situation bewahren. Hinterfragen Sie auch Ihre eigenen Erwartungen an sich selbst. Es kann schwierig für Sie werden, wenn Sie sich nicht deutlich abgrenzen können oder/und die Reaktionen Ihres Gegenübers auf diese Abgrenzung womöglich schlecht aushalten können. Empfehlenswert ist in diesem Zusammenhang das Buch „The Gift of Fear“ des amerikanischen Experten für Gewaltprävention und Personenschutz Gavin de Becker (2). Jede Person kann zu einem Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt werden. Allerdings gibt es bestimmte Menschengruppen, die einem höheren Risiko ausgesetzt sind: •• •• •• •• •• Frauen, die alleine reisen, arbeiten oder wohnen; Frauen in Kulturen mit großen Geschlechterunterschieden; Frauen, die alleiniger Hausvorstand sind; Personen unter Einfluss von Alkohol oder Drogen; Personen in missbrauchenden und abhängigen Beziehungen (gilt auch für Arbeitsbeziehungen); •• Personen in Kriegs- und Krisengebieten ; •• Personen mit einer Geschichte von Vergewaltigung und sexuellem Missbrauch (3); •• Menschen, die eine andere sexuelle Orientierung haben als die Mehrheit oder deren sexuelle Orientierung sich von dem unterscheidet, was in der Kultur als normal gilt oder sogar ausschließlich erlaubt ist, wie Homosexualität. 40 Stress im Einsatz Stressfaktoren während des Einsatzes 08 In einigen Ländern werden homosexuelle Menschen verfolgt und bestraft oder auch nur, auf Grund von rigiden Rollenstereotypen, lächerlich gemacht und in ihrer Würde verletzt. Das kann bedeuten, dass homosexuelle Menschen ihre sexuelle Orientierung nicht oder nur unter großen Schwierigkeiten bei einem Auslandseinsatz zeigen können und sich womöglich verstellen werden. Experten sollten den Einfluss, den sie auf die lokalen Genderrollen haben, nicht unterschätzen. Wenn Sie z.B. als Mann in einer Region arbeiten, in der Menschen leben, die sich auf Grund Ihrer Erlebnisse in der Gesellschaft als Verlierer fühlen (z.B. beim Vorhandensein eines kollektiven Traumas [Kap. 21]), kann es sinnvoll sein, Ihre Rolle als Mann stärker als sonst zu reflektieren. Es könnte passieren, dass Männer Ihnen gegenüber aggressiv oder abweisend reagieren, da diese ihre traditionellen Rollen (als Beschützer, Patriarch, Ernährer etc.) nicht mehr erfüllen konnten und können. In den Augen der Bevölkerung übernehmen nun Sie als Internationaler, ausgestattet mit Macht und Ressourcen, stattdessen diese Rolle(n). Es ist sinnvoll, über dieses Machtgefälle zu reflektieren, das Ihnen auf Grund Ihrer Rolle begegnen kann. Das Thema geschlechtsspezifische Gewalt umfasst sexuellen Missbrauch, Belästigung, Vergewaltigung, aber auch subtilere, manchmal nur verbale Belästigung oder Missachtung auf Grund des Geschlechts oder der sexuellen Orientierung. Leider wird dieser Themenkomplex bisher insgesamt wenig reflektiert und aufgearbeitet. Deswegen ist es für Betroffene nicht leicht, sich Unterstützung zu organisieren. Da das Problem oft nicht als solches empfunden wird, kann es passieren, dass Menschen, die sich belästigt fühlen, belästigt wurden oder werden, als Spielverderber bzw. als besonders empfindlich dargestellt werden. Im schlimmsten Fall folgt nach der Belästigung oder der geschlechtsspezifischen Gewalt eine soziale Isolierung. Es können sich auch Nachteile innerhalb des Teams oder für die Arbeitssituation der betroffenen Person ergeben. Das gilt besonders, aber nicht nur, wenn die Belästigung oder die Gewalt innerhalb der Mission stattgefunden hat oder stattfindet. Daher raten wir dringend dazu, deutliche Abgrenzung gegenüber jeder Grenzüberschreitung und gegenüber unangemessenem Verhalten zu zeigen. Darüber hinaus sollte die Organisation, die Sie entsendet, auf Einhaltung der Richtlinien bestehen, die es in diesem Zusammenhang häufig in schriftlicher Form gibt (Code of Conduct). Ihre Organisation sollte definierte Schritte einleiten, wenn diese Richtlinien nicht eingehalten werden. Nur auf reflektierte Weise kann eine notwendige Einstellungsänderung erreicht werden. 41 Stress im Einsatz Stressfaktoren während des Einsatzes 08 Nachfolgend finden Sie einige Beispiele für Staff Code of Conducts bei relevanten Organisationen: > OSCE > Code of Conduct for International Election Observers > UN Code of Conduct for Peacekeepers > UNHCR > ICRC Schließlich empfehlen wir Ihnen, sich an Ihre Organisation zu wenden, wenn Sie sexuelle Gewalt innerhalb der Mission erfahren haben. Diese Erfahrung kann, wie bereits beschrieben, traumatisierende Auswirkungen haben und Sie nachhaltig schädigen. Schämen Sie sich nicht, wenn Sie Opfer von geschlechtsspezifischer Gewalt geworden sind. Seien Sie stattdessen stolz auf sich, dass Sie es geschafft haben, dieses Ereignis zu überstehen und womöglich zu überleben. Fordern Sie die Hilfe und Unterstützung für sich, die Ihnen zusteht. Denken Sie auch daran, dass Sie medizinische Unterstützung und Untersuchungen sowie psychologische Betreuung benötigen. Wenn Sie geschlechtsspezifische Gewalt, geschlechtsspezifisch abwertendes Verhalten oder Belästigung in Ihrem Umfeld beobachten, beziehen Sie Stellung und machen Sie klar, dass dieses Verhalten unangebracht und unpassend ist. Bieten Sie den Betroffenen Hilfe und Unterstützung an und machen Sie deutlich, dass diese Person beschützt werden muss. Mehr zum Thema (1) Women and Gender (2) „Lob der Angst“ (3) „Gender based violence & the humanitarian community“ 42 09 Stressfaktoren nach dem Einsatz Die Rückkehr und Wiedereingewöhnung in den Alltag zu Hause bringen neue Herausforderungen mit sich. Die Freude über die Heimkehr zu Familie und Freundeskreis kann durch den Abschied von Kollegen und Freunden im Einsatz getrübt werden. Ihr Körper wird sich wieder an eine andere Umwelt gewöhnen müssen. Sie werden eventuell einige Zeit brauchen, um auch gedanklich wieder völlig in Deutschland anzukommen. Neben Ihrer möglichen Arbeitssuche werden Sie Zeit und Energie brauchen, um Familie und Freunde zu treffen sowie Ihre sozialen Netzwerke wieder zu beleben. Bitte nutzen Sie auch die Checkliste Einsatzplanung sowie die Angebote zur Vor- und Nachbereitung Ihres Einsatzes. 43 10 Möglichkeiten zur Stressvorbeugung Wenn Sie Ihre eigenen Stressreaktionen oder Warnsignale, die Ihr Wohlbefinden deutlich beinträchtigen, erkannt haben, geht es darum, diese zu verringern und sie auf lange Sicht zu vermeiden. Zunächst sollten Sie damit beginnen, sich folgende Fragen zu stellen (Hilker, Bellinger, Weims 2009: 32). Was trägt dazu bei, dass: •• meine körperlichen Beschwerden gelindert werden – was tut mir gut? •• ich strukturiert, gelassen und nachsichtig handeln kann? •• meine Gedanken nicht um Druck, Misserfolg, Sanktionen kreisen, sondern von Zuversicht und Gelingen bestimmt sind? •• Zufriedenheit, Lebensfreude, Humor, Verbundenheit mit anderen und Optimismus nicht abhandenkommen? Sie werden vielleicht feststellen, dass Sie diese Fragen nicht auf Anhieb beantworten können. In den folgenden Abschnitten finden Sie verschiedene Möglichkeiten dafür, wie Sie physisches, psychisches, emotionales, soziales und gegebenenfalls spirituelles Wohlbe finden (siehe Spiritualität und Verhaltensänderungen [Kap. 17]) erlangen können, und wie Sie durch bestimmte Verhaltensweisen dazu beitragen können, Stress zu vermindern und zu vermeiden. Neben den Vorschlägen zur Selbsthilfe finden Sie auch einige Hinweise dazu, wie Sie mit anderen umgehen können, die Stressreaktionen zeigen. Bei der Entscheidung für eine bestimmte Entspannungstechnik sollte Ihnen bewusst sein, dass es keine Technik gibt, die allgemein gültig ist. Wenn Sie eine Entspannungstechnik wählen, berücksichtigen Sie dabei am besten Ihre speziellen Bedürfnisse und Vorlieben. Machen Sie sich Gedanken über Ihre körperliche Fitness und auch darüber, wie Sie normalerweise auf Stress reagieren. Die passende Entspannungstechnik ist diejenige, die Ihnen gut tut, die zu Ihrem Lebenswandel passt und Sie dazu bringt, Ihren Geist zu fokussieren, Ihre alltäglichen Gedanken zu unterbrechen, und die Sie entspannt. Die Vorliebe für bestimmte Techniken kann sich ändern oder unterschiedliche Übungen können variiert werden. Vielleicht stellen Sie fest, dass Sie motiviert bleiben und die besten Ergebnisse erzielen, wenn Sie verschiedene Techniken [Kap. 18] abwechselnd (aus-)üben oder kombinieren. 44 11 Verhaltensänderung zur Stressvorbeugung Unser Verhalten ist die Summe unserer bisherigen Lebenserfahrungen. Deswegen sind Verhaltensänderungen schwierig durchzuführen. Besonders in Stresssituationen neigen Menschen dazu, alte und gewohnte Muster verstärkt für die Problemlösung zu nutzen. Manchmal bringt es das Erleben von starkem Stress jedoch mit sich, dass die alten Bewältigungsmuster nicht mehr helfen. Das hat ein unangenehmes Gefühl der Hilflosigkeit zur Folge. Trotzdem führt mitunter genau diese Hilflosigkeit dazu, dass Menschen neue Verhaltensweisen ausprobieren und Erfahrungen mit diesen neuen Vorgehensweisen machen. Die Frustration, die Menschen erleben, wenn etwas nicht so läuft, wie es sollte, kann also dabei helfen, sich auf neue Erfahrungen einzulassen (Litzke, Schuh, Pletke 2013: 65). Eine Verhaltensänderung ist ein Wandlungsprozess, an dem Sie selbst beteiligt sind. Das bedeutet, dass dieser Prozess Zeit benötigt, dass Sie möglicherweise Rückschläge oder Hürden erleben und dass Sie manchmal das Gefühl haben, Sie würden es nie schaffen. Andererseits werden Sie, wenn Sie den Veränderungsprozess durchhalten, das Glück des Erfolgs und sich selbst als in positiver Hinsicht verändert erleben. Seien Sie also milde mit sich, setzen Sie sich realistische Ziele und achten Sie auf kleine Schritte bei Ihrem Veränderungsprozess. Eine Belohnung für das Erreichen eines Zwischenzieles ist ebenfalls sehr empfehlenswert, weil es bedeutet, dass Sie anerkennen können, was Sie bereits für sich erreicht haben. Belohnen Sie sich aber auch, wenn Sie ein größeres Ziel erreicht haben. Am besten ist es natürlich, sich insgesamt gut zu behandeln. Eine Belohnung muss nichts Materielles sein. Vielleicht machen Sie etwas, was Sie schon immer machen wollten. Außerdem wirkt es hilfreich und bestärkend, mit Menschen, denen Sie vertrauen, über Ihren Veränderungsprozess zu sprechen (Litsch und Novoa 2002: 51). Eine realistische Zielsetzung und ein realistischer Umgang mit Zielen helfen bei einem Veränderungsprozess sehr. Versuchen Sie, ehrlich zu sich zu sein, auch in Bezug auf die Durchführbarkeit der Ziele, die Sie sich für Ihre Verhaltensänderung setzen. Es ist sinnvoll, sich zunächst weniger schwer erreichbare Ziele zu setzen und dann auf dem Erreichten aufzubauen. Versuchen Sie, Ihre Veränderungen und auch Ihre Veränderungswünsche langsam in Ihren Alltag und in Ihr Erleben einzubauen und entwickeln Sie Ihre eigene Routine damit. Nur dann kann Ihre Veränderung nachhaltig sein (Litzke, Schuh, Pletke 2013: 66–67). Ein persönlicher Veränderungsprozess ist immer auch eine Beziehungsaufnahme mit sich selbst. Menschen lernen sich dabei besser kennen und entwickeln häufig ein gestärktes Bewusstsein von sich selbst, also ein gestärktes Selbstbewusstsein. Ein weniger gut ausgeprägtes Selbstwertgefühl kann zum Beispiel zu Hilflosigkeit und Passivität oder zu aggressi- 45 Stress im Einsatz Verhaltensänderung zur Stressvorbeugung 11 ver Selbstdurchsetzung gegenüber anderen führen. Ein gestärktes und sicheres Selbstwertgefühl ermöglicht Ihnen eine gute Beziehung zu sich selbst und zu Ihren Bedürfnissen und auch eine gute Beziehung zu anderen. Das gilt sowohl für den Arbeitsbereich als auch für Ihr Privatleben. Wenn Sie sich und andere ernst nehmen, werden Sie sich bei Konflikten kooperativ verhalten können, ohne die eigene Position aufgeben zu müssen, aber auch ohne ihr Gegenüber besiegen zu müssen. Außerdem wird Ihnen ein gutes Gefühl für sich selbst dabei helfen, Ihre Grenzen besser zu spüren und sich gegen Arbeitsüberlastung, gegen Grenzüberschreitungen und gegen vieles, was nicht gut für Sie ist, abzugrenzen (Litzke, Schuh, Pletke 2013: 66–67). Im Zusammenhang mit persönlichen Veränderungsprozessen ist es sinnvoll, sich selbst und seine Gefühle wahrzunehmen und ein Gespür für das eigene Verhalten zu entwickeln. Achten Sie darauf, wie Sie sich verhalten und wie Sie sich dabei fühlen. Das Wahrnehmen ist ein wichtiger Teil des Veränderungsprozesses, weil es oft bedeutet, dass wir uns mit einem Teil von uns selbst beschäftigen, der bisher vernachlässigt wurde. Wahrnehmen bedeutet, nicht zu urteilen, und das Verhalten auch nicht sofort, womöglich hektisch zu ändern. Es gibt viele gute Gründe, warum Sie sich verhalten, wie Sie es tun oder bisher getan haben. Im Laufe des Veränderungsprozesses entwickeln Sie vielleicht zusätzliche Verhaltensvarianten, die in manchen Situationen passender sind. Zunächst geht es darum, sich wahrzunehmen und damit ein besseres Gespür für sich zu entwickeln. Nach einer gewissen Zeit können Sie entscheiden, was von Ihrem Verhalten Sie wann und wie ändern möchten (Litzke, Schuh, Pletke 2013: 67). Wenn Sie merken, dass Sie etwas ändern möchten, aber alleine keinen Weg finden, kann eine professionelle und kompetente Beratung sehr hilfreich und unterstützend bei einem persönlichen Veränderungsprozess sein. 46 12 Physische Verhaltensänderungen zur Stressvorbeugung Der menschliche Körper reagiert oft unmittelbar auf Stress, noch bevor der Verstand die Situation erkannt hat. Da Stress im Körper gespeichert wird und leicht zu körperlichen Beschwerden und Spannungen führen kann, sind körperorientierte Entspannungsmethoden besonders effektiv. Wenn einzelne Angebote in Ihrem Einsatzland nicht vorhanden sind, sollten Sie versuchen, sie während Ihrer Heimaturlaube einzuplanen. 12.1Körperbewusstsein Sorgen Sie gut für Ihren Körper und gönnen Sie sich regelmäßig Körperwohltaten, z.B. eine Massage, einen Saunabesuch, eine Reflexzonentherapie oder einen Wellness-Tag. Entwickeln Sie ein natürliches Körperbewusstsein, das Ihnen dabei hilft, Warnsignale Ihres Körpers so früh wie möglich zu erkennen. Nehmen Sie sich an dieser Stelle einen Moment Zeit und denken Sie darüber nach, wie Ihr Körper auf Stress reagiert. Wo genau spüren Sie Stress (z.B. Rücken, Schulterbereich, Magen)? Wie gehen Sie normalerweise damit um? 47 Stress im Einsatz Physische Verhaltensänderungen zur Stressvorbeugung 12 12.2 Bewegung und Sport Der menschliche Organismus ist auf körperliche Aktivität eingestellt. Ausreichende und ausgeglichene Bewegung ist eine zentrale Voraussetzung für unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden. Sport verbessert die physische und psychische Stressresistenz und baut durch Stressreaktionen entstandene Stoffwechselprodukte schneller ab. Für einen normalgewichtigen Gesunden ist Körpertraining mindestens einmal wöchentlich förderlich für Gesundheit und Wohlbefinden (Litzke, Schuh, Pletke 2013: 91). Durch die körperliche Anstrengung werden Endorphine im Gehirn freigesetzt, welche zu einer Anhebung der eigenen Stimmung führen. Dementsprechend kann Sport die Symptome von leichten Depressionen und Angstzuständen vermindern, indem er unter anderem die Qualität des Schlafes verbessert und Einschlafschwierigkeiten behebt. Des Weiteren kann Sport zu einer Steigerung des Selbstwertgefühls und zu mehr Selbstvertrauen führen. Im Missionskontext ist es nicht immer möglich, Ihre gewohnte Sportroutine fortzusetzen. Fragen Sie (wenn es geht, vor dem Einsatz) Ihre ortserfahrenen Kollegen, welche Sportoder Bewegungsmöglichkeiten vorhanden sind. Falls es wenig reguläre Sportangebote gibt, ist es sinnvoll, schon vor Ihrer Abreise aus Deutschland mit einer täglichen Routine von Gymnastikübungen zu beginnen (z.B. Rückenübungen oder Yoga). Eine andere Möglichkeit ist der Kauf von Fitness- und Workout-DVDs oder die Nutzung von Fitness- und WorkoutApps. Vielleicht ist Ihr Einsatz eine Chance, eine neue körperliche Betätigung zu entdecken (siehe auch: Entspannungsübungen [Kap. 18])? 48 Stress im Einsatz Physische Verhaltensänderungen zur Stressvorbeugung 12 12.3Schlaf Schlaf ist äußerst wichtig, damit sich der menschliche Körper vom Alltag regenerieren kann. Eine gute Nachtruhe ist nicht nur unverzichtbar für unser Gehirn und unsere Konzentration, sondern stärkt auch das Immunsystem. Der menschliche Schlaf hat viele Funktionen, von denen noch nicht alle erforscht sind. Schlafmangel führt zu physischen und psychischen Problemen und hat ernsthafte Auswirkungen auf unser Wohlbefinden. Stress kann sich schnell auf die Schlafroutine auswirken. Schlafstörungen, Schlafprobleme und Schlafmangel sind Warnsignale und sollten ernst genommen werden. Im folgenden Abschnitt finden Sie einige Tipps für einen gesunden Schlaf: •• Versuchen Sie jeden Abend ungefähr zur gleichen Zeit schlafen zu gehen. So können sich Ihr Körper und Ihr Geist an eine Routine gewöhnen. •• Lesen Sie ein Buch statt sich vor den Computer/Laptop/Tablet oder den Fernseher zu setzen. Das spezielle Licht von LED-Monitoren stört erwiesenermaßen den Schlaf-Wach-Rhythmus, da der Spiegel des Hormons Melatonin gesenkt wird, welches essentiell zum Einschlafen und der Qualität des Schlafes beiträgt. •• Führen Sie vor dem Einschlafen eine kurze Meditation bzw. Atemübung durch oder lesen Sie einen meditativen Text (siehe auch Achtsamkeit [Kap. 18.5]). •• Es kann hilfreich sein, kurz vor dem Schlafengehen in ein Tagebuch zu schreiben, um den Tag so gedanklich abzuschließen und zur Ruhe zu kommen. •• Schalten Sie – wenn möglich – nachts das Handy aus. •• Vermeiden Sie sportliche Aktivitäten direkt vor dem Schlafengehen. •• Schränken Sie den Konsum von Koffein und Tabak vor allem vor dem Schlafengehen ein. •• Schränken Sie den Konsum von Alkohol ein. Kleinere Mengen Alkohol können Ihnen das Einschlafen erleichtern, aber der Schlaf insgesamt wird durch Alkohol massiv gestört. Nach mehreren Gläsern Alkohol erhöhen sich Ihre Einschlafprobleme. •• Vermeiden Sie die Einnahme von Schlaftabletten soweit wie möglich. Schlaftabletten können auf Dauer sehr schädlich sein, abhängig machen und die Qualität des Schlafes vermindern. 49 Stress im Einsatz Physische Verhaltensänderungen zur Stressvorbeugung 12 12.4Ernährung Essen ist eine der natürlichen Freuden des Lebens und gleichzeitig eine wichtige Strategie, um Stress zu reduzieren. Gesunde Ernährung trägt zu unserer Leistungsfähigkeit und Gesundheit bei. Mahlzeiten bieten gleichzeitig eine wunderbare Gelegenheit für Geselligkeit und Entspannung. In den meisten Ländern der Welt bedeutet Essen viel mehr als die reine Nahrungsaufnahme. Eine Mahlzeit ist meist ein soziales Ereignis und bedeutet Gemeinschaft und Verbundenheit. Die meisten Kulturen feiern Feste und besondere Lebensereignisse (Geburt, Ehe, Tod etc.) mit speziellen Speisen. Nutzen Sie dies als Chance, um mehr über die Kultur und Bräuche Ihres Einsatzlandes zu erfahren und Ihre Gastgeber besser kennenzulernen. In der Missionsumgebung wird Ihre Ernährung meist ganz anders sein als in Deutschland. Egal ob Sie selber kochen, für Sie gekocht wird oder ob Sie jeden Abend im Restaurant sind: Sofern Sie dazu überhaupt Zugang haben und keine anderslautenden Einsatzempfehlungen vorliegen, versuchen Sie möglichst viel Gemüse, Obst, frische lokale Produkte und unverarbeitete Nahrungsmittel zu essen. Trinken Sie mindestens 1,5l Wasser täglich (wetterbedingt auch mehr) und essen Sie zwischen den Mahlzeiten kleine gesunde Snacks, z.B. Obst, Studentenfutter (ggf. aus Deutschland mitgebracht), Nüsse, Trockenobst etc. Reduzieren Sie Ihren Alkohol-, Koffein-, und Tabakkonsum für eine ausgewogene und gesunde Lebensweise. Entdecken Sie die lokale und nationale Küche. Vielleicht informieren Sie sich sogar über den Saisonkalender der heimischen Gemüse und Obstsorten und lernen neue Lebensmittel kennen? Probieren Sie fremde Gerichte aus und begleiten Sie – soweit möglich – ihre lokalen Kollegen zum Einkaufen auf den Markt oder in den Supermarkt. Laden Sie Kollegen zum Kochen einer deutschen Mahlzeit ein oder bitten Sie lokale Kollegen, Ihnen beim Kochen eines lokalen Gerichtes zu helfen. Nehmen Sie sich Zeit für Ihre Mahlzeiten und genießen Sie die Zeit in Gesellschaft. Ein gutes soziales Netzwerk bringt Freude und Entspannung in Ihr Leben und stärkt erwiesenermaßen Ihre allgemeine Resilienz, um mit Stress besser umzugehen. 50 Stress im Einsatz Physische Verhaltensänderungen zur Stressvorbeugung 12 12.5 Konsum von Alkohol Wenn Sie missionserfahren sind, werden Sie wissen, dass das sogenannte Genussmittel Alkohol im Auslandeinsatz oft und viel genossen wird. Wenn Sie nicht erfahren sind, werden Sie es vermutlich schnell merken. Alkohol ist nicht nur schädlich, sondern kann auch leicht abhängig machen. Ein Suchtrisiko besteht schon beim Konsum von wöchentlich mehr als sieben Gläsern Alkohol für Frauen (und mehr als drei Gläser an einem Tag) und mehr als 14 Gläsern Alkohol für Männer (und mehr als vier Gläser an einem Tag – eine Standardglas-Einheit hat 14 g Alkohol) (1). Im Missionskontext haben Sie eine Art Vorbildfunktion und Ihr Verhalten unter Alkoholkonsum könnte das Ansehen Ihrer Mission und Organisation schädigen. Sie sollten bedenken, dass Sie im Falle eines Sicherheitsvorfalls einen klaren Kopf haben sollten, um gut und angemessen reagieren zu können. Mehr zum Thema (1) Women and Alcohol 51 Stress im Einsatz Physische Verhaltensänderungen zur Stressvorbeugung 12 12.6 Freizeitaktivitäten, Muße und Geselligkeit Es ist wichtig, dass Sie Ihre Freizeit als Gegengewicht zum Arbeitsalltag gestalten. Nicht jede Freizeitbeschäftigung muss einen Zweck erfüllen, um sinnvoll zu sein. Im Gegenteil, planen Sie auch regelmäßig 20 Minuten Nichtstun ein. In Missionen ist das reguläre Freizeitangebot oftmals begrenzt, was Sie aber nicht davon abhalten sollte, Entspannung, Inspiration und Geselligkeit in Ihr Leben zu bringen. Nachfolgend finden Sie einige Ideen: •• Gründen Sie einen Literaturkreis und lesen und diskutieren Sie (übersetzte) Bücher von Autoren aus Ihrem Einsatzland. •• Gründen Sie gemeinsam mit Freunden und Kollegen einen Kochkreis, einen kreativen Schreibclub oder einen Chor. •• Organisieren Sie einen Spieleabend und erfahren Sie mehr über Gesellschaftsspiele in Ihrem Einsatzland. •• Lernen Sie eine neue Handfertigkeit: z.B. ein Instrument spielen, stricken, gärtnern, Musikinstrumente bauen, fotografieren (nutzen Sie die vielen Online-Lernangebote, z.B. auf YouTube). Werden Sie kreativ und denken Sie sich Aktivitäten aus. Hauptsache, es macht Ihnen Spaß, hat nichts mit Ihrer Arbeit zu tun, bringt Sie in Kontakt mit anderen Menschen und tut Ihnen wohl. Finden Sie ein gutes Gleichgewicht zwischen Geselligkeit und Ihrem Bedürfnis, alleine zu sein. 52 Stress im Einsatz Physische Verhaltensänderungen zur Stressvorbeugung 12 12.7 Übungen und Selbsttests Die folgende Übung kann mit Anleitung in fünf Minuten durchgeführt werden. Lesen Sie diese Anleitung einmal komplett durch und verlassen Sie sich dann auf Ihre sinngemäße Erinnerung (Litsch und Novoa 2002: 31). Übung Erkundung von Stress im Körper (Bodyscan) •• Suchen Sie eine bequeme Körperhaltung. Schließen Sie die Augen und lehnen Sie sich innerlich zurück. •• Konzentrieren Sie Ihre Gedanken auf den Körper und wandern Sie langsam mit der Aufmerksamkeit von den Füßen bis zum Scheitel. •• Bringen Sie Ihr Bewusstsein zum linken Fuß. Wie fühlen sich Fuß, Zehen und Fußsohle an? •• Wie fühlt sich die linke Wade… das linke Knie… der linke Oberschenkel… und das Gesäß an? •• Nehmen Sie nun entsprechende Wahrnehmungen vom rechten Fuß bis zur rechten Hüfte in Ihr körperliches Inventar auf. •• Wenden Sie dann Ihre Aufmerksamkeit Ihrem Bauch zu… der Brust… und der Wirbelsäule und fragen Sie sich, wie sie sich anfühlen. •• Konzentrieren Sie sich nun auf Ihre linke Hand… auf die Finger… Handinnenflächen… Unterarm… oberen Arm und auf das Schulterblatt. •• Gehen Sie zur rechten Hand über und verfolgen Sie die Empfindungen bis zur rechten Schulter. Machen Sie einen Moment Pause. •• Bewegen Sie Ihre Aufmerksameket über den Hals zum Kiefer und beobachten dort den Grad der Anspannung und kommen dann über die Ohren zum Scheitel. •• Nehmen Sie Ihre Gedanken wahr. •• Tasten Sie Ihre momentane Gefühlsverfassung ab. Wie fühlen Sie sich jetzt? •• Öffnen Sie jetzt langsam die Augen. Atmen Sie einige Male tief durch und recken Sie sich. 53 Stress im Einsatz Physische Verhaltensänderungen zur Stressvorbeugung 12 Übung Visualisierung von Stress im Körper Machen Sie eine BodyScan-Zeichnung und finden Sie heraus, wo der Stress in Ihrem Körper sitzt. Nehmen Sie Papier und Stift und zeichnen Sie in groben Zügen die Außenkonturen eines menschlichen Körpers. Denken Sie über Ihre physischen Stresssignale nach und zeichnen Sie diese ein. Diese Übung soll Ihnen dabei helfen, Ihre Körperreaktionen auf Stress besser kennenzulernen und als Folge besser zu erkennen. Übung Bewusstes Atmen Unter Stress wird unsere Atmung unregelmäßig und flach und beschränkt sich auf einen kleinen Bereich des Brustkorbs. Dies kann Kopfschmerzen, Schulterverspannungen und ein unangenehmes Engegefühl in der Brust bewirken. Achtsames, ruhiges Atmen ist vor allem in Stresssituationen hilfreich. Es gibt zwei Varianten des bewussten Atmens: 1. Betrachten Sie Ihren natürlichen Atemvorgang, wie dieser ohne Ihr bewusstes Zutun fließt. 2. Atmen Sie sehr bewusst tief aus (Litsch und Novoa 2002: 28). 54 Stress im Einsatz Physische Verhaltensänderungen zur Stressvorbeugung 12 Übung Atem-Meditation (Litsch und Novoa 2002: 28) 1. Lüften Sie, wenn möglich, vorher den Raum. Legen Sie sich hin. 2. Nehmen Sie die Rückenlage mit leicht angewinkelten Knien ein und legen Sie die Hände auf den Bauch. 3. Konzentrieren Sie sich auf Ihren Atem. 4. Spüren Sie, wie die Luft durch die Nase einströmt und sich der Bauch mit dem Atemstrom dehnt und senkt. 5. Wenn Sie durch Gedanken abgelenkt werden, sagen Sie mit dem Atemrhythmus still die Worte „Ein“ und „Aus“. Selbstbeobachtung Selbstbeobachtung zur Ernährung Schreiben Sie drei Tage lang auf, was Sie essen und trinken und beobachten Sie, ob Ihre Ernährungsweise ausgewogen und gesund ist, oder ob Sie etwas anpassen wollen (Davis et al. 2008: 317). Test SchlafDefizit-Test Legen Sie sich am Nachmittag für 10-15 Minuten in einen verdunkelten Raum auf ein Sofa oder Bett. Wenn Sie in dieser Zeit in Schlaf fallen, haben Sie sehr wahrscheinlich ein Schlafdefizit (Mathieu 2012: 106). 55 13 Emotionalität und Stressvorbeugung Im Zusammenhang mit Stress werden häufig Emotionen wie Schuld, Scham, Wut, Trauer und Angst genannt. Manche Menschen bezeichnen diese Emotionen als negative Emotionen, was ihnen allerdings nicht gerecht wird. Emotionen sind wichtige Bestandteile des Menschseins und zwar alle Emotionen, also neben Freude, Lust, Liebe auch Schuld, Scham, Trauer und Angst. Die Unterdrückung von Emotionen kann zu Depressionen führen. Wer sich das klarmacht, wird verstehen, dass es keine negativen und keine positiven Emotionen gibt, sondern eben nur Emotionen, die eine wichtige Funktion für unser Lebendig-Sein haben. Deswegen erfüllen auch alle Emotionen für unser Leben einen Zweck. Emotionen sind viel schneller als unsere rationalen Überlegungen und Gedanken. Sie helfen uns dabei, schnell und angemessen zu reagieren. Manche Menschen sprechen in diesem Zusammenhang auch von Bauchgefühl. Die Evolution hat uns unter anderem mit Emotionen ausgestattet, damit wir schnell reagieren können, wenn der Kopf zu langsam dafür ist. Das heißt, wir können zum Beispiel eine potentielle Gefahr sehr schnell wahrnehmen und dann sofort darauf reagieren. Die rationale Analyse dessen, was passiert ist, nehmen wir erst später vor. Wir wissen auch sehr schnell, ob wir jemanden mögen. Unser Kopf analysiert erst später, warum uns jemand sympathisch ist und ob das erste Sympathieurteil auch tragfähig ist. In belastenden Situationen wirken Emotionen manchmal überwältigend und sind schwer auszuhalten. Dann ist es gut, eine oder mehrere Methoden zu haben, mit diesen starken Gefühlen umzugehen (1). Wer seine Gefühle nicht oder nur eingeschränkt wahrnehmen kann, wird oft auf Gefahr und auch auf Belastungssituationen nicht angemessen reagieren. Gefühle sind ein wichtiger Teil unseres Gesamtorganismus. Wer versucht, das Leben und dessen Herausforderungen, also auch die verschiedenen Arbeitssituationen, nur mit dem Kopf zu bewältigen, verzichtet auf lebenswichtige Regularien, die im Laufe der Evolution nicht ohne Grund entstanden sind. In manchen Kulturen werden Emotionen und deren Bedeutung nur eine geringe und untergeordnete Rolle beigemessen. Deswegen lernen Menschen dort mitunter von Kindheit an, ihre Gefühle zu unterdrücken bzw. nicht wahrzunehmen. Das führt zu einem entgrenzten Umgang mit sich und den eigenen Ressourcen. Langfristig gefährdet dieses Verhalten nicht nur die eigene körperliche und psychische Gesundheit, sondern womöglich auch die von anderen Menschen. Schließlich beeinflusst ein solches Verhalten auf Dauer natürlich auch die Qualität der Arbeit (Prieß 2013: 71–72). Mehr zum Thema (1) Stress Management Techniques 56 Stress im Einsatz Emotionalität und Stressvorbeugung 13 13.1 Gefühle achtsam wahrnehmen Wir möchten Sie deswegen ermutigen, Ihre Gefühle achtsam wahrzunehmen. Fragen Sie sich, ob Sie im Alltag Ihre Gefühle wahrnehmen oder ob Sie sich häufiger nervös und unruhig fühlen. Es kann helfen, mit sich selbst in Beziehung zu treten und sich aktiv wahrzunehmen, also Angst, Unsicherheit, Nervosität, Trauer, Stress, Ärger, Wut und andere Gefühle wahrzunehmen. Sollten Sie bemerken, dass Sie dabei anfangen zu weinen oder zu zittern oder andere Reaktionen entwickeln, lassen Sie diese zu. Machen Sie sich klar, dass diese zum Menschsein und damit auch zu Ihrem Leben gehören. Gefühle sind immer da, unabhängig davon, ob wir sie wahrnehmen oder nicht. Wenn wir sie wahrnehmen, können wir sie besser in unser Gesamtsystem integrieren und fühlen uns nicht mehr einfach nur aufgeregt, ständig angespannt oder irgendwie unangenehm. Indem wir eine Beziehung zu uns und unseren Gefühlen herstellen, stellen wir die angemessene Distanz zu ihnen her und können entscheiden, wie wir handeln und was wir ändern wollen, damit unsere Emotionen sich auf eine für uns gesunde Balance einpendeln. Das Gefühl der Angst ist ein wichtiger Signalgeber. Die Evolution hat uns mit diesem Gefühl ausgestattet, damit wir schnell merken, was uns schaden könnte. Es lohnt sich also, dieses Gefühl bei sich und anderen ernst zu nehmen und zum Beispiel nicht als unangemessen oder als Zeichen einer vermeintlichen Schwäche zu verwerfen (1). Mehr zum Thema (1) The gift of fear: A word about predators 13.2 Erfahrungen von Trauer und Verlust Die Erfahrung von Trauer und von Verlust ist intensiv und braucht Kraft und Raum, um verarbeitet zu werden. Deswegen empfehlen wir Ihnen, sich bei Trauer und Verlust entsprechend sorgsam zu behandeln. Nehmen Sie Ihre Gefühle von Trauer und Erschöpfung an und geben Sie sich Zeit, um sich zu erholen. Weinen Sie, wenn Ihnen danach ist. Versuchen Sie einen Menschen zu finden, mit dem Sie über ihre Gefühle sprechen können. Wenn es für Sie passend ist, wenden Sie sich an einen Seelsorger, sofern dies in Ihrem Einsatzgebiet möglich ist. Treffen Sie möglichst keine wichtigen Entscheidungen und erwarten Sie nicht zu viel von sich. Leichte Arbeit kann Ihnen vielleicht dabei helfen, Ihre Gedanken zu strukturieren. Bestrafen Sie sich nicht mit übermäßigen Schuldgefühlen. Achten Sie mit guter Ernährung und ausreichend Schlaf auf Ihr körperliches Wohl. Nach einer gewissen Zeit können Sie dann vielleicht einen Weg suchen, um die Gefühle der Trauer in die kreative Energie umzuwandeln, die Ihnen entspricht (Litsch und Novoa 2002: 37). 57 Stress im Einsatz Emotionalität und Stressvorbeugung 13 13.3 Lachen und Humor Auch wenn es zunächst merkwürdig erscheint, Lachen und Humor können helfen, Abstand zu sich und seinen Sorgen, seinen Belastungen und seinem Verstrickt-Sein in belastende Lebensumstände herzustellen. Durch Lachen und Humor reduzieren sich Stress und Verspannungen. Lächeln und Lachen sind darüber hinaus wichtige Bestandteile der non verbalen Kommunikation und stellen oft schnell Kontakt zum Gegenüber her. Lachen aus vollem Herzen stärkt unseren Kreislauf, vertieft die Atmung und damit die Sauerstoffsättigung des Blutes. Außerdem ist es eine Art Training für Bauch- und Gesichtsmuskeln. Die Fähigkeit, über sich selbst lachen zu können, drückt oft eine persönliche Reife aus, die wiederum dabei helfen kann, mit Belastungen und Stress besser zurecht zu kommen. Dies alles gilt natürlich nur für echtes, authentisches Lachen und für Lachen aus vollem Herzen. Zynismus und abwertendes Auslachen sind damit nicht gemeint. Wir wollen Sie hier daran erinnern, das Sie, so wie jeder Mensch, auch eine humorvolle Seite haben, und dass Sie diese weder verstecken noch unterdrücken sollten, auch dann nicht, wenn Sie in einem Krisengebiet arbeiten. Wir wollen Sie aber auch nicht dazu auffordern, sich hinter einer Art Lachfassade zu verstecken, um dahinter Ihre wahren Gefühle zu verstecken. Es gibt Situationen, in denen Humor für Sie nicht angemessen sein mag, und es gibt Situationen, in denen Sie vielleicht das Lustige oder das Absurde darin eher wahrnehmen und sogar genießen können (1). Falls Sie Interesse haben, sich professionell bei der Erkundung von Humor und Lachen unterstützen zu lassen, können Sie sich auf den nachfolgenden Webseiten über zertifizierte (Humor-)Trainer in Deutschland informieren. In den letzten Jahren haben sich diverse Gruppen zu den Themen Lachen und Humortraining gebildet, die sich regelmäßig treffen. > Europäischer Berufsverband für Lachyoga und Humortraining e.V. ( 1 > Phil Milgrom: Health, Humor and Stress Management Mehr zum Thema (1) Mental and Emotional Health 58 Die Bedeutung von sozialen Kontakten zur Stressvorbeugung 14 Menschliche Kontakte und soziale Unterstützung sind Grundvoraussetzungen, um mit Stress und anderen Schicksalsschlägen umzugehen. Menschen, die enge soziale Kontakte haben, erfahren oft weniger Stress, leben gesünder und haben häufig eine höhere Lebenserwartung. Daher betrachten wir in den folgenden Abschnitten einige Bereiche des sozialen Lebens, um Ihnen deutlich zu machen, wie wichtig der soziale Aspekt auch im Auslandseinsatz ist. Wir möchten Sie dazu ermuntern, in diesen Bereichen entweder Verhaltensänderungen vorzunehmen, falls Sie eine Notwendigkeit dafür erkennen, oder Sie darin bestärken, diesen Bereich in Ihrem Leben zu pflegen und ihm Bedeutung beizumessen. 14.1 Soziales Netzwerk und Unterstützung Soziale Kontakte machen es möglich, unser Grundbedürfnis nach Geselligkeit, Geborgenheit, Nähe, Austausch und Gemeinschaft zu erfüllen. Ein gesundes soziales Netzwerk aus Familie, Freunden und Bekannten bestärkt uns, bringt Freude und Entspannung und bietet uns Rückhalt in allen Lebensphasen. Erwiesenermaßen ist ein starkes soziales Netzwerk einer der wichtigsten Faktoren für Widerstandskraft gegen belastende Ereignisse, also für Resilienz. Ein schlechtes soziales Umfeld – z.B. an Ihrem Einsatzarbeitsplatz – kann Stress auslösen oder ihn verstärken. Wenn diese Situation Ihr Wohlbefinden und Ihre Arbeitsleistung beeinträchtigt, sollten Sie mit Ihrem Manager sprechen. Führungskräfte in komplexen Einsatz gebieten haben eine besondere Verantwortung, sich um das Wohlergehen Ihrer Mitarbeiter zu sorgen und für sie da zu sein. Oftmals gibt es im Missionskontext mehr Bedarf an Rat und Beistand und ein guter Manager ist in wichtigen Situationen immer für seine Mitarbeiter erreichbar und wird sich Zeit nehmen und Ihnen zuhören. Nutzen Sie auch die ZIF-Koordinatoren und Netzwerke sowie mögliche Kontakte an den deutschen Botschaften vor Ort. 59 Stress im Einsatz Die Bedeutung von sozialen Kontakten zur Stressvorbeugung 14 14.2 Übung und Selbsttest Übung Soziale Kontakte visualisieren Diese Übung soll Ihnen dabei helfen, Ihre sozialen Kontakte aus der Vogelperspektive darzustellen und zu reflektieren. Schreiben Sie Ihren Vornamen in die Mitte eines Blattes Papier und denken Sie an alle Menschen, mit denen Sie regelmäßig in Kontakt sind und die Sie schätzen. Ordnen Sie die anderen Namen folgenderweise an: Je näher Sie den Namen einer Person an Ihren eigenen Namen schreiben, desto wichtiger ist Ihnen dieser Mensch. Reflektieren Sie das entstandene Bild: Was fällt Ihnen auf? Haben Sie mehr oder weniger soziale Kontakte als erwartet? Haben Sie mit Menschen, die Ihnen sehr wichtig sind, auch so viel Kontakt, wie Sie gerne möchten? Mit wem hätten Sie gerne intensiveren Kontakt? Wer kann am besten zuhören? (Litzke, Schuh, Pletke 2013: 71) 14.3 Soziales Netzwerken Vor allem im Missionskontext ist die Fähigkeit, neue Bekanntschaften zu schließen, äußerst wichtig. Vielleicht kennen Sie schon ein paar Kollegen aus früheren Einsätzen, vielleicht kennen Sie bei Ankunft aber auch niemanden. Nehmen Sie sich Zeit, um neue Menschen kennenzulernen. Planen Sie soziales Networking in Ihren Wochenkalender ein. Nur wenn Sie aktiv auf andere zugehen, werden Sie neue Freunde und Bekannte finden. Investieren Sie Zeit und Energie in soziale Kontakte – es ist ein Investment, das sich auf jeden Fall auszahlt. Im Einsatzland werden Sie die meisten Bekanntschaften am Arbeitsplatz oder im Zusammenhang mit Ihren Arbeitsaufgaben machen. Nutzen Sie Mittags- oder Kaffeepausen bewusst, um neue Menschen kennenzulernen. Aktives Networking bedeutet allerdings nicht, die ganze Welt zum Freund zu haben. Verstehen Sie Ihre professionellen Kontakte als gute Bekannte – vielleicht entwickelt sich längerfristig eine echte Freundschaft. Sie werden sehen, dass ein gutes Netzwerk nicht nur Freude bringt, sondern Ihnen helfen wird, 60 Stress im Einsatz Die Bedeutung von sozialen Kontakten zur Stressvorbeugung 14 Ihre Aufgaben effizienter und mit weniger Zeitaufwand zu meistern. Egal, ob Sie schnell eine wichtige Information, einen Rat oder einen Tipp für die Jobsuche brauchen: Ein gutes Netzwerk ist unverzichtbar. Dabei gilt als Grundregel: Geben Sie anderen Rat und Hilfe, so werden Sie Gleiches empfangen. Bedanken Sie sich und lassen Sie die andere Person zu einem späteren Zeitpunkt kurz wissen, was die gegebene Hilfe bewirkt hat. Fragen Sie beim ZIF vor Ihrer Ausreise nach, welche anderen ZIF-Experten in Ihrem Einsatzland sind. Kontaktieren Sie sie vor Ihrer Ausreise. So kennen Sie bereits einige Menschen, wenn Sie ankommen. 14.4 Soziale Medien Eine andere Möglichkeit zur Pflege von sozialen Kontakten sind digitale Netzwerke. Obwohl die Meinungen bei diesem Thema – meist auf Grund von Datenschutzfragen – auseinander gehen, ist die Pflege von privaten und beruflichen Kontakten unter anderem mit Hilfe von Facebook oder LinkedIn äußerst praktisch für Globetrotter. Für die Vorbereitung eines Einsatzes können Sie zum Beispiel Ihre Freunde auf Facebook fragen, ob diese Sie mit Menschen in Ihrem neuen Einsatzgebiet in Kontakt bringen können – und schon haben Sie Ihr soziales Netzwerk erweitert. Für die Jobsuche bieten sich soziale Medien ebenfalls an: Lassen Sie Ihre Kontakte wissen, dass Sie sich nach einer neuen Aufgabe umsehen. Sehr wichtig für den Missionskontext ist jedoch der umsichtige Umgang mit Daten. Gehen Sie immer gewissenhaft mit der Verbreitung von Informationen und Fotos im Internet um und halten Sie sich unbedingt an die missionsspezifischen Richtlinien, um ethische und Sicherheitsrisiken zu vermeiden. Folgen Sie dem > ZIF auf LinkedIn 61 Stress im Einsatz Die Bedeutung von sozialen Kontakten zur Stressvorbeugung 14 14.5Stressmanagement durch Buddy-System Durch gute Selbstbeobachtung und Körperkenntnis können Sie viele Stresswarnsignale selber erkennen. Manchmal hilft es jedoch, wenn es noch eine andere Person gibt, die Sie wohlwollend beobachtet und Ihnen freundliches Feedback gibt, wenn das nötig ist. Dieses sogenannte Buddy-System basiert auf Gegenseitigkeit. Suchen Sie sich eine Person, zu der Sie Vertrauen haben und vereinbaren Sie eine informelle Stressfrühwarn-Patenschaft füreinander. Verabreden Sie, Anzeichen für Extrembelastungen beim anderen wahrzunehmen und diese dann respektvoll, freundlich und möglichst früh zurückzumelden. Machen Sie Vorschläge, was der andere tun könnte (Litsch und Novoa 2002: 55). 14.6 Kontakt mit Familie und Freunden im Heimatland Der regelmäßige Kontakt mit Ihrer Familie und Ihren Freunden ist wichtig und kann Stress vermindern. In Ihren Gesprächen oder Briefen können Sie freudige Erlebnisse und Erfolge teilen und mögliche Probleme besprechen. Oftmals bleibt der Kontakt mit Menschen im Heimatland allerdings eine Herausforderung. Vielleicht fragen Sie sich: Wie kann ich die Einsatzerfahrung in Worte fassen? Soll ich alles erzählen oder beunruhigende Erfahrungen weglassen? Besprechen Sie diese Fragen direkt mit Ihrer Familie und Freunden und treffen Sie Absprachen. Trotzdem kann es sein, dass Sie vielleicht nicht immer alles erzählen und ab und zu eine Art Selbstzensur anwenden. Reflektieren Sie, warum dies passiert und wem Sie damit (k)einen Dienst erweisen. In dieser Situation kann es auch hilfreich sein, persönliche Auslandsberichte als Rundbriefe an Ihre Familie und Ihren Freundeskreis zu schicken. Schreiben Sie über Ihre Erlebnisse und berichten Sie von Ihren eigenen Gedanken, Gefühlen und Sorgen. Diese alternative Tagebuchform kann Ihnen helfen, Erlebtes zu reflektieren und zu verarbeiten. Zu viel Kontakt mit Menschen im Heimatland kann Sie aber auch davon abhalten, Beziehungen im Einsatzland aufzubauen. Finden Sie hier eine Balance. 62 Stress im Einsatz Die Bedeutung von sozialen Kontakten zur Stressvorbeugung 14 14.7 Fernbeziehung und Reaktionen des daheimgebliebenen Partners Ein Auslandseinsatz ist nicht nur eine Herausforderung für die Person, die ins Ausland geht, sondern auch für die zurückbleibenden Angehörigen. Der Auslandseinsatz bedeutet eine große Umstellung für alle Beteiligten und kann zu verschiedenen Reaktionen führen. Mögliche, normale Reaktionen der zurückbleibenden Angehörigen können sein (Bundeswehr I 2002: 9): •• Stimmungs- und Motivationsschwankungen; •• Angespanntheit, Tagträume; •• Gefühle der Ablehnung, Depression, Frustration, Traurigkeit, Angst oder Unruhe. Gehen Sie offen mit diesen Reaktionen um und zeigen Sie Anteilnahme für die Sorgen Ihres Partners. Das empathische Zuhören ist hierbei ganz wichtig. Nehmen Sie sich bei allem Vorbereitungsstress unbedingt die Zeit, mit Ihrem Partner sowie Ihren Familienangehörigen offen über Gefühle und mögliche Sorgen in Bezug auf Gefährdungen im Einsatz zu sprechen. Beteiligen Sie die anderen Familienmitglieder an der Vorbereitung auf die Trennung und unternehmen Sie zum Abschied etwas Besonderes (z.B. einen Ausflug, ein Wochenende am Meer etc.). Überlegen Sie sich gemeinsam, welche positiven Chancen der Einsatz auch bietet (persönliche Entwicklung etc.) und denken Sie daran, dass jeder Einsatz vorübergehend ist. Für den Partner, der zu Hause bleibt, ist ein breites soziales Unterstützungsnetzwerk besonders wichtig. Ermutigen Sie Ihren daheimgebliebenen Partner, soziale Aktivitäten aktiv einzuplanen. Vielleicht gibt es Aktivitäten, die Ihr Partner schon lange einmal ausprobieren wollte (ein Sprachkurs, das Erlernen eines Instruments, ein kostenloser Online-Unikurs z.B. bei www.coursera.org, eine neue Sportart etc.). Vor Ihrer Abreise ist es dringend angeraten, gemeinsam mit Ihrem Partner konkrete Pläne für Familienkrisen, Krankheits- oder andere Notfälle (z.B. Todesfall im Einsatz) zu erstellen. Rund um den Abreisetermin können sich bei Ihrem Partner Gefühle von Gereiztheit, Ungeduld oder reduzierte Vertrautheit zeigen. Akzeptieren Sie diese Gefühle und versuchen Sie, offen und behutsam miteinander umzugehen. 63 Stress im Einsatz Die Bedeutung von sozialen Kontakten zur Stressvorbeugung 14 Nach Ihrer Abreise können normale Reaktionen sein (Bundesministerium der Verteidigung Heft I 2002: 12): •• Gefühlsschwankungen (Erleichterung, Schuld, Ärger, Einsamkeit, Ziellosigkeit); •• Schlaf-, Essstörungen; •• verwirrende Gedanken, intensive Träume, Tagträume. Während Ihres Einsatzes empfehlen wir Ihnen den regelmäßigen schriftlichen und telefonischen (Skype-)Kontakt mit Ihrem Partner in Ihren Wochenkalender einzuplanen. Auch wenn es manchmal schwierig oder anstrengend sein kann, das Erlebte in Worte zu fassen, ist die Teilnahme des Daheimgebliebenen an Ihrem Leben wichtig für Ihre Beziehung. Teilen Sie auch Ihre Gefühle, so dass Ihre gefühlsmäßige Bindung erhalten bleibt. Vielleicht bereiten Sie Ihre Telefongespräche sogar gedanklich vor. Planen Sie Ihre Gespräche zeitlich so ein, dass Sie in Ruhe und ohne Unterbrechung sprechen können. Beachten Sie dabei den Zeitunterschied, Tagesabläufe und mögliche Stresszeiten zu Hause (z.B. Abendessen und Bettzeiten der Kinder). Mehr Informationen hierzu finden Sie auch unter Kontakt mit Familie und Freunden im Heimatland [Kap. 14.6]. Nach einigen Wochen werden Sie sich wahrscheinlich ausreichend in Ihrem neuen Einsatzgebiet eingelebt haben. Nehmen Sie sich einen Moment Zeit und freuen Sie sich über die neuen Fertigkeiten, die Unabhängigkeit und persönliche Entwicklung bei sich, aber auch bei Ihrem Partner zu Hause. Kommunizieren Sie in Ihren Gesprächen Anteilnahme und Einfühlungsvermögen – vor allem an den Tagen, an denen es zu Hause nicht so rund läuft. Versetzen Sie sich gedanklich in die Situation Ihres daheimgebliebenen Partners und fragen Sie sich, was Ihre Abwesenheit für den Tagesablauf zu Hause bedeutet. Vielleicht empfinden Sie eine neue Dankbarkeit Ihrem Partner gegenüber – sprechen Sie dieses Gefühl aus. Sobald Sie die Halbzeit Ihres Einsatzes erreicht haben, werden Sie langsam wieder an die Rückkehr denken. In dieser Zeit kann es zu erhöhter Aktivität und Energie kommen. Gefühle von Vorfreude und Erregung können mit Besorgnis und Unruhe einhergehen. Das sind alles normale Reaktionen. Teilen Sie Ihre Freude, aber auch ihre Besorgnis, und planen Sie eine Wiedersehensfeier mit Freunden und Familie oder auch Flitterwochen mit Ihrem Partner. Die Phase des wieder aneinander Gewöhnens ist oft länger und problematischer als angenommen. Haben Sie Geduld mit sich und Ihrem Partner. Es ist normal, dass Ihre Beziehung sich nach einer längeren Abwesenheit anders anfühlt. Es ist sehr wahrscheinlich, dass Sie und Ihr Partner sich beide verändert haben und dies zeigt sich auch in möglichen Schwierigkeiten in Ihrer gefühlsmäßigen und sexuellen Vertrautheit. Akzeptieren Sie diese Reaktionen als normal und reden Sie offen und ehrlich über Ihre Gefühle und die Erfahrung der Trennung. Reflektieren Sie auch die positiven Aspekte Ihrer Trennung und nutzen Sie die Chance, Aufgaben und Zuständigkeiten neu zu verteilen (Bundesministerium der Verteidigung Heft I 2002: 18). 64 Stress im Einsatz Die Bedeutung von sozialen Kontakten zur Stressvorbeugung 14 Finden Sie gemeinsame Aktivitäten, die Ihnen Freude bringen und wohltun und das aneinander Gewöhnen erleichtern (ein Tanzkurs, Wochenendausflug etc.). Investieren Sie bewusst in Ihre Beziehung und gehen Sie nicht zu schnell in den Alltag über. Nach einem Auslands einsatz braucht Ihre Partnerschaft ein Intensiv-Pflegeprogramm. Aktivieren Sie Ihren gemeinsamen Freundeskreis und gehen Sie gemeinsam unter Leute. Es ist gut möglich, dass Sie auch nach Ihrer Rückkehr noch oft an Ihren Einsatz oder bestimmte Erlebnisse zurückdenken. Gefühle wie Ärger, Frustration oder Hoffnungslosigkeit über das Erlebte können Sie verfolgen. Der Überfluss an Konsumgütern in Deutschland kann überwältigend sein und Ihren Kulturschock verstärken. Gehen Sie achtsam mit diesen Gefühlen um und vermeiden Sie, Ihre Frustration über die Ungerechtigkeit und das Wohlstandsgefälle der Welt auf Ihren Partner zu übertragen. Es ist gut möglich, dass Sie alltägliche Sorgen in Deutschland nach Ihrer Erfahrung im Ausland als nebensächlich und lächerlich empfinden. Dies kann eine normale Reaktion sein. Beachten Sie jedoch, dass ein moralischer Zorn weder Ihnen noch Ihrer Familie weiterhilft und sich negativ auf Ihr Wohlbefinden und Ihre sozialen Beziehungen auswirken kann (O’Dea 2012: 47–48). Suchen Sie fachkundigen Rat, wenn Sie das Gefühl haben, Sorgen über Ihre Beziehung und Gefühle mit dem Partner nicht bearbeiten zu können. 65 Stress im Einsatz Die Bedeutung von sozialen Kontakten zur Stressvorbeugung 14 14.8 Beziehungen und Freundschaften im Einsatzland Zwischenmenschliche Beziehungen, Nähe und Intimität gehören zu den menschlichen Grundbedürfnissen. Diese Bedürfnisse können durch einen sehr intensiven oder gefährlichen Einsatz verstärkt werden. Gehen Sie daher besonders achtsam und bewusst mit Ihren eigenen Bedürfnissen nach Intimität und Nähe um. Im Missionskontext kann eine intime Beziehung mit einem Arbeitskollegen, vor allem mit einem lokalen Kollegen Sie, und möglicherweise sogar Ihre Organisation in eine schwierige Lage bringen. Sie können sich dadurch selbst schaden, womöglich Ihre Beziehung zum Partner in Ihrer Heimat negativ beeinflussen, und Sie könnten Ihrer Arbeit sowie Ihren Arbeitsbeziehungen Schaden zufügen. Sehr häufig sind die Erwartungen der Beteiligten an eine intime Beziehung sehr unterschiedlich und beinhalten deswegen jede Menge (destruktiven) Konfliktstoff. Erkundigen Sie sich über die ethischen Richtlinien Ihrer Organisation und realisieren Sie Ihre Vorbildfunktion und Ihre persönliche Integrität. Das kann unter Umständen bedeuten, dass Ihr Bedürfnis nach Intimität und Nähe zeitweise frustriert wird. Leider kann es im Missionskontext auch zu sexuellem Missbrauch und sogar zu Ausbeutung kommen. In Konfliktgebieten gehören Prostitution und sexuelle Gewalt oft auf irritierende Weise zum alltäglichen Leben. Als internationaler Experte und als Mitmensch sollten Sie Ihre Verantwortung wahrnehmen und dabei helfen, kriminelle und menschenverachtende Zustände – soweit wie möglich – zu verhindern. Falls Sie den Verdacht oder das Wissen haben, dass einer Ihrer Kollegen in diese Aktivitäten involviert ist, sind Sie sogar verpflichtet, Ihre Organisation umgehend zu informieren. Auf Grund verschiedener grenzüberschreitender Vorfälle hat das Inter-Agency Standing Committee (IASC) der UN im Jahr 2002 „Sechs grundlegende Verhaltensprinzipien für humanitäre Helfer zum Schutz vor sexueller Ausbeutung und Missbrauch“ entwickelt (1): •• Sexuelle Ausbeutung und Missbrauch durch humanitäre Arbeitnehmer stellt ein grobes Fehlverhalten dar und ist Grund für die Kündigung des Arbeitsverhältnisses. •• Sexuelle Handlungen mit Kindern (Personen unter 18) sind – unabhängig von lokalen Regeln und Bräuchen – verboten. Falsche Annahmen über das Alter eines Kindes sind keine Gründe zur Entschuldigung. •• Der Austausch von Geld, Arbeit, Waren oder Dienstleistungen für Sex, inklusive sexueller Gefälligkeiten oder anderer Formen von demütigendem, erniedrigendem oder ausbeutendem Verhalten, ist verboten. Dies beinhaltet den Austausch von Hilfe, die den Empfängern zu Gute kommt. 66 Stress im Einsatz Die Bedeutung von sozialen Kontakten zur Stressvorbeugung 14 •• Von sexuellen Beziehungen zwischen humanitären Helfern und Empfängern wird dringend abgeraten, da sie automatisch auf einer ungleichen Machtdynamik basieren. Solche Beziehungen untergraben die Glaubwürdigkeit und Integrität der humanitären Arbeit. •• Wenn ein humanitärer Helfer Bedenken oder einen Verdacht in Bezug auf sexuellen Missbrauch oder sexuelle Ausbeutung durch einen Arbeitskollegen hat – egal ob in seiner eigenen oder einer anderen Organisation – ist er verpflichtet, dies über die bestehenden Berichtswege zu melden. •• Humanitäre Helfer sind verpflichtet, eine Umgebung herzustellen, die sexueller Ausbeutung und Missbrauch vorbeugt und die Umsetzung ihres Verhaltenskodex fördert. Insbesondere Führungskräfte haben die Aufgabe, dieses Klima zu unterstützen, weiter zu entwickeln und zu gewährleisten. Diese Prinzipien gelten mittlerweile für alle Missionen der Vereinten Nationen. Auch die EU und die OSZE haben entsprechende Regularien wie den „Code of Conduct“ und die „Staff Rules and Regulations“. Wir empfehlen Ihnen außerdem, sich über kulturelle Erwartungen und Bräuche im Einsatzgebiet zu erkundigen, wenn es um das Thema Freundschaften zu lokalen Kollegen oder Bekannten geht. Es besteht auch hierbei die Möglichkeit, dass die Erwartungen, die eine Person an Sie hat, wenn Sie eine Freundschaft mit ihr pflegen, sich von den Ihren (unausgesprochen) unterscheidet und womöglich von Ihnen auch gar nicht zu erfüllen sind. Auch hier muss darauf hingewiesen werden, dass Sie, auf Grund Ihrer Rolle, in einer Art Machtposition sind. Es ist also notwendig, bei Freundschaften diese Machtpositionen und mögliche Machtgefälle zu reflektieren. Versuchen Sie zu vermeiden, lokale Kollegen oder Bekannte durch Ihre Freundschaft in soziale Verlegenheit oder in Gefahr zu bringen. Andererseits wollen Sie vielleicht, dass sich Ihr Bekannten- und Freundeskreis nicht nur auf internationale Kollegen beschränkt. Mithilfe Ihrer lokalen Kollegen und Bekannten werden Sie Ihr Einsatzland viel besser verstehen lernen und genießen können. Das ist verständlich und muss sicher nicht zwingend unterbunden werden, wenn die Sicherheitslage das zulässt und wenn Sie die genannten Hinweise beachten. Mehr zum Thema (1) UN-Verhaltensprinzipien für humanitäre Helfer 67 Stress im Einsatz Die Bedeutung von sozialen Kontakten zur Stressvorbeugung 14 14.9 Konflikte verstehen Ungelöste Konflikte verursachen Stress, belasten das Miteinander und führen zu einem gespannten Arbeitsklima. Im Missionskontext kann dies unangenehme Folgen für Sie persönlich und Ihr gesamtes Team haben. Es hilft, sich bewusst zu machen, dass Konflikte unvermeidlich und nur lösbar sind, wenn eine Person bereit ist, auf den anderen zuzugehen bzw. zu deeskalieren. Oftmals sinkt der Widerstand des Konfliktpartners, wenn er sich verstanden fühlt. Beachten Sie auch, dass viele Konflikte durch Verhandlungsstil oder abweichende Sichtweisen entstehen und nicht durch unüberbrückbare Gegensätze. Denken Sie daran, dass Konflikte kulturell sehr unterschiedlich bewertet und angegangen werden können. In Konfliktsituation können diese Fragen Sie dabei unterstützen, die eigenen Motive und Interessen besser zu verstehen (Litsch und Novoa 2002: 40): •• Worum geht es mir in diesem Konflikt? (eigentliches Thema) •• Was will ich eigentlich durch wen erreichen? •• Will ich es immer noch, nachdem ich es erreicht habe? (grundlegende Interessen) •• Was habe ich davon? (Nutzen) •• Welchen inneren Zwist trage ich in mir? •• Welcher ist mein aktueller Standpunkt zur Sache/zum Thema? (Position) •• Was möchte ich zusätzlich über mich zum Ausdruck bringen? •• Was befürchte ich für mich? (Selbstdarstellung) •• Was möchte ich an der Beziehung zum Konfliktpartner bereinigen? (Beziehungsgestaltung) •• Was hat für mich Vorrang? (Prioritäten) •• Wie kann ich nun mein Anliegen in Worte fassen? Um Konflikte zu entschärfen, sollten Sie überstürzte Reaktionen vermeiden und eine Gesprächspause einlegen oder das Gespräch einvernehmlich auf einen späteren Zeitpunkt vertagen. Kommunizieren Sie wertschätzend und vermeiden Sie persönliche Auseinandersetzungen. Deeskalieren Sie den Konflikt, indem Sie absolute Forderungen aufgeben und die Grenzen Ihres Streitpartners akzeptieren. Greifen Sie als unbeteiligte Person ein, wenn Sie andere Konfliktsituationen deeskalieren können (Litsch und Novoa 2002: 40). 68 Stress im Einsatz Die Bedeutung von sozialen Kontakten zur Stressvorbeugung 14 14.10 Kommunikation für friedliche Konfliktlösung Kommunikation spielt oftmals eine zentrale Rolle in Konfliktsituationen. Ein sehr hilfreiches Konzept für eine erfolgreiche Konfliktbearbeitung ist die Gewaltfreie Kommunikation von Marshall Rosenberg. Diese Methode kann im Alltag, aber auch zur friedlichen Konfliktlösung im persönlichen, beruflichen und politischen Bereich genutzt werden. Probieren Sie diese vier Schritte bei einer passenden Gelegenheit in einer (Konflikt-)Situation aus (Rosenberg 2003: 7): 1. Beobachten Sie eine konkrete Handlung, ohne sie mit einer Bewertung oder Interpretation zu vermischen. 2. Nehmen Sie wahr, welches Gefühl die Beobachtung in Ihnen auslöst. 3. Entdecken Sie unerfüllte Bedürfnisse (z.B. Sicherheit, Verständnis, Anerkennung, Respekt, Kontakt), welche unter dem Gefühl liegen. Ihre Gefühle sind also eine Art Indikator für erfüllte oder unerfüllte Bedürfnisse. 4. Formulieren Sie nun eine Bitte um eine konkrete Handlung. Unterscheiden Sie eine Bitte von einem (unerfüllbaren) Wunsch und einer (einseitigen) Forderung. Vor allem in Konfliktsituationen ist aktives, empathisches Zuhören besonders wichtig und kann die Dynamik der Konflikttransformation positiv beeinflussen. Hierzu werden auch viele Trainings angeboten. Mehr Informationen finden Sie hier: > Fachverband Gewaltfreie Kommunikation e.V. 69 15 Kognitive Möglichkeiten der Stressvorbeugung Die Reaktionen von Menschen auf Be- und Überlastungen sind unterschiedlich und individuell. Jeder Mensch reagiert unterschiedlich auf seine Umwelt. Welche Ereignisse Menschen als Stress und als Belastung wahrnehmen, ist abhängig vom persönlichen Stresslevel, aber auch davon, in welcher individuellen Situation sich jemand gerade befindet. So kann die eine Person die Rahmenbedingungen schon als sehr belastend wahrnehmen, während eine andere Person sich dadurch noch motiviert und herausgefordert fühlt. Die Überprüfung der Gedankenmuster kann dabei helfen, mit schwierigen oder als schwierig empfundenen Situationen besser zurecht zu kommen. Dieses Konzept verfolgt die Idee, Gedankenmuster, die Stress verstärkend wirken, durch solche zu ersetzen, die zur Stressminderung beitragen. Das hilft manchen Menschen dabei, sich über eigene, destruktive Gedankenmuster klar zu werden. Wenn Ihnen diese Methode zusagt, fragen Sie sich, wie Sie über sich selbst denken und wie Ihre Gedanken, Wünsche, Absichten und Meinungen sind (1). Auch weiterführende Gedanken sind dabei sinnvoll und können helfen, sich über sich selbst klarer zu werden. Fragen Sie sich, ob Sie den Anspruch an sich haben, immer stark zu sein und ob das notwendig oder überhaupt möglich ist. Denken Sie darüber nach, dass alle Menschen Stärken und Schwächen haben und dass genau das Menschen erst liebenswert, interessant und nicht zuletzt menschlich macht. Das gilt genauso auch für Sie. Überlegen Sie, was das für Sie bedeuten könnte (2). Mehr zum Thema (1) Stressmanagement-Techniken (2) Kognitive Stressbewältigung 70 Stress im Einsatz 15 Kognitive Möglichkeiten der Stressvorbeugung 15.1Aufmerksamkeitslenkung Bei starker Belastung beschäftigen sich die eigenen Gedanken viel mit den Themen, die Stress erzeugen. Dadurch werden Körper- und Gefühlsreaktionen ausgelöst, die den Stress verstärken können. Die sogenannte Aufmerksamkeitslenkung kann dabei helfen, Abstand zu der Situation und zum Stress zu gewinnen (Litsch und Novoa 2002: 27–28). Übung ÄuSSere Aufmerksamkeitslenkung Innere Aufmerksamkeitslenkung Konzentrieren Sie sich auf einen konkreten Gegenstand in Ihrem Umfeld, der angenehme Empfindungen weckt: Übertragen Sie Ihre Aufmerksamkeit bewusst von der stress auslösenden Situation auf wohltuende, innere Bilder und Gedanken: Ein Familienfoto, eine Pflanze, die Fensteraussicht, die Umgebungsgeräusche. Wiese, Strand, Berglandschaft, Freizeitaktivitäten. (Übung von: Wagner-Link 1998) Sie können auch bewusst eine Kurzimagination vornehmen. Viele Menschen machen dies, wenn Sie unter Stress stehen. Für diese Übung brauchen Sie ca. 5 Minuten Zeit (Litsch und Novoa 2002: 28): Übung 1. Schließen Sie die Augen und entspannen Sie den Rücken. Denken Sie an eine vergangene Situation, in der Sie sich gelassen und entspannt gefühlt haben, oder an ein künftiges Ereignis, auf das Sie sich freuen. 2. Führen Sie sich dieses Bild möglichst realistisch und anschaulich vor Augen. Verfolgen Sie auch die Handlung mit Ihrer ganzen Aufmerksamkeit. 3. Lassen Sie diese Szene 3 Minuten auf sich wirken. 4. Atmen Sie tief durch und lassen das Bild wieder los. 71 Stress im Einsatz Kognitive Möglichkeiten der Stressvorbeugung 15 15.2Dekatastrophisierung Bei Stress sind die Ängste vieler Menschen auf die Zukunft gerichtet und diese rechnen permanent mit irgendeiner Art Katastrophe. Hier lohnt es sich, eine gedankliche Dekatas trophisierung vorzunehmen. Eine zukünftige Katastrophe ist in vielen Fällen tatsächlich eher unwahrscheinlich. Gehen Sie die Situation, die Sie befürchten, gedanklich durch, damit Sie wieder mehr Kontrolle über sich und Ihr Verhalten gewinnen. Dann wird die Angst Sie nicht mehr überwältigen (Litsch und Novoa 2002: 29–30). Übung •• Machen Sie zunächst die Worst-Case-Analyse. Machen Sie sich klar, was im schlimmsten Fall passieren könnte. Was würden Sie dann tun (müssen), um mit der Situation umzugehen? •• Machen Sie als nächstes die Best-Case-Analyse. Machen Sie sich klar, was im besten aller Fälle passieren könnte, wenn also alles gut geht und sich alles wunderbar entwickeln wird. Wie würden Sie mit einer solchen Situation umgehen? •• Schließlich überlegen Sie sich, was wohl am wahrscheinlichsten passieren wird. Vermutlich werden Sie merken, dass wohl einiges gut und manches weniger gut laufen wird. Überlegen Sie sich auch für diesen Fall, wie Sie damit umgehen würden. 72 Stress im Einsatz Kognitive Möglichkeiten der Stressvorbeugung 15 15.3 Geistiges Entrümpeln Wir empfehlen im Zusammenhang mit der kognitiven Stressvorbeugung auch die Methode des geistigen Entrümpelns. Damit können Sie sich innere und äußere Freiräume schaffen. Entrümpeln Sie die Aktivitäten, die sich in Ihren Tagesablauf geschlichen und darin breit gemacht haben und die Ihnen nun Energie und Kraft rauben. Denken Sie über die künftigen Planungen und Aktivitäten nach, die Ihnen bevorstehen und entscheiden Sie dann, was davon für Sie von hoher Bedeutung ist. Was sind die Perlen unter all diesen Aktivitäten? Reservieren Sie in Ihrem Wochenplan die wichtigsten Plätze für diese Perlen. Finden Sie unter den dringlichen Aktivitäten diejenigen, die Sie auch später erledigen können (Litsch und Novoa 2002: 34). Als Hilfe zur Unterscheidung von Wesentlichem und Unwesentlichem können Sie sich fragen, was zurzeit Ihre vorrangigsten persönlichen Ziele sind und wie diese Ziele mit Ihrer größeren (Lebens-)Perspektive zusammenhängen. Welche Ihrer Bestrebungen tragen am besten zu dieser Lebensperspektive bei und wie werden Sie Ihre momentane, kräfteraubende Situation in einem halben oder in einem Jahr einschätzen (Litsch und Novoa 2002: 34)? Schließlich gehört zum geistigen Entrümpeln, das im besten Fall ständig ablaufen sollte, eine Art inneres Stoppschild und die Fähigkeit sich abzugrenzen, „Nein“ zu sagen und sich vom Streben nach Perfektion zu verabschieden. Damit erschaffen Sie sich einen Filter, den hereinkommende Reize und Ansprüche von außen passieren werden und der für die erste Stufe des geistigen Entrümpelns sorgt (Litsch und Novoa 2002: 34). 73 Stress im Einsatz Kognitive Möglichkeiten der Stressvorbeugung 15 15.4 Positive Selbstinstruktion Zur Darstellung der Methode der positiven Selbstinstruktion eignet sich die „Geschichte mit dem Hammer“ von Paul Watzlawick. „Ein Mann will ein Bild aufhängen. Den Nagel hat er, nicht aber den Hammer. Der Nachbar hat einen. Also beschließt unser Mann, hinüberzugehen und ihn auszuborgen. Doch da kommt ihm ein Zweifel: Was, wenn der Nachbar mir den Hammer nicht leihen will? Gestern schon grüßte er mich nur so flüchtig. Vielleicht war er in Eile. Aber vielleicht war die Eile nur vorgetäuscht, und er hat etwas gegen mich. Und was? Ich habe ihm nichts angetan; der bildet sich da etwas ein. Wenn jemand von mir ein Werkzeug borgen wollte, ich gäbe es ihm sofort. Und warum er nicht? Wie kann man einem Mitmenschen einen so einfachen Gefallen abschlagen? Leute wie dieser Kerl vergiften einem das Leben. Und dann bildet er sich noch ein, ich sei auf ihn angewiesen. Bloß weil er einen Hammer hat. Jetzt reicht‘s mir wirklich. – Und so stürmt er hinüber, läutet, der Nachbar öffnet, doch noch bevor er ‚Guten Tag‘ sagen kann, schreit ihn unser Mann an: ‚Behalten Sie sich Ihren Hammer, Sie Rüpel!“ (Watzlawick 1988: 37–38) Hier wurde der Gesprächspartner also zum „letzten Glied einer langen, komplizierten Kette von Phantasien“ und wusste vermutlich nicht, wie ihm geschah (Watzlawick 1988: 38). Um nicht in eine negative Gedankenspirale zu geraten oder um nicht darin zu verharren, können Sie versuchen, für sich ein positiveres Selbstkonzept zu gestalten. Bei Personen, die zu negativen und damit zu einschränkenden Gedankenspiralen und Selbstbildern neigen, führt das oft zu schneller Stimmungsaufhellung und zu einer verbesserten Wahrnehmung aller Erfahrungen, und damit auch zu der Wahrnehmung positiver Erfahrungen. Das bewirkt in der Folge einen konstruktiveren Umgang mit sich und der Umwelt (Zimmer in Linden und Hautzinger (Hrsg.) 1993: 201–202). 74 Stress im Einsatz 15 Kognitive Möglichkeiten der Stressvorbeugung In der unten stehenden Tabelle finden Sie konkrete Formulierungen am Beispiel einer Vortragssituation (Litzke, Schuh, Pletke 2013: 52–54). Positive Selbstinstruktion am Beispiel eines Vortrags (adaptiert nach Wagner-Link 1996) Vor der Stresssituation In der Stresssituation Negative Gedanken Positive Gedanken Das wird schiefgehen… Nur ruhig, entspanne dich. Ich weiß nicht, wie ich das schaffen soll. Ich kann Erregung nicht verhindern, aber ich werde sie steuern. Ich werde schon wieder nervös. Nur ruhig, entspanne dich. Die Angst wird mich überwältigen. Nach der Stresssituation Ich habe versagt. Das kann ich nie. Ich kann Erregung nicht verhindern, aber ich werde sie steuern. Es war besser als befürchtet. Jedes Mal, wenn ich es mache, wird es besser werden. Es geht darum, im inneren Dialog, im Gespräch mit sich selbst, zunächst die belastenden, negativen Gedanken und Erwartungen wahrzunehmen und zu überprüfen. In vielen Fällen wird sich herausstellen, dass es neben negativen auch positive Gedanken und Erwartungen gibt. Dadurch werden die Einschätzung der Realität und die Erwartungen an die Zukunft ausgeglichener und realistischer. Sie können Ihr Handeln entspannter und auch konstruktiver gestalten (Fliegel et al. 1994: 201–203). 75 Stress im Einsatz Kognitive Möglichkeiten der Stressvorbeugung 15 15.5Gedankenstopp Die Technik des Gedankenstopps kann bei der Unterbrechung unerwünschter und sich ständig wiederholender negativer Gedanken und Zukunftserwartungen eingesetzt werden, um sich Erleichterung zu verschaffen. Dabei sprechen Sie das Wort „Stopp“ laut aus, wenn die Gedanken auftauchen. Sobald Sie genügend Übung damit haben, das Wort „Stopp“ laut auszusprechen, reicht es aus, sich vorzustellen, dass Sie es aussprechen würden, um die negativen Gedanken und die negativen Gedankenketten zu unterbrechen. Manche Menschen bevorzugen es, sich das Wort „Stopp“ geschrieben vorzustellen, zum Beispiel auf einem großen Schild, das sie vor sich sehen. Denken Sie nach dem „Stopp“ an etwas anderes, das Sie sich vorher ausgesucht und festgelegt haben und das Sie mögen. Stellen Sie sich z.B. vor, Sie seien wohlig entspannt (Fliegel et al. 1994: 77–78). 15.6Einstellungsänderung Eine Einstellungsänderung können Sie dadurch erreichen, dass Sie mit sich selbst eine gute Beziehung auf- oder ausbauen. Erwarten Sie nicht von sich, immer und überall perfekt zu sein oder unter allen Umständen funktionieren zu müssen. Das ist unrealistisch und selbstzerstörerisch. Finden Sie heraus, was wirklich gut für Sie ist und handeln Sie danach. Test Mit diesen Fragen können Sie für sich prüfen, wie stark Ihre Suche nach Anerkennung durch andere ist und wie sehr Sie das beeinflusst: •• Neigen Sie dazu, Ihre eigenen Grenzen nicht wahrzunehmen und damit auch nicht ernst zu nehmen, da Sie davon getrieben sind, für Leistung und Funktionieren Selbstbestätigung zu suchen? •• Überschreiten Sie Ihre eigenen Grenzen beim Sorgen für und Kümmern um andere, während Sie dabei vergessen für sich selbst zu sorgen? •• Neigen Sie dazu, sich selbst zu schädigen? •• Wollen Sie Auseinandersetzungen und Konflikte in jedem Fall vermeiden und zwar auch dann, wenn Sie konstruktiv und weiterführend wären? 76 Stress im Einsatz Kognitive Möglichkeiten der Stressvorbeugung 15 Klären Sie Konflikte auf konstruktive Art und Weise. Stecken Sie Ihre Energie in Ihren persönlichen Veränderungsprozess und nicht in Ihren Ärger über wen oder was auch immer. Treffen Sie Entscheidungen, wenn es notwendig ist. Manchmal bedeuten Entscheidungen, auf etwas zu verzichten. Um gesund zu bleiben, ist es mitunter auch notwendig, konsequent zu sein. Klären Sie, was Sie selbst zu schwierigen und belastenden Situationen beitragen und was an den Rahmenbedingungen und an Ihrer Umwelt liegt und seien Sie dabei ehrlich zu sich. Nehmen Sie sich Zeit und Ruhe, um sich und Ihre Gedanken zu ordnen. Manchmal kann es auch gut tun, in tägliche Arbeitsstrukturen eingebunden zu sein, um nicht nur um sich selbst zu kreisen (Prieß 2013: 160–164). Woran merken Sie, dass Sie mit sich in einem Dialog sind und gut auf sich hören? Da Menschen von Natur aus zum Dialog und zum Kontakt mit sich selbst ausgestattet sind (auch wenn der Kontakt manchmal unterbrochen wurde oder bisher kaum gepflegt wurde), merken Sie es an Ihrer eigenen und individuellen Reaktion. Sobald Sie sich selbst spüren, also wenn Sie traurig, müde, zynisch, fröhlich, angespannt, hoffnungsvoll oder verzweifelt sind, haben Sie Kontakt mit sich selbst und daran können Sie anknüpfen, und zwar so wie in jeder anderen Art von Beziehung zu Menschen auch. Jede Beziehung entwickelt sich auf ihre eigene Art und Weise und so wird sich auch Ihre Beziehung zu sich selbst entwickeln, wenn Sie sie konsequent pflegen (Prieß 2013: 160–164). Beantworten Sie alle Ihre Fragen ehrlich. Finden Sie dabei heraus, was für Sie wirklich wichtig ist, übernehmen Sie die Verantwortung für sich und überlassen Sie diese Verantwortung niemand anderem. Stehen Sie zu sich, nehmen Sie sich ernst und zwar auch dann, wenn andere Menschen Ihre Positionen und Meinungen nicht teilen. Es ist normal, dass Menschen unterschiedliche Auffassungen haben und es ist sogar interessant. Dann erst beginnt eine echte Auseinandersetzung und ein wirklicher Dialog, bei dem sich völlig neue Ideen und Vorgehensweisen entwickeln können. Klären Sie aufrichtig, wie Ihr eigener Beitrag zu schwierigen und belastenden Situationen aussieht, was an den Rahmenbedingungen und was an Ihrer Umwelt liegt. Entscheiden Sie dann, was Sie ändern möchten, können und wo Sie keine Optionen sehen. Hilfe und Unterstützung jeglicher Art bei diesem Prozess können sinnvoll sein, wenn das für Sie stimmig ist (Prieß 2013: 160–164). 77 16 Therapie und professionelle Hilfe bei Stress und Trauma Eine Psychotherapie kann beim Umgang mit Stress und traumatischen Erlebnissen sehr hilfreich sein. Es ist dabei möglich, die verschiedenen Gefühle neu einzuordnen und anders zu betrachten. Dadurch kann das Erlebte vom gesamten Organismus verarbeitet, bewältigt und integriert werden. Eine gelungene Therapie kann Ihren Erfahrungshorizont und Ihre Konfliktbewältigungsstrategien enorm erweitern und verbessern. Damit eine Therapie gelingt, müssen verschiedene Rahmenbedingungen erfüllt sein: •• Zunächst einmal ist eine gute Therapie oder eine gute Beratung immer eine Zusammenarbeit der Beteiligten. Sie sollten sich auf den therapeutischen Prozess einlassen und mitarbeiten. Therapie und Beratung bedeuten eben nicht, dass jemand Sie wieder so herstellt, wie Sie früher waren und Sie lassen es einfach geschehen. •• Eine Therapie ist meistens ein längerer Prozess, Sie brauchen also Zeit dafür. •• Deswegen ist es unbedingt erforderlich, dass Sie mit einem Therapeuten zusammen arbeiten, dem Sie vertrauen und bei dem Sie sich wohlfühlen. Das bedeutet eventuell, dass Sie mehrere Therapeuten ausprobieren müssen, um zu sehen, wie Sie sich mit der jeweiligen Person fühlen. Es gibt Studien, die darauf hinweisen, dass eine belastbare und vertrauensvolle Arbeitsbeziehung innerhalb einer Therapie eines der wichtigsten Kriterien für Heilung und Gelingen ist. •• Sie sollten mit einem Therapeuten arbeiten, der solide und dem Thema Stress und Extrembelastung entsprechende Kompetenzen hat, damit Sie fachlich und menschlich gut aufgehoben sind. •• Ein guter Therapeut hat sich auch mit eigenen Traumata und mit eigenen Erfahrungen im Bereich extremer Stress auseinander gesetzt, diese reflektiert und möglichst gut verarbeitet. Das ist eine wichtige Voraussetzung für eine professionelle und angemessene Arbeitsbeziehung. •• Der Therapeut sollte also eine innere und auch eine äußere Unabhängigkeit aufweisen. Die innere Unabhängigkeit ergibt sich durch einen eigenen Wertekanon und durch echte Diskursfähigkeit. Die äußere Unabhängigkeit ergibt sich durch Arbeitsstrukturen, die das Thema Schweigepflicht ermöglichen und respektieren. Der Gesetzgeber sieht nur sehr wenige Ausnahmen von der gesetzlichen Schweigepflicht für Psychotherapeuten vor. Wenn die Schweigepflicht nicht geschützt ist, ist unter anderem der Erfolg einer Therapie gefährdet. 78 Stress im Einsatz Therapie und professionelle Hilfe bei Stress und Trauma 16 •• Außerdem sollten sich Therapeuten, besonders solche, die in den Bereichen Stress und Trauma tätig sind, selbst regelmäßig in eine kompetente und professionelle Supervision begeben, um die Gefahren einer Re-Traumatisierung oder einer Sekundären Traumatisierung durch ihre Arbeit zu vermindern. Für ein Coaching oder eine Beratung in den Bereichen Stress oder Trauma gelten die genannten Kriterien natürlich ebenfalls. Fragen Sie also bei einem Kennenlernen danach, was Ihr Gegenüber über Trauma, Extrembelastung und Posttraumatischen Stress weiß. Fragen Sie auch nach der obligatorischen Grundausbildung, d.h., ob Ihr Gegenüber Psychologe oder Arzt ist. Achten Sie darauf, wie Sie sich im Gespräch mit dem Therapeuten oder dem Berater fühlen. Haben Sie das Gefühl, dass Sie ihm vertrauen könnten? Haben Sie das Gefühl, dass Ihr Gegenüber in der Lage ist, Ihre Erfahrungen gemeinsam mit Ihnen zu tragen und auszuhalten? Fragen Sie die Themen ab, die Ihnen wichtig sind und verlassen Sie sich bei Ihrer Entscheidung für einen Therapeuten, einen Coach oder einen Berater auf Ihr Gefühl. Im Abschnitt Überblick über verschiedene Therapieformen [Kap. 16.1] finden Sie verschiedene hilfreiche Therapieformen, die Ihnen einen ersten Überblick geben. Im Abschnitt Suche nach therapeutscher Hilfe [Kap. 16.2] finden Sie ferner Hinweise, wie Sie bei der Suche nach dem für Sie geeigneten Gegenüber vorgehen können. Als Mitglied des ZIF-Expertenpools haben Sie zudem die Möglichkeit, sich bei der Onlineplattform OnTheMoveOnline beraten zu lassen. Die Plattform richtet sich speziell an Menschen, die im Ausland arbeiten. Dort wird psychosoziale Beratung in deutscher Sprache angeboten. Die Betreiber der Plattform sichern dabei Anonymität zu. Das ZIF übernimmt die Kosten für die Beratung. Erkundigen Sie sich darüber hinaus, ob Ihre Organisation Vorbereitungsveranstaltungen für Ihre Mission anbietet, die sich auch mit den Themen Stress, extreme Belastung, Trauma und soziale Unterstützung beschäftigen. Das ZIF bietet im Rahmen des „Core Course Peace Operations“ ein Modul zum Thema Stressmanagement an. Dasselbe gilt für eine Nachbereitungsveranstaltung nach Ihrem Einsatz. Das ZIF bietet Rückkehrerseminare für Mitglieder seines Expertenpools an, in denen Sie Ihre Einsatzerfahrungen auch aus psychosozialer Perspektive mit Fachleuten reflektieren können. Nutzen Sie diese Angebote in jedem Fall. Darin liegt oft die Möglichkeit, sich Wissen über den Umgang mit diesen Themen anzueignen. Außerdem können Sie sich während solcher Veranstaltungen über professionelle Unterstützung vor Ort und allgemein über professionelle Unterstützungsstrukturen und Prozesse innerhalb Ihrer Organisation informieren und darauf hinweisen, dass Ihnen diese Unterstützung wichtig ist. 79 Stress im Einsatz Therapie und professionelle Hilfe bei Stress und Trauma 16 16.1 Überblick über verschiedene Therapieformen Es gibt viele verschiedene Arten und Formen von Therapien und Therapieverfahren. Wir stellen hier einige der wichtigsten Therapieverfahren dar, von denen bekannt ist, dass sie bei Stress und bei Trauma hilfreich und heilend wirken können. a) Verhaltenstherapie Ziel dieses Ansatzes ist es, nach Einsicht in Ursache und Entstehung der Probleme, eine gezielte Symptombehandlung vorzunehmen und Methoden zur Überwindung der Probleme zu erlernen. Dazu werden häufig Verhaltensanalysen durchgeführt und es wird teilweise mit Manualen gearbeitet. In Deutschland bezahlen die gesetzlichen und viele privaten Krankenkassen diese Psychotherapieform, wenn ein niedergelassener Therapeut zusätzlich zur Ausbildung als Psychologe oder als Arzt eine Ausbildung im Bereich der Verhaltenstherapie absolviert hat (Caspar in Häcker und Stapf (Hrsg.) 1998: 924). b) Tiefenpsychologische bzw. Analytische Therapie Beide Begriffe beschreiben die gleiche Therapieform, bei der es stärker als im oben genannten Ansatz um eine Ursachenergründung geht. Dabei wird mit den unbewussten Teilen der Psyche gearbeitet und es werden die Dynamiken zwischen dem bewussten Willen und den unbewussten Anteilen der Psyche vor Augen geführt und beleuchtet. In Deutschland bezahlen die gesetzlichen und viele privaten Krankenkassen diese Psychotherapieform, wenn ein niedergelassener Therapeut zusätzlich zur Ausbildung als Psychologe oder als Arzt eine Ausbildung im Bereich der Tiefenpsychologischen Therapie oder der Analytischen Therapie absolviert hat (Ardelt in Häcker und Stapf (Hrsg.) 1998: 877). Studien legen nahe, sehr grob ausgedrückt, dass die Verhaltenstherapie schneller wirkt als die tiefenpsychologische Herangehensweise. Dafür ist die Wirkung der Tiefenpsychologischen Therapie anhaltender und nachhaltiger. c) Systemische Therapie Die Systemische Therapie ist eine Therapieform, bei der das System betrachtet wird, in dem der Klient aktuell lebt und/oder arbeitet, und oft auch andere wichtige Personen aus seinem Leben einbezogen werden, wie z.B. die Herkunftsfamilie. Dabei werden die dynamischen, teilweise traumatisch wirkenden Wechselbeziehungen zwischen den unterschiedlichen Personen und deren inneren Abbildern beim Klienten untersucht. Das passiert auch im Rahmen einer Einzeltherapie. In Deutschland hat der Wissenschaftliche Beirat Psychotherapie die Systemische Therapie als wirkungsvolle Therapiemethode anerkannt. Sie wird in vielen Kliniken und in Beratungsstellen von Psychologen und 80 Stress im Einsatz Therapie und professionelle Hilfe bei Stress und Trauma 16 von Ärzten angewendet. Die Systemische Therapie eignet sich gut zur Behandlung von traumatischen Erlebnissen und Ereignissen. Krankenkassen übernehmen aber nur in sehr wenigen Fällen die Kosten für diese Psychotherapieform und nur unter der Voraussetzung, dass ein niedergelassener Therapeut zusätzlich zur Ausbildung als Psychologe oder als Arzt eine Ausbildung im Bereich der Systemischen Therapie absolviert hat. Menschen, die diese Methode für sich auswählen, müssen häufig entweder selber für die Therapie aufkommen oder sie werden durch die entsendende Organisation unterstützt (Caspar in Häcker und Stapf (Hrsg.) 1998: 856–857). d) Gesprächspsychotherapie Bei dieser Therapieform steht das gegenwärtige Erleben des Klienten im Mittelpunkt. In der Therapie unterstützt der Therapeut auf nicht-direktive Art den Klienten dabei, seine Probleme und Gefühle in Worte zu fassen. In Deutschland hat der Wissenschaftliche Beirat Psychotherapie die Gesprächspsychotherapie als wirkungsvolle Therapiemethode anerkannt. Krankenkassen übernehmen aber nur in sehr wenigen Fällen die Kosten für diese Psychotherapieform und nur unter der Voraussetzung, dass ein niedergelassener Therapeut zusätzlich zur Ausbildung als Psychologe oder als Arzt eine Ausbildung im Bereich der Gesprächspsychotherapie absolviert hat. Menschen, die diese Methode für sich auswählen, müssen also häufig selber für die Therapie aufkommen oder sie werden durch die entsendende Organisation unterstützt (Caspar in Häcker und Stapf (Hrsg) 1998: 324). Art der Therapie Merkmale der Methodik Verhaltenstherapie Fokus auf Symptombehandlung, Verhaltensanalyse, Arbeit mit Manualen, eher strukturiertes Vorgehen Tiefenpsychologische oder Analytische Therapie Fokus auf Ursachenergründung, Arbeit mit unbewussten Anteilen, Untersuchung der Dynamik zwischen bewusstem Willen und unbewussten Anteilen der Psyche Systemische Therapie Untersuchung des (Lebens-)Systems des Klienten, Bewusstmachen der dynamischen und/oder traumatischen Wechselwirkungen zwischen Personen und inneren Abbildern der Personen Gesprächspsychotherapie Gegenwärtiges Erleben und Gefühle des Klienten stehen im Mittelpunkt, non-direktive Unterstützung durch den Therapeuten 81 Stress im Einsatz Therapie und professionelle Hilfe bei Stress und Trauma 16 Zusätzlich zu diesen intensiven und langjährigen Therapie-Basisausbildungen machen Therapeuten viele Fortbildungen in den verschiedensten Bereichen. Im Bereich der Behandlung von extremem Stress und der Folgen von traumatischem Stress sollte eine entsprechende Fortbildung vorliegen sowie zusätzlich ein Verständnis für die besondere Situation der Menschen, die in den verschiedenen Auslandsmissionen tätig sind. Nicht alle Therapeuten kennen sich mit dem Thema aus und/oder verfügen über Verständnis für die Tätigkeit in Auslandsmissionen. Im Zusammenhang mit Stress und Trauma werden die nachfolgenden Behandlungsmethoden auch hin und wieder genannt. Beide Methoden werden nicht von den Krankenkassen bezahlt und sind vom Wissenschaftlichen Beirat Psychotherapie nicht anerkannt. Wir führen Sie hier auf, damit Sie diese Methoden einordnen können, falls Sie davon hören: •• Somatic Experiencing Eine Methode, die von Peter Levine entwickelt wurde, um traumatische Erlebnisse zu überwinden. Sie beruht auf Verhaltensbeobachtungen in der Tierwelt. Hier ein Link zum Thema: > Somatic Experience Trauma Insitute •• Energetische Psychotherapie Eine Methode, bei der durch traumatische Erlebnisse blockierte und gestörte Energieströme auf der körperlichen und der kognitiven Ebene wieder freigesetzt werden sollen. Sie finden im Internet verschiedene Anbieter für diese Methode, deren Qualität Sie selbst beurteilen sollten. Wichtig ist, neben den bereits genannten Kriterien im Kapitel Therapie und professionelle Hilfe bei Stress und Trauma [Kap. 16], darauf zu achten, bei welcher Methode Sie sich am wohlsten fühlen. Achten Sie darauf, welche der Methoden Sie anspricht und verlassen Sie sich auch dabei auf Ihr Gefühl. Nachfolgend finden Sie eine Übersicht, welche Methoden und Therapieformen für die eingangs genannten Formen von Stress und Trauma empfehlenswert sind (siehe Formen von Stress und Stresssymptome [Kap. 4] sowie Katastrophen, Traumatischer und Posttraumatischer Stress, Kumulatives Trauma, Sekundäre Traumatisierung [Kap. 5]. Bitte beachten Sie, dass die Nennungen nicht ausschließend sind und andere Methoden ebenfalls geeignet sein können. 82 Stress im Einsatz Therapie und professionelle Hilfe bei Stress und Trauma Mögliche Beschwerden, Befindlichkeiten und Störungen Mögliche MaSSnahmen und/oder Methoden zur Behandlung Überbeanspruchung, erhöhter und anhaltender Stress •• Coaching und Beratung zur Analyse und bewussten Wahrnehmung der stress auslösenden Faktoren •• alle bewährten Entspannungsmethoden inkl. Yoga und Achtsamkeit bzw. Mindfulness Based Stress Reduction (MBSR) von Jon Kabbat-Zinn (in der Regel 4- bis 6-wöchige Kurse) [siehe Kap. 18.5 und 18.6] Existentieller Übergangsstress •• Wie bei Überbeanspruchung •• Kurzpsychotherapie von z.B. 5-10 Sitzungen (tiefenpsychologisch oder systemisch) kann nützlich sein, um die situativ mobilisierten, biografischen Inhalte und Ressourcen zu erkennen, angemessen einzuordnen/zu bearbeiten und zu nutzen Mit Katastrophen verbundener Stress Traumatischer Stress Posttraumatischer Stress und Posttraumatische Belastungsstörung Kumulatives Trauma durch Häufung mehrerer Belastungssituationen 16 Folgen dieser Erfahrungen sind häufig Posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS), die im akuten ebenso wie im chronischen Stadium spezielle Trauma therapien erfordern: •• Trauma-fokussierte kognitive Verhaltenstherapie (KVT) •• Tiefenpsychologische oder Analytische Therapie •• Systemische Therapie •• Psychopharmaka als zusätzliche Hilfsmaßnahme und erste Krisenintervention (Vorsicht Suchtgefahr!) Stellvertretende/ Sekundäre Traumatisierung •• Qualifizierte, d.h. auch mit Traumadynamiken vertraute Supervision Zweittraumatisierung durch falsche/ unangemessene Reaktion der Umwelt •• Diagnose dieser Situation durch Fachleute und daran anschließende Organisations- bzw. individuelle Trauma-Beratung 83 Stress im Einsatz Therapie und professionelle Hilfe bei Stress und Trauma 16 16.2 Suche nach therapeutischer Hilfe Einen Therapeuten, der von Ihrer Krankenkasse bezahlt wird, finden Sie in den Gelben Seiten oder im Telefonbuch Ihrer Region. Sie können sich auch bei Ihrer Krankenkasse erkundigen. Alle gesetzlichen und viele private Krankenkassen zahlen Ihnen übrigens eine geringe Anzahl von Erprobungsstunden. Damit können Sie ausprobieren, ob Sie sich bei der jeweiligen Person gut aufgehoben fühlen. Erkundigen Sie sich ebenfalls bei Ihrer Krankenkasse. Bei der Kassenärztlichen Vereinigung werden alle Ärzte und alle jeweiligen niedergelassenen Psychotherapeuten geführt, die durch die Krankenkassen finanziert werden. Im Internet oder im Telefonbuch können Sie nach der Kassenärztlichen Vereinigung suchen, die für Ihre jeweilige Region zuständig ist, und sich auf diesem Weg nach einem geeigneten Psychotherapeuten erkundigen. Darüber hinaus sind niedergelassene Psychologische Psychotherapeuten in verschiedenen Verbänden in Deutschland organisiert. Der Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen hat z.B. den Psychotherapie Informationsdienst (PID) geschaffen, der bei der Wahl eines geeigneten Psychotherapeuten oder Psychologen in Ihrer Region und mit dem Hintergrund, den Sie brauchen, unterstützt. Entsprechende Informationen erhalten Sie unter der Telefonnummer 030/209166330 (Deutschland) oder auf folgender Webseite: > Psychotherapie Informationsdienst Eine weitere Methode, ein geeignetes Gegenüber zu finden, ist es, bei Freunden sowie im Bekanntenkreis um Rat zu fragen. Fragen Sie, wer welche Erfahrungen mit Therapeuten und Therapien gemacht hat, wenn Sie sich mit diesem Weg wohl fühlen. Das kann dazu führen, dass Sie jemanden finden, der oder die Ihnen ansonsten in Auflistungen und Tabellen nicht aufgefallen wäre. Schließlich gibt es noch ein Problem, das im Zusammenhang mit der Suche nach einem geeigneten Therapeuten erwähnt werden muss: Es gibt fast ohne Ausnahme bei den Therapeuten, die von den Krankenkassen bezahlt werden, mehr oder weniger lange Wartezeiten. Das liegt daran, dass in vielen Fällen der Bedarf größer als die Zahl der niedergelassenen Therapeuten ist, die von den Kassen bezahlt werden. Das kann frustrierend sein, besonders wenn Sie jemanden suchen, mit dem Sie sich gut und sicher fühlen möchten und sollen. Geben Sie also nicht zu schnell auf oder überlegen Sie darüber hinaus, ob es für Sie möglich wäre, eine geeignete Therapie oder Beratung außerhalb des Systems der Krankenkasse durchzuführen. 84 Stress im Einsatz Therapie und professionelle Hilfe bei Stress und Trauma 16 Experten des ZIF-Pools haben während eines Einsatzes die Möglichkeit, sich bei der Onlineplattform OnTheMoveOnline beraten zu lassen. Die Plattform richtet sich speziell an Menschen, die im Ausland arbeiten. Dort wird psychosoziale Beratung in deutscher Sprache angeboten. Die Betreiber der Plattform sichern dabei Anonymität zu. Das ZIF übernimmt die Kosten für die Beratung. Im Rahmen eines Heimaturlaubs kann in Ausnahmefällen auch ein persönliches Treffen vereinbart werden. Das Beratungsangebot von OnTheMoveOnline kann jedoch keine psychotherapeutische Behandlung ersetzen. Experten des ZIF-Pools können des Weiteren in den Einsatzgebieten vorhandene Sanitätseinrichtungen der Bundeswehr aufsuchen, wenn Sie unter den Folgen von Stress leiden. Bei größeren Einsatzkontingenten der Bundeswehr sind in der Regel auch Truppenpsychologen vor Ort. Des Weiteren besteht in Deutschland auch für Zivilisten die Möglichkeit, sich stationär in den Schwerpunktkrankenhäusern der Bundeswehr für Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) und andere psychosoziale Erkrankungen behandeln zu lassen. Diese Einrichtungen befinden sich in Berlin und Koblenz. Auch hier müssen Sie die Kostenübernahme für die Behandlung vorab mit Ihrer gesetzlichen oder privaten Krankenversicherung klären. 16.3 Unterstützung und Nachsorge angebote der Bundesregierung Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK, Teil des Bundesinnen ministeriums) wurde nach dem 11.09.2001 gegründet und beherbergt unter seinem Dach die Koordinierungsstelle Nachsorge, Opfer- und Angehörigenhilfe (NOAH) im Bereich Krisenmanagement. Hauptaufgabe von NOAH ist es, den Betroffenen eines Unglücksfalls oder Terroranschlags sowie ihren Angehörigen eine akute und längerfristige psychosoziale Versorgung anzubieten und die durch das Auswärtige Amt am Unglücksort veranlassten Betreuungsmaßnahmen im Inland nahtlos fortzusetzen. Sie steht sowohl den Angehörigen bzw. weiteren nahestehenden Personen als auch den direkt Betroffenen nach deren Rückkehr nach Deutschland zur Verfügung. Lesen Sie dazu bitte auch den Abschnitt Stress durch Sicherheitsvorfälle und persönliche Verluste [Kap. 8.6]. Sie erreichen die Koordinierungsstelle NOAH durchgehend unter der (kostenlosen und innerhalb Deutschlands gültigen) Telefonnummer 0800/1888433 oder unter der Telefonnummer 0049(0)228/995502444. Weitere Informationen sowie eine genaue Auflistung der Angebote von NOAH finden Sie auf der Webseite des BBK: > Nachsorge, Opfer- und Angehörigenhilfe (NOAH) 85 17 Spiritualität und Verhaltensänderungen Neben den bereits aufgeführten Übungen, Anregungen und Maßnahmen möchten wir Sie auf das Thema Spiritualität hinweisen. Manche Menschen finden Orientierung, Halt und Kraft in Spiritualität. Dabei gibt es sehr individuelle Vorstellungen davon, welche Bedeutung dies für den einzelnen Menschen hat. Die Spiritualität des einzelnen Menschen orientiert sich nicht unbedingt an einer speziellen Glaubensrichtung oder Religion. Spirituelle Betrachtungsweisen der Welt und der Menschen beinhalten oft ein eigenes Wertesystem und bieten damit eine Art Richtschnur für das eigene Verhalten. Darüber hinaus schaffen sie für manche Menschen Sinn und Bedeutung. Deswegen kann eine spirituelle Grundhaltung sehr bei der Bewältigung eines Traumas helfen, auch wenn diese mitunter gerade durch das Trauma erschüttert werden kann. Spiritualität hilft Menschen auf verschiedenen Ebenen und in unterschiedlichen Bereichen. Sie kann dabei helfen, sich mit der Welt und mit anderen Menschen (wieder) verbunden zu fühlen und sich unterstützende Kontakte und ein Netzwerk zu schaffen. Darüber hinaus unterstützt eine spirituelle Haltung Menschen dabei, sich gut zu behandeln, ein gesundes Leben zu führen und sogar dabei, den Tag durch eine gewisse Routine zu strukturieren. Schließlich kann das Sinnhafte, das oft mit der Spiritualität verbunden ist, dabei helfen, nicht alles kontrollieren zu wollen, und sich so mehr dem Leben hinzugeben. Oft wird Spiritualität durch die Einhaltung religiöser Riten, Gebete, Meditationen oder den Glauben an eine höhere Macht ausgedrückt. Sie kann sich aber auch durch Natur, Musik, Kunst oder eine weltliche Gemeinschaft äußern. Spiritualität kann also für jeden etwas anderes bedeuten. Spiritualität kann sehr hilfreich in der Reduzierung von Stress sein und sich insgesamt positiv auf die Gesundheit auswirken (1). Falls Sie in eine Glaubensgemeinschaft eingebunden sind, kann es für Sie gut und wichtig sein, zu dieser Gemeinschaft während Ihres Auslandsaufenthaltes Kontakt zu halten. Mehr zum Thema (1) Spiritualität und Stressmanagement 86 18 Entspannungsübungen für Körper, Geist und Seele Für Entspannungsübungen empfiehlt es sich, jeden Tag eine bestimmte Zeit einzuplanen. Fangen Sie mit 5-10 Minuten täglich an und steigern Sie die Zeit, wenn möglich. Probieren Sie verschiedene Übungen aus, bis Sie eine finden, die Ihnen Spaß macht und Sie entspannt. Am besten beginnen Sie den Tag direkt mit Ihrer Lieblings-Entspannungsübung. Falls Sie diese Übungen lieber unter Anleitung lernen, besuchen Sie vor Ihrer Abreise noch einen Kurs an der Volkshochschule o.ä. Viele Krankenkassen bieten Teilfinanzierungen für Entspannungskurse an. Bitte beachten Sie, dass Sie Entspannungsübungen sorgsam ausführen und Ihren Körper gut dabei beobachten. Falls Sie Gesundheitsprobleme haben, klären Sie bitte mit Ihrem Arzt, welche Übungen Sie vermeiden sollten. 18.1 Autogenes Training Das Autogene Training wurde in den 1920er Jahren von dem Berliner Psychiater Dr. med. Johannes H. Schultz entwickelt und hat sich seitdem als eine höchst wirkungsvolle Methode durchgesetzt. Der Begriff autogen kommt aus dem Griechischen und setzt sich aus den Worten autos (selbst) und genos (Enstehendes, Werdendes) zusammen. Dementsprechend bedeutet Autogenes Training ein aus sich selbst heraus entstehendes Üben. Dieses Üben dient dazu, Entspannung zu erlernen und somit einen Ausgleich für das vegetative Nervensystem zu schaffen. Das Autogene Training besteht aus Übungen, die darauf abzielen, sich innerlich mehr und mehr zu lösen. Das Training wird vor allem bei Belastungen angewendet, die mit psychischen Beschwerden einhergehen, wie z.B. Depressionen, chronische Schmerzen, Schlaf störungen, Unruhe, Burnout, Bluthochdruck, Phobien, Migräne und Kopfschmerzen. In einigen Fällen sollte Autogenes Training nicht angewendet werden: akutes Asthma, akutes Muskelrheuma, akute entzündliche Gelenkerkrankungen (Arthritiden), akute Migräne, schwere Herz-Kreislauf-Erkrankungen und einige psychische Störungen, beispielsweise Zwangsstörungen und bestimmte Formen der Schizophrenie (Litzke, Schuh, Pletke 2013: 89). 87 Stress im Einsatz Entspannungsübungen für Körper, Geist und Seele 18 Der Organismus und damit auch der Körper können auf die unterschiedlichste Art und Weise von Autogenem Training beeinflusst werden. Positive Effekte sind u.a.: •• Erholung und Entspannung; •• Entwicklung einer sensiblen Körperwahrnehmung und einer gelassenen Grundhaltung; •• Leistungs- und Gedächtnissteigerung; •• Selbstbeherrschung (Essen, Alkohol, Rauchen); •• Verbesserung psychosomatischer Beschwerden wie Kopfschmerzen und Verdauungsstörungen; •• Schutz gegen unspezifische Stressbelastungen. Im Allgemeinen gibt es im Autogenen Training sieben Übungsschritte: •• •• •• •• •• •• •• Ruhetönung (Konzentration); Schwereübung (Muskelentspannung); Wärmeübung (verbesserte Durchblutung); Atemübung (Beruhigung des Atems); Herzübung (Beruhigung des Herzschlags); Sonnengeflechtsübung (bessere Durchblutung); Stirnkühlung (Steigerung der Konzentrationskraft). Autogenes Training kann sitzend, liegend oder in der sogenannten Droschkenkutscherhaltung gemacht werden. Probieren Sie aus, welche Haltung am angenehmsten für Sie ist und schließen Sie für die Übung die Augen. Autogenes Training ist eine sehr wirksame Methode zum Stressabbau. Allerdings dauert es zwei bis drei Monate bei einem täglichen Übungsaufwand von 30 Minuten, diese Technik zu erlernen. Verschiedene Übungen finden Sie auch unter diesem Link: > Psychotherapeutisches Institut Bergerhausen 88 Stress im Einsatz Entspannungsübungen für Körper, Geist und Seele 18 18.2Klopf-Akupressur Diese einfache Entspannungsmethode – auch Emotional Freedom Technique (EFT) genannt – kann Ihnen dabei helfen, innerhalb von Minuten ruhiger und gelassener zu werden. Die Methode basiert auf dem Prinzip der Akupressur und auf den Energiemeridianen der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM). Die Grundannahme ist, dass negative Gefühle das Energiesystem des menschlichen Körpers unterbrechen. Klopf-Akupressur soll diese Blockaden auflösen und führt so zu Entspannung und Wohlbefinden. Übung Die Vorgehensweise ist einfach: Sie beklopfen in einer bestimmten Reihenfolge sanft die Meridianpunkte Ihres Körpers und denken an Ihr Problem, wie z.B. Stress, Nervosität, Bedrücktheit, Frustration, oder sprechen es aus. Schon nach wenigen Minuten spüren Sie sich entspannter und gelassener. •• In einem ersten Schritt wählen Sie eine Zahl auf der Skala von 1 (kaum belastend) bis 10 (extrem belastend) um zu definieren, wie belastend Ihr Problem (z.B. Stress) für Sie ist. •• Danach beginnen Sie mit dem leichten Klopfen des Handkante-Punktes (Außenseite einer Hand, die andere Hand klopft) und sagen den Einleitungssatz: „Obwohl ich (dieses Problem, z.B. extremen Arbeitsstress) habe, akzeptiere ich mich so, wie ich bin“. •• Atmen Sie tief ein und aus und wiederholen Sie diesen Satz noch zweimal, während Sie weiter klopfen. •• Danach beginnen Sie den folgenden Klopfkreislauf: Klopfen Sie mindestens sieben mal sanft auf Ihre Kopfkrone, auf die Stirn direkt über den Augenbrauen, auf die Schläfen, unter den Augen (auf den Knochen der Augenhöhle), zwischen Nase und Lippe, zwischen Lippe und Kinn, auf Ihr Schlüsselbein und eine Handbreit unter der Achselhöhle. •• Während Sie klopfen, beschreiben Sie Ihr Problem. Für Stress könnten Sie denken oder sagen: „Dieser Arbeitsstress, der mir den Schlaf raubt … der mich nervös macht … den ich in meinem Magen spüre … den ich nicht loswerde … der mich auslaugt etc.“ Versuchen Sie auch zu spüren, wo und wie sich Ihr Problem in Ihrem Körper wiederspiegelt. •• Nach 2–3 Klopfrunden halten Sie an und atmen tief ein und aus. •• Gehen Sie zurück zur Anfangsskala (von 1–10) und sehen Sie, inwiefern sich Ihre ursprüngliche Zahl geändert hat und ob und wie Sie sich gelöster und entspannter fühlen. 89 Stress im Einsatz Entspannungsübungen für Körper, Geist und Seele 18 Mehr Informationen, Anleitungen und YouTube-Videos zu EFT finden Sie unter: > Emotional Freedom Techniques 18.3 Progressive Muskelentspannung Die progressive Muskelentspannung nach Edmund Jakobson ist ein Verfahren, bei dem Sie durch die bewusste An- und Entspannung bestimmter Muskelgruppen einen Zustand tiefer Entspannung des ganzen Körpers erreichen können. Dabei werden einzelne Muskelpartien in einer bestimmten Reihenfolge zunächst angespannt, die Muskelspannung wird kurz gehalten, und anschließend wird die Spannung gelöst. Diese Übung kann neben allgemeiner Entspannung auch zur Verbesserung von körperlicher Unruhe, z.B. Herzklopfen, Schwitzen oder Zittern oder auch Spannungskopfschmerz oder Ängsten führen. Oft führt diese Übung zu einem Wärmegefühl, entspannter Schwere und Müdigkeit. Um die progressive Muskelentspannung erfolgreich durchzuführen, sollten Sie eine Übungszeit von 20 Minuten täglich über mehrere Wochen einplanen. Wir empfehlen Ihnen, den folgenden Übungstext vorab zu lernen, so dass Sie die Übung nicht unterbrechen müssen, um die nächsten Schritte nachzulesen. Denken Sie beim Ausführen an die Pausen für die Anspannung und Entspannung. Die Anspannungsphase sollte ungefähr 5-10 Sekunden dauern und die Entspannung etwa doppelt so lange. Nacheinander werden angespannt und entspannt: Hände und Unterarme, Oberarme, Gesicht, Schultern, Nacken, Rücken, Brust, Bauch, Gesäß, Beine (Litzke, Schuh, Pletke 2013: 81-89). 90 Stress im Einsatz Entspannungsübungen für Körper, Geist und Seele 18 Übung Die Grundübung der progressiven Muskeltentspannung (Davis et al. 2008: 44): Machen Sie es sich in einem ruhigen Raum bequem. Sie können die Übungen im Sitzen oder Liegen durchführen. Tragen Sie lockere Kleidung und ziehen Sie die Schuhe aus. Nehmen Sie ein paar lange Atemzüge und beginnen Sie sich zu entspannen. Führen Sie die Übung, wenn möglich, zwei Mal für jedes Körperteil durch. Ballen Sie nun Ihre Fäuste fester und fester… fühlen Sie die Spannung… entspannen Sie sich und fühlen Sie Ihre entspannten Hände und Unterarme… (wiederholen Sie diese und alle folgenden Übungen mindestens einmal). Beugen Sie jetzt Ihren Ellbogen an und spannen Sie die Muskeln so fest Sie können… lassen Sie locker und nehmen Sie die Entspannung wahr. Wenden Sie sich jetzt Ihrem Kopf zu und runzeln Sie Ihre Stirn so stark wie möglich… halten Sie die Spannung und lassen dann locker… spüren Sie die Entspannung… Stellen Sie sich vor, wie Ihr ganzer Kopf locker und ruhig ist. Jetzt kneifen Sie die Augen zusammen und rümpfen die Nase… lassen Sie los und fühlen Sie, wie sich die Augenbrauen glätten… entspannen Sie Ihre Augen und lassen Sie sie geschlossen. Öffnen Sie jetzt Ihren Mund so weit wie möglich und spüren Sie die Spannung… entspannen Sie den Mund… fühlen Sie die Öffnung zwischen den entspannten Lippen. Pressen Sie jetzt die Zunge gegen den Gaumen… fühlen Sie die Spannung im Mund… entspannen Sie Ihren Mund. Spitzen Sie jetzt Ihre Lippen zu einem „O“… entspannen Sie Ihre Lippen. Fühlen Sie die Entspannung Ihres Kopfs, Mundes, der Augen, Nase, Lippen… lassen Sie alles los. Rollen Sie Ihren Kopf langsam von einer Seite zur anderen… fühlen Sie die Spannung… lassen Sie den Kopf in eine bequeme aufrechte Position zurück kommen. 91 Stress im Einsatz Entspannungsübungen für Körper, Geist und Seele 18 Schütteln Sie jetzt Ihre Schultern und ziehen Sie die Schultern an die Ohren… halten Sie die Schultern… lassen Sie die Schultern fallen und fühlen Sie die Entspannung in Ihrem Rücken, in Hals und Schultern… tiefe Entspannung. Atmen Sie jetzt tief in Ihre Lungen ein… halten Sie den Atem… fühlen Sie die Spannung… atmen Sie aus und lockern Sie Ihre Brust… atmen Sie frei und entspannt. Spannen Sie Ihren Bauch an und nehmen Sie die Spannung wahr… entspannen Sie sich… legen Sie Ihre Hände auf den Bauch und atmen Sie tief ein… spüren Sie, wie sich Ihre Hände heben… nehmen Sie wahr, wie die Luft Ihren Bauch verlässt. Machen Sie einen leichten Buckel… der restliche Körper sollte entspannt sein… konzentrieren Sie sich auf die Spannung im unteren Rücken… entspannen Sie sich. Spannen Sie das Gesäß an… entspannen Sie sich und fühlen Sie den Unterschied. Spannen Sie jetzt die Beine an und ziehen Sie die Zehen an… fühlen Sie die Spannung… entspannen Sie sich und lassen Sie alles locker. Fühlen Sie die angenehme Wärme und Schwere von tiefer Entspannung in Ihrem Körper, während Sie ruhig und tief weiter atmen… gehen Sie in Gedanken durch Ihren Körper und lassen Sie die letzte Spannung los… entspannen Sie die Füße, die Fußgelenke, die Waden, Unterschenkel, Knie, Oberschenkel, Gesäß, Bauch, Unterrücken, Brust… lassen Sie alles gehen… fühlen Sie die Entspannung in Ihren Schultern und Armen und Händen… tiefer und tiefer… fühlen Sie das Gefühl von Gelöstheit in Ihrem Hals, Kiefer, Kopf… atmen Sie weiterhin langsam und tief ein und aus… Ihr gesamter Körper ist entspannt, ruhig und gelassen. 92 Stress im Einsatz Entspannungsübungen für Körper, Geist und Seele 18 18.4Meditation Meditation ist eine alte spirituelle Praxis, die in vielen, vor allem asiatischen Regionen und Kulturen und seit einigen Jahren zunehmend in westlichen Regionen ausgeübt wird. Ziel von Meditation ist es, den Geist und die Gedanken für einige Zeit zur Ruhe kommen zu lassen. Dabei werden in verschiedenen Übungen Konzentration und Achtsamkeit eingeübt, damit der Meditierende sich möglichst im Hier und Jetzt fühlen lernt (1). Meditation kann einen religiösen Zweck haben, wird aber in westlichen Kulturen primär als eine Methode der Entspannung genutzt und hat deswegen oft nichts mit Esoterik, Glaube und Religion zu tun. Die Technik der Meditation wird von entsprechend autorisierten Lehrern vermittelt und steht jedem offen, der sie lernen möchte. Meditation stellt auch das Gegenstück zu dem im Westen oft als besonders effizient angesehenen Multitasking dar. Viele Menschen halten sich und andere für besonders effizient, wenn sie scheinbar mehrere Dinge und Aufgaben gleichzeitig lösen können. Forschungsergebnisse zeigen jedoch zunehmend, dass Multitasking eine Quelle für viele Fehler und für Stress ist, da das Gehirn niemals simultan, sondern immer sukzessiv arbeitet (Schwab in taz 28.02.2014). Durch Meditation wird das vegetative Nervensystem aktiviert und wieder in Balance gebracht. Dadurch reguliert sich oft zum Beispiel die Verdauung, der Blutdruck, der Herzschlag und das Neurotransmittersystem zur Ausschüttung der Stresshormone. Dies hat wiederum viele Auswirkungen auf das körperliche Wohlbefinden und die körperliche Gesundheit (2, 3). Diese Ergebnisse und Ausführungen sind nur ein Bruchteil dessen, was die Forschung in den letzten Jahrzehnten über die Wirkung von Meditation herausfinden konnte. Wenn Sie daran interessiert sind, mehr über die positive Wirkung von Meditation herauszufinden, klicken Sie auf den folgenden Link: > I Need Motivation – 100 Benefits of Meditation In der Realität ist es leider so, dass wir Menschen häufig mehrere Aufgaben gleichzeitig bewältigen müssen und dabei zusätzlich noch äußeren Reizen und Eindrücken ausgesetzt sind, die wir stets verarbeiten. Dies gilt in stärkerem Maße auch für einen Auslandseinsatz. 93 Stress im Einsatz Entspannungsübungen für Körper, Geist und Seele 18 Übung Wenn Sie merken, dass Sie einen Moment Pause brauchen und zur Ruhe kommen wollen, empfehlen wir Ihnen folgende kleine Übung: 1. Schließen Sie die Augen. 2. Achten Sie darauf, wie schnell und mit welcher Intensität die Gedanken durch Ihren Kopf schießen. 3. Versuchen Sie diesen Gedankenfluss genauso an sich vorbei fließen zu lassen, wie ein Fluss, der an Ihnen vorbei zieht. Ihr Geist vollzieht seine originäre Aufgabe: Er denkt. Bei Stress haben wir mitunter den Eindruck, in einem großen Strom der Gedanken unterzugehen. Damit das nicht passiert, ist es sinnvoll, die Gedanken kommen und gehen zu lassen und sich davon zu distanzieren. Dadurch entsteht ein gewisser Abstand zwischen Ihnen und den vielen Stress erzeugenden Gedanken. So kommt der Geist zur Ruhe und kann sich wieder konzentrieren, statt sich von den vielen Gedanken überwältigt zu fühlen. Sie sind dann mehr als Ihre Gedanken. Häufig schafft dieses Vorgehen Kraft und mehr Gelassenheit, besonders bei regelmäßiger Anwendung. Bei vielen Meditationsarten sitzen die Meditierenden still da und versuchen, sich auf ein Wort, einen Satz, ihren Atem oder etwas anderes zu konzentrieren. Es gibt aber auch die Form der stehenden oder der gehenden Meditation. Dabei konzentriert der oder die Meditierende sich auf das Gehen, auf seine Füße und auf die Muskeln, die dabei gebraucht werden. Am besten versuchen Sie auch hier herauszufinden, was für Sie geeignet ist. Geben Sie nicht zu schnell auf, Meditation muss gelernt werden und braucht deswegen Zeit und regelmäßiges Üben. Es kann auch sein, dass Sie das Meditieren zunächst als schwierig empfinden, weil Ihnen Ihre Gedanken und die Belastung durch diese zum Beispiel erst einmal richtig bewusst werden. Das ist im Grunde ein gutes Zeichen, denn es zeigt, dass Sie anfangen sich, mit den für Sie relevanten Themen auseinander zu setzen. Machen Sie einfach weiter und lassen Sie Ihre Gedanken fließen, ohne sich mit Ihnen zu identifizieren. Weiterführende Links und Dateien zum Thema Meditation finden Sie in unserer Liste Einzelne Themen [Kap. 22.3]. Mehr zum Thema (1) Spirituelle Lebensberatung (2) Heilsame Entspannung (3) Bluthochdruck: Meditation statt Medikation 94 Stress im Einsatz Entspannungsübungen für Körper, Geist und Seele 18 18.5Achtsamkeit Achtsamkeit unterscheidet sich von der Meditation dadurch, dass einige Aspekte der Jahrtausende alten Meditation in eine Form gebracht wurden, die für Menschen unserer Zeit oft leichter zugänglich ist. Achtsamkeit kann im Grunde ohne große Anstrengungen von jedem Menschen durchgeführt werden und erfordert nicht die strenge Disziplin, die bei manchen anderen Meditationspraktiken zu finden ist. Achtsamkeit meint eine absichtlich herbeigeführte Qualität des menschlichen Bewusstseins, die sich aufmerksam auf den gegenwärtigen Moment, auf die kurze Zeitspanne zwischen Vergangenheit und Zukunft bezieht. Dabei zählt nur die Wahrnehmung dessen, was gerade ist. Mit dieser Wahrnehmung ist keine Bewertung der Situation oder der Beteiligten an dieser Situation verbunden, sie ist im Gegenteil frei von jeder Bewertung (Kabat-Zinn in General Hospital Psychiatry 1982: 33–47). Dieser Bewusstseinszustand kann dazu führen, dass unwillkürliche und seit langem gewohnte Reaktionen auf äußere Ereignisse und eigenes Erleben abnehmen und stattdessen das eigene Handeln der jeweiligen Situation angemessener und bewusster wird (1). Der Molekularbiologe Jon Kabat-Zinn entwickelte 1979 aus Meditationspraktiken des Buddhismus ein Programm zur Stressbewältigung, das auf Deutsch Stressbewältigung durch Achtsamkeit heißt (Mindfulness-Based Stress Reduction – MBSR). Dieses Programm wird mittlerweile in vielen Kursen und Trainings gelehrt. Die Kosten für die Teilnahme werden teilweise von den Krankenkassen übernommen. Wenn Sie bei einem erfahrenen Achtsamkeits-/Meditationslehrer lernen möchten, erkundigen Sie sich nach Übungsgruppen und Schulen in Ihrer Stadt. Sollten Sie in Ihrer Umgebung keine entsprechende Schule finden, können Sie Seminare oder Workshops besuchen, die von Meditationsschulen in ganz Deutschland angeboten werden (1). Im unten stehenden Link zu arbor finden Sie einen Einführungstext in die Achtsamkeitsbasierte Stressreduktion, der von Jon Kabat-Zinn selbst verfasst wurde: > arbor – Was Achtsamkeit ist Auf der folgenden Webseite wird Ihnen die Form der Vipassana-Meditation – eine Achtsamkeitsmeditation – ausgiebig erklärt (in englischer Sprache): > Vipassana Dhura Meditation Society – What Is Vipassana? 95 Stress im Einsatz Entspannungsübungen für Körper, Geist und Seele 18 Auf dieser Webseite finden Sie Anleitungen (ebenfalls in englischer Sprache), die Ihnen Schritt für Schritt neun verschiedene Achtsamkeits-Meditationsübungen nahe bringen. Des Weiteren wird hier erklärt, was es zum Beispiel bedeutet, achtsam zu essen und wie Sie mit häufig auftretenden Problemen während einer Meditation umgehen können, wie zum Beispiel abschweifenden oder wandernden Gedanken, Schläfrigkeit, unangenehme Gedankenbilder oder unangenehme Emotionen. > Vipassana Dhura Meditation Society – How to Meditate Achtsamkeit als Programm wird, so wie auch die Meditation, in manchen Kliniken und Therapien bei der Burnout-Therapie und bei Posttraumatischen Belastungsstörungen angewendet. Diese Programme beinhalten Körperwahrnehmungsübungen, Yogastellungen, Sitz- und Gehmeditationen, Atemübungen und Übungen zur Achtsamkeit im alltäglichen Leben. Wichtig bei allen Übungen ist die schon beschriebene wertfreie Wahrnehmung von allem, was passiert und was der Ausübende wahrnimmt. Das Achtsamkeitsprogramm wirkt sich positiv auf den gesamten Organismus (Körper, Geist und Psyche) aus und wird deshalb vielfältig angewandt. Die wertfreie Achtsamkeit für das, was wahrgenommen wird, ist kein suggestives oder autosuggestives Verfahren, wie es zum Beispiel das Autogene Training [Kap. 18.1], das Positive Denken oder das Mentale Training sind (2). In unserer Liste Weiterführende Literatur [Kap. 22.3] finden Sie Literatur zum Thema Achtsamkeit und Links zu einigen Webseiten, auf denen Seminare und Veranstaltungen angeboten werden. Außerdem finden Sie dort einen Link zu einer Audiodatei sowie verschiedene weiterführende Links zu diesen Themen. Mehr zum Thema (1) Was ist Achtsamkeit (2) Achtsamkeitsbasierte Stressreduktion 96 Stress im Einsatz Entspannungsübungen für Körper, Geist und Seele 18 18.6Yoga Auch Yoga ist eine Praxis für Körper, Geist und Psyche. Yoga umfasst Dehnübungen, kon trolliertes Atmen und Entspannung. Yoga kann Stress reduzieren, den Blutdruck senken, die Funktion des Herzens verbessern und führt somit zu mehr Ausgeglichenheit und Energie. Ein großer Vorteil von Yoga ist, dass es von fast jedem Menschen ausgeübt werden kann, denn es gibt verschiedene Arten und Intensitätslevel, die Sie an Ihr eigenes körperliches Befinden anpassen können. Falls Sie Beschwerden oder Bedenken haben, sollten Sie sich mit einem Arzt bzw. Physiotherapeuten beraten, bevor Sie mit dem Yoga beginnen. Die meisten Menschen können jedoch von jeder Art des Yoga profitieren, denn – wie bei anderen Entspannungstechniken auch – kommt es auf die eigenen Vorlieben und Wünsche an (1). Für Stressmanagement ist die Form des Hatha Yoga gut geeignet. Hatha Yoga ist eine der am meisten praktizierten Formen von Yoga und ist vor allem bei Anfängern beliebt, da es langsame, schonende und meditative Bewegungen beinhaltet. Es schließt Körperübungen, Atemübungen, Tiefenentspannung und Meditation ein. Im weitesten Sinne umfasst es auch gesunde Ernährung und eine Form des positiven Denkens. Beim Hatha Yoga werden Yogaposen, die Asanas, geübt. Manche dieser Asanas sind körperlich fordernd, andere werden bei körperlicher Entspannung durchgeführt. Zusätzlich werden Atemübungen durchgeführt, um den eigenen Atem zu kontrollieren und dadurch den Geist zu beruhigen (2). Yoga kann Stress reduzieren und ihm vorbeugen, da es das vegetative Nervensystem beeinflusst, welches für die autonomen Körperprozesse verantwortlich ist. Das vegetative Nervensystem umfasst den Sympathikus, der für schnelle Reaktionen und für viele Erregungsprozesse des Körpers zuständig ist. Der Parasympathikus ist für die Entspannung und für die Beruhigung verantwortlich. Beim Umgang mit Stress ist das Wechselspiel zwischen Parasympathikus und Sympathikus entscheidend, da dies bei starkem und/oder langanhaltendem Stress häufig aus der Balance gerät. Das regelmäßige Ausüben von Yoga kann dabei unterstützen, dass sich die Herztätigkeit verlangsamt, dass der Schlaf tiefer und entspannter wird und dass sich dadurch wieder Energie aufbaut. Die regelmäßigen Atemübungen beeinflussen oft die Atmung in stressreichen Situationen positiv, da Übende lernen, tiefer zu atmen und damit schnell zu entspannen (3). 97 Stress im Einsatz Entspannungsübungen für Körper, Geist und Seele 18 Yogaübungen sind sehr gut geeignet, da jeder Mensch sie entsprechend des individuellen Körperbaus, Konstitution und Dehnungsfähigkeit durchführen kann. Es kommt nicht darauf an, sie möglichst perfekt durchzuführen. Vielmehr sollten sie so verwirklicht werden, dass sie genau für denjenigen geeignet sind, der sie anwendet. Erst dann können die Übungen ihre gute Wirkung entfalten. Es ist auch nicht nötig, eine sehr große Anzahl von Yogaübungen zu beherrschen. Viel besser ist es, vor allem diejenigen durchzuführen, die zu Ihnen passen. Das finden Sie heraus, indem Sie die Übungen ausprobieren und schauen, welche Ihnen eine gewisse Leichtigkeit, Gesundheit und innere Stabilität verschaffen, so dass Sie diese regelmäßig ausführen möchten (Dalmann und Soder 2009). Yogaübungen können auf einer Yogamatte oder auf jedem anderen rutschfesten Untergrund ausgeführt werden. Tragen Sie dazu bequeme Kleidung und keine Schuhe. Empfehlenswert ist ein ruhiger, ungestörter Ort, der genügend Platz für die einzelnen Übungen bietet. In vielen Städten gibt es auch Yogalehrer und Yogaschulen. Mitunter werden Kurse von den Krankenkassen bezuschusst. Wenn Sie sich einen Überblick über verschiedene Yogaübungen und über die Art der Ausführung verschaffen möchten, finden Sie hier einige Videos unter den angegebenen Links. > Yoga Übungen für Anfänger – mit Sonnengruß, Atemtechnik und Entspannung (29 Min.) > Yoga für Anfänger (20 Min.) > Yogastunde für vollständige Anfänger (56 Min.) > Yogatherapie: Angst und Unsicherheit – Entspannen und Kraft tanken mit Hatha Yoga (78 Min.) > Yoga for stress management (6,5 Min., Englisch) Mehr zum Thema (1) Yoga für Anfänger (2) Stressmanagement (3) Wirkungen von Yoga 98 Stress im Einsatz Entspannungsübungen für Körper, Geist und Seele 18 18.7 Tai Chi Tai Chi ist eine alte chinesische Innere Kampfkunst (auch als Schattenboxen übersetzt). Sie wird oft als Bewegungsmeditation bezeichnet, da sie mit absoluter Konzentration und innerer Ruhe ausgeübt wird. Tai Chi wird in China schon lange zur Prävention und zur Unterstützung des Heilungsprozesses eingesetzt und ist ein wesentlicher Bestandteil der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM). Dieser Ansatz geht davon aus, dass die Lebenskraft oder Lebensenergie Chi eine zentrale Bedeutung für die Gesundheit und die innere Entwicklung des Menschen spielt. Die innere Ruhe, die während der Tai Chi-Übungen hervorgerufen wird, fördert nach Ansicht der Traditionellen Chinesischen Medizin den Fluss dieser Lebensenergie und erhält und verbessert somit die Gesundheit (1). Zu den Vorteilen des Tai Chi gehört, dass es nahezu jeder praktizieren kann, denn die Übungen belasten die Muskeln und Gelenke nur minimal. Damit ist sie für alle Altersgruppen und Fitnesslevel zugänglich. Zudem ist keine besondere Ausrüstung nötig, um die Übungen auszuführen, und sie können an fast jedem Ort praktiziert werden. Eine Vielzahl an Studien deutet darauf hin, dass Tai Chi Stress maßgeblich reduziert und das Wohlbefinden erhöht. Durch die langsamen, fließenden und achtsamen Bewegungen, kontrolliertes Atmen und die Konzentration, die damit verbunden ist, kann sich der Geist beruhigen und Spannungen können sich lösen. Neben den klassischen Beschwerden wie Rückenschmerzen, Stress, Schulter- und Nackenverspannungen, scheint sich Tai Chi auch positiv auf Beschwerden wie Arthritis, Asthma, Bluthochdruck, Kopfschmerzen, Migräne, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Gelenkschmerzen, Rheuma, Tinnitus, Schlafstörungen, Konzentrationsstörungen und Osteoporose auszuwirken. Des Weiteren wirkt Tai Chi positiv auf das Gleichgewichtsgefühl, die Verdauung sowie das Nerven- und Immunsystem. Die Grundlagen des Tai Chi können Sie im Selbststudium durch Bücher, Videos oder OnlineAngebote erlernen. Um Tai Chi ernsthaft zu praktizieren, ist es jedoch empfehlenswert, sich einen ausgebildeten Lehrer zu suchen. Die folgenden Links bieten Ihnen einen guten Überblick, wie Sie Tai Chi am besten im Selbststudium erlernen können und worauf Sie bei der Wahl einer Schule und eines Lehrers achten sollten. Außerdem finden Sie hier Tipps für Videos und Bücher, mit denen Sie Ihr Selbststudium bereichern können: > Taiji Europa – Tai Chi im Selbstudium > Tai Chi (Video – 1:18 Min.) > Schulen- und Lehrerliste des Tai Chi Forums Deutschland Mehr zum Thema (1) Taiji Europa h 99 h M Weiterbildung und Hilfe zur Selbsthilfe bei Stress und Trauma 19 Eine internetbasierte Selbsthilfe, bei der sich Menschen mit einem gemeinsamen Problem austauschen können, wird unter dem folgenden Link beleuchtet. Die Orientierungshilfe enthält auch Hinweise zum Thema Datenschutz: ( d I P > Nakos – Internetbasierte Selbsthilfe, Eine Orientierungshilfe Eine weiterer Weg zur Selbsthilfe können bestimmte Techniken und Methoden aus dem STAR-Training (Strategies for Trauma Awareness and Resilience) sein. STAR integriert Ansätze aus der Hirnforschung, Pädagogik, Psychologie, Friedensarbeit, Konflikttransformation und Restorative Justice und hebt den Zusammenhang zwischen unverarbeitetem Traum und Gewaltkreisläufen hervor. Mehr Informationen zum STAR-Programm finden Sie unter: > Eastern Mennonite University – Strategies for Trauma Awareness and Resilience (STAR) Die international tätige Organisation medico international beschäftigt sich auf sehr umfassende und tiefgehende Weise mit dem Thema Trauma. Dies wird oft im gesellschaftlichen und globalen Zusammenhang betrachtet. Medico international bietet immer wieder Workshops oder zum Beispiel Ringvorlesungen in Zusammenarbeit mit der Goethe Universität Frankfurt zum Thema an. > medico international Ferner empfehlen wir zwei weitere Organisationen, die sich mit dem Thema Stress und Belastung für Menschen beschäftigen, die in der Entwicklungshilfe oder in Auslandsmissionen arbeiten. Beide Organisationen bieten hilfreiche Informationen und teilweise Webinars an: > Headington Institute in Kalifornien, USA > Antares Foundation, Niederlande 100 20 Hilfe und Verantwortung für andere Traumatische Erfahrungen wie Unfälle, Raubüberfälle, Katastrophen, Kriege, Terrorakte, Entführung, Vergewaltigung und Misshandlung sind immer einschneidende Lebenserfahrungen, die in einem Menschen Reaktionen auslösen können, mit denen weder er noch seine Umwelt vorher gerechnet hätten. Wie schon vorher beschrieben, kann sowohl das Miterleben als auch das Beobachten solcher und anderer tief erschütternder Ereignisse sehr belastend sein. Genauso kann eine andauernde, zu hohe und entgrenzte Erwartung an die Leistungs fähigkeit eines Menschen diesen erschüttern und verändern. Manchmal aktivieren Menschen Selbstheilungskräfte, die dazu führen, dass sie ihre Erlebnisse und Erfahrungen im Laufe der Zeit verarbeiten. Die Menschen, denen das nicht gelingt, entwickeln Belastungsreaktionen und sind unter anderem in Bezug auf ihre Arbeitsleistung (vorübergehend) nicht mehr so leistungsfähig, wie sie einmal waren. Es ist wichtig, davon betroffene Menschen nicht alleine zu lassen, sondern sie zu unter stützen. Wenn Sie Führungskraft sind, ist es sehr hilfreich für Ihre Organisation und für Ihre Mitarbeiter, wenn Sie mit gutem Beispiel vorangehen. Wir empfehlen Ihnen deswegen, sich in den Bereichen Stress und extreme Belastung fortzubilden. Sie können dann andere besser unterstützen, wenn das nötig ist. Suchen Sie sich auch für sich selbst Menschen, die Ihnen Unterstützung geben können, wenn Sie es brauchen (Litsch und Novoa 2002: 63). 101 Stress im Einsatz Hilfe und Verantwortung für andere 20 20.1 Was kann ich für traumatisierte Menschen tun? Zunächst möchten wir Ihnen einen kurzen Hinweis dazu geben, was Sie machen können, wenn ein Mensch starke Stressreaktionen zeigt, weil er eine extrem belastende Situation erlebt, überlebt oder als Zeuge beobachtet hat. Erste Hilfe Sie können eine Erste Hilfe nach belastenden Erlebnissen leisten, wenn noch keine andere (professionelle) Hilfe oder Unterstützung verfügbar oder anwesend ist: •• Bringen Sie die Person zunächst in Sicherheit oder möglichst weg von der belastenden Situation. Bleiben Sie bei ihr und erklären Sie, dass die Situation nun vorbei ist. Machen Sie das auch dann, wenn die betroffene Person immer wieder davon spricht oder auf besondere Momente des Erlebnisses hinweist. Lassen Sie sich nicht darauf ein, lange über das Ereignis zu sprechen. •• Stellen Sie klar, dass die Situation jetzt vorbei ist. Erklären Sie, wo Sie sich jetzt zusammen mit der Person befinden, welcher Tag es ist, welche Uhrzeit etc. •• Falls Sie das Gefühl haben, dass es stimmig ist, oder falls die Person es Ihnen erlaubt, können Sie ihr vorsichtig auf den Rücken und auf die Oberarme klopfen. Das kann dabei helfen, dass der Mensch seine körperlichen Grenzen wieder spürt und damit etwas Kontrolle über sich erhält. Prüfen Sie, ob die Person weitere körperliche Berührungen möchte oder nicht. Verlassen Sie sich dabei auf Ihr Gefühl. Nehmen Sie eventuell eine Decke und legen diese über den Rücken der Person. Sie können dann auf der Decke die Klopfbewegungen ausführen. •• Erklären Sie, dass Sie da sind und dass Sie da bleiben werden. Halten Sie die Stressreaktionen des Gegenübers aus und erklären Sie ihm, dass diese Reaktionen völlig normal sind. •• Klären Sie dann im Verlauf mit der Person, was diese machen kann, wie sie sich in den nächsten Stunden und Tagen gut behandeln kann und wer sie dabei unterstützen kann. Sorgen Sie also dafür, dass die nächsten Stunden und Tage so geplant werden, dass die Person nicht völlig sich selbst überlassen bleibt und dass sie, falls sie das möchte, jemanden hat, der ihr zuhört und dem sie erzählen kann, was ihr passiert ist. 102 Stress im Einsatz Hilfe und Verantwortung für andere 20 •• Allerdings ist es nicht so, dass alle Menschen kurz nach einem belastenden Ereignis darüber reden möchten oder können. Akut (also in den Stunden und Tagen nach dem Ereignis) ist zunächst das Wichtigste, dass sich der Mensch verbunden mit anderen und so gut aufgehoben wie möglich fühlt, ohne dass er dabei von wohlmeinenden anderen überbehütend behandelt wird. Es ist gut, wenn der Mensch wieder ein Gefühl für sich selbst und für die Kontrolle über sich selbst erhält. •• Sorgen Sie danach auch gut für sich, denn das Erlebnis einer Ersten Hilfe nach stark belastenden Ereignissen ist meist intensiv und fordernd. Die akuten und die sich daran anschließenden Belastungsreaktionen bedeuten für die Betroffenen oft, dass sie nicht gut für sich selber sorgen können. Sie befinden sich in einem Schockzustand und fühlen sich oft verwirrt. Deswegen können Sie bestimmte Hilfeleistungen vornehmen, die teilweise bereits in der oben genannten Ersten Hilfe nach belastenden Erlebnissen beschrieben wurden, aber auch in der ersten Zeit nach den Erlebnissen hilfreich sein können. •• Hören Sie zu, reden Sie mitfühlend und beruhigend mit der betroffenen Person. •• Sagen Sie Zeit, Ort, Räumlichkeit und zählen Sie auf, welche Menschen bei möglichen Treffen anwesend sein werden. Erklären Sie auch, welche weiteren Aktivitäten geplant sind. Wiederholen Sie diese Angaben, falls notwendig. •• Entfernen Sie die Person unbedingt aus einem belastenden Umfeld und achten Sie insgesamt auf Sicherheitsmaßnahmen. •• Organisieren Sie Maßnahmen, die Halt gebend und entlastend wirken, und helfen Sie dabei, diese zu beschaffen. •• Kleinere Aufgaben können dazu dienen, die Person abzulenken (Litsch und Novoa 2002: 57–58). •• Die betroffene Person sollte genügend essen und trinken, ihre körperlichen Bedürfnisse gut wahrnehmen und dabei unterstützt werden (z.B. Wärme schaffen bei Frieren, Schlaf bei Müdigkeit etc.). •• Achten Sie aber auch darauf, die Grenzen der betroffenen Person zu wahren. Behüten Sie sie nicht zu sehr, sondern geben Sie ihr die Gelegenheit, sich in ihrem eigenen Rhythmus wieder zu sortieren und zurecht zu finden. 103 Stress im Einsatz Hilfe und Verantwortung für andere 20 20.2 Professionelle Hilfe und Unter stützung bei späteren Reaktionen Wie bereits in den Abschnitten Traumatischer Stress [Kap. 5.1] und Posttraumatische Belastungsstörung [Kap. 5.2] beschrieben, können bei Menschen mit traumatischen und traumatisierenden Erfahrungen Flashbacks, Alpträume, Erinnerungen und andere, wenig kontrollierbare Reaktionen auftreten. Nicht selten neigen Menschen dazu, nicht über diese Belastungen und die damit verbundenen Ängste zu reden, da sie vermeiden wollen, überhaupt daran zu denken. Ferner kann es vorkommen, dass die Belastungsreaktionen erst nach Monaten oder sogar Jahren auftreten (Litsch und Novoa 2002: 58–59). Eine echte Verarbeitung kann aber nur dann stattfinden, wenn der oder die Betroffene sich in einem geschützten Rahmen angemessen und im jeweils individuellen Rhythmus mit den Erlebnissen auseinander setzt. An einer gelungenen Verarbeitung ist der gesamte Organismus mit Körper, Geist und Psyche beteiligt. Manchmal ist es gut, wenn dieser Verarbeitungsprozess durch eine Therapie begleitet und unterstützt wird. Dies kann bedeuten, dass eine oder mehrere ambulante Sitzungen stattfinden (siehe Überblick über verschiedene Therapieformen [Kap. 16.1]). Manchmal kann es auch sinnvoll sein, einen Aufenthalt in einer entsprechenden Klinik in Erwägung zu ziehen (Litsch und Novoa 2002: 58–59). Bis eine professionelle Unterstützung und Hilfe beginnen kann, können folgende Angebote die Betroffenen unterstützen (Litsch und Novoa 2002: 58–59): •• Erklären Sie, dass Sie bei Bedarf als Begleitung und als Gesprächspartner zur Verfügung stehen. Zeigen Sie Wertschätzung für Ihr Gegenüber und dessen Bedürfnisse. •• Versuchen Sie, Reaktionen zu verstehen, die Sie als schwierig empfinden (wie Wut, Angst, Ärger, Apathie, Niedergeschlagenheit). •• Verbringen Sie Zeit mit der betroffenen Person, hören Sie mitfühlend zu, wenn das gewünscht wird und fragen Sie nach. Würdigen Sie das Vertrauen, das Ihnen entgegengebracht wird. •• Beachten Sie jedoch, dass nicht jeder Betroffene über seine Erlebnisse sprechen möchte (und sollte). •• Machen Sie auf familiäre und andere soziale Unterstützungssysteme aufmerksam. •• Falls Sie mit einem Menschen zu tun haben, der aus dem Einsatzland stammt, achten Sie besonders auf freundliche und behutsame Umgangsformen und versuchen Sie, lokale Unterstützer einzubeziehen. 104 Stress im Einsatz Hilfe und Verantwortung für andere 20 •• Versuchen Sie zu erfahren, wie im jeweiligen kulturellen Umfeld mit extrem schweren Belastungen umgegangen wird, und ermöglichen Sie den Austausch von betroffenen einheimischen Menschen unter sich. •• Zeigen Sie, dass auch Sie das Geschehen unfassbar finden und drücken Sie damit Verständnis und Mitgefühl aus. •• Wenn Sie Überreaktionen [Kap. 20.3] wie flache, unregelmäßige Atmung, verängstigter Gesichtsausdruck und Muskelverkrampfungen wahrnehmen, greifen Sie ein. 20.3Überreaktionen Ein inneres Wiedererleben der mit dem Trauma verbundenen Ängste und der sonstigen Gefühle kann zu einer Überreaktion der betroffenen Person führen. Menschen sind dann eventuell sehr verwirrt, wissen nicht mehr, wo sie sich befinden und wirken extrem erregt. In einer solchen Situation können die folgenden Verhaltensweisen helfen (Litsch und Novoa 2002: 59–60): •• Unterbrechen Sie einen beschleunigten und erregten Gesprächsfluss angemessen behutsam. •• Suchen Sie (verhaltenen) Körperkontakt, wenn es für die Person passt. Berühren Sie sie an der Hand oder am Arm. •• Weisen Sie auf balanciertes Ein- und Ausatmen hin. Eventuell atmen Sie ein paarmal gemeinsam, um dies zu unterstreichen. •• Besorgen Sie etwas zu trinken oder bieten Sie eine Kleinigkeit zu essen an. •• Gehen Sie ein paar Schritte mit der betroffenen Person. •• Organisieren Sie danach unbedingt eine professionelle Unterstützung. 105 Stress im Einsatz Hilfe und Verantwortung für andere 20 20.4 Führungskräfte und Verantwortung für Mitarbeiter Seien Sie sich als Führungskraft in einer Auslandsmission bitte immer darüber im Klaren, dass Ihre Mitarbeiter Erfahrungen ausgesetzt sind, die möglicherweise schwer zu verarbeiten sind. Wenn Sie selber bereits solche Erfahrungen gemacht haben, können Sie darauf zurückgreifen, um sensibel für Anzeichen von Überlastung und Grenzüberschreitungen bei Ihren Mitarbeitern zu sein. Litsch und Novoa (2002: 62–63) weisen auf folgende Warnsignale hin: •• Verhaltensänderungen wie gesteigerter Alkoholkonsum, charakterliche Veränderungen, depressive oder aggressive Äußerungen, starke Selbstzweifel oder ausgeprägter Zynismus. •• Riskantes Verhalten, z.B. im Verkehr oder Vermeidung von Sicherheitsmaßnahmen, können auf das Verdrängen von Belastungen und auf eine problematische Einschätzung der Realität hindeuten. •• Nehmen Sie Anzeichen ernst und reagieren Sie darauf. Bieten Sie einen Dialog an und versuchen Sie durch wertschätzende Fragen, Zugang zu Ihrem Mitarbeiter zu bekommen. •• Weisen Sie auf die auffälligen Verhaltensweisen hin und überlassen Sie die Person nicht sich selbst. Machen Sie mit ihr einen Plan für eine Verbesserung der Situation. •• Beachten Sie die Hinweise zur Ersten Hilfe nach Belastenden Ereignissen [Kap. 20.1]. Bieten Sie Ihre Hilfe und Unterstützung an. •• Zeigen Sie Verständnis für die Reaktionen und drücken Sie Ihr Mitgefühl durch Ihr Verständnis für diese Reaktionen aus. •• Nehmen Sie auch Gefühle der Ausweglosigkeit ernst. Versuchen Sie also nicht, durch aufmunternde Phrasen zu motivieren, wenn das nicht in die Situation passt. •• Wenn die betroffene Person Zeit für sich braucht, ist es eventuell sinnvoll, sie für einen gewissen Zeitraum von der Arbeit freizustellen. Kontakt zu anderen sollte während dieser Zeit aber vorhanden sein. •• Verpflichten Sie die Person, rehabilitative Maßnahmen und eventuell professionelle Unterstützung anzunehmen. •• Unterstützen Sie sie dabei, dass eine Rückkehr zum Arbeitsplatz kurz-, mittel- oder auch langfristig wieder möglich ist. 106 Stress im Einsatz Hilfe und Verantwortung für andere 20 Weitere wichtige Hinweise für Sie als Führungskraft in einer Auslandsmission haben wir in der folgenden Auflistung zusammengestellt. •• Bilden Sie sich in den Bereichen Stress und Extrembelastung sowie in den Bereichen Führung von Mitarbeitern fort. Besuchen Sie die entsprechenden Veranstaltungen des ZIF und der Organisation, die Sie entsendet. Fordern Sie professionelle Unterstützung beim Umgang mit Stress und Trauma für sich und andere ein. •• Arbeiten Sie als Führungskraft an einem Klima mit, das auch Kommunikation und Reflexion über Trauma, Stress, Extrembelastung und die Auswirkungen auf den einzelnen Menschen, das Team, die Arbeitsgruppe und die Organisation berücksichtigt und zulässt. Machen Sie sich und anderen klar, dass dies ein andauernder Prozess ist, der ständig Aufmerksamkeit und Berücksichtigung benötigt. Es reicht bei Weitem nicht aus, einmal etwas darüber gelesen zu haben und/oder anderen etwas zum Lesen gegeben zu haben. •• Seien Sie Vorbild für Ihre Mitarbeiter beim Umgang mit Stress und extremen Belastungen. Achten Sie gut auf sich. Fordern Sie Coaching und Beratung auch für sich, damit Sie immer wieder darüber reflektieren können, ob Sie sich selbst und andere gut behandeln. Das hat positive Auswirkungen auf die Qualität Ihrer Arbeit. •• Arbeiten Sie als Führungskraft mit daran, dass die Organisation, für die Sie arbeiten, dauerhaft die Themen Stress, Umgang mit extremem Stress, Trauma und traumatischer Stress [Kap. 5.4] als wichtig im Zusammenhang mit Ihrer Arbeit und damit im Zusammenhang mit der Arbeit der Organisation erkennt. Die Wertschätzung, die sich darin ausgedrückt, dass alle Kollegen fürsorglich behandelt werden, wird sich in der Zunahme der körperlichen und psychischen Gesundheit und damit in der guten Qualität der Arbeit und im positiven Ansehen der Organisation ausdrücken. Achten Sie auch darauf, dass lokale Mitglieder des Teams angemessen professionell unterstützt werden, falls das notwendig ist. Gewährleisten Sie den Zugang zu psychologischer Betreuung. Übersetzer zum Beispiel sind durch ihre Tätigkeit vermehrt der Gefahr der Sekundären Traumatisierung [5.4] ausgesetzt, oder aber möglicherweise durch eigene extreme Erfahrungen traumatisiert. •• Achten Sie beim Prozess der Personalauswahl darauf, ob der zukünftige Kollege Anzeichen einer nicht verarbeiteten traumatischen Erfahrung oder von mehreren traumatischen Erlebnissen [5] zeigt. Es ist durchaus möglich, dass potentielle Kollegen sich selbst nicht darüber im Klaren sind, dass sie darunter leiden. Da unverarbeitete und unreflektierte Traumata von Kollegen Einfluss auf das Team, auf die Arbeit eines Teams und die Organisation haben, ist es wichtig, diese Aspekte bei der Personalauswahl zu berücksichtigen. Lassen Sie sich dabei professionell beraten. Weisen Sie auch Ihre Organisation auf diesen Punkt bei der Personalauswahl hin, wenn Sie selber an dem Prozess nicht beteiligt sein sollten. Geben Sie eine sensible, wertschätzende und hilfreiche Rückmeldung, wenn Sie den Eindruck haben, dass eine oder mehrere nicht verarbeitete traumatische Erfahrungen bei einem Bewerber vorliegen. 107 21 Kollektive Traumata Wenn Gruppen, ganze Gesellschaftsteile oder Gesellschaften gemeinsame traumatische Erlebnisse teilen, treten oft auch kollektive Reaktionen auf. Das gemeinsam erlebte Trauma kann bewirken, dass innerhalb der Gesellschaft oder Gruppe immer wieder über das Trauma gesprochen wird. Das geschieht dann oft auf eine bestimmte Art und Weise, die für Außenstehende schwer nachvollziehbar ist. Oft wird zum Beispiel holzschnittartig zwischen Gut und Böse unterschieden. Ein anderes Phänomen, das Ihnen als Außenstehendem auffallen kann, ist das Nicht-Thematisieren des Geschehenen. Es wird dann in gewisser Weise ignoriert. Häufig findet sich bei kollektiven Traumata eine Kombination aus beiden Phänomenen (Litsch und Novoa 2002: 60). Viele schwere Traumata wirken in den betroffenen Gebieten und Ländern lange nach, teilweise über Generationen. Das verfestigte Täter-Opfer-Bewusstsein und die damit verbundenen Ideologien, Verhaltensweisen und Blinden Flecke führen dazu, dass Gewalt sich wiederholt und gesellschaftliche Reflexionen darüber nur selten und in geringem Ausmaß stattfinden. Mitunter bewirken diese kollektiven Traumata neben den körperlichen und seelischen Problemen auch Armut, gesetzlose Zustände und Misstrauen untereinander. Menschen verlieren haltgebende Strukturen und soziale Bezüge. Weitere Erscheinungen sind ein kollektives Gefühl des Würdeverlustes sowie der Verlust der Fähigkeit, auf das eigene Schicksal in irgendeiner Art und Weise Einfluss zu nehmen. Oft waren und sind Frauen und Kinder besonders verletzlich und besonderen Belastungen ausgesetzt (Litsch und Novoa 2002: 60). Wenn Sie traumabezogene Aspekte in Ihre Arbeit vor Ort mit einbeziehen wollen oder auch müssen, sollten Sie sich im konkreten Fall professionell beraten lassen. In Ihrem Einsatzland sollte darüber hinaus Coaching und/oder Supervision als Institution eingerichtet werden. Damit können Sie die Gesamtumstände reflektieren und sich so vor einer Sekundärtraumatisierung und der Sogwirkung des kollektiven Traumas schützen, was in vielen Fällen dringend notwendig ist. 108 22 Literatur- und Linkverzeichnisse 22.1Literaturverzeichnis Ardelt, Elisabeth: Tiefenpsychologie und Tiefenpsychologische Persönlichkeitsmodelle, in: Hartmut Häcker und Kurt H. Stapf (Hrsg): Dorsch – Psychologisches Wörterbuch. Göttingen 1998, S. 877. Bundesministerium der Verteidigung (hrsg): Belastungen vorbeugen, Stressbewältigung. Vor dem Einsatz. Heft I. Bonn 2002. Bundesministerium der Verteidigung (hrsg): Belastungen erkennen, minimieren und bewältigen, Stressbewältigung. Im Einsatz. Heft II. Bonn 2002. Caspar, Franz: Gesprächspsychotherapie, in: Hartmut Häcker und Kurt H. Stapf (Hrsg): Dorsch – Psychologisches Wörterbuch. Göttingen 1998, S. 324. Caspar, Franz: Systemische Therapie, in: Hartmut Häcker und Kurt H. Stapf (Hrsg.): Dorsch – Psychologisches Wörterbuch. Göttingen 1998, S. 856–57. Caspar, Franz: Verhaltenstherapie, in: Hartmut Häcker und Kurt H. Stapf (Hrsg.): Dorsch – Psychologisches Wörterbuch. Göttingen 1998, S. 924. Dalmann, Imogen und Soder, Martin: Warum Yoga. Über Praxis und Hintergründe. Berlin 2009. Davis, Martha, Robbins Eshelman, Elizabeth, McKay, Matthew: The Relaxation & Stress Reduction Workbook. Oakland 2008. Elliott, Marianne: Mit dem Herzen einer Kriegerin. Mut und Mitgefühl in Afghanistan. Aurum 2013. Fliegel, Steffen, Groeger, Wolfgang M., Künzel, Rainer, Schulte, Dietmar, Sorgatz, Hardo: Verhaltenstherapeutische Standardmethoden. Weinheim 1994. Hilker, Peter, Bellinger, Maria M., Weimbs, Regina: Leitfaden für den Einsatz an Krisenposten. 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