DADA IST 10 0 Dada war vor Dada da Was ist Dada? Und wie konnte aus Dada eine der weltweit bekanntesten Marken werden? Liegts am Klang, den jedes Baby kennt? Oder an der Bedeutung; doppelte Bejahung auf Rumänisch, Steckenpferd auf Französisch? Oder am Inhalt: Dada ist nämlich schlicht «die beste Lilienmilchseife der Welt». Kuriositäten rund um ein Wort, das zum Begriff wurde. Text Christian Kaiser Vor 100 Jahren betrieben fünf Freunde Branding per Intuition; sie tauften ihre Kunstbewegung Dada, ein Name auf den sie rein zufällig gestossen waren. Heute kann man sagen, dass es ein unglaublich glücklicher Zufall war. Der Zweisilber, der zugleich ein Binnenreim ist, hallt nicht nur klanglich nach – er ist auch jedem bekannt, weil er zu den ersten Lauten gehört, die ein Mensch ausspricht. Über die Wortfindung berichten die Dada-Gründer Hugo Ball, Tristan Tzara und Richard Huelsenbeck übereinstimmend, sie hätten einfach in einem Wörterbuch geblättert. Die Kinderwagen-Verbindung Anschliessend haben die drei die lexikalischen Bedeutungen von Dada verglichen: «Dada heisst im Rumänischen Ja, Ja, im Französischen . . . Steckenpferd. Für Deutsche ist es ein Signum alberner Naivität und zeugungsfroher Verbundenheit mit dem Kinderwagen.» (Hugo Ball: Die Flucht aus der Zeit, S. 95) Das schien zu passen. Nach der Gründung im Februar 1916 haben die Dadaisten den Begriff in Reden und Manifesten mantraartig wiederholt, mit verschiedenen Inhalten versehen und immer wieder neu interpretiert. Dada war eine Worthülle, die sich mit allem und nichts füllen liess. So konnte Dada zu einer starken Marke werden für eine Kunstbewegung, die sich nicht festlegen wollte. Der Clou mit dem Kopfwasser Allerdings war Dada schon vor der Begründung des Dadaismus eine Marke: Die Firma Bergmann & Co. hatte bereits seit 1906 unter dem Markenzeichen «Dada» für «haarstärkendes Kopfwasser», Toilettenseifen, Parfümerien und Zahnpflegemittel geworben. Hugo Ball muss von der Verwendung von Dada als Seifen-Label gewusst haben, ja, er spielte sogar darauf an. Auf der ersten Dada-Soiree am 14. Juli 1916 sagte er – fast im Stile eines Jahrmarktverkäufers: «Dada ist die Weltseele, Dada ist der Clou, Dada ist die beste Lilienmilchseife der Welt.» So gesehen war die Marke Dada also (auch) geklaut; hundert Jahre später hätte sie den Dadaisten jedenfalls mit Sicherheit einen Markenrechtsstreit eingebracht, weil eine Firma das geistige Eigentum für sich beansprucht hätte. IDEEN ZÜNDEN 13 Das Publikum einseifen Vom parfümierten Kleinod bis zur universellen spirituellen Verbindung – Dada konnte alles sein und gab entsprechend Rätsel auf. «Was Dada ist, wissen nur die Dadaisten. Und die sagen es niemandem», schrieben die Dadaisten selbst. Allerdings liessen sie kaum eine Gelegenheit aus, um zu umschreiben, was Dada sein könnte. Sie taten das so lange und in ganz unterschiedlichen Worten, bis sich kaum jemand mehr einen Reim darauf machen konnte, wofür Dada eigentlich steht. Hier eine kleine Auswahl von Zitaten, was die Dadaisten in der Universalmarke Dada alles sahen: 1 Tristan Tzara, Manifest des Herrn Antipyrine 2 Hugo Ball, Eröffnungsmanifest 1. Dada-Abend, 14.7.1916 3 Erklärung des Club Dada, in: Richard Huelsenbeck, Dada Almanach, Berlin 1920 4 Hugo Ball: Die Flucht aus der Zeit, 12.VI. 5 Tristan Tzara, Manifest des Herrn Antipyrine 6 Hans Richter: Gegen Ohne Für Dada 7 Tristan Tzara, Manifest Dada 1918 14 EB NAVI #6 «Dada ist für niemanden vorhanden und wir wollen, dass jeder es versteht.» 1 «Dada ist die Weltseele.» 2 «Dada ist das Chaos, aus dem sich tausend Ordnungen erheben, die sich wieder zum Chaos Dada verschlingen. Dada ist der Verlauf und der Inhalt des gesamten Weltgeschehens gleichzeitig.» 3 «Dada ist das Leben ohne Pantoffeln und Parallelen, das für und gegen die Einheit ist und entschieden gegen die Zukunft.» 5 «Dada . . . Die seelische Verteidigungsformel auf Unvorhergesehenes.» 6 «Dada – dies ist ein Wort, das die Ideen hetzt.» 7 «Dada bedeutet nichts.» 7 «Dada ist das Wahrzeichen der Abstraktion; die Reklame und die Geschäfte sind auch poetische Elemente.» 7 «Der Würfel und die Mutter in einer gewissen Gegend Italiens: Dada. Ein Holzpferd, die Amme, doppelte Bejahung im Russischen und Rumänischen: Dada. Weise Journalisten sehen in ihm eine Kunst für die Säuglinge.» 7 Kampf für die Menschheit «Was wir Dada nennen, ist ein Narrenspiel aus dem Nichts, in das alle höheren Fragen verwickelt sind; eine Gladiatorengeste; ein Spiel mit den schäbigen Überbleibseln; eine Hinrichtung der posierten Moralität und Fülle.» 4 Auch für das, was die Dadaisten auszeichnete, lassen sich etliche Beschreibungen finden. Hugo Ball schrieb: «Der Dadaist liebt das Aussergewöhnliche, ja das Absurde.» Für Ball war der Dadaist ein «kindlicher, donquichottischer Mensch, der in Wortspiele und grammatikalische Figuren verstrickt ist», wie er fürs Deutsche Wörterbuch definierte. Bedeutender als Possen und Scherze waren für diesen kindlichen Menschen aber die realen Geschehnisse: «Der Dadaist vertraut mehr der Aufrichtigkeit von Ereignissen als dem Witz von Personen.» Und dabei stand ein Ereignis im Vordergrund: der tosende 1. Weltkrieg. Ball: «Der Dadaist kämpft gegen die Agonie und den Todestaumel der Zeit.» Dieser Kampf fand im friedlichen Zürich auf der Bühne statt, während rund ums Land die Soldaten in den Schützengräben krepierten. Die Dadaisten kämpften mit den Mitteln der Kunst, weil sie «von der Verbundenheit aller Wesen überzeugt» waren und «bis zur Selbstauflösung» an den Ereignissen litten. Und dieses Mitgefühl für die Menschheit macht sicher einen guten Teil der ungebrochenen Attraktivität von Dada aus. Urgrund für die Avantgarde Nach dem Ende des 1. Weltkriegs zog Dada von Zürich in die weite Welt. Malerei, Dichtung, Film, Performance in unterschiedlichsten künstlerischen Stilrichtungen – die gemeinsame Klammer dieser Kunstbewegung war und blieb das Label Dada: Dada war Dada, weil Dada da war. Und das unter der Worthülse Dada Fabrizierte hörte nie auf, weltweit Generationen von Künstlerinnen und Kreativen zu inspirieren. Der Musiker, Künstler und Geschäftsmann Dieter Meier zum Beispiel beschreibt in einem Video Dada als «Urknall der Moderne». Der grosse T.C. Boyle sagt in einem anderen, Dada habe ihn beeinflusst, Schriftsteller zu werden. Auf der Webseite des offiziellen Dada-Jubiläums heisst es: «Dada wurde zur Urbewegung der Avantgarde, ohne die Surrealismus, Pop Art, Fluxus, Mail Art oder Punk nicht denkbar gewesen wären und die bis in unsere Gegenwart hinein Künstler, Autoren, Designer elektrisiert.» Es gibt also ausreichend Gründe, die Gründung von Dada in Zürich gebührend zu feiern. Die Seite www.dada100zuerich2016.ch bietet einen guten Überblick über sämtliche Veranstaltungen rund um Dada im Jubiläumsjahr. n Die Performance als Gesamtkunst: Dada-Gründer Hugo Ball auf der Bühne in kubistischem Kostüm, Zürich 1916–1917. (Nachlass Hennings, Schweizerisches Literaturarchiv, Bern) IDEEN ZÜNDEN 15
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