Schilddrüse: Knoten sind häufig – Krebs ist selten (PDF

Von T4 bis T0:
„Neue“ und
„alte“ Hormone
Die Entdeckung von spezifischen
Transportern für Schilddrüsenhormone und neuen Metaboliten wie
den Thyronaminen hat zu einem
Paradigmenwechsel im Verständnis der Wirkung von Schilddrüsenhormonen geführt. Wie Professor
Dr. Dr. Dagmar Führer von der Klinik für Endokrinologie und Stoffwechselerkrankungen, Universitätsklinikum Essen, ausführte,
passieren Schilddrüsenhormone
nicht, wie bisher angenommen,
passiv die Zellmembran, sondern
werden aktiv über spezifische
Transporterproteine wie MCT8,
Lat2 oder Oatp14 in die Zelle
aufgenommen. Diese Transportermoleküle können auch andere
Substrate transportieren, was medikamentös induzierte Störungen
der Schilddrüsenfunktion erklären
könnte. Für das Transporterprotein MCT8 wurde dies am Beispiel
von
Tyrosinkinase-Inhibitoren
und Antidepressiva gezeigt.
Auch neue Metabolite von
Schilddrüsenhormonen
wurden
identifiziert. Den Thyronaminen
T1AM und T0AM wird eine gegensätzliche Wirkung zu T4 und T3
zugeschrieben – „kalte“ versus
klassische „heiße“ Schilddrüsenhormone. Diskutiert wird, ob die
Thyronamine die Herzfrequenz
und die Körpertemperatur absenken. Es gibt Hinweise darauf, dass
sie den Energieumsatz hemmen
und weitere Effekte auf die Glukosehomöostase haben. Die Wirkung
von Thyronaminen wird zumindest zum Teil über die erst vor kurzem entdeckte Rezeptorklasse der
„trace amine associated receptors“
(TAAR) und adrenerge Rezeptoren, z. B. ADRA2A vermittelt,
erklärte Professor Klaudia Brix,
Jacobs University Bremen.
Um diese neuen Faktoren
besser verstehen und für den Patienten nutzen zu können, hat die
Deutsche Forschungsgemeinschaft
2012 das Schwerpunktprogramm
„Thyroid Trans Act“ (www.thyroidtransact.de) initiiert. Interdisziplinäre Forschung soll Erkenntnisse
zu gesundem und pathologischem
Schilddrüsenstatus liefern.
Sonderbericht
Mittwoch, 25. November 2015 Nr. 125-228D
Schilddrüse: Knoten sind
häufig – Krebs ist selten
Schilddrüsenknoten sind
ein häufiger Befund. Doch
nicht jeder Schilddrüsenknoten erfordert weitere
Diagnostik, denn das Schilddrüsenkarzinom ist ein seltener Tumor. Erste Hinweise
auf Malignität gibt bereits
die Anamnese, weitere die
Sonografie. Die Elastografie
kann die nicht-invasive
Diagnostik unterstützen.
Association 2 bestätigen die europäische Einschätzung, dass ein starker
Verdacht auf Malignität besteht bei
sonografisch echoarmen soliden Knoten oder echoarmen Komponenten
zystischer Knoten, die zusätzliche
Kriterien aufweisen wie unscharfe
Begrenzung, Mikrokalk, stärkere Tiefen- als Breitenausdehnung, Randkalzifizierungen mit kleinen extrusiven Gewebekomponenten oder
eine extrathyroidale Ausdehnung. Bei
einer Größe von > 1 cm raten die Leitlinien zur Feinnadelbiopsie, um die
Diagnose zu sichern.
Knotenhäufigkeit streng mit dem Alter korreliert
Prävalenz von Knoten in der Schilddrüse (%) in Abhängigkeit vom Alter
50
Prävalenz bei Männern
Prävalenz bei Frauen
40
30
20
Elastografie zur Unterstützung
10
Die Inzidenz von Schilddrüsenknoten
steigt mit dem Alter (s. Abb.). 1 Ab dem
60. Lebensjahr ist rund jeder Zweite
betroffen. Mindestens einen Knoten
haben 47,8 Prozent der Gesamtbevölkerung in Deutschland, so der zusammengefasste Mittelwert aus den epidemiologischen Studien KORA und
SHIP. Bei einer groben Hochrechnung
bedeutet dies, dass rund 39 Millionen
Menschen in Deutschland mindestens einen Knoten aufweisen. „Oft
handelt es sich um einen Zufallsbefund“, erklärte PD Joachim Feldkamp
von der Klinik für Allgemeine Innere
Medizin, Endokrinologie und Diabetologie, Pneumologie, Infektiologie,
Klinikum Bielefeld. Nicht jedes dieser
„Inzidentalome“ erfordert eine differenzialdiagnostische Abklärung. Das
Schilddrüsenkarzinom ist eine sehr
seltene Krebserkrankung: Nur bei
0,023 Prozent der Menschen mit Knoten wird ein Schilddrüsenkarzinom
diagnostiziert. Das entspricht etwa
0,011 Prozent der Gesamtbevölkerung.
Überdiagnostik vermeiden!
Ein bevölkerungsweites Screening ist
nicht sinnvoll, wie Feldkamp am Beispiel Südkorea ausführte. Dort kam es
nach der Einführung von ScreeningUntersuchungen zu einer „Schilddrüsenkrebs-Epidemie“ mit einem Anstieg von oft unnötigen Schilddrüsenoperationen mit konsekutiv notwen-
0
≤25
26–30
31–35
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41–45
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Altersgruppen (in Jahren)
Quelle: Reiners C et al., Thyroid 2004, 14, 11: 926–932
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Nur maximal zwei
Prozent der kalten
Knoten sind maligne.
PD Joachim Feldkamp
Bielefeld
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Grafik: ÄrzteZeitung
diger Schilddrüsenhormonsubstitution und Komplikationen wie Recurrensparesen und Hypoparathyreoidismus. Trotz des starken Anstiegs der
Inzidenz von Schilddrüsenkrebs blieb
die Mortalitätsrate jedoch gleich. „Eine
solche Überdiagnostik gilt es unbedingt zu vermeiden“, so Feldkamp.
Erforderlich ist die Abklärung von
Knoten bei Bestrahlung der Halsregion in der Vorgeschichte, Vortherapien z. B. aufgrund von Krebserkrankungen in der Kindheit, bei familiärer
Belastung, wenn der Patient über
einen schnell wachsenden Knoten berichtet oder wenn der Hausarzt einen
derben Knoten getastet hat. Zeigt sich
in der Sonografie ein solider, echoarmer und unscharf begrenzter Knoten von > 1 cm, sollte eine Szintigrafie
erfolgen, um eine Autonomie auszuschließen oder einen kalten Knoten
feststellen zu können. Allerdings: Kalter Knoten ist nicht gleichbedeutend
mit maligner Knoten: „Nur maximal
zwei Prozent der kalten Knoten sind
maligne“, so Feldkamp. Die neuen
Guidelines der American Thyroid
Die Elastografie kann dazu beitragen,
die nicht-invasive Differenzialdiagnostik bei Schilddrüsenknoten zu
optimieren, betonte Professor Jörg
Bojunga von der Medizinischen Klinik I, Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt am Main. Die Elastografie erlaubt, mittels Ultraschall in
Echtzeit die Festigkeit von Schilddrüsenknoten zu bestimmen. Schilddrüsenkarzinome weisen oft einen höheren Härtegrad auf als gutartige Veränderungen. „Weiche“ Knoten haben
dagegen einen hohen negativen Vorhersagewert. Um die Knotenhärte
mittels Ultraschall zu messen, stehen
zwei Verfahren zur Verfügung: Bei
der Strain-Elastographie wird das
Gewebe durch mechanischen Druck
(Schallkopf, Karotispulsation) einem
Dehnungsstress ausgesetzt, gemessen
wird die bewirkte Kompression. Bei
der Shear-wave-Elastographie (SWE)
erfolgt die Härtemessung durch vom
Gerät ausgesandte Druckwellen. Weitere Elastografieverfahren sind in
Erprobung. „Aktuelle Daten sprechen
dafür, dass die Elastografie zusätzlich
zu einer standardisierten Ultraschalluntersuchung eine nützliche Methode anstatt der Feinnadelbiopsie bzw.
für die Selektion von Patienten für
eine Feinnadelbiopsie oder Schilddrüsenoperation sein könnte“, so
Bojunga. Mehr Aufschluss werden in
Kürze die Ergebnisse der deutschen
Multicenterstudie unter der Leitung
von Bojunga bringen.
TSH-Werte je nach Alter anders interpretieren!
Schilddrüsenhormone sind
in fast allen Organsystemen
von großer Bedeutung.
Eine Funktionsstörung der
Schilddrüse kann deshalb
weitreichende Konsequenzen haben.
Um rasch über eine Therapie zu entscheiden, braucht man Laborwerte,
diese unterscheiden sich aber von
Patientengruppe zu Patientengruppe.
Bei jungen Frauen mit unerfülltem
Kinderwunsch z. B. findet sich oft eine
Hashimoto-Thyreoiditis als Ursache
einer Hypothyreose, erklärte PD Dr.
Onno E. Janßen vom Endokrinologikum Hamburg. Charakteristisch sind
eine Verkleinerung der Schilddrüse
und das Auftreten von Schilddrüsenantikörpern (TPO-Ak und Tg-Ak) im
Blut. Die Behandlung erfolgt durch
Substitution mit Schilddrüsenhormon. Auch wenn die Gabe von Schilddrüsenhormon nicht durch randomisierte placebokontrollierte klinische
Studien untermauert ist, so besteht
doch eine klare Assoziation mit intrauterinen Fehlentwicklungen, sodass
wegen des anzunehmenden Nutzens
eine Substitution empfohlen wird.
„Die richtige Einstellung lässt sich
relativ einfach alle vier bis sechs
Wochen durch die TSH-Bestimmung
überprüfen“, so Janßen.
Eine neue Problematik für die
Schwangerschaft wurde in der „euthyreoten Hypothyroxinämie“ erkannt,
so Janßen. Dabei handelt es sich um
niedrige Schilddrüsenhormonspiegel
VERANSTALTUNG
Henning-Symposium: 22. Konferenz über die menschliche Schilddrüse, Heidelberg, 8. bis 10. Oktober 2015
Literatur: (1) Reiners C et al., Thyroid 2004, 14: 926-932;
(2) 2015 American Thyroid Association Management Guidelines for Adult Patients with Thyroid Nodules and
Differentiated Thyroid Cancer, Haugen BR et al., Thyroid 2015; DOI: 10.1089/thy.2015.0020 [Epub ahead of print]
bei einem normalen TSH. Eigentlich
beschreibt dies nur eine Situation, in
der die Mutter zur Aufrechterhaltung
einer normalen Schilddrüsenfunktion
mit vergleichsweise niedrigen Schilddrüsenhormonspiegeln auskommt.
Während die Mutter also euthyreot
ist, können die Schilddrüsenhormonspiegel für das Kind, das ja zur
Hälfte vom genetischen Hintergrund
des Vaters bestimmt ist und damit
möglicherweise im Mittel höhere
Schilddrüsenhormonspiegel braucht,
unterversorgt, also hypothyreot sein.
Aktuell ist nicht klar, wo genau die
Grenze für eine Behandlung liegt.
Kinder – keine kleinen Erwachsenen
Bei Kindern hängen die körperliche
und die geistige Entwicklung in besonderem Maße von einer optimalen
Schilddrüsenhormonwirkung ab, be-
tonte Professor Heiko Krude vom Institut für Experimentelle Pädiatrische
Endokrinologie der Charité – Universitätsmedizin Berlin. Ein wichtiger
Unterschied zwischen Kindern und
Erwachsenen sind die unterschiedlichen spezifischen Labornormalwerte der Schilddrüsenhormone. Insbesondere weisen Kinder höhere
Normalwerte für TSH auf, deshalb
muss bei der Beurteilung der Schilddrüsenfunktion anhand der TSHWerte immer das Alter der Kinder
berücksichtigt werden.
Und im Alter?
Mit zunehmendem Alter steigt der
TSH-Wert, erinnerte Professor Dr. Dr.
h. c. Karl Michael Derwahl von den
Alexianer St. Hedwig Kliniken, Berlin.
Messungen bei gesunden älteren Patienten haben interindividuell stark
variierende TSH-Spiegel gezeigt, weshalb neue Referenzwerte diskutiert
werden – für Patienten über 80 Jahre
z. B. ein Bereich von 0,4–7,9 mU/l.
Doch nur in einem geringen Prozentsatz findet sich eine manifeste Hypothyreose. Subklinische Unterfunktionen sind zwar mit einer Häufigkeit
von rund 15 Prozent sehr viel häufiger, haben jedoch im Gegensatz zur
manifesten Hypothyreose keinen Einfluss auf Gedächtnis, Depressivität
und Lebensqualität. Hauptursache der
nachlassenden Schilddrüsenfunktion
im Alter sind Autoimmunthyreopathien. TSH-Werte von 4–10 mU/l bei
älteren Menschen erscheinen nicht
primär behandlungsbedürftig. Die manifeste Hypothyreose mit einem TSH
> 10 mU/l sollte unter einschleichender L-Thyroxindosierung und regelmäßigen TSH-Kontrollen erfolgen.
IMPRESSUM
Springer-Verlag GmbH, Corporate Publishing, Tiergartenstraße 17, 69121 Heidelberg, Verantwortlich: Ulrike Hafner
Bericht: Dr. Kirsten Westphal, Heimstetten › Redaktion: Inge Kunzenbacher
Mit freundlicher Unterstützung der Sanofi-Aventis Deutschland GmbH, Frankfurt am Main
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