Es ist zehn vor zwölf: Wir müssen endlich handeln

18 Continuing Education
DENTAL TRIBUNE Swiss Edition Nr. 1+2/2016 · 3. Februar 2016
Es ist zehn vor zwölf:
Wir müssen endlich handeln, statt immer nur zu fordern!
Das Thema Mundgesundheit bei Betagten rückt zunehmend in den Fokus der Öffentlichkeit – bedingt auch durch den demografischen Wandel in der Gesellschaft.
Dr. med. dent. Bettina von Ziegler, Leiterin der Taskforce Alterszahnmedizin der SSO, im Interview mit Majang Hartwig-Kramer, Redaktionsleitung Dental Tribune Schweiz.
Wie kann gewährleistet werden,
dass in Pflegeinstitutionen be­
treute Senioren ausreichend
zahnmedizinisch versorgt wer­
den? Muss hier nicht vor allem
das Pflegepersonal geschult wer­
den?
Das Pflegepersonal spielt eine
ganz zentrale Rolle. Wir werden in
diesem Frühjahr ein neues „Hand­
buch der Mundhygiene bei un­
selbstständigen
Betagten
in
Pflegeeinrich­t ungen“ herausge­
ben. Es enthält Anleitungen und
Checklisten zur Mundpflege bei
betagten Menschen.
Für die Schulung des Pflege­
personals werden auch Pilotpro­
jekte von zahnmedizinischen Kli­
niken sowie Kurse der Swiss
Dental Hy­g ienists durchgeführt.
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Abb.1: Dr. med. dent. Bettina von Ziegler aus Zürich, Leiterin der Taskforce Al­ters­zahnmedizin der SSO. – Abb. 2: Das Thema im
Blick: Bereits vor einem Jahr fand das 1. Internationale Fachsymposium „Gerodontologie für den Privatpraktiker“ in Bern statt.
„Die Lebens­qualität darf nicht durch
eine schlechte Mundgesundheit
zusätz­lich eingeschränkt werden.“
Bis 2030 wird die Zahl der pflege­
bedürftigen Menschen in der
Schweiz auf bis zu 230'000 anstei­
gen – eine Herausforderung, der
sich die ganze Gesellschaft stellen
muss. Auch die Zahnärzte sind ge­
fordert, das Thema in den Fokus
ihrer Aufmerksamkeit zu rücken.
Dental Tribune: Zahlreiche An­
strengungen der vergangenen
Jahre, die Mundgesundheit der
Betagten und Pflegebedürftigen
zu verbessen, haben nicht zu den
gewünschten Erfolgen geführt.
Worin sehen Sie die Ursachen?
Dr. Bettina von Ziegler: Es
bringt nichts, wenn die Zahnärz­
teschaft von Heimleitungen, Pfle­
genden, Spitex etc. fordert, wie
sich diese bezüglich Alterszahn­
pflege korrekt verhalten sollen. Es
braucht ein Konzept, welches in
Zusammenarbeit mit allen Betei­
ligten erarbeitet wird. Die SSO hat
deshalb im Mai 2014 einen runden
Tisch einberufen.
Unterdessen wird in einer
kleinen Arbeitsgruppe ein Stra­
tegie­papier „Mund­g­e­sund­heit von
älteren Menschen“ erarbeitet. In
einer ersten Runde beschränkt
sich diese Arbeitsgruppe auf Pfle­
gebedürftige in Institutionen, da­
nach werden wir Empfehlungen
für Betagte erarbeiten, die noch zu
Hause wohnen können.
Der Zusammenhang von Mund­
hygiene und Allgemeingesund­
heit ist hinlänglich bekannt.
Sollten Hausärzte ihre älter wer­
denden Patienten verstärkt sensi­
bilisieren oder gar direkt mit den
Zahnmedizinern zusammenar­
beiten?
Der Zusammenhang ist den
wenigsten bewusst. Wir sind
daran, auf allen Ebenen verstärkt
zu sensibilisieren. Das betrifft
aber nicht nur die Hausärzte, son­
dern auch Pflegepersonal, Heim­
leitungen und Politiker.
Polypharmazie ist ebenfalls ein
Stichwort in der Alterszahnheil­
kunde. Wäre ein Medikamen­
tenfragebogen beim Zahnarzt
ein praktikabler Ansatz?
In der Regel fragt jeder Zahn­
arzt bei einer Anamnese nach,
welche Medikamente eingenom­
men werden. Bei jüngeren Patien­
ten vor jedem neuen Recall einen
ausführlichen Medikamentenfra­
gebogen ausfüllen zu lassen, geht
wohl zu weit. Aber bei älteren Pa­
tienten wäre dies sicher sinnvoll.
Zu unterscheiden sind sicherlich
der noch selbstständig agierende
und der auf fremde Hilfe ange­
wiesene ältere Mensch. Hat die
Dental­
i ndustrie den alternden
Menschen und dessen Bedürf­
nisse hinsichtlich Mundhygiene
schon im Fokus?
In Bezug auf die Dentalindus­
trie kann ich diese Frage nicht be­
antworten, wohl aber aus Sicht der
Zahnärzteschaft. Die SSO hat in
den vergangenen Jahren bereits
punktuelle Projekte in der Al­
terszahnmedizin umgesetzt, so
zum Beispiel die Aktion Mundge­
sundheit und die Zusammenar­
beit mit der Schweizerischen Ge­
sellschaft zur zahnmedizinischen
Betreuung Behinderter und Be­
tagter SGZBB.
Wären Kurse zur Mundpflege im
Alter ein sinnvolles Angebot an
die Betagten und wer sollte diese
durchführen?
Ich bin der Ansicht, dass diese
Aufgabe bei selbstständigen Seni­
oren den privaten Zahnärzten und
ihrem Team – bestehend aus Den­
talassistentinnen, Prophylaxeas­
sistentinnen und Dentalhygieni­
kerinnen – überlassen sein sollte.
Sie begleiten ihre Patienten oft
über viele Jahre hinweg und kön­
nen diese auf die Bedeutung der
Mundpflege hinweisen und inst­
ruieren.
Die SSO hat unlängst ihr „Kon­
zept Alterszahnmedizin“ vorge­
stellt und eine Taskforce gebildet,
der Sie vorstehen. Welche Ziele
verfolgen Sie und welche Mass­
nahmen sind angedacht bzw.
schon angelaufen?
Die SSO setzt sich zum Ziel,
dass die Gesundheit, das orale
Gibt es schon erste Reaktionen
auf das Engagement der SSO hin­
sichtlich der Alterszahnmedizin
und welche Vorhaben sind in den
nächsten Monaten geplant?
Wir haben sowohl seitens un­
serer Mitglieder wie auch von der
Ärzteschaft und Pf lege- und Spi­
texverbänden positive Reaktionen
erhalten. Die Arbeitsgruppe des
„runden Tisches“ wird das Stra­
tegie­papier „Mundgesundheit von
älteren Menschen in Pf legeein­
richtungen“ fertig formulieren
und die Taskforce wird dessen
Umsetzung in Angriff
nehmen.
Infos zur Autorin
Frau Dr. von Ziegler,
vielen Dank für das
aufschlussreiche Ge­
spräch. DT
„Es braucht ein Konzept, welches
in Zusammenarbeit mit allen
Beteiligten erarbeitet wird.“
© beeboys
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Wohlbefinden und die Kaufähig­
keit von pflegebedürftigen Men­
schen erhalten werden. Die Lebens­
qualität darf nicht durch eine
schlechte Mundgesundheit zusätz­
lich eingeschränkt werden.
Zu den Massnahmen gehören
die Publikation des erwähnten
Handbuchs der Mundhygiene
sowie die Einberufung des „run­
den Tisches“. Des Weiteren soll
die Verpf lichtung zur Betreuung
alter Menschen in der SSO-Stan­
desordnung verankert werden,
analog zur Betreuung von Kin­
dern durch die Schulzahnpf lege.
In der Schweizer Ärztezeitung
konnten wir einen Artikel zur
Mundgesundheit bei älteren Pati­
enten publizieren. Und bei Curaviva (Verband Heime und Insti­
tutionen Schweiz) konnten wir
das Themendossier „Zahnmedizi­
nische Betreuung in Pf legehei­
men“ platzieren.