Das Clearinghaus in Lipperbruch ist ein Ort, an dem die Jugendlichen ankommen können: „Der Start war weniger holprig als ich es erwartet habe“, sagt Petra Sellerberg, Leiterin des Clearinghauses. „Ich bin positiv überrascht über die Höflichkeit und die Dankbarkeit der Jugendlichen. Es ist eine tolle Gruppe.“ ■ Fotos: privat/Cegelski (3) Ein Zuhause in einem fremden Land Im ehemaligen Schwesternkonvent der Marienschule finden unbegleitete minderjährige Flüchtlinge einen Schutzraum Von Carolin Cegelski LIPPSTADT ■ In Lippstadt leben derzeit 43 unbegleitete minderjährige Ausländer. Oftmals sind die jungen Menschen ganz alleine aus ihrer Heimat nach Deutschland gekommen. Mit Sorgen, Ängsten, traumatisiert von dem, was sie auf ihrer langen Reise erlebt haben. Im ehemaligen Schwesternkonvent der Marienschule in Lipperbruch, das die Stadt Lippstadt angemietet hat und von der Initiative für Jugendhilfe, Bildung und Arbeit (Ini) getragen wird, finden sie seit Anfang Februar eine sichere Unterkunft. „Clearinghaus Lipperbruch“ steht in schwarzen Lettern auf einer kleinen Tafel an der Eingangstür des Im Gespräch: (v.l.) Sozialpädagogin Elisa Motog, Petra Sellerberg (Leiterin des Clearinghauses), Juehemaligen Schwestern- gendamtsleiterin Helga Rolf und Reinhard Venjakob, Geschäftsführer der Ini. Lokales Thema des Tages Unbegleitete minderjährige Ausländer wohnheims. Hier haben junge minderjährige Flüchtlinge die Möglichkeit, gemeinsam mit Sozialpädagogen und Jugendamt in Ruhe zu überlegen, wie es für sie im Leben weitergehen soll. Die Kinder und Jugendlichen haben ihr bisheriges Leben hinter sich gelassen. Mussten fliehen – vor Krieg und Gewalt. Jetzt stehen sie ohne Familie, Freunde und ihr vertrautes Umfeld vor einem Neubeginn. Endlich in Sicherheit müssen sie bei Null anfangen. Die Sprache lernen, zur Schule gehen, Freunde finden, sich ein Leben aufbauen. „Im Clearinghaus finden sie einen Raum, in dem sie geschützt leben können“, sagt Reinhard Venjakob, Geschäftsführer der Ini. „Das haben sie auf der Flucht nicht erlebt.“ Die Kinder und Jugendlichen haben Angst, alles ist fremd und neu. „Sie müssen die Erlebnisse erst aufarbeiten“, sagt Petra Seelenberg (Ini). Sie leitet das Clearinghaus. „Abends auf dem Sofa kommen die Geschichten heraus. Wir versuchen die Jugendlichen aufzufangen“, berichtet sie. Aber auch das Fachpersonal stoße dabei an die Grenzen. „Therapeutische Hilfe ist nicht leistbar“, ergänzt Venjakob. „Uns ist es wichtig zu vermitteln: Hier seid ihr angekommen.“ Neun Jugendliche aus Afghanistan, Guinea oder dem Irak leben derzeit in der Unterkunft. Sie werden der Kommune vom Landschaftsverband Rheinland zugewiesen. „Gänzlich unbegleitet – also ohne Personensorgeberechtigte unter- 43 unbegleitete Minderjährige In Lippstadt leben derzeit 43 minderjährige unbegleitete Ausländer (Stand 3.März). Vier weitere sind zugewiesen. 19 kommen aus Afghanistan, 10 aus dem Irak, 12 aus Syrien. Guinea (3), Albanien, Eritrea und Bangladesch (jeweils 1) sind weitere Herkunftsländer. „Es sind vor allem ältere männliche Jugendliwegs – unterliegen sie den Jugendhilfestandards“, sagt Helga Rolf, Leiterin des Jugendamtes der Stadt Lippstadt. Grundversorgung und Betreuung werden sichergestellt. Jeder bekommt ein Einzelzimmer. Insgesamt kostet die Versorgung rund 150 Euro pro Tag. Das Jugendamt geht in Vorleistung, der Bund zahlt das Geld zurück. „Für die Minderjährigen wird ein Vormund bestellt“, erklärt Rolf. Ziel ist es, die Kinder und Jugendlichen bis zur che, die alleine reisen“, sagt Helga Rolf. Die Ausnahme: „Ein 12-Jähriger wurde ganz alleine auf den Weg geschickt, teilweise war er mit anderen Jugendlichen unterwegs.“ Die jüngsten unbegleiteten Minderjährigen sind neun und 10 Jahre alt. Der Großteil zwischen 14 und 17 Jahren. Insgesamt: 37 junge Menschen. Volljährigkeit sicher unterzubringen. Und zu gucken, wie es für die jungen Erwachsenen weitergeht. „Zwanzig der unbegleitet minderjährigen Ausländer in Lippstadt werden in diesem Jahr 18 Jahre alt“, sagt Rolf. „Wir müssen überlegen, welche Wohnformen für den Übergang geeignet sind und nach Perspektiven suchen“, sagt die Jugendamtsleiterin. „Die Schwierigkeit, was wird, wenn die Jugendlichen aus dieser Unterbringungsform heraus- Es gibt Pizza: Bei der Zubereitung der Mahlzeiten helfen die Jungs mit. Unterstützung bekommen sie dabei von einer Hauswirtschaftlerin. Und auch wenn es darum geht, zu Putzeimer und Besen zu greifen, sind die Jugendlichen dabei. wachsen, werden wir in zunehmendem Maß haben. Das stellt uns vor ganz neue Herausforderungen.“ Erstmal ist sie allerdings froh, dass es das Clearinghaus gibt. Bis zum 31. Dezember ist das Gebäude in Lipperbruch angemietet. „Wir müssen die Bedarfe und die Entwicklung weiter abwarten.“ Vier Wochen nach dem Start kehrt jetzt langsam aber sicher Leben ein im Clearinghaus. Neun Plätze sind bereits vergeben. „In der kommenden Woche rechnen wir mit drei weiteren Zuweisungen“, sagt Rolf. Dann sind alle elf Plätze belegt. Hier wohnen nur Jungs. Sobald ein Jugendlicher einzieht, geht für die Sozialpädagogen die Arbeit los. Es müssen viele Fragen geklärt werden. Sind die Schützlinge gesund? Wie ist ihre Lebenssituation? Welchen Bildungsstand haben sie? Gibt’s Verwandte, die vielleicht noch nachreisen möchten? Diese Aufgabe ist nicht nur sehr komplex. Sie ist auch sprachlich schwierig. „Die Lebensgeschichten sind ganz individuell. Die Jungs sprechen kein Deutsch, kein Englisch“, sagt Sellerberg. Eine Ausnahme habe es bisher gegeben. Aber für die Sprache gibt es Dolmetscher. Und Deutschkurse. „Das ist ganz wichtig.“ Wie sieht der Tagesablauf im Clearinghaus aus? „Wir versuchen den jungen Menschen eine Tagesstruktur zu geben“, sagt die Einrichtungsleiterin. Nach dem Frühstück stehen Termine an. Arztbesuche, Ämter oder der Sprachkurs. „Bisher geht ein Junge zur Schule. Ziel ist es, dass alle gehen.“ Die Mahlzeiten werden gemeinsam vorbereitet. Eine Hauswirtschaftlerin versucht, die Jugendlichen einzubeziehen. „Sie kocht mit den Jungs Gerichte aus ihrem Kulturkreis.“ Auch bei der Hausarbeit packen alle mit an. Nachmittags wird Fußball gespielt, lebenspraktische Dinge wie Busfahren geübt, Kicker-Turniere ausgetragen, manchmal geht’s zum Sport in die Marienschule. „Die Bereitschaft der Schule, die Jugendlichen einzubeziehen, ist groß“, sagt Sellerberg. Zum Beispiel gab es eine Einladung des Geschichtskurses. „Das trägt auch zu Akzeptanz bei“, so Venjakob. Bisher läuft es gut. „Der Start war weniger holprig als ich es erwartet habe“, sagt Sellerberg. „Ich bin positiv überrascht über die Höflichkeit und die Dankbarkeit der Jugendlichen. Es ist eine tolle Gruppe.“
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