1 Juliane Rebentisch: Kunst und Politik Gesellschaftlich relevant

Juliane Rebentisch: Kunst und Politik
Gesellschaftlich relevant wird Kunst nicht dadurch, dass sie bestimmte Inhalte vermittelt, die
besser und differenzierter anders kommuniziert werden könnten als dadurch, dass man sie
»kunstmässig« dekoriert - als sei die Form eine diesen bloss äusserliche Zugabe. Kunst
kommuniziert, verdient sie diesen Begriff, nie direkt. Sofern Objekte überhaupt als
ästhetische, als Kunst, erfahren werden, bringen sie notwendig immer auch ihren eigenen
Formalismus hervor, eine Konzentration auf die Form um ihrer selbst willen. Allerdings ist
auch dies, die Form, nicht als der eigentliche Inhalt der ästhetischen Erfahrung
misszuverstehen. Vielmehr konstituiert sich die Form erst als ästhetische, sofern sie sich auf
Bedeutung spannt, sofern an/in ihr ein Prozess in Gang kommt, der zwischen Material und
Bedeutung hin- und herspielt. So unterästhetisch stumpf es demnach wäre, aus dem Material
umstandslos politische Gehalte herauszulesen - wie dies leider häufig von
Themenausstellungen nahegelegt wird, welche die unterschiedlichsten Werke tautologisch auf
die Vermittlung des immer gleichen und sich zumeist in der Oberflächlichkeit des
Titelschlagworts schon erschöpfenden Inhalts zusammenschnurren lassen -, so wenig
kann doch das Material positivistisch als solches, kann Form formalistisch als solche gesehen
werden. Denn Wahrnehmung impliziert immer schon Bedeutung, und die reicht nicht selten
ins Politische. Nun lässt sich aber Kunst, der selbstreflexiv-performativen Struktur ihrer
Erfahrung nach, weder bei bestimmten Aspekten der Form noch bei bestimmten Gehalten,
weder beim Material noch bei der Bedeutung stillstellen. Darin liegt allerdings keine
Schwäche - das hiesse, sie am falschen Mass direkter politischer Wirkung zu messen -,
sondern die der Kunst spezifische Stärke.
Gesellschaftlich relevant ist Kunst nur ihrem eigenen - autonomen - Prinzip nach: indem die
für sie konstitutive Spannung zwischen Darstellung und Dargestelltem alle Gehalte reflexiv
so unter Strom setzt, dass deren vermeintliche Selbstevidenz von der prozessualen Logik der
ästhetisch erfahrenen Werke noch dort aufgezehrt wird, wo sie ihren Produzenten als das
Wesentliche erscheinen. Eben darin, dass sie die unmittelbare »praktische Zündung«
zugunsten einer reflexiven Distanzierung unterbricht, liegt, wie ich meine, das
gesellschaftliche Potential von Kunst, nicht im ästhetisch wie zumeist eben auch
politisch blinden Versuch, durch sie politisch »einzugreifen«.
»Will Kunst«, so formuliert Adorno, »um theoretisch höherer sozialer Wahrheit willen, mehr
als die ihr erreichbare und von ihr zu gestaltende Erfahrung, so wird sie weniger, und die
objektive Wahrheit, die sie sich zum Mass setzt, verdirbt sich zur Fiktion.« Je mehr Kunst
Gesellschaft direkt abbilden will, desto mehr gerät diese zum Als Ob - versucht sie direkt,
»der Gesellschaft den Spiegel vorzuhalten«, schlägt Kunst tatsächlich nicht selten in
Zynismus um. Man denke aktuell etwa an den Brachialrealismus von Santiago Sierra.
Eine Bewusstseinsänderung, die in politische Handlung übergehen könnte, erzielt Kunst
weniger dadurch, dass sie irgendwie unmittelbarer als zum Beispiel jeder gute
Tageszeitungskommentar ein moralisch schlechtes Gewissen zu machen vermag. Sondern der
Möglichkeit zur Bewusstseinsänderung steht Kunst der Struktur ihrer Erfahrung nach dadurch
nahe, dass sie Vertrautes reflexiv distanziert. »Distanz«, formuliert Adorno treffend, »ist die
erste Bedingung der Nähe zum Gehalt der Werke.«
(-)
Engagement in der Kunst sollte sich nicht von der autonomen Logik des Ästhetischen
losmachen wollen. Kunst sollte sich nicht dafür entschuldigen wollen, dass sie konstitutiv
mit einer Praxis verbunden ist, die weder direkt in Handlung noch aber unmittelbar in
Erkenntnis zu übersetzen ist. Kunst eröffnet eine spezifische Erfahrung. Und zwar eine
Erfahrung der Distanz, der Verunsicherung des verstehenden Zugangs zum ästhetischen
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Objekt. In dieser Distanz manifestiert sich in gewisser Hinsicht zwar wirklich eine Distanz
des Ästhetischen von den praktischen oder theoretischen Zwecken. Wollte man hier die
Interesselosigkeit der ästhetischen Erfahrung sehen, von der Kant gesprochen hat, dann wäre
dies allerdings eine Interesselosigkeit der Struktur und nicht dem Gehalt nach. Weil
diese nicht von der Erfahrung abzuziehen sind, ist es keineswegs irrelevant, welche Gehalte
jeweils in die entselbstverständlichende Bewegung der ästhetischen Verstehensvollzüge
versetzt werden. Mehr noch: Ästhetische Erfahrung scheint nur dann eine gewisse Intensität
und damit auch Qualität bekommen zu können, wenn die Gehalte, die ins ästhetische Spiel
geraten, für das erfahrende Subjekt von Gewicht sind.
Sofern Kunst sich durch subjektive Erfahrung hindurch konstituiert, dringt notwendig
gesellschaftlicher Gehalt in sie ein, und mag dieser auch noch so latent sein. Kunstwerke und
ihre Erfahrung existieren nicht unabhängig von der Gesellschaft, in der sie ihren Ort haben.
Diesen Umstand macht die zeitgenössische Installationspraxis unter anderem durch die
herausgestellt gesellschaftliche Herkunft ihrer Stoffe explizit.
(S.277 -281)
(Zum Werkbegriff der Installation)
Ohnehin leistet installative Kunst Widerstand gegen einen objektivistischen Werkbegriff,
unter anderem durch die Entgrenzung der Künste in immer neue intermedial-hybride
Bereiche. So konstituiert die Vielfalt installativer Kunst (-) keine neue Gattung unter anderen.
Was unter dem Begriff der Installation entsteht, sind weniger Werke denn Modelle ihrer
Möglichkeit, weniger Beispiele einer neuen Gattung denn immer neue Gattungen. Widerstand
gegen einen objektivistischen Werkbegriff leistet installative Kunst aber auch mit der
Entgrenzung des traditionellen, des organischen Kunstwerks in den sie umgebenden Raum
und/oder auf ihre institutionellen, ökonomischen, kulturellen oder sozialen Kontexte. Die
Bewegung gegen einen kunsttheoretischen oder -kritischen Objektivismus wird aber vor
allem dadurch zugespitzt, dass installative Kunst dem Betrachter eine neuartig aktive Rolle
zuzuweisen scheint. Dieses Moment ist allerdings nicht als eine Form von Interaktivität
misszuverstehen; vielmehr reflektiert sich in den unterschiedlichen Entgrenzungsbewegungen, so meine ich, die für die Seinsweise des Kunstwerks generell konstitutive Rolle
des Betrachters. Installationen sind nicht nur Gegenstand der Betrachtung, in ihnen reflektiert
sich zugleich die ästhetische Praxis der Betrachtung.
(S.14-16)
Quelle:
Juliane Rebentisch: Ästhetik der Installation. Frankfurt: surkamp 2003
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