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Die Unterscheidung von ästhetischen und nichtästhetischen Begriffen
- Frank Sibleys Position in der philosophischen Diskussion der 1960er Jahre -
Von Jörg Friedrich
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Frank Sibley
Jörg Friedrich
Inhalt
I.
Einleitung ............................................................................................................... 3
II.
Sibleys Position .................................................................................................. 5
1. Die Charakterisierung ästhetischer Begriffe ...................................................... 5
2. Sibley Schlussfolgerung: Die Tätigkeit des Kritikers ........................................ 6
III.
Kritik und Ergänzung durch Isabel Hungerland ................................................ 8
IV.
Sibleys Kritiker ................................................................................................ 10
1. Isemingers logische Analyse ............................................................................ 10
2. Cohens grundsätzlicher Angriff ....................................................................... 12
3. Kivys Kritik ...................................................................................................... 14
V.
Schlussfolgerungen .......................................................................................... 18
Literaturverzeichnis ..................................................................................................... 19
-2-
Frank Sibley
Jörg Friedrich
I. Einleitung
Der amerikanische Philosoph Frank Sibley beschäftigte sich in den späten 1950er und
in den 1960er Jahren mit Problemen der Unterscheidung zwischen ästhetischen und
nicht-ästhetischen Termini. Seine wichtigste und für die philosophische Diskussion
folgenreichste Arbeit zu diesem Thema erschien 1959 unter dem Titel „Aesthetic
Concepts“1. Er ging dabei von der alltäglichen Verwendung bestimmter Begriffe aus,
die wir benutzen können, um z.B. ein Gemälde zu beschreiben. Dabei stellte er fest,
dass es zwei verschiedene Arten solcher Begriffe gibt, und zwar solche, deren richtige
Verwendung in einem konkreten Fall unter den meisten Beobachtern in normalen
Beobachtungssituationen ohne Schwierigkeiten intersubjektiv überprüft werden kann
und solchen, bei denen das nicht der Fall ist, weil ihre Verwendung ästhetisches Urteilsvermögen erfordert. Dementsprechend bezeichnete er die ersten als nichtästhetische und die letzteren als ästhetische Begriffe.
Über die Beziehung der ästhetischen zu den nicht-ästhetischen Begriffen stellte Sibley
zwei Thesen auf:
1. Es gibt keine nicht-ästhetischen Begriffe, die „unter irgendwelchen Umständen als logisch hinreichende Bedingungen für die Anwendung ästhetischer
Termini fungieren“ (ÄB Seite 90)
2. „Es kann durchaus Beschreibungen mit ausschließlich nicht-ästhetischen Termini geben, die unvereinbar sind mit Beschreibungen, die bestimmte ästhetische Termini verwenden.“ (ÄB Seite 90)
An Sibleys Position schlossen sich in den 1960er Jahren eine Reihe von Untersuchungen verschiedener Philosophen an, es gab aber auch kritische Stimmen. In dieser
Arbeit sollen, nach einer genaueren Darstellung von Sibleys Argumenten, einige Kritiker gewürdigt und ihre Relevanz für Sibleys Thesen diskutiert werden. Im Einzelnen
werden folgende Standpunkte dargestellt:
1
Der Aufsatz erschien in einer überarbeiteten Fassung 1962 erneut. Hier wird er zitiert nach Sibley,
Frank: Ästhetische Begriffe in Das ästhetische Urteil, herausgegeben von Rüdiger Bittner und Peter
Pfaff, Kiepenheuer & Witsch, Köln 1977, im Folgenden zitiert als ÄB
-3-
Frank Sibley
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Hungerland2 präzisiert Sibley in zwei Aufsätzen, indem sie zunächst zwischen möglichen Arten von Begründungen unterscheidet und prüft, für welche dieser Begründungsarten Sibleys These gilt. Sie zeigte, dass die Unterscheidung von „sieht so aus
wie“ und „ist“, wie man sie von nicht-ästhetischen Zuschreibungen kennt, für ästhetische Zuschreibungen nicht gilt.
Iseminger3 zeigt, dass unter bestimmten plausiblen Voraussetzungen Sibleys Thesen
einander widersprechen.
Cohen4 greift Sibleys Konzeption grundsätzlich an als eine „Art von Theorie, die für
eine Strömung der Ästhetik (und Ethik) … charakteristisch ist“ und aus deren Konzeption ausschließlich „verhängnisvolle Schlussfolgerungen“ resultieren.
Kivy5 kritisiert Sibley, indem er die Unterscheidung zwischen ästhetisch und nichtästhetisch infrage stellt und dabei auch Hungerlands These von der Unterscheidung
zwischen „nur so aussehen“ und „wirklich sein“ kritisiert.
Gezeigt werden soll, dass Isemingers Kritik berechtigt ist und zumindest eine Modifikation oder Konkretisierung des Konzeptes des ästhetischen Begriffs gegenüber
Sibley erforderlich macht. Die Kritik Cohens ist jedoch im Wesentlichen zurückzuweisen, da er mit seiner formal-logischen Argumentation die tatsächliche Verwendung ästhetischer Begriffe nicht erfassen kann. Die genaue Analyse von Kivys Kritik
kann für eine genauere Bestimmung der Ausdehnung des ästhetischen Begriffes nutzbar gemacht werden.
2
Hungerland, Isabel C.: Die Logik ästhetischer Begriffe (LÄB) und Noch einmal ästhetisch und nicht-
ästhetisch (NÄN), beide in Das ästhetische Urteil, herausgegeben von Rüdiger Bittner und Peter Pfaff
Kiepenheuer & Witsch, Köln 1977
3
Iseminger, Gary: Ästhetische Urteile und nicht-ästhetische Bedingungen, in Das ästhetische Urteil,
herausgegeben von Rüdiger Bittner und Peter Pfaff, Kiepenheuer & Witsch, Köln 1977
4
Cohen, Ted: Ästhetisch/Nicht-Ästhetisch und der Begriff des Geschmacks: Eine Kritik an Sibleys
Position, in Das ästhetische Urteil, herausgegeben von Rüdiger Bittner und Peter Pfaff, Kiepenheuer &
Witsch, Köln 1977
5
Kivy, Peter: Gibt es keine Bedingungen für ästhetische Termini, in Das ästhetische Urteil, herausge-
geben von Rüdiger Bittner und Peter Pfaff, Kiepenheuer & Witsch, Köln 1977
-4-
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II. Sibleys Position
1.
Die Charakterisierung ästhetischer Begriffe
Sibley (ÄB, Seite 87 ff) baut seine Analyse der ästhetischen Sprache ganz in der Tradition Ludwig Wittgensteins auf: Er orientiert sich an der tatsächlichen Verwendung
von Termini in der alltägliche Sprache und untersucht Unterschiede bei der Benutzung bestimmter Klassen von Begriffen6.
Spremberg7 hat darauf hingewiesen, dass Sibley „die Elemente der Kantischen Konzeption des ästhetischen Urteils mit Wittgensteins Gedanken in Verbindung“ bringt.
Sibley greift die Kantische Unterscheidung des Geschmacksurteils von anderen Urteilsformen wieder auf und untersucht diese unterschiedlichen Urteilsformen mit
sprachanalytischen Methoden, die sich in der Tradition Wittgensteins befinden.
Dabei interessiert sich Sibley zunächst für Termini, mit denen Kunstwerke beschrieben werden, und er unterscheidet solche, deren Überprüfung jedem „der normale Augen, Ohren und Intelligenz hat“ zugänglich sind von denen, die „Geschmack, Wahrnehmungsvermögen oder Sensibilität erfordern“. Sibley demonstriert das tatsächliche
Vorkommen dieser Termini in Urteilen an verschiedensten Beispielen, er vergleicht
die praktische Verwendung von Worten wie „anmutig, zart, fein, stattlich, hübsch,
elegant, grell“ mit solchen wie „rot, lärmend, salzig, klamm, quadratisch, gelehrig“
und anderen und untersucht diese Verwendung insbesondere in Hinblick darauf, wie
Zuschreibungen solcher Termini zu Objekten (Urteile) gestützt werden.
Im Laufe seiner Untersuchungen kommt Sibley zu dem Schluss, dass Urteile, in denen ästhetische Termini verwendet werden, sich in der Weise, wie sie gestützt oder
begründet werden, von allen anderen Arten von Urteilen unterscheiden. Zuschreibungen ästhetischer Termini hängen zwar von nicht-ästhetischen Eigenschaften ab, so
kann z.B. ein Bild anmutig sein wegen der gebogenen Linien, es kann einen zarten
Eindruck machen wegen der Verwendung von Pastell-Farbtönen. Es ist aber nach
Sibley niemals möglich, aus dem Vorhandensein solcher nicht-ästhetischer Eigen-
6
Vgl. z.B. Ludwig Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, suhrkamp taschenbuch wissenschaft
501, Frankfurt am Main 1984, Nr. 109 (Seite 299) und Nr. 124 (Seite 302)
7
Heinz Spremberg: Zur Aktualität der Ästhetik Immanuel Kants, Peter Lang Europäischer Verlag der
Wissenschaften, Frankfurt am Main 1999, Seite 247
-5-
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schaften sicher auf das Vorhandensein einer ästhetischen Eigenschaft zu schließen. Es
ist möglich, dass ein Bild nur aus Pastelltönen und gebogenen Linien besteht, ohne
dass es zart oder anmutig ist, stattdessen kann es fad und langweilig oder kraftlos wirken.
Somit sind die ästhetischen Begriffe weder mit den Wittgensteinschen Familienähnlichkeiten zu fassen, noch sind es so genannte anfechtbare Begriffe. Bei Begriffen, die
auf Familienähnlichkeiten basieren, gäbe es immer eine gewisse Menge nichtästhetischer Eigenschaften, die ausreichen würden, um das Auftreten der ästhetischen
Eigenschaft sicherzustellen, auch wenn diese Menge nicht-ästhetischer Eigenschaften
in jedem konkreten Fall eine andere sein könnte. Das ist bei ästhetischen Eigenschaften aber nicht der Fall. Genauso wenig sind ästhetische Eigenschaften durch das Auftreten einer bestimmten Menge nicht-ästhetischer Eigenschaften bei gleichzeitiger
Abwesenheit einer bestimmten nicht-ästhetischen Eigenschaft, die die Zuschreibung
der ästhetischen Eigenschaft ausschließen würde, charakterisiert, wie es bei den anfechtbaren Begriffen der Fall ist.
Allerdings gibt es nach Sibley (ÄB Seite 91) eine negative Abhängigkeit ästhetischer
Urteile von nicht-ästhetischen Eigenschaften. Sibley schreibt: „Es kann z.B. unmöglich sein, ein Ding als grell zu bezeichnen, wenn es nur in blassen Pastelltönen gehalten ist, oder als flammend, wenn alle Linien gerade sind.“ Sibley ist also der Ansicht,
dass man die Abwesenheit einer ästhetischen Eigenschaft durchaus sicher aus den
nicht-ästhetischen Eigenschaften schließen kann. Wir können also aus einer Beschreibung der nicht-ästhetischen Eigenschaften, die sicher und für jeden normalen Beobachter nachvollziehbar und benennbar sind, möglicherweise bestimmte ästhetische
Eigenschaften ausschließen, können sicher sagen, dass bestimmte ästhetische Zuschreibungen nicht vorgenommen werden können, aber wir können niemals aus solchen Beschreibungen positiv sicher auf ästhetische Eigenschaften schließen. In diesem Sinne sagt Sibley, „dass es keine nicht-ästhetischen Merkmale gibt, die unter
irgendwelchen Umständen als logisch hinreichende Bedingungen für die Anwendung
ästhetischer Termini fungieren.“
2.
Sibley Schlussfolgerung: Die Tätigkeit des Kritikers
Wenn die ästhetischen Begriffe nicht logisch von nicht-ästhetischen Eigenschaften
abhängen, dann kann das ästhetische Urteil nicht gelernt werden, indem der Schüler
-6-
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vom Lehrer sozusagen in der Anwendung eines Regelwerkes unterwiesen wird. Im
Gegenteil, Sibley bestreitet diese Möglichkeit ausdrücklich (ÄB Seite 95). Jemand,
der „das Wesen von ästhetischen Begriffen nicht versteht“ kann sich zwar „einige
Regeln und Verallgemeinerungen verschaffen“ und „kann dann häufig das richtige
sagen“. Aber das wäre kein ästhetisches Urteilen, er „könnte ebenso richtig wie falsch
getippt haben“.
Kann man also ästhetisches Urteilen nicht lernen? Sibley ist der Ansicht, dass dies
trotzdem möglich ist, und er weist dafür dem Kritiker eine besondere Rolle zu. Ob die
Bezeichnung „Kritiker“ für diejenigen, die die geforderte Funktion ausfüllen, geschickt gewählt ist, kann dahingestellt bleiben, wichtig ist, welche Tätigkeiten der
Kritiker erbringen soll, um den Menschen beim Erlernen der ästhetischen Urteilskraft
Unterstützung zu bieten.
Die Methode des Kritikers basiert darauf, dass die ästhetischen Eigenschaften zwar
nicht logisch von den nicht-ästhetischen abhängen, aber doch durch sie „gemacht“
sind, dass sie für die ästhetischen Eigenschaften doch „verantwortlich“ sind8. Deshalb kann der Kritiker den Betrachter auf nicht-ästhetische Eigenschaften hinweisen,
die zwar nicht allgemein, aber im konkreten Fall für die ästhetischen Eigenschaften
des Werkes verantwortlich sind. Er kann dabei die ästhetischen Eigenschaften nennen, er kann auch ästhetische Eigenschaften, die vielleicht bereits vom Betrachter
erkannt sind, mit den noch nicht erkannten in Beziehung setzen. Auf diese Weise wird
der Kritiker dem Betrachter helfen, die ästhetischen Eigenschaften eines Werkes zu
entdecken. Wenn ihm dies nicht gelingt, wird der Kritiker den Betrachter bitten, sich
zunächst andere Werke anzusehen und dann zu diesem zurück zu kehren.
Deutlich wird hier, dass der Betrachter das Sehen der ästhetischen Eigenschaften
nicht allgemein aufgrund von Regeln lernen kann, sondern nur immer konkret am
jeweiligen einzelnen Werk. Wenn dieses Entdecken bei einem Werk jedoch gelungen
ist, wird es dem Betrachter auch möglich sein, ästhetische Eigenschaften anderer,
ähnlicher Werke zu entdecken.
8
Sibley, Frank: Ästhetisch und nicht-ästhetisch (ÄNÄ) in Das ästhetische Urteil, herausgegeben von
Rüdiger Bittner und Peter Pfaff, Kiepenheuer & Witsch, Köln 1977, Seite 137
-7-
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III. Kritik und Ergänzung durch Isabel Hungerland
Sibley hat die Unmöglichkeit, ästhetische Urteile logisch aus nicht-ästhetischen Eigenschaften abzuleiten, sprachanalytisch gezeigt. Gleichzeitig hat er gezeigt, dass
ästhetische Urteile trotzdem durch Angabe nicht-ästhetischer Eigenschaften gestützt
werden können. Darin könnte man, wenn man den Unterschied zwischen der Stützung
eines Urteils und seiner logischen Begründung nicht klar erfasst, einen Widerspruch
sehen.
Diesem Problem hat sich Isabel Hungerland in zwei Aufsätzen gewidmet. Sie sieht
die Notwendigkeit, die Aussagen Sibleys genauer zu betrachten und formal zu konkretisieren. Hungerland unterscheidet (LÄB Seite 114ff) Wahrheitsbedingungen,
rechtfertigende Gründe oder Kriterien und Vorbedingungen. Wahrheitsbedingungen
sind die (logischen) Gründe dafür, dass eine Aussage wahr ist, Kriterien sind Bedingungen dafür, dass eine Behauptung gerechtfertigt ist.
Hungerland untersucht Aussagen der Form „P sieht N aus“ und „P ist N“ wobei P ein
Objekt ist und N eine nicht-ästhetische Eigenschaft, z.B. „rot“ oder „krank“. Sie stellt
fest, dass es für Aussagen der Form „P sieht N aus“ keine Wahrheitsbedingungen,
jedoch rechtfertigende Gründe geben kann.
Nun ist interessant, dass wir im Sprachgebrauch von ästhetischen Urteilen (A) nach
Hungerland keinen Unterschied zwischen „P sieht A aus“ und „P ist A“ machen können (LÄB Seite 121). Daraus schlussfolgert Hungerland, dass die logischen Beziehungen, die zwischen N-Zuschreibungen bestehen, nicht die gleichen sind wie die, die
zwischen A-Zuschreibungen bestehen. Eben in diesem Unterschied besteht der Grund
für Sibleys Aussage, dass sich für ästhetische Urteile keine hinreichenden nichtästhetischen Bedingungen angeben lassen: Für „P ist A“ Aussagen gibt es zwar rechtfertigende Gründe, aber keine Wahrheitsbedingungen, weil für ästhetische Urteile die
Ununterscheidbarkeit zwischen „P ist A“ und „P sieht A aus“ besteht, für letztere aber
gibt es grundsätzlich keine Wahrheitsbedingungen (ebenso wie für „P sieht N aus“)
sondern immer nur rechtfertigende Gründe.
In späteren Aufsatz kommt Hungerland noch einmal auf das Thema zurück. Auch
wenn sie hier (NÄN, Seite 156), im Gegensatz zum ersten Aufsatz, nicht mehr annimmt, dass zum Wahrnehmen ästhetischer Eigenschaften „eine besondere Empfänglichkeit und Übung“ erforderlich ist, geht sie weiter davon aus, dass nicht-ästhetisches
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Wahrnehmen und das Erkennen ästhetischer Eigenschaften grundsätzlich verschieden
sind. Im Anschluss und in Fortführung der Sibleyschen Untersuchung, aber unter
Anwendung ihres formalen Konzepts zeigt sie hier insbesondere, wie die nichtästhetischen Eigenschaften als „komplexem Ganzen“ die ästhetischen Eigenschaften
des Objekts „machen“ oder „erzeugen“ (NÄN, Seite 168). Sie schreibt hier: „Und es
ist eine Art von Erzeugen, für die der Künstler die Regeln erst bilden muss, indem er
arbeitet; und das heißt, dass es für den besonderen Fall keine Regeln gibt.“ Damit
befindet sich Hungerland ganz auf der Sibleys Argumentationslinie.
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IV. Sibleys Kritiker
1.
Isemingers logische Analyse
Neben Autoren wie Hungerland, die Sibleys Gedanken aufgriffen, ausbauten und weiter entwickelten, gab es auch bald nach dem Erscheinen der Aufsätze von Sibley deutliche Kritiken an seiner Position. Im Folgenden sollen diese Kritiker einzeln zu Wort
kommen und es soll an ihnen die Nachvollziehbarkeit der Position Sibleys geprüft
werden. Damit wird auf der einen Seite die ursprüngliche Argumentation deutlicher,
es wird aber auch gezeigt, wo sie Schwächen hat und wo sie besonders stark ist.
Gary Iseminger9 konzentriert sich in seinem Aufsatz auf die logische Analyse der
beiden Thesen von Sibley. Dabei geht er davon aus, dass auch das Gegenteil eines
ästhetischen Urteiles ein ästhetisches Urteil sein muss, da auch zur Negation einer
ästhetischen Eigenschaft Geschmack nötig sein muss, wenn man für die Zuschreibung
einer solchen Eigenschaft Geschmack braucht. Wenn ein Betrachter Geschmack
braucht, um eine Gestalt auf einem Bild als „anmutig“ zu kennzeichnen, so benötigt
er auch Geschmack zu der Aussage, dass eine solche Gestalt „nicht anmutig“ ist.
Nach Sibleys zweiter These ist es aber möglich, nicht-ästhetische Bedingungen für
die Negation einer ästhetischen Eigenschaft anzugeben. Wenn diese Negation aber, so
Iseminger, ein ästhetisches Urteil ist, so widerspricht die zweite Sibleysche These der
ersten.
Dieser Widerspruch ist allerdings so offensichtlich, dass es unwahrscheinlich ist, dass
er Sibley selbst nicht aufgefallen wäre. Es ist also zu fragen, ob Sibley in der Negation der Zuschreibung einer ästhetischen Eigenschaft selbst ein ästhetisches Urteil sehen würde, und ob es zwingend ist, wie Iseminger annimmt, dass die Aussage, dass
einem Objekt aufgrund seiner nicht-ästhetischen Eigenschaften eine bestimmte ästhetische Eigenschaft nicht zugeschrieben werden kann, selbst wieder ein ästhetisches
Urteil ist.
Sibley hat sich zu dieser Frage nicht explizit geäußert, man kann aber an den Beispielen, die er gewählt hat, seinen Gedankengang rekonstruieren. Sibley stellt z.B. dar
9
Iseminger, Gary: Ästhetische Urteile und nicht-ästhetische Bedingungen, in Das ästhetische Urteil,
herausgegeben von Rüdiger Bittner und Peter Pfaff, Kiepenheuer & Witsch, Köln 1977
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(ÄB, Seite 92-93) dass von einem Bild, welches nur aus eckigen, starkfarbigen, dicken und glänzenden Elementen besteht, nicht gesagt werden kann, dass es „anmutig“
oder „zart“ sei. Aber ist damit schon etwas über seine ästhetischen Eigenschaften gesagt, ist damit ein ästhetisches Urteil ausgesprochen? Sibley weist darauf hin, dass
„anmutig“ und „zart“ „einerseits im scharfen Gegensatz zu Termini wie ‚gewaltig’,
‚stattlich’, ‚feurig’, grell oder ‚massig’“ steht. Andererseits können ihnen auch „ästhetische Termini entgegengesetzt werden, die ihnen viel näher stehen, wie z.B. ‚schlaff’,
‚schwach’, ‚ausgewaschen’“. Das zeigt, dass mit der Negation einer ästhetischen Eigenschaft genau genommen noch keinerlei ästhetisches Urteil ausgesprochen ist.
Wenn das aber so ist, läuft Isemingers logische Betrachtung ins Leere.
Danto10 hat ebenfalls in den 1960er Jahren, allerdings außerhalb der hier betrachteten
Diskussion, darauf hingewiesen, dass der Begriff „Gegenteil“ unbestimmt ist in dem
Sinne, dass ein Objekt zunächst von einer bestimmten Art sein müsse, damit ihm eine
Eigenschaft F oder ihr Gegenteil non-F zugeschrieben werden könne. Er schreibt:
„Kontradiktorische Prädikate sind nicht Gegenteile in diesem Sinne, da eines von
jedem Paar von ihnen für jedes Objekt des Universums gelten muss, während auf
manche Objekte keines von einem Paar von Gegenteilen zutreffen muss.“ Greift man
diesen Gedanken für die Zuschreibung ästhetischer Begriffe auf, kommt man zu dem
Schluss, dass die Tatsache, dass einem Objekt eine bestimmte ästhetische Eigenschaft
nicht zugeschrieben werden kann, auch bedeuten kann, dass es überhaupt keine ästhetische Eigenschaft (wenigstens in den Kontext der konkret betrachteten Eigenschaft
wie z.B. „Anmut“) haben muss. Deshalb ist eben nicht klar, dass die Negation eines
ästhetischen Urteiles wieder ein ästhetisches Urteil ist. Legt man dies für das ästhetische Sprechen von vornherein fest, engt man den ästhetischen Sprachgebrauch unnötig ein.
Man könnte fragen, warum Sibley überhaupt diese zweite These, die ja wenigstens
mit den Mitteln der Logik angefochten werden kann (auch wenn sie, wie dargestellt,
auch verteidigt werden kann) aufgestellt hat. Dies wird in seinem zweiten Aufsatz
(ÄNÄ, Seite 134 ff) zu diesem Thema noch deutlicher. Hier betont er besonders, dass
ästhetische Urteile zwar nicht logisch von nicht-ästhetischen Eigenschaften abhängen,
dass ästhetische Eigenschaften aber durch die nicht-ästhetischen Eigenschaften „ge10
Danto, Arthur C.: Die Kunstwelt, Deutsche Zeitschrift für Philosophie 42, Berlin 1994, Seite 917,
der Artikel erschien zuerst 1964
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macht“ werden, dass die konkrete Umsetzung der letzteren letztlich die ästhetischen
Eigenschaften des Objektes erzeugen. Zu diesen Erzeugungs-Operationen gehört eben
auch, dass das ausschließliche Auftreten bestimmter nicht-ästhetischer Eigenschaften
bestimmte ästhetische Eigenschaften ausschließen können, ebenso wie bestimmte
nicht-ästhetische Eigenschaften notwendig vorhanden sein müssen, wenn ästhetische
Eigenschaften vorkommen sollen. Dieser Zusammenhang ist in Sibleys ursprünglicher zweiter These schon angelegt.
Isemingers logische Analyse ist somit ein Beitrag zur Klärung des Sibleyschen Gedankens, er stellt aber Sibleys Theorie nicht grundsätzlich in Frage.
2.
Cohens grundsätzlicher Angriff
Ted Cohen11 hat die grundsätzlichste Kritik in der gesamten Diskussion um Sibleys
Arbeiten zu ästhetischen Begriffen geäußert. Die ganze Methode des Philosophierens,
wie sie von Sibley in der Tradition Wittgensteins praktiziert wurde, lehnt Cohen ab.
Er schreibt: „ich behaupte nicht, dass Sibley Falsches, sondern dass er gar nichts
(Neues) gesagt hat.“ (Seite 180).
Um dies nachzuweisen, argumentiert Cohen mit formal-logischen Mitteln. Er baut
darauf auf, dass auch Sibley das typische Zusammen-Auftreten von nicht-ästhetischen
und ästhetischen Eigenschaften ja durchaus anerkennt. Cohen beginnt mit einem einfachen Beispiel. Er nimmt den Fall an, alle zylindrischen Körper seien rot und betrachtet die Situation eines Menschen, der dies weiß, aber blind ist. Cohen meint, dass
das Urteil dieses Menschen, dass etwas rot ist (weil er es als zylindrisch ertastet hat)
nicht von dem Urteil zu unterscheiden sei, welches jemand fällt, der sieht, dass der
Körper rot ist, denn die Unterscheidung ließe sich nur auf der Basis der richtigen oder
falschen Anwendung des Urteils „dieser Körper ist rot“ treffen.
Hier zeigt sich schon, dass Cohens Argumentation in einer gänzlich anderen Weise zu
philosophieren angesiedelt ist, und es fragt sich, ob er Sibley auf diese Weise überhaupt treffen kann. Dies wird aber im nächsten Schritt noch deutlicher.
Cohen kommt in diesem nächsten Schritt auf Sibleys These zu sprechen, dass nichtästhetische Eigenschaften eben niemals sicher eine ästhetische Eigenschaft bestim-
11
Cohen, Ted: Ästhetisch/Nicht-Ästhetisch und der Begriff des Geschmacks: Eine Kritik an Sibleys
Position, in Das ästhetische Urteil, herausgegeben von Rüdiger Bittner und Peter Pfaff,
Kiepenheuer & Witsch, Köln 1977
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men. Deshalb trifft das einfache Beispiel des roten Zylinders auch nicht. Wenn das so
ist, so Cohen, so liegt hier ein Zirkelschluss vor: „Was immer Sibley bewiesen hat,
wurde schon im Ziehen der Unterscheidung ästhetisch/nicht-ästhetisch bewiesen und
spiegelte sich nur in den vermeintliche Argument, das der Unterscheidung folgte.“
Sibley selbst hat später darauf hingewiesen12, dass solche Zirkelschlüsse nicht nur bei
ästhetischen Eigenschaften auftauchen, sondern dass sie streng genommen bei jeder
Art von Eigenschaft, die wir einem Objekt zuweisen, auftreten, und dass dieser Zirkelschluss mit unserer Schwierigkeit zu bestimmen, was genau eine Eigenschaft ist,
zusammenhängt. In der Tat, auch wenn wir bestimmen wollen, was eine „Farbe“ ist,
werden wir geneigt sein, zu sagen, dass dies eben die Eigenschaft des Körpers ist, die
wir wahrnehmen können, wenn wir nicht farbenblind sind. Farben wahrnehmen zu
können ist die Vorraussetzung für das Verständnis der Farb-Eigenschaft, ebenso wie
Geschmack die Voraussetzung für das Verständnis von ästhetischen Eigenschaften
ist.
Es ist sicherlich trotzdem sinnvoll, diesen Einwand von Cohen ernst zu nehmen und
nach einer Bestimmung des Ästhetischen zu suchen, die außerhalb seiner direkten
Anwendung selbst liegt. So wie man auch das Vorkommen und Wahrnehmen von
Farben auch physikalisch und biologisch bestimmen kann und von da aus den Umgang von Menschen mit Farben, ihre Fähigkeit, Farben zu unterscheiden und über
Farben zu sprechen untersuchen kann, könnte man auch versuchen, ästhetisches aus
einem völlig anderen Kontext heraus zu bestimmen um dann über die Fähigkeit, dieses Ästhetische wahrzunehmen und über diese Wahrnehmungen sprechen zu können,
auf Sibleys Art zu reflektieren.
Einen Ansatz dazu könnten z.B. Goodmans13 Bestimmung des Ästhetischen durch
syntaktische Dichte, semantische Dichte und syntaktische Fülle sein. Nachzuweisen
wäre dann, dass bestimmte Ausprägungen dieser Bestimmungen für konkrete ästhetische Urteile charakteristisch sind. Dann wäre zu untersuchen, wie diese Ausprägungen mit nicht-ästhetischen Eigenschaften der Objekte zusammenhängen.
12
Sibley, Frank: About Taste in Sibley, Frank: Approach to Aesthetics, Clarendon Press, Oxford 2001,
Seite 53
13
Goodman, Nelson: Sprachen der Kunst, suhrkamp taschenbuch wissenschaft 1304, Frankfurt am
Main 1997, Seite 232
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Auf diese Weise würde Sibleys Theorie möglicherweise gestützt werden können, ohne dass der von Cohen ausgemachte Zirkelschluss auftreten würde, auch wenn Sibley
natürlich darin zuzustimmen ist, dass das Auftreten dieses Zirkels nicht nur für ästhetische sondern für alle Eigenschaftszuschreibungen charakteristisch ist, da es letztlich
in unserem Verständnis davon, was eine Eigenschaft überhaupt ist, begründet ist, wie
er in „About Taste“ darstellt.
Cohen hat selbst Jahre später14 zugestanden, dass das Projekt, von dem er gesagt hatte, dass es nicht durchführbar ist, nicht das war, welches Sibley angestrebt hatte. Dies
ist auch die wesentliche Konsequenz, die aus der Analyse seiner Sibley-Kritik zu ziehen ist. Cohen versucht, rein logisch zu zeigen, dass ein ästhetisches Urteil, welches
auf der Wahrnehmung von nicht-ästhetischen Eigenschaften und der Anwendung von
Regeln gefällt wird, nicht von einem Urteil zu unterscheiden sei, welche aufgrund von
Geschmack (ästhetischer Urteilskraft) gefunden wurde. Dabei gerät aber die tatsächlich vorhandene und in der Analyse der Weise, über Ästhetisches zu sprechen, gefundene Besonderheit des ästhetischen Urteilens aus dem Blick. Cohen kann das ästhetische Urteilen, um welches es Sibley geht, gar nicht erfassen – deshalb trifft seine Kritik auch nicht Sibleys Argumentation.
3.
Kivys Kritik
Im Gegensatz zu Cohen war es Peter Kivy vergönnt, Jahrzehnte nach der Diskussion
um Sibleys Aufsatz „Ästhetische Begriffe“ 1989 mit Sibley selbst zusammenzutreffen15. In seiner Auseinandersetzung mit Sibleys letzten Arbeiten betont Kivy vor allem, wie sehr ihn die Beschäftigung mit Sibleys Texten in den späten 1960er Jahren
geprägt hatte (er schreibt von „my Sibley years“). Deshalb kann man wohl zu Recht
sagen, dass Kivy einer derjenigen in der Diskussion um Sibley war, die das Wesen
der Sibleyschen „Ästhetischen Begriffe“ besonders gut kannten.
In seiner Auseinandersetzung16 mit Sibleys Aufsatz verfährt Kivy (scheinbar als einziger) ebenso wie Sibley selbst ganz in der Wittgensteinschen Tradition: Er untersucht
14
Cohen, Ted: Sibley and the Wonder of Aesthetic Language In Aesthetic Concepts, Essays after Si-
bley, Clarendon Press, Oxford 2001, Seite 24
15
Kivy, Peter: Sibley’s Last Paper
In Aesthetic Concepts, Essays after Sibley, Clarendon Press, Oxford 2001, Seite 199
16
Kivy, Peter: Gibt es keine Bedingungen für ästhetische Termini, in Das ästhetische Urteil, herausge-
geben von Rüdiger Bittner und Peter Pfaff, Kiepenheuer & Witsch, Köln 1977, Seite 206 ff
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die tatsächliche Verwendung der Begriffe in der Sprache und fragt, ob Sibley mit seinen Thesen recht hatte. Sibley kann man nach Kivy nur widerlegen oder kritisieren,
wenn man zeigt (Kivy, Seite 208): „Mindestens ein Terminus, den Sibley für einen
Nicht-Geschmacksterminus hält, und von daher für Bedingungen unterworfen, ist in
Wirklichkeit ein Geschmacksterminus und Bedingungen unterworfen“ und „Mindestens ein Terminus, den Sibley als Geschmacksterminus bezeichnet, ist in keinem einleuchtenden Sinn ein Geschmacksterminus, doch scheint er ganz klar ein ästhetischer
Terminus zu sein“. Hier ist anzumerken, dass Kivy Geschmackstermini, die Eigenschaften bezeichnen, zu deren Wahrnehmung die „fünf Sinne“ nicht ausreichen sondern Geschmack erforderlich ist, von ästhetischen Termini unterscheiden möchte, die
Bedingungen nicht unterworfen sind. Seine Suche nach Termini, die keine Geschmackstermini aber ästhetische Termini sind, läuft also auf die Frage nach NichtGeschmackstermini, die jedoch Bedingungen nicht unterworfen sind, hinaus.
Schon im Ansatz wird Kivys Kritik der Methode und der Argumentation Sibleys also
viel eher gerecht, als der Angriff Cohens, aber auch die logische Kritik Isemingers
und Hungerlands.
Die Beispiele, die Kivy wählt, sind gut geeignet um zu verstehen, dass es ihm nicht
nur um Einzelfälle geht, die Sibley sicherlich unter Verweis auf ihren Grenz- und
Extremcharakter zurückweisen könnte, sondern dass sie für ganze Klassen von Fällen
und eine Vielzahl von weiteren Beispielen exemplarisch stehen. So erläutert er, dass
die so genannte „Engführung“ eines Themas in einem Musikstück ein Terminus ist,
der „Bedingungen unterliegt“. Eine Engführung ist eine Konstruktion in einem Musikstück, deren Auftreten aus nicht-ästhetischen Termini (Imitation des Themas in
kurzem Abstand) genau und sicher bestimmt werden kann. Trotzdem kann, so Kivy,
nicht jeder, der hören kann, die Engführung erkennen, er benötigt dazu „musikalisches Gehör“. Damit wäre „Engführung“ ein nicht-ästhetischer Terminus, da er eine
Eigenschaft des Musikstücks bezeichnet, die Regeln sehr wohl unterworfen ist,
gleichzeitig wäre aber zum Erkennen der Engführung so etwas wie Geschmack erforderlich.
Zu fragen ist hier allerdings, ob das Auftreten einer „Engführung“ tatsächlich Regeln
so streng unterworfen ist, dass sie als nicht-ästhetischer Terminus angesehen werden
kann. Hier wäre z.B. zu klären, ob der Begriff der „Imitation des Themas“ so klar ist,
dass sie ohne Geschmacksurteil, nur auf der Basis von Regeln zweifelsfrei erwiesen
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werden kann. Ist nicht vielmehr vielleicht dem Experten etwas eine Imitation, was der
Laie niemals als solche erkennen wird, was ihm immer als völlig neues Thema erscheinen wird (wenn er überhaupt in der Lage ist, aus dem Strom der Musik ein Thema zu isolieren, einzeln zu hören)? Und kann es nicht umgekehrt sein, dass ein Laie,
der nach erlernten Regeln ein Musikstück analysiert, etwas als Thema oder als Imitation des Themas „erkennen“ würde, was derjenige, der über Geschmack verfügt, niemals als solches bezeichnen würde?
Wenn man diese Fragen bejaht, stellt man fest, dass auch solche Termini, die sich aus
der jeweiligen Kunsttheorie heraus scheinbar klar definieren lassen, nicht-ästhetischen
Bedingungen nicht unterworfen sind, und damit als ästhetische Begriffe angesehen
werden müssen. Damit wäre aber Sibleys Theorie durch Kivy nicht beeinträchtigt,
sonder sogar gestützt. Allerdings müssten vor einer solchen Einschätzung weitere
Fälle untersucht und auf ihre Verallgemeinerbarkeit hin geprüft werden.
Eine tiefer gehende Kritik führt Kivy, indem er Beispiele für Termini sucht, die sicher
keine ästhetischen Begriffe sind, aber strukturell auf die gleiche Weise Bedingungen
nicht unterworfen sind wie ästhetische Begriffe. Kivy wählt hier Beispiele, die auch
Sibley (ÄB, Seite 90) aufgeführt hat, wie z.B. „intelligent“. Kivy zeigt nicht nur, dass
diese Begriffe ebenfalls Bedingungen nicht unterworfen sind (was Sibley im Kern
nicht treffen würde, da er grundsätzlich nicht behauptet hat, dass dies ausschließlich
für ästhetische Eigenschaften gilt), sondern er verweist darauf, dass diese Tatsache bei
Termini wie „intelligent“ oder „faul“ damit verbunden ist, dass sie nicht beschreibend, sondern wertend verwendet werden. Und in der Tat, auch ästhetische Termini
wie „anmutig“ oder „kraftvoll“ werden oft wertend verwendet, insbesondere, wenn
sie als Urteil gegen andere mögliche Urteile wie „fad“ oder „protzig“ verwendet werden.
Kivys Schlussfolgerung ist, dass sie die Nicht-Bedingtheit ästhetischer Eigenschaften
also aus der Tatsache begründen lässt, dass sie wertend geschieht. Verwendet man sie
rein beschreibend, kann man auch nicht-ästhetische Eigenschaften angeben, die die
Verwendung des ästhetischen Terminus eindeutig festlegen. Wenn das der Fall ist,
benötigt man für ein ästhetisches Urteil aber keineswegs eine gesonderte Gabe, den
Geschmack, der einen die ästhetischen Eigenschaften sehen lässt, da ein ästhetisches
dann immer ein wertendes Urteil wäre, bei dem die ästhetische Zuschreibung durch
das Wertesystem des Urteilenden bedingt ist.
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Frank Sibley
Jörg Friedrich
Bei Sibley ist die Unterscheidung zwischen Termini wie „intelligent“ oder „faul“ und
ästhetischen Termini schon dadurch gegeben, dass ihr Zusammenhang mit den nichtästhetischen Eigenschaften, die sie stützen, ein gänzlich unterschiedlicher ist. Ästhetische Eigenschaften werden durch nicht-ästhetische Eigenschaften konstruiert, gemacht, die konkreten und genau auf diese Weise geschwungenen Linien machen das
Bild anmutig, niemand wird aber sagen, dass die Tatsache, dass jemand schnell mathematische Aufgaben löst, ihn intelligent macht. Insofern ist zu fragen, ob die Verwendung von ästhetischen Termini mit der von Termini wie „intelligent“ überhaupt
vergleichbar ist, werden sie doch ganz unterschiedlich gestützt. Allerdings zeigt
Kivys Kritik in jedem Fall, dass weitere Differenzierungen der ästhetischen Termini
nötig wären, und dass die Trennung zwischen wertender Verwendung und beschreibender Verwendung dieser Termini klarer gefasst werden muss, als Sibley sie vorgenommen hat.
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Frank Sibley
Jörg Friedrich
V. Schlussfolgerungen
Die Betrachtung der verschiedenen Diskussionsbeiträge, die im Anschluss an Sibleys
grundlegende Aufsätze zur Verwendung ästhetischer und nicht-ästhetischer Termini
in den 1960er Jahren geleistet worden sind zeigt, dass viele Fragen aufgeworfen wurden, die im Rahmen dieser Diskussion nicht abschließend geklärt werden konnten.
Dabei ist die Frage nach der Bedingtheit ästhetischer Urteile und ihrer klaren Begründbarkeit mit nicht-ästhetischen Mitteln nicht nur von theoretischem Interesse.
Folgt man Sibleys Argumentation, so ergibt sich für die Lehrbarkeit des ästhetischen
Wahrnehmens, dass dies nur durch Hinweisen, durch beispielhaftes Aufzeigen und
ähnliche Tätigkeiten, letztlich nur durch die Unterstützung bei tatsächlichem Erfahren
von konkreten Kunstwerken möglich ist. Folgt man ihm nicht, wird man mit Cohen
vielleicht annehmen, dass ästhetisches Urteilen durch das Lernen von Regeln möglich
ist, dass ein gesondertes ästhetisches Wahrnehmen nicht nötig ist. Auch wenn dieser
Ansatz zunächst weniger elitär erscheint als die Annahme der Notwendigkeit einer
zusätzlichen Fähigkeit, würde er letztlich doch zur Benachteiligung von Menschen
beim Kunstgenuss führen. Denn die ästhetische Dimension, die durch das unmittelbare Wahrnehmen ästhetischer Eigenschaften entsteht, bleibt dabei ausgeblendet. Mit
Sibley kann zwar nicht jeder Mensch schon von Anfang an ästhetische Eigenschaften
sehen, aber jeder kann dieses besondere Sehen lernen, indem er seinen Geschmack
mit Unterstützung des Kritikers an immer neuen Kunstwerken schult.
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Frank Sibley
Jörg Friedrich
Literaturverzeichnis
Cohen, Ted: Ästhetisch/Nicht-Ästhetisch und der Begriff des Geschmacks: Eine Kritik an Sibleys Position
in Das ästhetische Urteil, herausgegeben von Rüdiger Bittner und Peter Pfaff
Kiepenheuer & Witsch, Köln 1977
Cohen, Ted: Sibley and the Wonder of Aesthetic Language
In Aesthetic Concepts, Essays after Sibley, Clarendon Press, Oxford 2001
Danto, Arthur C.: Die Kunstwelt
Deutsche Zeitschrift für Philosophie 42, Berlin 1994
Goodman, Nelson: Sprachen der Kunst
suhrkamp taschenbuch wissenschaft 1304, Frankfurt am Main 1997
Hungerland, Isabel C.: Die Logik ästhetischer Begriffe (LÄB)
in Das ästhetische Urteil, herausgegeben von Rüdiger Bittner und Peter Pfaff
Kiepenheuer & Witsch, Köln 1977
Hungerland, Isabel C.: Noch einmal ästhetisch und nicht-ästhetisch (NÄN)
in Das ästhetische Urteil, herausgegeben von Rüdiger Bittner und Peter Pfaff
Kiepenheuer & Witsch, Köln 1977
Iseminger, Gary: Ästhetische Urteile und nicht-ästhetische Bedingungen
in Das ästhetische Urteil, herausgegeben von Rüdiger Bittner und Peter Pfaff
Kiepenheuer & Witsch, Köln 1977
Kivy, Peter: Gibt es keine Bedingungen für ästhetische Termini
in Das ästhetische Urteil, herausgegeben von Rüdiger Bittner und Peter Pfaff
Kiepenheuer & Witsch, Köln 1977
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Frank Sibley
Jörg Friedrich
Kivy, Peter: Sibley’s Last Paper
In Aesthetic Concepts, Essays after Sibley, Clarendon Press, Oxford 2001
Sibley, Frank: Ästhetische Begriffe (ÄB)
in Das ästhetische Urteil, herausgegeben von Rüdiger Bittner und Peter Pfaff
Kiepenheuer & Witsch, Köln 1977
Sibley, Frank: Ästhetisch und nicht-ästhetisch (ÄNÄ)
in Das ästhetische Urteil, herausgegeben von Rüdiger Bittner und Peter Pfaff
Kiepenheuer & Witsch, Köln 1977
Sibley, Frank: About Taste
in Sibley, Frank: Approach to Aesthetics, Clarendon Press, Oxford 2001
Heinz Spremberg: Zur Aktualität der Ästhetik Immanuel Kants
Peter Lang Europäischer Verlag der Wissenschaften, Frankfurt am Main 1999
Wittgenstein, Ludwig: Philosophische Untersuchungen
suhrkamp taschenbuch wissenschaft 501, Frankfurt am Main 1984
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