UNGREDIENTS Warum weniger tatsächlich mehr ist und Werbung durch den Magen gehen sollte „Wollen Sie mal kosten? Ganz neu im Regal. Mit regionaler Milch, natürlichem Vanilliearoma, echter Bourbon Vanille und eisgekühlt.“ „Nein danke – ich bin Laktose-‐ intolerant und esse keine Milchprodukte. Oder gibt es das auch vegan?“ Das alltägliche Leid der Promotionverkäuferin, die vom Hersteller in den riesigen Einzelhandel gestellt wird. Hinter einem frisch gedruckten Promotionstand mit einer bunt verzierter Logo-‐ Schürzte, roten Lippen und einem professionellen Lächeln auf den Lippen – sie macht es gut, was sie da macht. Kein Zweifel. Aber trotzdem wird der Veganer mit der Laktose-‐ Intoleranz nicht zu einem Flexitarier, dessen Darm etwas Milchzucker nichts ausmacht. Aber wie soll die Promotion Lady das auch wissen – es steht schließlich keinem auf der Stirn geschrieben. Ich stehe gleich am nächsten Regal und weiß, dass Sie mich auch ansprechen wird, sobald mein Blick zu ihr schweift oder ich mit vollem Einkaufskorb an ihr vorbei „renne“. Renne, weil ich eigentlich gar keine Zeit für Einkaufen habe. So wie jeder zweite Deutsche lebt um zu essen, bin ich wohl das krasse Gegenteil, dass isst um zu leben. Keine Frage – Essen ist toll. Gemeinsame Mahlzeiten verbinden, nähren, entspannen und geben Kraft. Wenn man selbstständig ist bzw full time arbeitet, ist der zeremonielle Part nur manchmal leicht gestört-‐ um es vorsichtig auszudrücken. Außerdem mutiert man mehr und mehr zu dem Menschen, der alles fff (free from fakes) haben möchte und für Ungredients anstatt Ingredients plädiert. Ich laufe an Ihrem Stand vorbei, merke wie sich die rechte Hand hebt und zum „ Möchten Sie mal....“ ansetzt. Bevor Sie aussprechen kann, entgegne ich ihr jedoch, dass ich keine Zeit habe und jetzt schon die 3 Min Schlange an der Kasse einkalkulieren muss. Und dabei sieht dieser Vanillie-‐Joghurt verdammt lecker aus. Ich hätte ihn gerne probiert. Aber die Zeit.... Es war genau dieser Tag, an dem ich mich entschied, in die Selbstständigkeit zu gehen – ironischer Weise. Meine Bordeaux Dogge schaute mich mit großen Augen an, als ich zu Hause ankam, als ob sie merkte, dass ich dann vielleicht doch etwas mehr Zeit zu Hause verbringen würde. Zumindest in der Gründerphase. Lange habe ich Werbekampagnen konzipiert, Werbetexte geschrieben und mir überlegt, wie man die Schokolade wortwörtlich noch leckerer machen kann als zartschmelzend. Kreativ sein und tolle Sachen kreieren ist die eine Sache, verkaufen die andere. Werbung kann binden, oder einfach nur extrem nerven. Sobald wir das Gefühl bekommen geworben zu werden, schalten wir ab. Ein Schutzmechanismus, weil man uns ja etwas nimmt – Geld aus der Tasche, welches lebensnotwendig ist. Man nimmt uns aber auch unsere eigene Entscheidungskraft. Auf der anderen Seite muss ich geworben werde, weil ich ja sonst überhaupt keine Chance habe, von den neusten Sachen zu erfahren. Ein brenzliger Breitengrad, der zwischen beidem liegt und gekonnt balanciert werden muss. Gerade im Bereich Lebensmittel ist dies schwierig, denn wie wir alle wissen, geht Liebe durch den Magen. Was mir schmeckt, das kaufe ich. Eigentlich ein sehr dankbares Geschäft, da ich meine Kunden nur probieren lassen müsste, um sie zum Käufer werden zu lassen. So auch der Gedanke des Promotionstands, der sich alle Mühe gibt, die Kunden hier direkt zu überzeugen. Problem ist nur, dass ich nicht unbedingt sehen kann, wer mein Kunde ist und auch hier nicht weiß, ob der Kunde, dem ich es gerade in die Hand drücke einen schlechten Tag hat und es ihm deswegen allein schon schlecht schmeckt. Kommt ein etwas dickerer Mensch in den Laden, gehe ich davon aus, dass er mein Vanillie-‐Joghurt Opfer ist-‐ was mache ich aber wenn er Laktose-‐intolerant ist? Und was macht der arme Kunde, der danach fragend vor dem Kühlregal steht und nicht weiß, was ihm schmeckt und was er kaufen soll. Außerdem ist er ja sowieso ein wenig zu dick. Und Zeit hat er eigentlich auch nicht. Lange Rede – direkter Sinn: Er sollte sich meiner Idee widmen und sich von den Herstellern direkt überzeugen lassen – zu Hause, persönlich dann wann er will – jeden Monat neu – nie gleich. Wenn ihm etwas gefällt bzw mundet, kann er es nachbestellen. Seit Dezember 2015 kuriere ich individuell zusammengestellte gesunde Snackboxen, die man einmalig oder im Abo probieren kann. In jeder Box sind 7 Produkte von 7 Herstellern – alle unterschiedlich. Zusammengestellt nach Typ Mensch, Ernährungsform , Allergien und speziellen Wünschen. Die Box muss mir also schmecken und der Hersteller weiß das auch. Streuverluste sind sehr sehr gering. Schmackhaftes Direct Mailing auf hohem Niveau mit Erkenntnissen, die man vor einem Regal nicht einfach haben kann. Und ich werde positiv überrascht. Man hat zwar keine nette Promotionlady, die aus der Box hüpft, aber dafür Produkte, die keinen flotten Otto auf den Weg bringen. Warum schreibe ich alles dies? Ich möchte hiermit ein Statement setzen und eine Beobachtung aufs Papier bringen, die mich zu der Entscheidung gebracht hat, in den Lebensmitteldschungel zu gehen und der Agenturseite mit einem weinenden Auge den Rücken zu kehren. Aufräumen durch angenehmen Verbindungen, die geschafft werden-‐ und das dauerhaft. Ein „Tinder“ für Hersteller und seine Kunden zu schaffen, das Rentabilität verspricht. Und dort ankommt, wo es ankommen sollte – im Magen.
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