Rundschau Marokko N Plan Maroc Vert Ein grüner Plan für Marokkos Wüste Marokko wird sich als Partnerland der nächsten Grünen Woche Anfang Januar ausführlich auf dem Berliner Messegelände präsentieren. Bereits im Vorfeld konnten sich europäische Journalisten im Land mit einem ehrgeizigen Projekt vertraut machen: dem Plan Maroc Vert. engagement Ohne persönlichen Einsatz kein Erfolg. Hafida Lfalah, Präsidentin von 3ème Millennaire, sprüht vor Ideen. nen Einwohnern größte Stadt Marokkos ist ein Drehkreuz vor allem für die arabische Welt. Vom Tausendundeine-Nacht-Habit hat sich das urbane Marokko längst gelöst, sieht man einmal von den gut erhaltenen historischen Medinas der Königsstädte ab. Dennoch klafft die Lücke zwischen den modernen, quirligen Metropolen und den einsamen Wüsten- und Bergregionen noch weit. Der Fortschritt tut sich schwer in den dünnbesiedelten ländlichen Regionen. Das liegt vor allem am Klima: Marokkos Wohl und Wehe hängt, wie vor Tausenden Jahren schon, vom Wasser ab. Rund 85 % des im Land verfügbaren Süßwassers wird bereits heute im Agrarbereich genutzt, Tendenz weiter steigend. Dennoch werden bislang nur etwas 1,3 Millionen der insgesamt 8,7 Millionen Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche bewässert. Da, wo eine ausreichende Wasserzufuhr gesichert ist, trotzt der Mensch der Wüste Erstaunliches ab: Orangen- und Granatapfelhaine, Weinberge, Kartoffeläcker, Tomatenkulturen — es gibt wenig, was nicht wächst auf dem scheinbar kargen Boden, dem es statt an Nährstoffen aber meist nur an Feuchtigkeit fehlt. W Moderne Großstädte und einsame Wüsten wüstenwunder Dass Wüste nicht immer karg sein muss, beweisen die vielfältigen Agrarprodukte aus Marokko. Oliven- oder Arganöl, Granatäpfel, Weintrauben und Zitrusfrüchte sind längst über die Landesgrenzen hinaus ein Verkaufsschlager. Doch zum Wachsen brauchen die Kulturen genug Wasser. Der Grüne Plan Marokko unterstützt Landwirte unter anderem beim Bau von Bewässerungsanlagen. 102 agrarmanager Januar 2016 Wer sich heute durch das hektische Gewimmel des Flughafengebäudes in Casablanca kämpft, wird vergeblich nach einer einsamen Ecke suchen. Die mit rund 3,7 Millio- Hilfe für die ländliche Entwicklung Fotos: imago/Stock&people, leopold (10) as wissen Sie über Marokko? Dass der Wüstenstaat Afrikas nördöstlichste Ecke bildet, wahrscheinlich. Nirgends reicht der afrikanische Kontinent näher an Europa heran, nur 14 km trennen Marokko an der schmalsten Stelle der Meerenge von Gibraltar von der britischen Exklave an Spaniens Südzipfel. Ganz sicher haben Sie auch von den alten Königsstädten gehört, von Marrakesch, Fez und Rabat — Namen, die nach tausendundeiner Nacht klingen und nach arabischen Gewürzen duften. Und wenn Sie klassisches Kino mögen, wissen Sie natürlich, dass einst Humphrey Bogart in der marokkanischen Küstenstadt Casablanca seinen Blick tief in Ingrid Bergmans schmachtende blaue Augen versenkte und selbiges korrekt und zitierfähig kommentierte mit: „Here’s looking at you, kid.“ Ich seh’ Dir in die Augen Kleines — hach, wie romantisch ... Am Ende haben sie sich trotzdem nicht gekriegt. Die Bergman folgte ihrem von den Nazis verfolgten Gatten in die USA, Bogart blieb auf Casablancas vereinsamtem Flughafen zurück. Doch selbst die einfachste Bewässerungstechnik kostet Geld, und infolge ausgedehnter Trockenphasen in den vergangenen Jahrzehnten wird sogar in den Oasen inzwischen immer häufiger das Wasser knapp. Vor allem für Kleinbauern und ihre Subsistenzwirtschaft verständnis Dass auf seinem Weizenacker künftig Oliven wachsen, er von deren Ertrag aber mehr Getreide kaufen kann, als er früher selbst erzeugte, hat dieser Bauer inzwischen verinnerlicht. Er freut sich auf die Zukunft. begeisterung Ob es ihnen mit der Kooperative besser geht als früher, wollen die Pressegäste wissen. Die Gesichter der Frauen sprechen Bände. bedeutet das im wahrsten Sinne des Wortes den Kampf ums Überleben. Schwächen in der Agrarstruktur betreffen weite Teile der Bevölkerung: Knapp die Hälfte aller Berufstätigen arbeitet in der Landwirtschaft oder im Verarbeitungsgewerbe, mehr als 15 Millionen Marokkaner sind so direkt oder indirekt auf ein Einkommen aus der Landwirtschaft angewiesen. Dennoch erwirtschaftet dieser Bereich nur rund 19 % des Bruttoinlandproduktes (stärkster Wirtschaftszweig mit rund 50 % des BIP ist der Dienstleistungsbereich einschließlich dem Tourismussektor). Um die Bauern und ihre Familien zu unterstützen, die Ernährungssicherheit im Land zu verbessern, aber auch um die generelle Wirtschaftskraft des Landes zu steigern, rief die marokkanische Regierung im Jahr 2008 unter der Schirmherrschaft von König Mo- hammed VI. den Plan Maroc Vert, also Plan Grünes Marokko, ins Leben. Bis 2020 sollen rund 13 Millarden Euro in den Agrarbereich des nordafrikanischen Landes gesteckt werden, ein Teil aus staatlichen Quellen, ein anderer von privaten Investoren. Die Förderziele verteilen sich auf zwei Säulen: Die Mittel der ersten Säule sollen große inländische Unternehmen bei einer tieferen Wertschöpfung unterstützen und ihnen den Weg auf den internationalen Markt ebnen. Vor allem die Erfüllung europäischer Lebensmittelrichtlinien wird dabei gefördert, damit Marokko seine Nähe zum nördlichen Nachbarkontinent besser nutzen kann. Die zweite Säule soll die kleinbäuerliche Wirtschaft stärken, die Nahrungsmittelproduktion stabilisieren, die Flächenerosion verringern und die Landflucht stoppen. Betriebe und Bauernkooperativen erhalten Unterstützung für Bewässerungsprojekte (bis zu 100 % der anfallenden Kosten), für die Mechanisierung (bis zu 60 % der Kosten bei Vorrang für den überbetrieblichen Einsatz), den Ankauf von Zuchttieren, Saat- und Pflanzgut, aber auch für die Vermittlung von Know-how und die Erschließung von Vermarktungswegen. Bei der Umsetzung der ehrgeizigen Förderziele des Grünen Plans macht Marokko auch vor Zöllen und Steuern nicht halt. Zahlreiche Produktionsmittel für den Agrarbereich sind von Einfuhrzöllen und der Mehrwertsteuer befreit, und bis auf Weiteres zahlen Landwirtschaftsbetriebe keine Umsatzsteuer. Getreide: Weniger Fläche, mehr Ertrag Eins der konkreten Ziele des Grünen Plans setzt sich mit der Getreideproduktion des Landes auseinander. Subsistenzwirtschaft führt Januar 2016 agrarmanager 103 N Rundschau Marokko N Plan Maroc Vert im Allgemeinen dazu, dass jeder das anbaut, was er benötigt — unabhängig davon, ob die jeweiligen Flächen dafür geeignet sind. Dem will man in Marokko entgegensteuern. 2008, als das Projekt startete, wurde noch auf rund fünf Millionen Hektar Nutzfläche Getreide angebaut. Vor allem in den wasserfernen Regionen waren die Erträge teils desaströs. Im Rahmen von Maroc Vert wurden die ungeeigneten Flächen identifiziert und für passendere Kulturen vorgesehen. Inzwischen wachsen auf diesen rund eine Million Hektar zum Beispiel Olivenbäume oder weiden Ziegen. Die Wertschöpfung pro Flächeneinheit ist teilweise um das Vier- bis Fünffache angestiegen. Damit die Getreideversorgung des Landes dennoch gesichert bleibt, wird auf Vorzugsstandorten in Technik, Bewässerung, Düngung und Pflanzenschutz investiert. Aus einer Tonne Getreideertrag je Hektar im Landesdurchschnitt wurden so beinahe vier Tonnen. Doch solche strategischen Veränderungen greifen nur, wenn man die betroffenen Menschen mitnimmt. Der Bauer, auf dessen angestammtem Weizenfeld künftig Oliven wachsen sollen, muss sicher sein, die Ölfrüchte so gut vermarkten zu können, dass er mit einem Teil des Einkommens wiederum das notwendige Getreide für seine Familie kaufen kann. Dabei helfen Verarbeitungs- und Vermarktungskooperativen, die zu den bevorzugten Förderzielen des Grünen Plans gehören. Menschliche Initiative zählt Wie viel bei der Umsetzung der ehrgeizigen Pläne aber zugleich von der Initiative und den Ideen der Menschen vor Ort abhängt, be- weist die Frauenkooperative 3ème Millennaire in der Nähe von Marrakesch. Hier produzieren 30 Frauen gemeinsam Couscous, eins der Hauptnahrungsmittel in der arabischen Welt. Feiner Getreidegries wird dafür — meist in Handarbeit — zu winzigen Kügelchen gerollt und später über Wasserdampf gegart. Viele der 30 Frauen sind die Alleinverdiener ihrer Familien, aus sozial schwachen Verhältnissen kommen nahezu alle. Über Maroc Vert wurden Saatgut, Produktions- und Verpackungstechnik sowie Weiterbildung und Beratung finanziert. Doch das allein macht das Projekt noch nicht aus. Wer nämlich glaubt, Couscous sei einfach nur gekörntes Hirsemehl, der irrt gewaltig. Stolz präsentiert die Präsidentin der Kooperative, Hafida Lfalah, die Erzeugnispalette von 3ème Millennaire: Sage und schreibe 32 verschiedene Arten von Couscous bieten die Frauen an: aus Hirse oder Weizen, aus Linsen oder Kichererbsen, aus Mais oder Reis, gewürzt mit scharfem Harissa oder mit Kaktusfeigenmehl, sogar glutenfreies Couscous gibt es. Der Fantasie sind kaum Grenzen gesetzt. „Wir probieren einfach aus, was uns einfällt. Und was schmeckt, wird produziert“, sagt Hafida Lfalah. Ihre Kolleginnen strahlen derweil in die Kameras der europäischen Journalisten. Ob es ihnen tatsächlich besser geht als früher, vor den Zeiten der Kooperative, will einer wissen. Die angesprochene Frau bekommt erst große Augen und lacht dann los, zu naheliegend erscheint ihr die Antwort auf die Frage: „Ich verdiene heute 150 bis 200 Dirham am Tag. Früher hatte ich nicht einmal einen Bruchteil davon.“ 150 bis 200 Dirham, das sind rund 15 bis 20 Euro. In einem Land mit einem durchschnittlichen Monatseinkommen von knapp 200 Euro ist das ein stolzer Betrag, auch wenn er nur für die Produktionsmonate gilt. In der Feldarbeitssaison steht die Couscous-Herstellung still. Hafida Lfalah macht zum Abschied Werbung in eigener Sache. In ein paar Wochen wird sie ihre Couscous-Variationen persönlich auf der Grünen Woche anbieten. Zwar exportiert die Kooperative ihre Produkte bislang nicht, aber der Messeverkauf bildet eine Ausnahme. Die charismatische Frau reist dabei nicht zum ersten Mal nach Berlin, trotzdem ist diesmal alles anders: Marokko hat nicht — wie in den vergangenen Jahren — nur ein paar Stände auf der Messe. Als erstes außereuropäisches Partnerland gestaltet das Königreich einen ganzen Pavillon. Viel Platz für kreative Geister. 14.000 Bauern profitieren Kooperationen werden durch den Grünen Plan besonders gefördert. Die Gemeinschaft soll dabei den Einzelnen stärken und absichern. Viele der geförderten Zusammenschlüsse sind ähnlich klein wie 3ème Millennaire, doch die Unterstützung ist nicht auf diese Strukturen beschränkt. In der Hafenstadt Agadir befindet sich die Zentrale der COPAG, der Coopérative Agricole. Sie besteht aus 108 großen Einzelbetrieben und 72 kleineren Kooperativen. Damit vereint sie insgesamt 14.000 Bauern unter ihrem Dach, das macht sie zu Marokkos größter Kooperation. Die 1987 gegrün- dete COPAG verarbeitet und vermarktet Milch, Fleisch, Gemüse und Zitrusfrüchte, besonders letztere auch für den Export. Vor allem für die Kleinbauern bietet sie durch die Bündelung der Einkaufsmengen die Möglichkeit, Produktionsmittel günstig zu erwerben — ein Vorteil, den sonst nur Großabnehmer genießen. Die beiden Genossenschaftsmolkereien der COPAG sind mit einer Jahresproduktion von gut 200.000 Tonnen Milcherzeugnissen der zweitgrößte Player am marokkanischen Markt. Nur Danone hat einen noch höheren Produktionsausstoß. Die COPAG unterstützt ihre Mitglieder aber nicht nur beim Futter- und Düngereinkauf oder der Milch-, Schlachtvieh- und Früchtevermarktung. Sie vermittelt auch technische Beratung, bildet die Bauern weiter, zieht für sie zentral Zuchtfärsen auf, führt Impfkampagnen durch. Und die Maroc Vert-Förde- aufzucht Die COPAG mästet für ihre Mitglieder nicht nur Jungbullen, sondern zieht auch Zuchtfärsen groß. Das neue Feedlot in Agadir fasst 11.000 Tiere. Bislang ist es erst zur Hälfte belegt. milchverarbeitung Insgesamt 5.800 Angestellte beschäftigt die COPAG, einen Großteil davon in der Milchverarbeitung. In Agadir steht die größere der beiden Molkereien. rung finanziert diese Aktivitäten zu einem erheblichen Teil. Produktion fast verdoppelt Sieben Jahre nach Start des Förderprogramms kann der Plan Maroc Vert auf durchaus solide Erfolge verweisen. Mohammed El Guerrouj, Generaldirektor im marokkanischen Amt für landwirtschaftliche Entwicklung, beziffert den Produktionszuwachs an Agrarprodukten auf 45 %. Als Beispiel nennt er die Zitrusfrüchte, deren Gesamtjahresproduktion von 1,3 Millionen Tonnen (2008) auf 2,4 Millionen Tonnen (2014) gestiegen ist. Vor allem die staatliche Unterstützung bei der Instal- lation von Tröpfchenberegnungsanlagen hat diesen Zuwachs bewirkt. Eine große Menge der Zusatzerträge geht dabei auf den internationalen Markt. Der Export weist folgerichtig im selben Zeitraum ein Plus von 20 % auf. Vor allem zahlreiche neue Märkte seien dabei erschlossen worden, sagt El Guerrouj. Aber auch außerhalb der bäuerlichen Gemeinschaft hat die Bevölkerung Marokkos profitiert. Die Eigenversorgung mit Lebensmitteln sei in den vergangenen sieben Jahren ungefähr auf das Doppelte gestiegen, erklärt Mohammed El Guerrouj. Damit dient der Grüne Plan nicht nur der Entwicklung des Agrarsektors, sondern ganz unmittelbar allen Bewohnern des Landes. Sabine Leopold, Redaktion agrarmanager Straße von Gibraltar Marokko: Ein ehrgeiziger Plan Das Königreich Marokko ist der westlichste der nordafrikanischen Maghreb-Staaten. Es verfügt über eine Gesamtfläche von 446.550 km² und hat rund 33 Millionen Einwohner. Ackerbaulich intensiv nutzbar sind fast ausschließlich nur bewässerte Flächen. Ansonsten bleiben die Erträge durch den Wassermangel gering, in dürren Jahren drohen Komplettausfälle. Im Jahr 2008 startete der Plan Maroc Vert, der die Entwicklung der marokkanischen Landwirtschaft mit massiven Geldmitteln fördert. Mehr dazu lesen Sie in einer vom Bundeslandwirtschaftsministerium geförderten Studie: tinyurl.com/Marokko-Studie RABAT Marrakesch Agadir M a r o k ko Las Palmas de Cran Canaria Alge r ie n Januar 2016 agrarmanager 105
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