Bildungsblog vom 15. Juli 2015 Ein bisschen toleranter aufeinander zugehen… "Wenn Prättigauer und Romanen, Katholiken und Reformierte, Idiom-Liebhaber und Rumantsch-Grischun-Befürworter ein bisschen toleranter aufeinander zugehen, lässt es sich sogar bei uns noch besser leben." Dieses Zitat stammt von meinem MitBlogger Martin Mathiuet, der kürzlich in diesem SO-Bildungsblog einen Beitrag unter dem Titel: "Bin ich im falschen Film?" veröffentlicht hat. Inzwischen sind in ganz Graubünden die Sommerferien eingezogen. Mitte Juli liegt die Toleranzgrenze auf allen Ebenen mit Sicherheit höher als in den nun der Vergangenheit angehörenden Stresstagen kurz vor Ende Schuljahr. Aber: Du bist sicher nicht im falschen Film, lieber Namensvetter Martin, wenn es dir mehr als nur zu denken gibt, dass der Vater eines Schulkindes bei der Klassenlehrperson vorstellig geworden sei und sich darüber beschwert habe, zwei albanische Viertklässler hätten im Schulalltag miteinander auch Albanisch gesprochen. Beim Lesen jenes Blogs von Martin Mathiuet kam mir spontan eine Situation in den Sinn, die ich als junger Klassenlehrer im Churer Barblanschulhaus vor bald 40 Jahren erlebt hatte: Als ich 1976 im untersten Rheinquartier meine Tätigkeit als Primarlehrer begann, zählte meine Schulklasse nicht nur deutlich über 30 Schülerinnen und Schüler. Nein, ich unterrichtete schon damals Kinder aus acht verschiedenen Nationalitäten. Aber auch die Einheimischen – die Bündnerkinder – waren nicht nur deutschsprachig. In der Churer Neustadt gab es zu jener Zeit wohl noch mehr als heute viele Kinder aus romanisch- oder italienischsprechenden Bündner Familien. Die Sprache in der Schule, auf dem Pausenplatz, in der Freizeit war für alle Kinder aber ausschliesslich Deutsch. So schämten sich zum Beispiel auch die rätoromanischen Kinder, hätte ihre Mutter mit ihnen ausserhalb der Wohnungstüre Romanisch gesprochen. Ende 70-er-Jahre knüpfte ich mit dem Lehrer einer Primarschulklasse in der Stadt Basel eine Klassenpartnerschaft. Unsere Kinder schrieben sich während einiger Monate gegenseitig Briefe, bevor wir je einen zweitägigen Besuch in Basel resp. in Chur organisierten, wo die Kinder wenn möglich bei ihren Brieffreundinnen und -freunden übernachten konnten. In meiner damaligen Klasse befanden sich mehrere Kinder italienischer Gastarbeiter. Sie hätten untereinander nie Italienisch gesprochen. Als wir dann aber nach Basel fuhren, war es für mich als Klassenlehrer wie für meine italienischsprachigen Schüler ein echtes Schlüsselerlebnis, mit welcher Selbstver- ständlichkeit damals in Basel die italienischsprachigen Kinder untereinander in ihrer Muttersprache kommunizierten. Anschliessend – allerdings war das Schuljahr schon beinahe zu Ende – fassten auch meine Churer "Italiener" den Mut, mindestens bilateral untereinander ihre schöne Sprache zu verwenden. Mehrsprachigkeit ist in unserer Schule seither viel selbstverständlicher geworden. Mehrsprachigkeit ist eine Chance. Die Kenntnis einer zweiten (einer dritten) Sprache hilft auch mit, in der eigenen Sprache noch sicherer zu werden, deren Regeln noch besser zu verstehen. Wichtig im Umgang mit den verschiedenen Sprachen ist allerdings genau jene Toleranz, von der auch Martin Mathiuet geschrieben hat. Es ist wichtig, dass schon die Kinder lernen, wann und wo es angebracht ist, welche Sprache zu gebrauchen. Sprachverbote, wie sie sich jener Vater offensichtlich als ideal vorstellt, sind aber in jedem Fall falsch, widersprechen dem Grundsatz der Toleranz total. Ich wünsche mir, dass sich die Toleranz der warmen Sommertage auch im kommenden Schuljahr 2015/16 in ganz Graubünden erhalten wird.
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