Menschheit 2.0. Resumeé eines Vortrages von Wilfried Rumpf, gehalten auf der Wissenschaftlichen Frühjahrstagung der Res Publica Politica zum Thema „Macht: böse, dumm, kreativ?“ in Alf/Mosel am 2.5.2015 Dieser Vortrag befasst sich mit der möglichen Weiterentwicklung des Menschen durch eine technische Evolution, wie sie Ray Kurzweil in seinem Buch MENSCHHEIT 2.0. ( Lola Books GbR, Berlin 2014, 2. Auflage) beschreibt, und versucht zu ergründen, ob sich dadurch eine Änderung in Machtgefügen ergibt. In seinem Buch schreibt Kurzweil: „Die erste Hälfte des einundzwanzigsten Jahrhunderts wird von drei ineinandergreifenden Revolutionen gekennzeichnet sein: Genetik, Nanotechnik und Robotik.“ (S.,205) Ausgehend von der biologischen Evolution postuliert er eine technische Evolution, und zwar mit einer kontinuierlichen, exponentiellen Beschleunigung des technischen Fortschritts. Kurzweil betrachtet den neuesten Forschungsstand und die neuesten Ergebnisse auf diesen Gebieten und rechnet sie hoch. Die biotechnisch-genetische Revolution Kurzweil sieht in der Genetik eine Schnittmenge aus Biologie und Informatik. Ausgehend von der Entschlüsselung des menschlichen Genoms werden wir in den nächsten Jahrzehnten in der Lage sein, u.a. unsere Biologie zu reprogrammieren, die Gentherapie zu beherrschen, neue Gene dem Erbgut hinzuzufügen, körpereigene Zellen und sogar Gewebe und ganze Organe zu züchten, Designer-Babys zu erschaffen, Krankheiten auszurotten, besondere Prothesen zu bauen, also ganz allgemein die Lebenserwartung zu steigern. Wenn die entsprechende Technik ausgereift ist, sieht er auch im Klonen von Menschen kein ethisches Problem. Angesichts der anderen biotechnischen Möglichkeiten erkennt er jedoch darin keine nennenswerte Bedeutung. Das Klonen von Fleisch und anderen Proteinquellen wäre aber eine bedeutende Möglichkeit, das Ernährungsproblem der Menschheit zu lösen. Die nanotechnische Revolution In der Nanotechnik sieht Kurzweil eine Schnittmenge aus Information und physikalischer Welt. Mit Hilfe von molekularen Assemblern werden wir in der Lage sein, beliebige Produkte zu erzeugen, und nicht nur einige Gegenstände, wie das heute schon möglich ist. Diese Assembler werden bis 2020 produktionsreif sein. Dann werden Nanobots (ständig unter Kontrolle und miteinander und mit dem Internet verbunden) u.a. in der Blutbahn Krankheits- -2erreger eliminieren, DNA-Fehler korrigieren, Ablagerungen entfernen, Hormone verteilen, durch Reprogrammierung des Stoffwechsels die Verdauung kontrollieren und ganz allgemein Körper, Gehirn und Umwelt umgestalten. Besonders die Herstellung von Solarzellen auf diesem Weg hebt Kurzweil hervor. Die Roboter-Revolution Kurzweil sieht den Fortschritt in der Informationstechnologie exponentiell. Bis 2020 ist die Simulation menschlicher Intelligenz möglich und die künstliche Intelligenz erreicht menschliches Niveau. In den 2030er Jahren wird der nichtbiologische Teil unserer Intelligenz dominieren. Die KI verdoppelt sich jedes Jahr, die biologische Intelligenz steht im Wesentlichen still. Wir werden direkt verschmelzen mit den Produkten unserer Technologie. Computer werden eingearbeitet in unsere Kleidung, Möbel, Umwelt. Nanobots wirken in Körper und Gehirn, direkte Hirn-Hirn-Kommunikation über das Internet wird möglich. Künftigen KIs wird das gesammelte Wissen der menschlichen Zivilisation zur Verfügung stehen. „Der menschliche Körper 2.0 ist die Fortsetzung einer lang anhaltenden Entwicklung hin zu einer immer stärkeren Verbindung von Mensch und Technik.“ (Kurzweil, S.313) „Den Zeitraum, in dem technologische Veränderungen so rasch ablaufen und ihre Wirkungen so tief greifen, dass sie das menschliche Leben unwiderruflich verändern.“ nennt Kurzweil die Singularität. Endpunkt der Entwicklung: der Mensch 3.0: Der Mensch wird zum Cyborg (kybernetischen Organismus), die allermeisten Organe sind ersetzt, das Skelett wird durch Nanobots gestaltet, man kann seinen Körper wechseln, das Gehirn ist überwiegend nichtbiologisch, das Denken wird auf nichtbiologische Substrate verlagert. Der menschliche Körper wird vermutlich noch menschlich nach heutigen Maßstäben aussehen. Kritische Anmerkungen: Kurzweils Analyse ist mono-faktoriell, er extrapoliert einen Entwicklungsstrang, ohne ihn in die globale Realität einzubetten, und geht nicht ausreichend ein auf Faktoren, die eine solche Entwicklung beeinflussen, wie z.B. kritische Bewegungen, staatliches Handeln, Religionen, die Rolle der Produzenten der neuen Technologien (nur wenige hundert Menschen steuern den Wandel), die Rolle entsprechender Wirtschaftsunternehmen, Kosten, Versicherungsprobleme, -3Auseinandersetzungen zwischen Menschen 1.0 und Menschen 2.0. Zu solchen käme es mit großer Sicherheit, da nicht alle Menschen auf einmal in die Klasse 2.0 aufsteigen würden. Es könnte zu der Gefahr einer biologisch-informationellen Klassengesellschaft, „Cyberkratie“. (Eine ähnliche negative Vision ist die einer „Genetokratie“.) Überhaupt beschränkt sich Kurzweil auf die rationale, kognitive Seite des Menschen, die emotionale, affektive bleibt außen vor. „Menschheit 2.0“ ist eine moderne, von der Technologie geprägte Variante der vielen Tranzendenz-Vorstellungen der Menschen. Ray Kurzweil zu seinem Menschenbild: „Einige Kommentatoren haben mich gefragt, ob wir nach solchen dramatischen Eingriffen immer noch als Menschen gelten könnten. Sie definieren das Konzept des Menschen offenbar so, dass es seiner Begrenztheit bedarf. Ich hingegen definiere uns als eine Spezies, die mit Erfolg danach sucht, ihre Grenzen zu überschreiten. Weil unsere Fähigkeit, unseren Horizont zu erweitern, exponentiell statt nur linear wächst, können wir bereits jetzt erahnen, dass ein Jahrhundert voller dramatischer Veränderungen vor uns liegt.“ (R.Kurzweil, „Der Mensch, Version 2.0“ in: Spektrum der Wissenschaft Spezial 3/14, S.11)
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