© 2006 Carl Hanser Verlag, München BLECHPRAXIS Plug and play: Diese Kompakt-RoboterSchweißzelle hat nach innen drehbare Seitenwände. Sie lässt sich einfach per Lkw transportieren und mittels Ladekran oder Gabelstapler an andere Standorte versetzen AUTOMOBIL-ZULIEFERUNG Roboter steigern die Effizienz Die Automation industrieller Fertigungsprozesse ist weltweit in vollem Gange – auch in den so genannten Billiglohnländern. Die Folge ist ein zunehmender Wettbewerbsdruck auf die ›alten‹ Industrieländer. Um so wichtiger ist es, dass die dortigen Unternehmen permanente Innovation, das Optimieren von Time to Market und eine auf den Kundennutzen fixierte Strategie umsetzen. Praxisbeispiele belegen die Möglichkeiten der Effizienzsteigerung mit Robotern beim Bearbeiten von Blech. www.blechinform.com Nicht zur Verwendung in Intranet- und Internet-Angeboten sowie elektronischen Verteilern. Robotik INDUSTRIEROBOTER übernehmen längst mehr als nur einfache Handhabungsaufgaben oder monotone und gesundheitsgefährdende Arbeiten. Sie dringen immer mehr in Bereiche vor, die bisher aufgrund ihrer Komplexität dem Menschen oder besonders aufwändig konstruierten Sondermaschinen vorbehalten waren. Neben Flexibilität und Schnelligkeit zeichnen sie sich vor allen Dingen durch ihre hohe Verfügbarkeit, Präzision und Wiederholgenauigkeit aus. Dank intelligenter Sensoren, aufgaBLECH InForm 6/2006 benspezifischer Greifersysteme sowie benutzerfreundlicher Programmierwerkzeuge lassen sie sich flexibel einsetzen und bei Bedarf mit wenig Aufwand für andere Arbeiten umkonfigurieren. So sparen sie Kosten ein und erhöhen die Effizienz und die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen. Ein Beispiel für schnelle Reaktionen auf Markt- und Kundenanforderungen ist die Inbetriebnahme einer neuen Roboterschweißzelle beim Automobilzulieferer Paul Craemer in Herzebrock-Clarholz (www.craemer.de). Für die Produktion von 200 000 zusätzlichen Sitzschalen pro Jahr musste der Automobilzulieferer neue Wege gehen und eine kurzfristige produktionstechnische Lösung finden. Er suchte hierfür eine geeignete Roboterschweißzelle. Nach ausgiebigen Vergleichen unterschiedlicher Anbieter fiel die Wahl auf eine Kompaktzelle von ABB Robotics in Friedberg (www.abb.de/robotics), eine ›FlexArc R/C‹. Von der Auftragvergabe bis zur Inbetriebnahme vergingen dann weniger als drei Monate. »ABB konnte 63 © 2006 Carl Hanser Verlag, München www.blechinform.com Nicht zur Verwendung in Intranet- und Internet-Angeboten sowie elektronischen Verteilern. BLECHPRAXIS Robotik Hersteller ABB Automation GmbH Unternehmensbereich Robotics 61169 Friedberg Tel. 0 60 31/85 103 Fax 0 60 31/85 38 0 www.abb.de/robotics als einziger Anbieter bereits in der Angebotsphase die genaue Taktdauer für den kompletten Schweißvorgang benennen. Mit der Kompaktschweißzelle erhielten wir eine schlüsselfertige Lösung aus einer Hand. Wir haben die Zelle nur noch hingestellt und angeschlossen«, berichtet Jörg Flüter, Leiter Fertigung Metall bei Craemer. Die Roboter-Schweißzelle basiert auf einer standardisierten, modularen Zur gleichen Zeit: Während der Bediener die nach dem 2-Stationen-Prinzip arbeitenden Fügezelle auf der einen Seite bestückt, führt der Roboter auf der anderen Seite die Schweißarbeiten aus Plattform und ist speziell für das Schweißen sowie das Bearbeiten kleiner bis mittelgroßer Bauteile konzipiert. Aufgrund ihrer kompakten Bauweise lässt sie sich schnell und einfach in bestehende Produktionsumgebungen integrieren oder an andere Produktionsstandorte versetzen. Roboterzelle lässt sich leicht in die Fertigung integrieren Ein besonderer Vorteil der Roboterzelle: Zum Transport auf Sattelzügen oder innerhalb von Werkhallen kann man ihre Breite aufgrund der gewölbten, nach innen drehbaren Backen von 3,4 auf 2,5 m reduzieren. Zudem ist sie laut Hersteller wartungsarm und damit hoch verfügbar und produktiv. 64 Zentrales Element der Fügezelle ist ein Industrieroboter ›IRB 1400‹ mit einem dreiachsigen Werkstückpositionierer ›IRBP 250 R‹. Die Zelle ist nach dem 2-Stationen-Prinzip aufgebaut. Der Bediener bestückt die Aufnahmevorrichtung im vorderen Teil (1. Station) der Kabine mit einer Sitzschale inklusive der erforderlichen Führungselemente. Parallel hierzu schweißt der Roboter auf der anderen Seite in der zweiten Station das im Positionierer fixierte Werkstück. Für die in fünf Varianten gefertigten Sitzschalen benötigt das System nur einen Vorrichtungstyp. Das reduziert den Investitionsaufwand, verringert Umrüstarbeiten und erhöht die Produktivität. Die Aufnahmevorrichtung spannt die Teile pneumatisch. Programmgesteuerte Sensoren überprü- Komplettbearbeitung: Die Schweißzelle benötigt nur eine Einspannung für fünf verschiedene Sitzvarianten fen, ob der Bediener die Bauteile für die jeweilige Sitzschalenvariante korrekt eingelegt hat. Zum Lieferumfang der Zelle gehören außerdem der Steuerschrank, die Bedienelemente sowie ein Schnelllauf-Rolltor. Die Schweißzelle lässt sich bei Bedarf auch mit zwei Industrierobotern vom Typ ›IRB 1400‹ oder ›IRB 2400‹ bestücken. Außerdem kann der Anwender je nach seiner speziellen Aufgabenstellung einen von elf Werkstückpositionierern mit unterschiedlichen Werten für die Spitzenweite und den Drehdurchmesser wählen. Als Schweißanlage installierte ABB in die FlexArc R/C für Craemer eine ›TransPulsSynergic 4000‹ von Fronius (www.fronius.com). Dazu kommen ein Drahtabschneider, ein Brennerreinigungsgerät und eine Kalibriereinheit zum automatischen Vermessen der Werkzeugarbeitspunkte. Produktiv und flexibel: robotergestützte Pressenlinien Im sächsischen Treuen arbeitet das deutsche Produktionswerk des italienischen Automobilzulieferers Magnetto. »Wir fertigen zur Zeit auf unseren beiden vollautomatischen, robotergestützten Pressenlinien Außenhautteile, Innenbleche und weitere Einzelteile für Front- und Heckklappen des neuen 1er BMW sowie Strukturteile für Peugeot und Renault«, erklärt Dieter Pfortner, Geschäftsführer von Magnetto Automotive Deutschland. »Der Prozess beginnt mit dem Zuschneiden der Platinen vom Coil – egal ob Von Station zu Station: Industrieroboter optimieren den Workflow in Pressenlinien und ermöglichen so eine Just-intime-Produktion Rechteck-, Trapez- oder Formplatine. Diese Dienstleistung bieten wir auch externen Firmen an«. Die Platinen gelangen anschließend ins Platinenlager und von dort später zu den Pressenlinien. Auf modernen Umformanlagen mit automatisierter Handling- und Steuerungstechnik entstehen hier komplexe Blechformteile für Strukturund Außenhautteile von Personenkraftwagen. Die produzierten Pressteile kommen anschließend in den hauseigenen Rohbau oder über den Versandweg zu externen Kunden. Die erste Pressenlinie besteht aus einer doppelt wirkenden Kopfpresse mit 16 000 kN Presskraft sowie fünf nachgeschalteten, einfach wirkenden Pressen mit 8000 kN Presskraft. In © Carl Hanser Verlag, München BLECH InForm 6/2006 der zweiten Pressenlinie arbeiten eine einfach wirkende Kopfpresse mit 14 000 kN sowie vier Folgepressen mit 6300 kN. ABB lieferte neben der kompletten Automatisierungstechnik noch 16 Industrieroboter und als übergeordnete Liniensteuerung die Leitstandssoftware ›StampMaster‹. Die Industrieroboter ›IRB 6400R‹ haben eine Reichweite von 3 m und können eine Traglast von 125 kg handhaben. Sie bewältigen damit problemlos den Transport der in der Produktion anfallenden Pressteile von wenigen Kilogramm bis zu ungefähr 30 kg. »Die Pressenlinien sind aufgrund der Roboterautomation sehr flexibel und lassen sich rasch umrüsten. Der Kunde deckt mit ihnen ein sehr breites Teilespektrum ab. Auf einer Linie laufen bereits über 50 verschiedene Teile«, erklärt ABB-Automationsexperte Wolfgang Schweitzer. Robotik bietet gute Lösungen für die Blechbearbeitung Die Roboter nehmen zu Beginn des Umformprozesses die Platinen mit Sauggreifern auf und führen sie den Pressen zu. Die Karosserieteile lassen sich in vier, fünf oder sechs Stufen herstellen. Erfordert ein Teil nur vier Bearbeitungsstufen, reichen die Roboter das Teil einfach durch und überbrücken so jeweils eine der Pressen. Die Leitstandsoftware dient als Schaltzentrale zum Überwachen und Steuern der beiden Linien. Ihre auf BLECHPRAXIS den Bedarf der Anwender zugeschnittenen Visualisierungsfunktionen sorgen für eine gute Prozessübersicht und Entscheidungssicherheit bei Störungen und erleichtern Produktionsumstellungen. Sämtliche Daten über den Zustand der Anlagen lassen sich vom Leitstand in der Fertigung sowie über das Intranet oder das Internet abfragen. Auf diese Weise kann der Bediener alle Abläufe auf Systemund Geräteebene fernsteuern und im Bedarfsfall korrigieren oder optimieren. Mehr als nur Zukunftsmusik ist eine neue Entwicklung des Fraunhofer Instituts für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA) in Stuttgart (www.ipa.fraunhofer.de). Das Inkrementell: Beim neuen Verfahren des Fraunhofer-Instituts IPA in Stuttgart führt ein Roboter das Institut ist bekannt für seine Forschungs- und Entwicklungsarbeiten Umformwerkzeug über das eingespannte Blech – der Prozess arbeitet ohne Gegenwerkzeug im Bereich der industriellen Produktion. Die Stuttgarter Wissenschaftler haben vor etwa drei JahUmformung dreidimensionaler Blechren einen robotergestützten Prozess formteile in Betrieb. »Für einen ABBfür das hämmernde, inkrementelle Roboter sprachen aus unserer Sicht Umformen von Blechen entwickelt. gewichtige Argumente«, betont Das patentierte Verfahren arbeitet ohAchim Breckweg, der zuständige Prone Gegenform und ermöglicht eine jektleiter am Fraunhofer IPA, und kosten- sowie zeitsparende Produktion von Einzelstücken bis hin zu Klein- fährt fort: »Die Roboter sind sehr roserien. Anfang 2005 nahm das Institut bust, der Befehlssatz deckt unsere Anforderungen ab und die Steuerung mit Unterstützung von ABB Robotics überzeugt durch ihre hohe Bahngeeine neue Industrieroboterzelle mit einauigkeit sowie Bahntreue.« Bei dem nem ›IRB 7600‹ zur hämmernden © 2006 Carl Hanser Verlag, München www.blechinform.com Nicht zur Verwendung in Intranet- und Internet-Angeboten sowie elektronischen Verteilern. Robotik BLECH InForm 6/2006 65 Robotik Verfahren führt der Roboter ein Umformwerkzeug über das in einen Rahmen eingespannte Blech. Als Hammer dient ein Werkzeugstempel mit kugelförmigem Kopf. Ein mechanischer Exzenterantrieb im Umformwerkzeug sorgt für eine oszillierende Bewegung des Werkzeugstempels und liefert die für das Verformen notwendige Energie. Die ›Hammerschläge‹ erfolgen entlang berechneter Bahnen von außen nach innen und geben dem Blech allmählich die gewünschte Geometrie. Das matrizenfreie Verfahren ermöglicht es, Blechformteile direkt aus den CADDaten des Rechners zu erstellen. Gegenüber traditionellen Methoden gibt es signifikante Vorteile. So wird die Energie zielgerichtet und punktgenau in das Werkstück eingebracht. Dabei nutzt der Prozess die Massen- Anwender Paul Craemer GmbH 33442 Herzebrock-Clarholz Tel. 0 52 45/43-0 Fax 0 52 45/43-170 www.craemer.de Magnetto Automotive Deutschland GmbH 08233 Treuen Tel. 03 74 68/6 80-0 Fax 03 74 68/6 80-1 22 www.magnetto.de Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA) 70569 Stuttgart Tel. 07 11/9 70-00 Fax 07 11/9 70-13 99 www.ipa.fraunhofer.de Nahaufnahme: Zentraler Baustein des matrizenfreien Umformens von Feinblechen ist ein robotergeführtes Werkzeug mit einem über Exzenter angetriebenen Stempel trägheit des eingespannten Blechteils. Die Schlagenergie des kurzen Impulses wirkt nur auf den unmittelbaren Kontaktbereich des Stempels, nicht aber auf dessen nähere Umgebung. Deshalb treten wesentlich weniger Reaktionskräfte auf als bei Verfahren, bei denen die Umformstempel das Blech gegen eine Form drücken. So gelang es aufgrund der geringen Reibkräfte, Lochbleche rissfrei umzuformen. Dank der sechs Freiheitsgrade des Industrieroboters realisierten die Entwickler bereits Probewerkstücke mit senkrechten Wänden und Hinterschnitten. Lochbleche mit dem Roboter schonend umformen Wie die bisherigen Arbeiten zeigen, lässt sich auch eine höhere Geometriegenauigkeit gegenüber dem drückenden Umformen erreichen. Bei letzterem neigen ebene Flächen zum Ausbeulen und zu einem stärkeren Verzug der gedrückten Teile. Außerdem bilden sich Konturen sowie Kanten beim Drücken unschärfer ab. Hier bietet das IPA-Verfahren ebenfalls eindeutige Vorzüge. Auch aus wirtschaftlicher Sicht gibt es zahlreiche Vorteile, denn die multifunktionalen Industrieroboter sind deutlich kostengünstiger als verfahrensfixierte Werkzeugmaschinen. Aus diesen Gründen ist das robo- tergestützte inkrementelle Umformen für zahlreiche industrielle Anwendungsfälle geeignet. Die Wissenschaftler des Fraunhofer IPA stehen mit Firmen aus der Automobil- und Automobilzulieferindustrie in Kontakt, um das Verfahren zur Industriereife weiterzuentwickeln. Hersteller von Design-Prototypen für Küchengeräte, ferner Maschinen- und Anlagenbauer sowie Produzenten von Funktionsbauteilen für die Luft- und Raumfahrtindustrie zählen ebenfalls zu den potenziellen Anwendern. Darüber hinaus soll das neue Fertigungsverfahren mehr Flexibilität beim Stanzen und Nibbeln ermöglichen. In Kombination mit dem Tiefziehen lassen sich mit ihm auch Serienproduktionen im Sinne einer Mass-Customization individualisieren. ■ GERD TROMMER Fachjournalist, Gernsheim [email protected] © 2006 Carl Hanser Verlag, München www.blechinform.com Nicht zur Verwendung in Intranet- und Internet-Angeboten sowie elektronischen Verteilern. BLECHPRAXIS 66 © Carl Hanser Verlag, München BLECH InForm 6/2006
© Copyright 2025 ExpyDoc