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Kritische Analysen und Kommentare zu Wirtschaft und Politik
Die Staatsschuldenkrise – eine Fata Morgana
Paul Steinhardt · Montag den 13. Juli 2015
Die deutsche Bundesregierung hat die „enorme Verschuldung“ der öffentlichen
Haushalte als das primäre Problem einer zukunftsfähigen Wirtschaft ausgemacht und
propagiert daher als vorrangiges fiskalpolitisches Ziel die sogenannte Schwarze Null.
Aus dieser Sicht ist es erstrebenswert, dass der Staat Defizite und eine daraus
resultierende steigende Verschuldung öffentlicher Haushalte vermeidet.
Die Sicht des Bundesfinanzministeriums, die auch in der Wissenschaft von vielen
geteilt wird, besteht […] darin, dass solide Staatsfinanzen das Vertrauen der privaten
Wirtschaft stärken und so Investitionen und Wachstum fördern.( hier)
Um das Vertrauen der Wirtschaft zu gewinnen und damit eine wirtschaftliche
Wachstumsdynamik nachhaltig in Gang zu setzten, ist es nach Ansicht von Wolfgang
Schäuble sogar notwendig, die Staatsschuldenquoten in nahezu allen Ländern der EU
drastisch zu reduzieren.
Aber auch viele Kritiker der in Europa verfolgten Austeritätspolitik erkennen an, dass
die Verschuldung von Staaten natürliche Grenzen hat. So lesen wir in einem Papier,
dessen Ko-Autor der ehemalige Chefvolkswirt der Syriza und bekennende Marxist
John Milios ist, dafür die folgende Erklärung:
„In a typical case of an economy with high but sustainable sovereign debt, economic
policy should at least preclude (in the medium term) its further increase […].
Practically, a basic condition of debt sustainabilty […] requires a minimum level of
primary surplus […].( hier)
Wer glaubt, dass die Schuldenfähigkeit eines Staates in diesem Sinne begrenzt ist,
aber auch glaubt, dass fiskalpolitische Maßnahmen geboten sind, wenn diese Grenze
erreicht ist, wird verlangen, „über höhere Steuern das Geld dem Staat zur Verfügung
zu stellen“. (hier)
Mit dem US-amerikanischen Ökonomen Abba Lerner (1903-1982) bin ich der
Meinung, dass solche Meinungen Ausweis eines mangelnden Verständnisses der
Funktionsweise einer Geldwirtschaft und dazu angetan sind, sich von den Märchen
über die furchtbaren Konsequenzen einer „unsoliden Finanzpolitik“ in Angst und
Schrecken versetzen zu lassen und dadurch den Blick darauf verstellen zu lassen,
welchen Prinzipien eine an den Interessen der Mehrheit der Bevölkerung orientierte
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Geld-, Fiskal- und Steuerpolitik genügen muss.(hier)
Insolvenz[1]
Nahezu unisono wird offensichtlich geglaubt, dass Staaten sich wie Unternehmen und
Haushalte finanziell überheben können. Aber auch viele Ökonomen und Zentralbanker
bestreiten nicht die Fähigkeit von Zentralbanken, für die Ausgaben ihres Staates Geld
zu schaffen.[2] Gesprochen wird von der „monetären Staatsfinanzierung“. Das
Finanzministerium wendet sich in diesem Fall nicht an den Kapitalmarkt oder an
Banken, um sich zu refinanzieren, sondern es refinanziert sich direkt bei seiner
Zentralbank. Wobei der Begriff der „Refinanzierung“ den Vorgang in äußerst
verzerrter Weise beschreibt. Angemessener ist es, davon zu sprechen, dass ein
Staatsorgan, das Finanzministerium, ein anderes Staatsorgan, die Zentralbank,
anweist, Geld für bestimmte Zwecke zu produzieren.
Warum aber sollte irgendjemand Geld, das vom Staat im wahrsten Sinne des Wortes
aus dem Nichts geschaffen wird, als Zahlungsmittel akzeptieren? Der Grund für die
Akzeptanz eines solchen Zahlungsmittels ist unmittelbar einleuchtend, wenn man
erkennt, dass Staaten sich durch das Privileg der Steuererhebung auszeichnen. Ein
Staat S bürdet seinem (denn gleich folgend wird U als Singular behandelt) Untertanen
U also eine Steuerlast auf, die in der von ihm festgelegten Recheneinheit denominiert
ist. So sagt S dem U z.B., dass U ihm 1000 Gulden pro Jahr an Steuern zu zahlen habe.
Dann teilt S dem U mit, dass U, um diese Steuerschuld zu begleichen, ihm Dokumente
G zu überreichen habe, die bestimmten Eigenschaften genügen und auf denen Zahlen
aufgedruckt sind, die sich in der Summe auf 1000 belaufen. U hat nun ein Problem.
Wie kommt er an die G, die er benötigt, um seine Steuerschuld zu begleichen?
Praktischerweise bringt S die G selbst in Umlauf, indem er damit bei U Einkäufe
tätigt. Wenn S nun noch festlegt, dass G gesetzliches Zahlungsmittel ist, also
Gläubiger zwingt, G zur Begleichung von Geldschulden der Bürger untereinander zu
akzeptieren, dann ermöglicht G, dass seine Bürger, um an G zu kommen, einen
lebhaften Tauschhandel beginnen.
Ein Staat kann auf diese Weise sicherlich Geld schaffen und wenn er das auch darf,
dann ist offensichtlich, dass ein Staat, der auf diese Weise seine Ausgaben
refinanziert, niemals insolvent gehen muss. Nennen wir Geld, das ein Staat auf diese
Weise emittieren kann, eine souveräne Währung, dann können wir festhalten: Ein
Staat, der über eine souveräne Währung verfügt, muss niemals insolvent gehen, und
kann daher auch niemals in eine Situation geraten, die man adäquat als eine
Staatsschuldenkrise beschreiben könnte.
Aber widerspricht diese These nicht den empirischen Evidenzen?[3]Dass Staaten
zahlungsunfähig werden können, ist sicherlich nicht zu bestreiten. Solche Staaten
verfügen eben über keine souveräne Währung. Staaten können also zahlungsunfähig
werden, wenn sie a) sich in einer fremden Währung verschulden, b) sich verpflichten,
ihre Währung in eine fremde Währung zu einem bestimmten Kurs umzutauschen oder
c) in ein anderes Gut, wie etwa Gold, zu konvertieren.
Warum aber glauben dann so viele, dass die „ausufernde Staatsverschuldung“
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notwendigerweise mit dem Staatsbankrott enden wird? Nun gibt es solche, die das
tatsächlich glauben, aber sicherlich auch andere , die das zwar nicht glauben, aber
diese Botschaft verkünden, weil sie damit bestimmte politische Zwecke verfolgen. Der
Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Samuelson z.B. gehört zu der letzteren Gruppe.
Samuelson gab in einem schwachen Moment zu, dass Staaten mit einer souveränen
Währung niemals zahlungsunfähig werden könnten. Es handele sich, so Samuelson,
bei dem Glauben, dass ein ausgeglichener Staatshaushalt notwendig sei, um eine
„Schuldenfalle“ zu vermeiden, um einen Mythos. Aber einen Mythos, den man unter
allen Umständen aufrechterhalten muss, um staatliche Eingreife in den effizienten
Marktmechanismus zu verhindern.[4]
Aber verfügen Staaten wie etwa die USA oder auch die Mitgliedsländer der
Europäischen Währungsunion überhaupt über eine souveräne Währung? Ist es nicht
so, dass sowohl die institutionelle Ausgestaltung z.B. des Euro als auch des US-Dollar
(USD) dadurch gekennzeichnet ist, dass sie eine solche „Refinanzierung“ staatlicher
Ausgaben explizit ausschließt? Diese Frage muss man mit Bezug auf die Eurozone
bejahen. § 123 des sogenannten Vertrags von Lissabon verbietet es den
Mitgliedsstaaten Euroraums explizit, sich bei der EZB oder den nationalen
Zentralbanken zu refinanzieren. Entsprechende Regelungen finden sich auch in
anderen Währungsräumen.
Andererseits findet man aber auch Staatspapiere als Aktiva auf den Bilanzen der
entsprechenden Zentralbanken, was zeigt, dass es ganz offensichtlich Mittel und
Wege gibt, die es auch in diesen Ländern erlauben, die „Refinanzierung“ der
Staatshaushalte sicherzustellen. Ob und inwieweit ein bestimmter Staat über eine
souveräne Währung verfügt, entscheidet sich also danach, ob und inwieweit es
gesetzliche Regelungen der Zentralbank erlauben, Staatspapiere auf ihre Bilanz zu
nehmen und ob und inwieweit Regierungen auf die Entscheidung „ihrer“ Zentralbank,
das zu tun, Einfluss nehmen können.
In der Eurozone haben viele Länder wie z.B. Griechenland ganz offensichtlich kaum
Möglichkeiten, auf „ihre“ Zentralbank Einfluss zu nehmen. Sie können daher, wenn
ihnen die kommerzielle Refinanzierung nicht möglich ist, nur dann ihre
Haushaltdefizite refinanzieren, wenn sie die ihnen von der Troika aufoktroyierte
politische Agenda umsetzen. Wer über keine souveräne Währung verfügt, kann daher
nicht nur zahlungsunfähig werden, sondern sogar gezwungen sein, eine von einem
„Geldsouverän“ vorgeschriebene Wirtschaftspolitik umzusetzen, auch dann wenn sie
dem erklärten Willen des Volkssouveräns widerspricht.
Inflation
Wenn ein Staat sich bei seiner Zentralbank direkt „refinanzieren“ kann, warum sollte
er dann darauf verzichten, dies auch zu tun? Die Bundesbank wartet mit der
folgenden Begründung auf:
„Die Bundesbank und die Europäische Zentralbank (EZB) haben den klaren
gesetzlichen Auftrag, Geldwertstabilität zu sichern. Würden die Notenbanken Geld
drucken, um damit die Haushalte von Krisenstaaten zu finanzieren, […] führte ?? eine
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solche Staatsfinanzierung über die Notenpresse zu einer höheren Inflation – dies
lehren die historischen Erfahrungen Deutschlands und vieler anderer Länder.“ (hier)
Das ist das Standardargument gegen die sogenannte monetäre Staatsfinanzierung. Sie
führt, so die Behauptung der Bundesbank, unweigerlich zu einer Inflation, die den
Bestand eines Währungsraumes gefährdet. Was aber ist die Alternative zur
Geldschöpfung durch den Staat und warum wird hier Inflation vermieden?
Es ist selbstverständlich der Markt. Marktteilnehmer wollen Gewinne erzielen und
haben daher allen Grund, die Bonität potentieller Darlehensnehmer genau zu prüfen
und das Ausfallrisiko entsprechend mit Vermögenswerten des Darlehensnehmers zu
besichern. Banken haben also zwar einerseits Interesse, möglichst viele Darlehen zu
vergeben, um möglichst hohe Gewinne erzielen zu können, aber die Angst, das
mühsam erworbene Vermögen zu verlieren, ist Anreiz genug, nur solche Kredite zu
vergeben, deren Bedienung als gesichert erwartet werden kann.
Das Problem mit diesem Argument ist, dass es implizit – wie Günther Grunert und ich
in unserem Bankenartikel gezeigt haben – empirisch nicht haltbare Annahmen über
die Voraussetzungen der Darlehensvergabe durch Banken macht. Denn eine Bank
braucht eben keine Einlagen ihrer Kunden, um Kredite vergeben zu können, sondern
sie schafft Einlagen durch die Darlehensvergabe in actu.
Warum aber führt die Geldschöpfung durch Zentralbanken zu einer die Akzeptanz
einer Währung gefährdenden Inflation und diejenige von Banken nicht? Von einer
Inflation kann man auf jeden Fall nur dann sprechen, wenn über eine längere Periode
die Preise kontinuierlich steigen . Dies hat aber per se nichts damit zu tun, ob der
Staat oder Banken Geld emittieren, sondern tritt immer dann auf, wenn die effektive
Nachfrage nach Gütern größer ist als die Menge der Güter, die mit den gegebenen
Produktionskapazitäten produziert werden können.
Aber ist nicht dennoch der Schaffung von Geld durch Banken der Vorzug zu geben,
weil Banken mit der Geldemission das Risiko eingehen, ihr eingesetztes Eigenkapital
zu verlieren? Der Verweis darauf, dass Banken mit der Darlehensvergabe den Verlust
ihres Eigenkapitals riskieren, reicht als Argument dafür, dass die Geldschöpfung von
Banken gegenüber der des Staates als weniger problematisch zu erachten ist,
sicherlich nicht aus. Wenn nämlich dem potentiellen Verlust aus einem
Kreditengagement ausreichend große Gewinnmöglichkeiten gegenüberstehen, ist es
sogar rational, eine Investmentstrategie zu verfolgen, die im Falle des Scheiterns mit
Sicherheit zum Verlust des Eigenkapitals führt.. Wer z.B. erwartet, in einem Jahr 20%
auf sein eingesetzte Eigenkapital zu verdienen und davon ausgeht, dass für zumindest
10 Jahre mit keinem Zahlungsausfall zu rechnen ist, den wird der Totalverlust nicht
schrecken.
Nun sind die meisten Banken in Form einer Aktiengesellschaft organisiert und daher
die Verluste von Aktionären auf ihr eingesetztes Kapital begrenzt. Alle mit einem
Konkurs einer Bank darüber hinausgehenden Verluste müssen dann aber von Dritten –
und wie die Geschichte zeigt zu guter Letzt vom Staat getragen werden. Das
Marktprinzip schließt also keineswegs aus, dass die Geldschöpfung zu
gesamtwirtschaftlich negativen Folgen führt .
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Es bedarf ganz offensichtlich einer klugen Regulierung und Überwachung der
Geldschöpfung und Kreditvergabe, die an gesamtwirtschaftlichen Zielen ausgerichtet
sein muss. Warum aber sollten eine Regulierung und Überwachung einer
demokratisch legitimierten öffentlichen Organisation wie einer Zentralbank, deren
Aufgabe es ist, oder besser: sein sollte,, eine Politik der Vollbeschäftigung zu
unterstützen und die Akzeptanz einer Währung sowohl nach außen als auch nach
innen zu gewährleisten, schwieriger sein als die Regulierung und Kontrolle an der
Gewinnmaximierung orientierter Geschäftsbanken?
Literatur
Ehnts, Dirk (2014): Geld und Kredit. Marburg: Metropolis Verlag
REINHART, CARMEN / ROGOFF, KENNETH (2009/a): This Time is Different: Eight
Centuries of Financial Folly. Princeton (NJ): Princeton University Press.
Steinhardt, Paul (2015): Was ist eigentlich eine Marktwirtschaft? Marburg: Metropolis
Verlag.
WRAY, L. RANDALL (2012): Modern Money Theory. London: Palgrave Macmillan.
[1] Die folgenden Ausführungen beruhen auf Steinhardt (2015), insbesondere Kapitel
6.
[2] Ehnts (2014) beschreibt die Geld- und Kreditschöpfung in der Eurozone aus
bilanzieller Perspektive.
[3] Siehe dazu Reinhart/Rogoff (2009).
[4] Samuelson zitiert nach Wray (2012), S. 200.
Dieser Beitrag wurde publiziert am Montag den 13. Juli 2015 um 04:00
in der Kategorie: Finanzmärkte, Ökonomische Theorie, Wirtschaftspolitik.
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