Mode-Diktat - Jan Weiler

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Mode-Diktat
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ls ich Carla aus Interesse am ihrem Lernalltag fragte, wie auf ihrem
Gymnasium rein hotpantstechnisch die Stimmung sei, erklärte sie
mir, dieses Kleidungsstück zementiere überkommene Rollenbilder.
Auf meine Frage, wie genau man mit einer Hose etwas zementiert,
verdrehte sie die Augen und nannte mich einen Klugscheißer.
Wahrscheinlich zurecht. Obwohl sie also keine kurzen Hosen über
Mädchenpopos mag, beteiligte sie sich an einem Aufruf zur Rettung
der Hotpants als Schulbekleidung, weil jeder Mensch das Recht haben
sollte, Hosen nach Wunsch zu tragen. Diese Haltung unterstütze ich. Und ich möchte heute
noch ein Argument in dieser Schlacht um die Kampfzone zwischen der Arschbacke und dem
Oberschenkel hinzufügen: Höhere Gerechtigkeit.
Denn wenn über die Outfits von Schülerinnen diskutiert wird, dann müssen wir auch mal
ganz ernsthaft über Lehrerkleidung reden. Der Anblick eines deutschen Studiendirektors
mittleren Alters kann einen Jungen in der Pubertät ebenso umhauen wie der eines
Mädchenpopos, wenn auch nicht auf so angenehme Weise. Ich weiß, wovon ich spreche,
denn neulich hatte ich eine halbe Stunde Zeit, mir mehrere Mitglieder eines gymnasialen
Lehrkörpers genau anzusehen, weil ich zufällig mit ihnen in der S-Bahn saß. Sie befanden
sich auf einer Exkursion mit ungefähr vierzig bedauernswerten Schülern.
Der älteste Kollege – etwas füllig, sicher Oberstudiendirektor, Vorname erwiesenermaßen
Hartmut, Fächerkombination vermutlich Physik und Latein – trug eine üppig geschnittene
Jeans und atmungsaktive Löcherschuhe sowie hellgraue Socken. Dazu kombinierte Hartmut
ein lindgrünes kurzärmeliges Oberhemd. Pfiffige Akzente setzte er mit einer
Multifunktionsweste in kieselgrau, auf deren Vorderseite sich nicht weniger als sechs
Taschen befanden. Genug Platz für mindestens drei konfiszierte iPods, Notizbuch, Handy,
Schlüsselbund, Pfefferspray, eine Möhre und bis zu drei Stiften in rot, grün und blau. Hartmut
trug außerdem eine selbsttönende Brille und Klobrillenbart sowie eine breitkrempige Mütze.
Sein deutlich jüngerer Kollege, wahrscheinlich Bernd mit der Fächerkombination Sport
und Erdkunde, trumpfte modisch mit einer eierschalenfarbenen Dreiviertelhose und einem
rosa-grün-orange-gelb karierten Hemd samt vorgeschnallter Bauchtasche auf. Er trug keine
Schuhe, aber anatomisch geformte Amphibiensandalen mit leuchtenden Klettverschlüssen
und einem antibakteriellen Fußbett sowie ansehnliche Krampfadern. Seine Erscheinung
wurde von einer verrückten Sonnenbrille gekrönt, deren verspiegelten Gläser in allen Farben
schimmerten, die eine Ölpest hervorbringen kann.
Die Kollegin der beiden, vermutlich Sigrid, Französisch und Kunst, hatte Papageientag. Sie
trug eine enge hellgelbe Jeans, die sie mit einem geflochtenen Ledergürtel über ihrem
Damenbauch festgezurrt hatte. In der Hose steckte ein enges T-Shirt mit aufgestickten
Luftballons und in ihrer asymmetrischen Frisur steckte eine asymmetrische Sonnenbrille, die
auf das Ulkigste mit der asymmetrischen Holzklotzkette um ihren Hals korrespondierte.
Wo bekommt man bloß solche Klamotten her? Gibt es ein Spezial-Geschäft dafür, in dem
man nach Fächerkombination und Dienstgrad eingekleidet wird? Egal. Wie auch immer. Bei
jahrelangem Anblick deutscher Lehrermode ist eine posttraumatische Belastungsstörung
unter den Schülerinnen und Schülern noch die harmloseste unter allen vorstellbaren Folgen.
Gut. Es hätte noch schlimmer sein können. Zum Glück hatten sie keine Hotpants an. •
27. JULI 2015