Künstlerinnen auf Augenhöhe: Die Sturm-Frauen

K U LT U R I N F R A N K F U R T
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„Kultureinrichtungen, die Sie in dieser Vielfalt in keiner anderen
deutschen Stadt finden, warten auf Sie. Lassen Sie sich inspirieren!”
Ihr
Prof. Dr. Felix Semmelroth, Kulturdezernent
Künstlerinnen auf Augenhöhe: Die Sturm-Frauen
Cahn, Femme et voilier (1926/1927)
Cahn, Composition abstraite (1925)
Donas, Still life with bottle and cup (1917)
in Jahrhundert nimmt Fahrt
auf. Es ist 1910 und vor allem in
Berlin brodeln neue Ideen in Literatur, Bühnenkunst, Musik sowie in
der bildenden Kunst unter der Kruste
des Wilhelminischen Kaiserreichs.
Den Begriff Sturm verstand Walden als Aufruf gegen das Etablierte
und für alles Neue, was das Jahrhundert für die Kunst bereitzuhalten versprach. Etabliert war vor allem die
Vorstellung, dass es Frauen generell
an schöpferischer Kraft fehle und
sie als ernst zu nehmende Künstlerinnen wenig geeignet waren. Gesellschaftlich akzeptabel waren künstlerische Ambitionen bei Frauen nur,
solange sie sich auf dem Niveau von
Amateuren bewegten. An den staatlichen Akademien des deutschen
Kaiserreichs war Frauen das Studium der Künste vorerst verboten.
Selbst als 1919 das Frauenwahlrecht
in der Weimarer Verfassung Einzug
hielt, öffneten die Kunsthochschulen ihre Tore nur sehr widerwillig
und langsam. Um einer Benachteiligung zu entgehen veröffentlichten die
Künstlerinnen Marthe Donas unter
dem geschlechtsneutralen Pseudonym „Tour“ oder im Falle von Else
Lasker-Schüler unter dem fantasievollen Namen Jussuf Prinz von The-
ben, ihre Kunst. Kunst war eine Männerdomäne. Umso bemerkenswerter
ist, dass dies für Herwarth Walden
keine Rolle zu spielen schien. Bereits
bei den frühen Ausstellungen der
Sturm-Galerie waren, wie selbstverständlich, auch Künstlerinnen auf
Augenhöhe zu ihren männlichen
Kollegen vertreten. Zu den heute bekanntesten Künstlerinnen zählen
Sonia Delaunay, Alexandra Exter, Natalja Gontscharowa, Gabriele Münter oder Marianne von Werefkin.
E
Zur Förderung der expressionistischen Kunst gründete Herwarth
Walden in diesem Jahr die Zeitschrift „Der Sturm“. Schnell avancierte „Der Sturm“ zu einer der wichtigsten Zeitschriften für interdisziplinären Austausch von Literaten
und Künstlern in Deutschland. Der
große Erfolg der Zeitschrift veranlasste zwei Jahre später die Gründung der gleichnamigen Galerie und
machte Walden zu einem Vorkämpfer für die Moderne Kunst.
Bald schon knüpfte sich im Namen des „Sturms“ ein internationales
Netzwerk von namhaften modernen
Künstlern und gewährleistete den
wichtigen Austausch über Ländergrenzen und Kriegszeiten hinweg.
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Walden förderte und vertrat Künstlerinnen und Künstler gleichermaßen, solange sie mit ihrem künstlerischen Schaffen überzeugten und
einen Aufbruch in die Moderne versprachen. Im Expressionismus sah
Walden das Signal für diesen Aufbruch, welcher für ihn alles zusammenfasste, was neu war: die Abstraktion, neue Freiheiten und eine
andere Gesellschaftsordnung. Dazu
kommt, dass der Galerist und Verleger den Expressionismus in einem
sehr weit gefassten Sinne verstand, der nicht nur Kubismus, Futurismus und Konstruktivismus umfasste,
sondern auch andere Disziplinen umschloss. Literatur,
Theater, Mode, Musik und Design waren in Waldens Vorstellung ebenso von dem Sturm der Moderne erfasst und
für seine Galerie von Bedeutung, wie die bildenden Künste. Die nach neuen Farbtheorien entworfenen SimultanKleider von Sonia Delaunay oder die abstrakten Glasfenster von Jacoba van Heemskerck waren für den Galeristen ebenso interessant wie die von Lavinia Schulz für
ihre ekstatischen Tanzperformances entworfenen Ganzkörpermasken oder das Kostüm- und Bühnenbild von
Alexandra Exter für den frühen russischen ScienceFiction-Film. Und so sollte auch die Bewegung des
„Sturms“ nicht nur auf Publikationen und den Galeriebetrieb beschränkt bleiben. Im weiteren Verlauf wurden
auch eine „Sturm-Kunstschule“, eine „Sturm-Bühne“ und
die „Sturm-Dichterlesungen“ ins Leben gerufen, welche
alsbald wichtige Knotenpunkte für den Austausch von
Künstlerinnen und Künstlern wurden.
Vielleicht ist diese ungewöhnliche Geisteshaltung, die
Ländergrenzen und Geschlechterrollen nicht weiter
beachtete, bei Walden auch dadurch bereichert worden,
dass er selbst mit zwei Künstlerinnen verheiratet war.
Seiner zweiten Frau, der Malerin Nell Walden, sind wohl
auch der Ausbau, die Organisation und die Pflege des
transnationalen Netzwerks der Sturm-Galerie zu verdanken.
Ebenfalls aus dem engeren Kreis um das Ehepaar
Walden kam die abstrakte Malerin Hilla von Rebay. In
der Zeit des „Sturms“ fand sie nicht nur zu einer gefühlvollen von jeglicher Gegenständlichkeit befreiten Malerei, sondern lernte auch die Werke von Marc Chagall,
Robert und Sonia Delauny, Wassily Kandinsky, Paul Klee
und Franz Marc kennen. Als sie 1925 in die USA immigrierte bekam sie von dem Großindustriellen Solomon
R. Guggenheim den Auftrag, gegenstandslose Kunst aus
Europa anzukaufen und legte damit den Grundstein
für eine der weltweit wichtigsten Sammlungen moderner Kunst. Bis zu ihrem Ende 1930 konnten 192 Ausstellungen in der Sturm-Galerie realisiert werden sowie weitere 179 im Ausland. Die Zeitschrift wurde zwei Jahre
später eingestellt.
Die Ausstellung „Sturm-Frauen. Künstlerinnen der
Avantgarde in Berlin 1910–1932“ der Schirn Kunsthalle
Frankfurt läuft vom 30. Oktober bis zum 7. Februar 2016.
Präsentiert werden 18 ausgewählte Künstlerinnen der
internationalen modernen Kunst des frühen 20. Jahrhunderts, die auf verschiedene Weise im „Sturm“ künstlerisch aktiv waren. Einige sind heute noch hochgeschätzt und bekannt, andere stellen Wiederentdeckungen dar. Die Ausstellung ermöglicht nicht nur einen
erkenntnisreichen Einblick in die Avantgarde des
frühen 20. Jahrhunderts, sondern beleuchtet auch die
zentrale Rolle der Sturm-Galerie, die sie bei der
Etablierung von Künstlerinnen in die Kunstgeschichte
gespielt hat.
Hjertèn, Frau mit Pelz (1915)
Fotos (4): © Schirn
Sehen und Erleben
Die Schirn Kunsthalle Frankfurt lädt die Leserinnen und Leser der Senioren Zeitschrift zu einer
kostenfreien Führung bei freiem Eintritt durch
die Ausstellung „Sturm-Frauen. Künstlerinnen
der Avantgarde in Berlin 1910 –1932“ ein.
Termin ist der 24. November um 17.30 Uhr.
Da die Teilnehmerzahl begrenzt ist, wird um Anmeldung in der Woche vom 2. bis 4. November gebeten unter Telefon 0 69/29 98 82 -112 oder E-Mail:
[email protected].
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