Kreis Emmendingen: "Jobs sind wichtiger als Kuscheltiere

Kreis Emmendingen: "Jobs sind wichtiger als Kuscheltiere" - badische...
1 von 4
http://www.badische-zeitung.de/kreis-emmendingen/jobs-sind-wichtige...
06. Februar 2016
BZ-INTERVIEW mit Katharina Katt, Integrationsbeauftragte der Stadt
Emmendingen, zur Frage, wie Flüchtlingen am sinnvollsten geholfen werden
kann.
Katharina Katt Foto: Privat
EMMENDINGEN. Wie können hilfsbereite Menschen Flüchtlingen in und um Emmendingen
am besten helfen? Welche Dinge werden gebraucht, an wen kann man sich mit Fragen und
Angeboten wenden? Ergibt jede Spende auch wirklich Sinn? Fragen über Fragen. Marco
Kupfer hat sie Katharina Katt gestellt. Sie ist seit einem halben Jahr
Integrationsbeauftragte der Stadt Emmendingen – und setzt sich für nachhaltige Lösungen
ein.
BZ: Frau Katt, was sind ihre persönlichen Ziele in Emmendingen? Was möchten Sie mit
ihrer Arbeit erreichen?
Katt: Ich möchte eine möglichst gelungene Integration aller zugewanderten Menschen
erreichen. Seien es Menschen aus EU-Ländern – diese werden zur Zeit leider oft vergessen
– oder eben Flüchtlinge. Mir geht es besonders um jene, die auf längere Sicht bei uns
bleiben werden. All diese Menschen möchte ich – möchten wir – positiv begleiten. Dabei
arbeiten wir mit allen Integrationsakteuren zusammen, die hier im Stadtgebiet unterwegs
sind.
07.03.2016 11:51
Kreis Emmendingen: "Jobs sind wichtiger als Kuscheltiere" - badische...
2 von 4
http://www.badische-zeitung.de/kreis-emmendingen/jobs-sind-wichtige...
BZ: Welches Netzwerk hat sich da entwickelt?
Katt: Es gibt rathausintern alle möglichen Kontakte, ob mit den Kollegen von der
Ausländerbehörde oder mit den Kolleginnen, die für die Kita-Betreuung zuständig sind. Die
Kitas selbst und die Schulen gehören ebenfalls zum Netzwerk. Zum Beispiel mit
ehrenamtlichen Bildungslotsen, die aus den entsprechenden Kulturen kommen und
muttersprachliche Kenntnisse haben. Außerdem arbeiten wir eng mit den örtlichen
Wohlfahrtsverbänden, mit dem Kinderschutzbund, mit Flüchtlingsinitiativen zusammen und
mit Sozialbetreuern vom Landratsamt. Ich vernetze ehrenamtliche Helfer untereinander
und andere Akteure. Wir kooperieren eng mit der Agentur für Arbeit, dem Jobcenter und
mit der Beschäftigungsgesellschaft 48 Grad Süd. Denn ein großes Thema ist die Integration
der Menschen in den Arbeitsmarkt und ihre Qualifizierung dafür.
BZ: Wie kann jedermann den Flüchtlingen in Emmendingen und Umgebung helfen?
Katt: An materiellen Gütern mangelt es nicht so stark. Was eigentlich wichtig ist, sind ganz
andere Themen. Vor allem ehrenamtliche Mitarbeit – sozusagen unter dem Motto "Zeit
spenden". Im Moment läuft eine Kooperation zwischen dem Fairkauf-Markt am Elzdamm,
dem Lions Club und einem Ehrenamtlichen vom Freundeskreis Asyl, der sich viel mit
Fahrrädern beschäftigt. Es wird eine Fahrradwerkstatt geben – und es wäre super, wenn
sich dafür mehr Helfer fänden. Das Fahrrad ist ein Riesenthema bei Flüchtlingen – es gibt
ihnen Mobilität. Auch in der Turnhalle des Berufsschulzentrums, wo aktuell viele Familien
mit Kindern untergebracht sind, herrscht ein großer Bedarf an Freiwilligen, die Zeit
investieren. Zum Beispiel, um ein regelmäßiges Angebot für Kinder und Jugendliche zu
organisieren.
BZ: Raten Sie von Sachspenden also generell ab?
Katt: Kontinuität und Beziehungen sind – platt gesagt – wichtiger als Teddybären. Um
Weihnachten wollten viele Menschen in einmaligen Aktionen Geschenke verteilen. Ich
würde behaupten, dass es wenig sinnvoll ist, als Wildfremder einmalig Geschenke zu
verteilen. Was die Menschen brauchen, sind Beziehungen und Ansprechpartner, eine
Beschäftigung. Leute, die mit ihnen Deutsch üben. Genauso wichtig sind Wohnungen für
jene, die das Bleiberecht bekommen. Außerdem natürlich Arbeitsplätze: Auch Jobs sind
wichtiger als Kuscheltiere. Es gibt aber einige materielle Dinge, die gebraucht werden. Im
Moment sind das zum Beispiel große Töpfe, Wasserkocher, Schulmaterialien und
Kinderwagen. Möbel sind erst dann wichtig, wenn die Menschen in eigene Wohnungen
ziehen, vorher ist für ihre Grundeinrichtung gesorgt.
BZ: Abseits von Geschenkaktionen – was ist mit Dingen, die zu schade sind, um sie
wegzuwerfen? Oder eben mit Kinderwagen und Wasserkochern?
Katt: Da mache ich gerne Werbung für Second-Hand-Läden wie zum Beispiel den Fairkauf
und verweise Spendenwillige an sie. Dort können alle Bedürftigen – Flüchtlinge inklusive –
einkaufen. Man darf ob der Flüchtlingsfrage alle anderen Menschen nicht vergessen, die
sozial oder wirtschaftlich benachteiligt sind. Das könnte sogar den sozialen Frieden in der
Stadt gefährden. Es geht auch um Gleichstellung: Eine alleinerziehende Mutter mit Hartz IV
muss sich auch selbst versorgen und bekommt keine Tüten mit Spenden in die Hand
gedrückt. Über haltbare Lebensmittel wie Nudeln, Öl, Zucker und Kaffee oder
Hygieneartikel freuen sich übrigens die Tafelläden. Die Flüchtlinge in Emmendingen
07.03.2016 11:51
Kreis Emmendingen: "Jobs sind wichtiger als Kuscheltiere" - badische...
3 von 4
http://www.badische-zeitung.de/kreis-emmendingen/jobs-sind-wichtige...
versorgen sich – ganz anders als in den Landeserstaufnahmestellen – selbst mit diesen
Dingen. Sie erhalten Geld- und keine Sachleistungen, sind erstversorgt und sozusagen
einen Schritt weiter. Sie kommen nicht hier an und haben nichts – vielen Menschen ist das
nicht klar.
"Spenden sollten auf
Augenhöhe und nicht als
Almosen gegeben werden."
BZ: Wo sehen Sie den Unterschied zwischen Spende und
Second-Hand-Einkauf?
Katt: Natürlich kostet der Einkauf im Laden etwas. Aber
das ist eher gut als schlecht: Integration bedeutet auch,
selbständig aussuchen und einkaufen zu können.
Shopping macht auch Flüchtlingen Spaß. Das ist ein
Stück Würde und Selbstbestimmung. Spenden sollten auf
Augenhöhe gegeben werden und nicht als Almosen von
oben herab – sonst reduziert man die Menschen
unabsichtlich auf reine Bittsteller. Ein weiterer Punkt: In den Läden können Kleider und
andere Waren richtig sortiert werden, es gibt Platz und Mitarbeiter, die für die Organisation
da sind und wissen, was gebraucht wird. Das ist in einer Unterkunft nicht der Fall – dort
kann es sogar zu Streitereien um Spenden kommen – das hilft niemandem. Ich warne
deshalb davor, einfach Dinge in den Unterkünften abzugeben. Die ankommenden
Flüchtlinge werden von den Helfern über die Second-Hand-Läden informiert und wissen, wo
in der Stadt sie was bekommen.
BZ: Welche Dinge eignen sich nicht zur Spende und warum?
Katt: Sachspenden sollten immer in einem guten Zustand sein, Kleidung gut erhalten und
gewaschen. Spenden darf keine Alternative zur Entsorgung sein. Wir erleben das leider
sehr oft: Unser ehrenamtlicher Fahrradbastler, den ich erwähnt habe, hat mir erzählt, dass
er zwei Drittel der gespendeten Räder zum Recyclinghof fahren muss. Das belastet ihn
zusätzlich mit Arbeit und nützt gar nichts. Mein Rat: Immer gut nachdenken, ob die
Spende noch in einem brauchbaren Zustand ist – so, dass andere etwas mit ihr anfangen
können.
BZ: An wen können sich Menschen wenden, die statt Sachen Zeit spenden möchten? Die
Wohnraum oder einen Arbeitsplatz anbieten wollen?
Katt: Zunächst einmal natürlich gerne an mich. Ich leite Anfragen weiter und weiß, wo
jeweils Bedarf besteht. Gerne verweise ich auch auf unsere Homepage. Unter dem Button
"Emmendingen hilft" finden sich viele Rubriken zu Spenden und freiwilligem Engagement.
Die Adressen, wo man sich hinwenden kann, sind ebenfalls dort verzeichnet.
Katharina Katt (54) ist studierte Sozialwissenschaftlerin und Sozialwirtin. Sie ist
verheiratet und hat zwei Kinder. Vor dem Engagement in Emmendingen war sie
Geschäftsführerin beim Freiburger Verein "Südwind" für soziale und interkulturelle Arbeit.
Infos: In Internet unter http://www.emmendingen.de oder
07641/452-270
Autor: mmk
07.03.2016 11:51