Nordstraße 3
Herbert Pommer
Herbert Pommer wurde am 18. August 1907 in Rostock geboren. Seine Eltern waren
Gustav und Birthe Pommer. Der Vater war jüdischen Glaubens. Die Mutter - als Birthe Skolander in Alsen, Dänemark, geboren - gehörte der evangelischlutherischen
Religion an und trat vor der Geburt des ersten Kindes zum jüdischen Glauben über.
Der Vater betrieb in Rostock, Lange Straße 72, ein Möbel- und Warenhaus. Dort
wohnte die Familie auch.
Herbert Pommer besuchte die Schule in Rostock bis zur Obersekunda. Dann begann
er eine Lehre als Kaufmann in Laage. Er arbeitete danach in Ückermünde und in
Geldern. Am 1. Dezember 1930 meldete er sich in Stadthagen, Echternstraße 42, an
und arbeitete als Verkäufer und später als Abteilungsleiter im Kaufhaus Lion. Er verliebte sich in Louise Nord, eine Christin, die als Verkäuferin ebenfalls bei Lion beschäftigt war.
Im „Stürmer“, dem antisemitischen Hetzblatt der Nationalsozialisten, erschien im April
1934 ein Arikel über den „rasseschänderischen Umgang“ des Liebespaars miteinander. Auch in Stadthagen gab es höchstwahrscheinlich einen örtlichen „StürmerKasten“, in dem die jeweils aktuelle Ausgabe der Zeitschrift ausgehängt wurde. Man
kann also davon ausgehen, dass vielen Einwohnern der Stadt der antisemitische Inhalt des Artikels bekannt wurde.
Noch im April 1934 — mindestens vom 14. bis zum 16. April — wurde das Ehepaar
im Gefängnis in Stadthagen in „Sicherheitsverwahrung“ genommen. Ihren Plan zu
heiraten, gaben sie trotz allem nicht auf. Die Hochzeit fand am 20. April 1934 in Rostock statt, also noch kurz vor dem Inkrafttreten der Nürnberger Gesetze im darauf
folgenden Jahr. Danach waren Ehen von Juden mit „Ariern“ verboten. Da sie weiterhin in Stadthagen, Nordstraße 3, wohnten, beantragten sie bei der SchaumburgLippischen Landesregierung am 4. September 1935 einen Reisepass, um nach Chile
ausreisen zu können. Sowohl die Kriminalpolizei Bückeburg als auch der Bürgermeister Stadthagens erhoben keine Einwände, so dass die Pässe am 17. September
1935 ausgestellt wurden.
Stadtarchiv Nürnberg AvPer.627_15_03 S. 5.
Zur Auswanderung kam es allerdings nicht. Am 6. Januar 1936 zogen beide nach
Rostock, wo Herbert im Kaufhaus seines Vaters arbeitete. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde das Geschäft boykottiert; es gab eine Reihe von
Übergriffen und Belästigungen. Am 14. August 1937 „nahm der Vater sich, da er keinen Ausweg aus dieser unheilvollen Situation sah, das Leben“, wie seine Frau Birthe
Pommer nach dem Krieg berichtete. Sie wurde nun Leiterin des Geschäfts. Zwei
Töchtern und drei Söhnen Gustav und Birthe Pommers gelang es in dieser Zeit, nach
Chile und in die USA zu fliehen.
Im August 1936 zog ein junges Ehepaar W. in das Haus ein, in dem das Ehepaar
Pommer wohnte. Sie freundeten sich miteinander an. Frau W. war Katholikin und wie es im Urteil gegen Herbert Pommer vom 19. Juni 1939 heißt- „rein deutschblütiger Abstammung“. Sie wurde, wie es weiter hieß, von ihrem Mann schlecht behandelt und mehrfach geschlagen. Sie beschloss 1938, sich von ihrem Mann scheiden
zu lassen und zog nach Harburg. Herbert Pommer traf sich im Oktober 1938 mehrmals mit ihr in einem Hotelzimmer in Hamburg. Zu einem geplanten Treffen am 9.
November 1938 kam Frau W. nicht, da sie wohl Bedenken bekommen und ihre Mutter sie gewarnt hatte. Wer Herbert Pommer denunziert hatte, ist nicht bekannt. In der
Pogromnacht des 9./10. Novembers 1938 konnte Herbert Pommer zunächst entkommen, weil er nicht in Rostock weilte. Er wurde aber dann am 15. November 1938
verhaftet und von der Polizei in das Gefängnis Alt-Strelitz überstellt, von dort am 4.
Januar 1939 entlassen und der Gestapo übergeben. Wegen des „Vergehens der
Rassenschande“ wurde Herbert Pommer am 6. Januar 1939 in Hamburg verhaftet.
Vom 7. bis 11. Januar 1939 saß er im KZ Fuhlsbüttel in „Schutzhaft“; anschließend
war er bis zum 20. Oktober im Untersuchungsgefängnis Hamburg, Holstenglacis 3, in
Haft. Am 19. Juni 1939 wurde er vom Landgericht Hamburg wegen „Rassenschande“
zu 6 Jahren Zuchthaus und 6 Jahren „Ehrverlust“ verurteilt. In der Urteilsabschrift
vom 19. Juni 1939 heißt es:
„Der Angeklagte hat im 4. Jahr nach Erlass der Nürnberger Gesetze sich an einer
deutschen Frau vergangen. Die ihm bekannte Tatsache, dass Rassenschande sehr
hart bestraft wird, vermochte nicht, ihn von seiner Tat abzuhalten. Er hat die seelische Niedergebrochenheit der Zeugin und ihre Verzweiflung in gemeinster Weise
ausgenutzt. […] Der Angeklagte war auch skrupellos und kaltschnäuzig genug, seine
Verabredung am 9. November 1938 einzuhalten, obwohl damals infolge des ruchlosen Pariser Mordes sich des ganzen deutschen Volkes eine ungeheure Empörung
gegen die Juden bemächtigt hatte. [...] In seinem ganzen Verhalten dieser Zeugin
gegenüber tritt das planmäßige Vorgehen des typisch jüdischen Verführers offen zu
Tage. […] Das Gericht verkennt nicht, daß ein Jude eine Ehrauffassung und Ehrgefühl wie ein Deutscher nicht kennt. Trotzdem hat das Gericht gemäß § 32 StGB auf
Ehrverlust erkannt, weil 1.) nach außen hin zum Ausdruck gebracht werden muß,
daß dieses Verhalten des Juden vom Standpunkt eines Deutschen aus als ehrlos
betrachtet wird und 2.) der Angeklagte die auf ihm als Juden lastende Pflicht des
Gastes seinem Gastvolk gegenüber auf Innehaltung der Gesetze in schamloser Weise mißachtet hat.“
(StAH, 213-1, Ablieferung 8, 143 EL 3b Nr. F 255)
Herbert Pommer
Ab dem 25. Oktober 1939 war er im Zuchthaus Bremen-Oslebshausen in Haft. Am 26.
März 1943 wurde er in das KZ Auschwitz
deportiert, zunächst nach Auschwitz III/ Monowitz. Er hatte dort die Häftlingsnummer
113 383. In diesem Lager arbeitete er vermutlich für die Buna-Werke. Nachdem ihm
aus unbekannten Gründen im Häftlingskrankenhaus Buna/Monowitz der rechte
Daumen amputiert worden war, „überstellte“
man ihn in das Vernichtungslager Auschwitz. Dort starb er am 2. Januar 1944 an
den Folgen einer Herzmuskelschwäche bei
Bronchopneumonie, (eine schwere Form
der Lungenentzündung). In der Sterbeurkunde des Standesamts II Auschwitz heißt
es, er sei „glaubenslos früher mosaisch“
gewesen.
Louise Pommer
Louise Pommer wurde am 8. Juni 1906 als Louise Nord in Stadthagen geboren. Die
christliche Familie Nord wohnte in der Klosterstraße 3. Louise arbeitete als Verkäuferin im Kaufhaus Lion, wo sie Herbert Pommer kennen lernte. Trotz des Hetzartikels
im „Stürmer“ heirateten sie 1934, nachdem sie für kurze Zeit – mindestens vom 14.
bis 16. April – in „Sicherheitsverwahrung“ genommen worden waren. 1936 zogen sie
nach Rostock.
Dort erfuhr sie 1938 von der Verhaftung ihres Mannes wegen „Rassenschande“, später von seiner Verurteilung zu Zuchthaus, seiner Deportation in das KZ Auschwitz
und seinem Tod. Sie selbst wurde dienstverpflichtet und musste in der Neptun-Werft
in Rostock und später im Bergbau unter Tage schwere Arbeit verrichten.
Von ihrem Mann ließ sie sich nicht scheiden. In einer eidesstattlichen Versicherung,
die nach 1945 von Dr. jur. Werner Winterhoff im Zusammenhang mit dem Entschädigungsverfahren abgegeben wurde,
heißt es: „Die ihm vorgeworfenen Beziehungen zu einer arischen Frau scheinen
nicht schwerwiegender Natur gewesen zu
sein, da seine eigene Ehefrau mir wiederholt erklärt hat, dass sie keine Veranlassung
sähe, von ihrem Ehemann abzurücken. Sie
hat bis zum bitteren Ende treu zu ihm gehalten. Diese Umstände erweckten bei mir den
Eindruck, dass nationalsozialistische Kreise
nur einen losen Vorwand gesucht haben,
um Herbert Pommer zu liquidieren.“
1947 heiratete Louise Pommer den ZahnLouise Pommer geb. Nord
arzt Herbert Brüning, der 1990 verstarb. Bis
1992 wohnte sie in Weimar. Als frühere Ehefrau und Erbin Herbert Pommers erhielt
sie eine Entschädigung. Ihr Antrag auf eine Wiedergutmachungszahlung wegen
„Schadens am Leben“ wurde aber mit der Begründung abgelehnt, dass sie in der
DDR (laut Urteilstext in der „sowjetisch besetzten Zone“) lebe und Entschädigungsansprüche nur geltend gemacht werden könnten, wenn der Antragsteller in einem
Land lebe, mit dem die Bundesrepublik diplomatische Beziehungen unterhalte. Die
Ersatzansprüche der übrigen Erben wurden im Gegensatz dazu positiv beschieden.
Am 1. November 1992 kehrte sie nach Stadthagen zurück und wohnte zunächst in
der Loccumer Straße 16 C. Am 1. Januar 1994 zog sie nach Nienstädt, Liekweger
Straße 146. Dort starb sie am 4. März 1994.