Unser tägliches Brot gib uns heute

Evang.-meth. Kirche, Alterszentrum Wesley-Haus, Basel
Predigt von Pfarrer Josua Buchmüller, 24. Oktober 2015
Unser tägliches Brot gib uns heute
Matthäus 6,11
Brot – ein ganz besonderes Lebensmittel
Wir Älteren erinnern uns an frühere Zeiten, wo
man mit dem Brot noch anders umgegangen ist
als heute. Wir haben als Kinder den Respekt vor
dem Brot gelernt. Es lag ja nicht in so vielen
Variationen in den Gestellen der Grossverteiler
und der Bäckereien wie heute. Wenn ich als Bub
in der Dorfbäckerei ein Brot holen musste, durfte
es nicht so ein kleines Pfünderli sein wie auf dem
Foto von unserem Frühstückstisch. Für die fünfköpfige Familie damals in der Zeit des Zweiten
Weltkrieges musste es ein Vierpfünder sein, kein
frischer, sondern wenn möglich einer vom Vortag. So reichte das Brot weiter. „Altes Brot ist
nicht hart, aber kein Brot, das ist hart.“ Dieser
Satz hätte von meiner Mutter stammen können.
Das tägliche Brot ist auch heute nicht einfach
selbstverständlich. Millionen und Milliarden von
Menschen in unserer Welt wissen am Abend noch
nicht, was sie am andern Tag essen werden. Für
sie ist das tägliche Brot buchstäblich die Nahrung
für einen Tag, die Minimalration eines Grundnahrungsmittels: ein Stück Brot, eine Schale Reis.
Aber auch uns, die wir mehr als nur Brot
haben und das nicht nur für einen Tag, auch uns
hat Jesus um das Brot beten gelehrt – um unser
tägliches Brot. Dabei sollen wir nicht nur an unseren kleinen Lebenskreis denken, an unsere
Familie, an unsere Stadt, an unser reiches Land.
Und schon gar nicht dürfen wir aus der Mehrzahl
eine Einzahl machen und jeder nur an sich selber
denken. Die Bitte um unser tägliches Brot verpflichtet uns zur Solidarität mit Menschen, die
Mangel und Hunger leiden. Wir sollen uns immer
wieder fragen, wo und wie wir etwas von unserem Reichtum teilen können mit andern, die
wenig oder nichts zum Leben haben.
Und doch will ich mich jetzt davor hüten, nur
von der Forderung und Pflicht zu reden, die uns
die Bitte um unser tägliches Brot auferlegt. Jesus
verpflichtet uns nicht nur dazu, unser Brot mit
andern zu teilen; er erlaubt uns, den Vater im
Himmel darum zu bitten. Er sagt nicht mit drohend erhobenem Zeigefinger, noch bevor wir
etwas empfangen haben: Ihr müsst aber teilen!
Jesus sagt uns: So dürft ihr beten, so dürft ihr
den Vater im Himmel bitten: Unser tägliches Brot
gib uns heute! Dass wir so beten dürfen, ist ein
wunderbares Geschenk. Das heisst ja, dass unser
Vater im Himmel sich um uns kümmern will. Gott
will nicht nur, dass sein Name geheiligt werde,
dass sein Reich komme, dass sein Wille geschehe
wie im Himmel so auf Erden. Dem heiligen Gott
liegt ebenso daran, dass wir Menschen zu unserem täglichen Brot kommen.
Was heisst das für uns, die wir dabei nicht
nur an die buchstäbliche Brotration oder an die
Schale Reis denken müssen? Ich will es mit zwei
Gedanken erläutern, die sich auf Jesus-Worte in
der Bergpredigt beziehen: (1) Gott gibt uns immer so viel wir brauchen und (2) Gott gibt uns
nie Steine statt Brot.
Immer so viel wir brauchen (Mt 6,31-34)
Darum sollt ihr nicht sorgen und sagen: Was
werden wir essen? Was werden wir trinken? Was
werden wir anziehen? Euer himmlischer Vater
weiss, dass ihr das alles braucht. Trachtet zuerst
nach dem Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit,
so wird euch das alles zufallen. Sorgt euch also
nicht um den morgigen Tag, denn der morgige
Tag wird für sich selber sorgen.
Nicht sorgen sollen wir uns, sondern Tag
um Tag mit der treuen Fürsorge Gottes rechnen.
Er weiss, was morgen sein wird und er wird auch
morgen für uns da sein und für uns sorgen. Ist
das nicht kurzsichtig, verantwortungslos? Von
der Hand in den Mund leben, planlos, ohne über
die Nase hinaus zu sehen und zu denken – ist
das nicht ein beängstigend enger Horizont? Nein,
der Horizont ist ja das Reich Gottes und die Erwartung, dass Gottes Wille geschieht auf Erden
wie im Himmel. Gott die Sorge für das Morgen
überlassen heisst nicht, kopflos und planlos in
den Tag hinein leben. Wenn ich Tag für Tag mit
Gottes Fürsorge rechne, habe ich den Kopf frei
für das Heute. Dann habe ich auch das Herz und
die Hände frei für das, was Gott mir heute geben
und durch mich tun will.
Wenn wir die Sorge für den kommenden Tag
Gott anvertrauen, dann leben wir nicht in den
Tag hinein, sondern können den Tag ausleben,
im Heute leben. Wir träumen nicht von dem, was
morgen sein könnte. Wir machen uns nicht schon
die vielleicht unnötigen Sorgen von morgen und
übermorgen. Der morgige Tag wird für sich selber sorgen. Unser Vater im Himmel weiss, was
wir morgen brauchen werden. Er wird es uns
zufallen lassen. Vielleicht nicht als grossen Vorrat, aber immer so viel wir brauchen.
Nie Steine statt Brot (Mt 7,9-11)
Wer unter euch gäbe seinem Sohn, wenn er ihn
um Brot bittet, einen Stein, und wenn er ihn um
einen Fisch bittet, eine Schlange? Wenn also ihr,
die ihr böse seid, euren Kindern gute Gaben zu
geben wisst, wie viel mehr wird euer Vater im
Himmel denen, die ihn bitten, Gutes geben.
Was ein menschlicher Vater nicht tut, das
wird unser himmlischer Vater erst recht nie tun:
Er wird uns nie Steine geben statt Brot. Wir können uns also darauf verlassen, dass das, was
Gott uns gibt, Brot ist – unser tägliches Brot,
zugeteilt vom Vater im Himmel, der weiss, was
wir brauchen, was uns gut tut und was wir vertragen. Allerdings kommt uns das, was Gott uns
zuteilt, manchmal anders vor: als Zumutung,
nicht nach unserem Geschmack, schwer geniessbares, hartes tägliches Brot.
„Das gehört eben zu meinem täglichen Brot“,
habe ich während meiner früheren Tätigkeit in
der Leitung des Diakonats Bethesda manchmal
zu mir selber gesagt, wenn ich mit unangenehmen Situationen oder mit schwierigen Menschen
zu tun hatte. Ich habe es auch zu Mitarbeitenden
gesagt, die über Mühsames geseufzt haben, das
ihre Aufgabe mit sich brachte: „Das gehört eben
zu deinem täglichen Brot.“
Es hat in diesem Sinn wohl jeder und jede
auch hier im Wesley-Haus sein oder ihr tägliches
Brot. Nicht nur die, die anspruchsvolle Aufgaben
erfüllen, sondern auch die, die begleitet und betreut werden. Schwach und krank sein, auf Hilfe
angewiesen, elend und einsam sein – das gehört
für manche unter uns zum täglichen Brot. Vieles,
was Gott uns zuteilt, ist auf den ersten Blick gar
nicht appetitlich. Es kommt uns unbekömmlich
vor, schwer zu schlucken und nicht leicht zu verdauen. Von manchem denken wir: Das mag ich
nicht, das schmeckt mir überhaupt nicht. Ich
habe ganz andere Menü-Wünsche. Täglich dieses
Brot: das ist mir zu eintönig, das ist mir zu hart.
Wir würden manchmal lieber beten: Vater im
Himmel, das tägliche Brot, das du mir zumutest,
ist gar nicht nach meinem Geschmack. Damit bin
ich nicht zufrieden. Das nehme ich dir nicht ab.
Nein, das vertrage ich nicht länger. Aber Jesus
hat uns nicht um die Menükarte beten gelehrt,
sondern um das tägliche Brot. Gewiss dürfen wir
Gott auch unsere Bedürfnisse darlegen, so wie
wir sie sehen. Manche Wünsche wird er in seiner
Güte erfüllen, manche auch nicht. Eines aber ist
sicher: Um das tägliche Brot bitten wir Gott nicht
vergeblich.
Darum sollen wir, wenn wir ihn darum gebeten haben, nicht daran zweifeln, dass das, was
er uns gibt, Brot ist – wenn auch vielleicht nicht
nach unserem Geschmack, aber Brot, an dem wir
uns nicht nur die Zähne ausbeissen und nicht
den Magen verderben. Brot, bei dem wir nicht
verhungern, sondern Brot, von dem wir leben
können. Wer unter euch gäbe seinem Sohn,
wenn er ihn um Brot bittet, einen Stein? So hat
Jesus gefragt. Wie viel weniger wird das der
Vater im Himmel tun.
Auch dein tägliches Brot, wenn du es vom
Vater im Himmel erbittest und es aus seiner
Hand annimmst, ist kein Stein, sondern Brot.
Mag sein, dass es nicht nach deinem Geschmack
ist. Das tägliche Manna in der Wüste ist auf die
Dauer auch nicht nach dem Geschmack des Volkes Israel gewesen. Und doch hat es allein davon
gelebt und in der Wüste überlebt – vierzig Jahre
lang! Von solcher Art ist das tägliche Brot, das
Gott uns gibt. Es ist Kraftnahrung, mit der wir
auch in Wüstenzeiten überleben können.
Zum Schluss wollen wir uns nochmals daran erinnern, dass Jesus es ist, der uns um das tägliche
Brot beten lehrt. Er selbst ist das Brot, das vom
Himmel herabgekommen ist, das Lebensbrot.
In ihm hat Gottes Liebe zu uns Fleisch und Blut
angenommen. Auch zu uns sagt Jesus: Ich bin
das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, den
wird nicht hungern, und wer an mich glaubt, wird
nie mehr dürsten. Darum wollen auch wir ihn
bitten wie einst seine ersten Jünger: Herr, gib
uns allezeit dieses Brot! (Joh 6,34f).
Weil Jesus selbst das Brot des Lebens ist,
bitten wir den Vater im Himmel mit getroster
Zuversicht und grosser Dankbarkeit auch um
unser tägliches Brot. Im Römerbrief (8,32) hat
Paulus geschrieben: Er, der seinen eigenen Sohn
nicht verschont, sondern ihn für uns alle dahingegeben hat, wie sollte er uns mit ihm nicht auch
ALLES schenken?
Darauf dürfen wir vertrauen, auch wenn wir
Gott um unser tägliches Brot bitten. Der Vater im
Himmel wird es uns geben –
immer so viel wir brauchen
und nie Steine statt Brot.