Seitdem war alles anders Wie funktioniert Traumatherapie ? Immer wieder – und seitdem die Sensibilität für dieses Thema gewachsen ist, auch immer öfter – zeigt sich hinter einer Symptomatik, einer Beziehungsstörung oder einem Konflikt, mit dem KlientInnen zu uns kommen, ein nicht verarbeitetes Trauma. Das kann eine Depressivität sein, mit deren Hilfe das Trauma und die gefühlsmäßige Erinnerung daran versucht wird, abzuwehren, das kann ein Beziehungskonflikt in einer Ehe sein, wenn ein bestimmtes (z.B. sexuelles) Verhalten des Ehepartners unbewusst die Erinnerung an ein frühes Trauma antriggert, das können auch sozialer Rückzug als Schutz vor erneuter Traumatisierung und suizidale Gedanken als Aggressionsumkehr sein. Nicht jede Depression, nicht jeder Paarkonflikt und nicht jede Sozialphobie ist auf ein traumatisches Ereignis zurückzuführen, aber so gut wie jede in der Beratungsstelle vorgetragene Symptomatik kann auch traumabasiert sein. Trauma wird verstanden als ein eindeutig in Zeit und Raum bestimmbares Ereignis, dem der/die Betroffene hilflos ausgesetzt war, ohne fliehen, sich wehren oder sich helfen lassen zu können. Also versagen in solchen Situationen sowohl unser Furcht- als auch unser Bindungssystem. Das Furchtsystem sorgt für die Bereitstellung der psychischen und körperlichen Ressourcen für Kampf oder Flucht: der Puls wird schneller, der Blutdruck steigt, die Sehnen straffen sich, Pupillen und Bronchien weiten sich, die Muskeln werden durchblutet, Konzentrationsfähigkeit und Wachheit steigen etc. Aber in der traumatischen Situation ist weder Flucht noch Kampf möglich. Und wenn dann auch keine Hilfe von anderen kommt, das soziale System versagt oder nicht verfügbar ist, bleibt allein Panik übrig, die sich in der hilflosen Situation ausdrückt in muskulärer Erstarrung (freeze), Sprachlosigkeit und flacher Atmung nach außen und einer extrem hohen Erregung im Inneren: tot stellen und warten, dass es vorüber geht. Dies sind evolutionär uralte Überlebensstrategien, die auch neurobiologische Entsprechungen im Gehirn haben. Bei Fortbestehen der Bedrohung, wenn absehbar wird, dass die Situation traumatisierend wird, bleibt dann als letzter Ausweg die Dissoziation, das Abschalten der Wahrnehmung, das „Nicht-mehr-da-sein“. Gleichwohl werden die Erinnerungen an das traumatische Geschehen gespeichert, allerdings nicht geordnet und miteinander verknüpft im expliziten Gedächtnis als Teil der eigenen Biografie und kognitiv-verbal kodiert, sondern in Einzelteile fragmentiert auf der emotionalen Ebene im impliziten Gedächtnis und emotionalsensorisch kodiert, gewissermaßen hin und her vagabundierend. Die neurologischen Entsprechungen hierfür sind die Amygdala (Mandelkern), eine Gehirnstruktur, die für die Verarbeitung und Speicherung von emotional besetzten Ereignissen zuständig ist – gewissermaßen unser Alarmsystem - , und der Hippocampus, der als „Archivar des Gehirns“ für die geordnete Verarbeitung, Verknüpfung und sortierte Speicherung dieser Gedächtnisinhalte in der Hirnrinde zuständig ist. In traumatischen Situationen ist der Hippocampus überfordert und stellt gewissermaßen seine Arbeit ein. Das Sprachzentrum wird nicht mehr erreicht – so erklärt es sich, warum uns solche Situationen so sprachlos machen -, und die mit dem Trauma verbundenen Sinneseindrücke wie Bilder, Gerüche, Geräusche, Bewegungen und Körperempfindungen, aber auch Gedanken und die damit verbundenen Affekte werden ungeordnet abgelegt und abgekapselt wie ein Abzess. Jedes einzelne dieser Fragmente kann dann, wenn eine nachträgliche Verarbeitung nicht möglich war, durch ganz alltägliche Ereignisse angetriggert werden und löst dann eine Erinnerung an das Trauma aus, die der Betroffenen genauso affektgeladen und unausweichlich erscheint, wie wenn es jetzt gerade wieder passieren würde – ein Flashback, der erneut traumatisieren kann. Eine ganze Reihe von Merkmalen lassen auf ein Trauma schließen, die in drei Gruppen von Symptomen einzuteilen sind: Intrusion, Konstriktion und Hyperarousal. Intrusionen sind plötzlich sich aufdrängende Erinnerungen an das traumatische Ereignis, denen sich der/die KlientIn genauso hilflos ausgeliefert fühlt, wie während des Traumas selber. Das kann in Form von Träumen oder Alpträumen stattfinden, aber auch im Wachzustand in Form von Flashbacks (Nachhallerinnerungen), in denen das Trauma so erinnert wird, wie wenn es jetzt gerade wieder geschehen würde. Alle Affekte, Gedanken, Bilder und Sinneseindrücke sind dann wieder da, ohne dass der/die Betroffene sie steuern könnte. Sie werden häufig angestoßen durch einen einzelnen Sinnesreiz, der die komplexe Erinnerung wieder wachruft. Dieser Reiz kann ein Geräusch sein, das an die splitternde Autoscheibe beim Unfall erinnert, oder ein Geruch, der an das Rasierwasser des Täters erinnert, oder eine Körperberührung, ein Bild, eine Bewegung. Konstriktion tritt in vielerlei Form von Einengung auf: Im sozialen Bereich ziehen sich Betroffene oft von ihren Freunden und Bekannten aber auch innerhalb der Familie und vom Partner gleichgültig und teilnahmslos zurück, alles, was an das Trauma erinnert, wird vermieden und umgangen, häufig tritt auch eine Form von „Betäubung“ oder emotionaler Stumpfheit (Numbing) hinsichtlich des Erlebens und Ausdrückens von Emotionen und Affekten ein. Im Denken treten häufig Selbstbeschuldigungen und Suizidgedanken auf. Und schließlich zeigen viele Betroffene eine Art ständiger Übererregung – ein Hyperarousal, das sich in beschleunigten Körperfunktionen wie Puls, Blutdruck, Atemfrequenz etc. zeigen kann, aber auch in hektischem, atemlosen Reden, Schreckhaftigkeit, übersteigerter Aufmerksamkeit und Überwachheit, Ängste, Schlaflosigkeit und Reizbarkeit. Bei Kindern äußert sich dies häufig auch in Hyperaktivität. Das Körpergedächtnis kann auch vielfältige somatische Symptome produzieren. Die traumaspezifische psychotherapeutische Vorgehensweise lässt sich folgendermaßen skizzieren. Zunächst geht es um den Aufbau einer stabilen therapeutischen Beziehung, die bei traumatisierten KlientInnen eine besondere Rolle spielt, da häufig im Rahmen des Traumas auch das Bindungs- und das soziale System versagt haben. Besonders bei KlientInnen, die innerfamiliäre sexualisierte Gewalt im Kindesalter erlebt haben, bei der die engsten Bindungspersonen gleichzeitig die Verursacher des Traumas waren, ist das so wichtig. Psychoedukative Elemente klären über neuro-psycho-soziale Zusammenhänge von Trauma auf – Klienten sollen am Wissen darüber auf gleicher Ebene teilhaben wie der Therapeut. Dies schafft auch das Gefühl, die therapeutische Situation kontrollieren zu können: Der Klient entscheidet über Tempo, Inhalte und darüber, ob er sich auf nächste Schritte einlassen möchte oder (noch) nicht. Zur Stabilisierung gehört auch, dass die Lebenssituation genügend geklärt ist, aktuell keine allzu großen anderen Belastungen getragen werden müssen (stabile Beziehungen, stabiler beruflicher Kontext, keine anstehenden tiefgreifenden und ambivalent besetzten Lebensentscheidungen) und vor allem auch – z.B. im Rahmen häuslicher Gewalt oder nach sexualisierter Gewalt in der Familie - kein Täterkontakt mehr besteht. Auch Täterintrojekte müssen identifiziert und entweder in innere Helfer umgewandelt oder anders unschädlich gemacht werden. Solche internalisierten Täter-Anteile dienten in der traumatischen Situation dem Selbstschutz, wie beim Stockholmsyndrom den Geiseln die Identifikation mit den Zielen der Geiselnehmer half oder dem entführten Jan Philipp Reemtsma die Neigung, sich in die Gefühls- und Gedankenwelt seiner Entführer einzufühlen, half, die ungewisse Situation besser einschätzen zu können. Diese inneren Bestrafer müssen unschädlich gemacht werden, weil sie sich erfolgreichen therapeutischen Schritten häufig entgegenstellen: „Du hast es nicht verdient, dich besser zu fühlen ! Du bist ja selbst schuld !“, und dann tritt möglicherweise auch wieder selbstverletzendes Verhalten auf. Im weiteren Sinne gehört nun zur Stabilisierung eine Reihe von vorwiegend imaginativen Übungen, die mit der Klientin erarbeitet und zu Hause regelmäßig geübt werden. Da ist zunächst die Imagination eines Tresors, in dem belastendes, zumeist bildliches Material gut verpackt als Filmrolle oder gebrannte DVD eingeschlossen werden kann, um es nur in den Therapiesitzungen hervorzuholen und am Ende wieder wegzupacken, weiter die Imagination eines sicheren inneren Ortes, an den sich die Klientin jederzeit zurückziehen kann, an dem sie geschützt und sicher ist und an dem sie auch innere kindliche Anteile vorübergehend in Sicherheit bringen kann, z.B. während einer Konfrontationsphase. Und dann können innere HelferInnen imaginiert werden, die als innere hilfreiche Persönlichkeitsanteile jederzeit befragt werden können, Rat geben und trösten. Diese inneren HelferInnen sind auch gewissermaßen die Gegenspieler zu eventuellen Täterintrojekten, da sie im Gegensatz zum sich selbst bestrafenden Anteil einen liebevollen und fürsorglichen Umgang mit sich selbst ermöglichen. Schließlich ist für KlientInnen mit frühen Traumata die Aussöhnung und Arbeit mit dem häufig ungeliebten traumatisierten inneren Kind Voraussetzung, manchmal ist das schon die ausreichende Traumatherapie: Das erwachsene Ich der Klientin wird angehalten, das verletzte innere Kind nachzubeeltern, es zu trösten, einen liebevollen Umgang mit diesem inneren Anteil zu finden und dies auch in ritualisierter Form in Handlung umzusetzen. An dieser Stelle wird ein wesentlicher Unterschied zu psychodynamischen Verfahren deutlich: die Elternfunktion übernimmt hier nicht die Psychotherapeutin in der Übertragungssituation, sondern die Klientin selbst muss diese Funktion übernehmen, u.a. damit klar wird, dass es einen Unterschied zwischen dem Kind von damals und der Erwachsenen von heute gibt. Als Vorbereitung für die Phase der Traumakonfrontation werden eine Fernbedienung für das Screenen eines Filmes imaginiert, die auch Funktionen wie Zoom, Unschärfe/Schärfe, Farbe/schwarz-weiß, Ton an/aus, Vor-/Rücklauf etc. hat, mit deren Hilfe später der Film über das traumatische Geschehen kontrolliert und gesteuert werden kann. Diese Fernbedienung kann dann mit dem Film eines schönen oder später auch eines weniger belastenden Ereignisses schon einmal ausprobiert werden. Dabei werden auch Ressourcen, Stärken und Fähigkeiten sicht- und fühlbar, die vorher nicht so bewusst waren. Außerdem relativiert sich die Belastung, wenn auch wahrgenommen werden kann, dass es auch schöne oder weniger belastende Phasen und Erlebnisse im Leben gab. Dies lässt sich auch in einem Kurvendiagramm mit hoher und niedriger Belastung und mehr oder weniger positiven Lebensereignissen darstellen. Schließlich kann dann, wenn KlientInnen stabil und gut vorbereitet sind – und das ist sorgfältig zu prüfen ! - in die Traumakonfrontations- und –synthese-Phase übergegangen werden. Dazu gibt es mehrere Verfahren, wie die Beobachtertechnik und EMDR. Hier soll auf die Screentechnik näher eingegangen werden: Während das Ereignis – nun erstmals auch detailliert – aus der Distanz imaginativ auf eine Leinwand projiziert und mit der Fernbedienung kontrolliert berichtet wird, kann das nachgeholt werden, womit der Hippocampus in der Situation damals überfordert war: Die fragmentierte Erinnerung an das Geschehen wird zusammengefügt, die damit verbundenen Gedanken, Affekte und Reaktionen werden als in der Situation sinnvoll und angemessen, die Dissoziation als sinnvoller Schutzmechanismus erkannt, es finden sich Worte für das bislang Unsagbare. Der Klient erzählt in der dritten Person von sich und dem Ereignis und, indem er den ablaufenden Film beschreibt, generiert er Narrative, wo vorher nur Fragmente waren. Die Kognitionen von damals über sich selbst („Ich bin schuld.“ – „Ich sterbe jetzt.“ – „Ich bin verachtenswert.“ – „Ich bin allein.“) werden ersetzt durch positive Kognitionen („Ich bin unschuldig.“ – „Ich bin am Leben.“ – „Ich bin ein wertvoller Mensch.“ – „Ich kann Freunde finden.“). Die auftretenden Gefühle werden benannt, nacherlebt und mithilfe von Atem- und Körperarbeit moduliert (Selbstwirksamkeit: Ich kann mich selbst beruhigen !) Und nicht zuletzt die Körperempfindungen und -bewegungen, die während des Anschauen dieses alten Films aufkommen, werden wahrgenommen und als gutes Körpergedächtnis integriert. Indem all diese Sinneseindrücke, Kognitionen und Affekte detailliert, aber gesteuert und kontrolliert, nochmals durchlebt werden, wird das traumatische Ereignis als etwas Vergangenes, in seinem zeitlichen Ablauf mit einem Anfang und einem Ende Bestimmbares, geordnet im biografischen Gedächtnis abgelegt. Schließlich geht es in einer letzten Phase darum, das, was geschehen ist, angemessen zu betrauern: die verlorenen Kindheitstage oder -jahre, die ums Leben gekommenen Angehörigen oder die verlorene Heimat. Aber jetzt ist das traumatische Ereignis ein vergangenes, das vorbei ist und das so in die Biografie integriert werden kann. Ein Klient sagte einmal: „Ich war neulich noch einmal vor dem Haus in dem Ort, in dem ich aufgewachsen bin, in dem all das Schreckliche geschehen ist. Und es sah nach so vielen Jahren alles so anders aus. Dort wohnten fremde Leute, den Garten habe ich fast nicht wiedererkannt und es waren neue Fenster darin. Und da habe ich plötzlich gespürt: Es ist vorbei !“ Beziehungsaufbau, Psychoedukation, Stabilisierung, Traumakonfrontation und –synthese, Trauer- und Integrationsphase – das klingt nach einem festgelegten Programm. Aber diese Elemente bauen nicht nur linear aufeinander auf, sondern bedingen sich gegenseitig, wechseln sich häufig ab, z.B. ist nach der Konfrontation häufig erst einmal wieder Stabilisierung notwendig. Häufig ist eine Traumakonfrontation aber auch mangels Stabilität nicht möglich, oft genug auch nicht (mehr) nötig: Die Arbeit mit dem Inneren Kind, Stabilisierungstechniken und Aufklärung über die Entstehung von Trauma können durchaus ein Leben mit dem Trauma ermöglichen. Manche KlientInnen können sich nach der Stabilisierungsphase so weit von ihrem Trauma distanzieren – und zwar ohne zu dissoziieren ! – dass sie eine Konfrontation und Synthese gar nicht mehr brauchen. Und, das wollen wir auch nicht vergessen: Die Mehrzahl aller Menschen, die eine traumatische Situation erlebt haben, verarbeiten diese nach einer gewissen Zeit auch ohne Beratung und Therapie. Für die anderen gilt ein Satz, der Ben Furman, Milton H, Erickson, Erich Kästner und Sten Nadolny zugeschrieben wird: „Es ist nie zu spät für eine schöne Kindheit.“ – oder nie zu spät zumindest für ein schönes Leben nach dem Trauma. Jens-H. Kuhlmey Traumatherapeut, Systemischer Familientherapeut, Mediator Heilpraktiker für Psychotherapie Dieser Artikel erschien im Jahresbericht der Beratungsstelle Osterstraße 2010
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