Thema 1: Europa Übungsaufgabe 1: Kommentar Aufgabe

Thema 1: Europa
Übungsaufgabe 1: Kommentar
 Aufgabe: Verfassen Sie einen Kommentar.
Situation
Die Zeitschrift Aus Politik und Zeitgeschichte, die auch als Unterrichtsbehelf
im Fach Politische Bildung verwendet wird, lädt Maturant/innen ein, zum
Thema „Die Zukunft der Europäischen Union“ Beiträge einzusenden. Sie
möchten sich beteiligen.
Arbeitsanweisung
Lesen Sie zunächst den Essay von Karl-Markus Gauß.
Verfassen Sie anschließend einen Kommentar mit einem passenden Titel und
bearbeiten Sie dabei folgende Arbeitsaufträge:
• Klären Sie die Haltung des Autors gegenüber einer vereinten europäischen
Nation.
• Kommentieren Sie im Text angesprochene Kritikpunkte.
• Beurteilen Sie die Möglich- und Wahrscheinlichkeit, dass sich die bestehende EU zu einer „großen Nation der Europäer“ entwickelt.
• Beschreiben Sie abschließend Ihre Vorstellungen eines zukünftigen vereinten Europas.
Wortanzahl: 540 – 660
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Thema 1: Europa – Übungsaufgabe 1
Textbeilage
Europa und die Nationen
VON KARL-MARKUS GAUß
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Wie groß ist Europa? Schwer zu sagen. Da eine ganze Reihe von Staaten nach
Europa zurückkehrten oder heimgeholt wurden, wächst der Kontinent; zugleich aber schrumpft er dramatisch auf seinen ökonomisch-politischen Kern,
auf die großen Wirtschaftsmächte und Staaten, die selbst wiederum, wie das
vereinigte Deutschland, in einem eigenartig widersprüchlichen Prozess an
äußerer Größe zunehmen und innerer Vielfalt verlieren, also zugleich reicher
werden und verarmen.
Da wurde 1990 erstmals ein „Europa-Preis für Kinder- und Jugendliteratur“ ausgeschrieben und gleich mit einer hohen Dotierung ausgestattet, wie
das bei einem symbolischen Akt auch angebracht ist, der mit dem Glanz der
Kultur und Völkerverständigung beglaubigen soll, dass es neuerdings gibt, was
es über die blutigen Jahrhunderte, da sich die europäischen Herren mitsamt
ihren Völkern gegenseitig auszurotten trachteten, nicht hatte geben können:
ein gesamteuropäisches Bewusstsein, die klare Einsicht, das tiefe Gefühl von
Europäern, zusammenzugehören und erst in dieser Zusammengehörigkeit das
Ganze zu bilden. Wer sich irgendwo aus Europa um diesen Preis bewerben
wollte, der durfte, um den Satzungen der Stiftung zu entsprechen, einzig eines
nicht vergessen: Die Bücher und Manuskripte, mit denen einer beim „EuropaPreis“ sein Glück versuchen mochte, durften in französischer, englischer,
deutscher oder italienischer Sprache eingereicht werden. So viele Sprachen
kennt das neue Europa. […]
Ja, Europa wächst eben und wird doch kleiner, immer mehr Völker vereint
es und am Ende bleiben trotzdem nur mehr ein paar davon übrig. Die großen
Kultursprachen wird bald jedes Kind in der Volksschule lernen müssen, die
vielen anderen Sprachen des Kontinents verfallen rapide ins Ansehen regionaler Dialekte. Je mehr Völker dieses Europa zusammenschließt, um so dramatischer schrumpft es mit deren Würde der Unterscheidung auch selber
zusammen. Während sein innerer Markt gigantisch aufgebaut und sein äußerer
Festungswall gegen den Ansturm des Elends aus aller Welt elektronisch ausgebaut wird, wird eines ganz entschieden abgebaut: die Illusion, es würde jene
den ganzen Kontinent umspannende Kommerzialisierung, die nach einem
Europa ohne Grenzen verlangt und daher das vereinte Europa hervorbringt,
nicht gerade das vollständig zerfressen, was scheinheilig immer noch als die
reiche Vielfalt der europäischen Kulturen beschworen zu werden pflegt. […]
Thema 1: Europa – Übungsaufgabe 1
Auch wenn für viele EU-Bürger die Stadt Brüssel zu einem Synonym für die Europäische Union geworden ist,
befindet sich der Hauptsitz des Europäischen Parlaments in Straßburg. Dort finden Plenarsitzungen statt.
Ausschüsse und Fraktionen des Parlaments tagen jedoch an dessen Zweitsitz in Brüssel, wo auch weitere
Plenarsitzungen abgehalten werden. Seit seiner Gründung haben sich die Kompetenzen des Parlaments stark
erweitert. Trotzdem ist die Beteiligung an den alle fünf Jahre stattfindenden Europawahlen gering.
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So viel Unheil ist mit Nationalismus und Nationalstaaten verbunden, dass es
nur vernünftig scheint, wenn manche Propagandisten des neuen Europa die
Nationen als überholte historische Formationen abtun, deren Ende gekommen ist und nicht betrauert zu werden braucht. Die Sünden des Nationalismus werden so der Nation, der geschichtlichen Identität „Nation“ selber überantwortet. Wo Zollgrenzen fallen müssen, auf dass der Warenverkehr sich frei
entfalte, sollen auch die nationalen Unterschiede zwischen den Völkern fallen,
damit sich ähnlich grenzenlos wie die Waren auch Toleranz und Brüderlichkeit über den Kontinent ausbreiten könnten. An die Stelle der vielen
europäischen Nationen, die sich in borniertem Dünkel verachteten und bekriegten, sollte die eine große Nation der Europäer, die vereinte „europäische
Nation“ treten.
Quelle: Karl-Markus Gauß, Europa und die Nationen. Aus: Die Vernichtung Mitteleuropas. Essays. Klagenfurt:
Wieser 1991, 50 f.
Anmerkung zum Autor:
Karl-Markus Gauß (*1954) ist freiberuflicher Journalist; ab 1991 Herausgeber der Zeitschrift
„Literatur und Kritik“: 1995 Österreichischer Staatspreis, 1998 Europäischer Essaypreis.
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Thema 1: Europa – Übungsaufgabe 1
 Mögliche Vorgehensweise
1. Phase
Klären Sie die Anforderungen der Aufgabenstellung.
Lesen Sie zunächst genau die Aufgabenstellung. Stellen Sie sich dazu folgende
Fragen und beantworten Sie sie in Stichworten auf einem Notizzettel:
• In welcher Rolle/Funktion schreibe ich?
• Für wen schreibe ich? Wer sind meine Adressaten?
• Welche Kriterien erfüllt die Textsorte „Kommentar“?
• Welche Schwerpunkte soll mein Kommentar beinhalten?
• Was genau verlangen die Operatoren?
2. Phase
Erschließen Sie den Text.
Lesen Sie den Text „Europa und die Nationen“ genau und analysieren Sie ihn
anschließend:
1 Klären Sie zuerst unklare Formulierungen und Begriffe (mithilfe eines
Wörterbuchs).
2 Markieren Sie sprachliche Auffälligkeiten farbig und bringen Sie am Rand
stichwortartige Notizen an.
3 Erfassen Sie die Problemstellung des Textes und formulieren Sie sie auf
einem Notizblatt.
3. Phase
Kehren Sie zur Aufgabenstellung zurück.
Fertigen Sie zunächst Notizen zu Arbeitsauftrag 2 an: Schreiben Sie die Kritikpunkte des Autors und sich daraus ergebende mögliche Fragestellungen auf,
welche Ihnen später als Grundlage für Ihren Kommentar dienen. Fahren Sie
anschließend mit den Notizen zu den Arbeitsaufträgen 3 und 4 fort.
4. Phase
Erstellen Sie eine Gliederung nach den wesentlichen Kriterien des
Kommentars und folgen Sie dabei den Schwerpunkten der Aufgabenstellung.
5. Phase
Verfassen Sie einen Kommentar und überlegen Sie sich im Anschluss
daran einen passenden Titel.
Thema 1: Europa – Übungsaufgabe 1
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 Schritt für Schritt zur Lösung
Klären Sie die Anforderungen der Aufgabenstellung.
• In welcher Rolle/Funktion schreibe ich? Für wen schreibe ich? Wer sind meine
Adressaten?
Ich bin Schüler/Schülerin, daher schreibe ich aus Schüler/innensicht.
Meine Absicht ist es einerseits, den vorliegenden Text zu erklären, andererseits seine Aussagen aus meiner Perspektive (jugendlicher Europäer/jugendliche Europäerin) in einer verständlichen und gut durchdachten Weise
zu kommentieren.
• Welche Kriterien erfüllt die Textsorte „Kommentar“?
Die Kriterien kann ich auch auf Seite 17 nachlesen, ich sollte mich im
Wesentlichen danach richten. (Genaueres siehe auch 4. Phase)
Grundfunktionen eines Kommentars
a Hintergrundinformation über einen Sachverhalt zur Verfügung
stellen, der gesellschaftlich interessant und wichtig (relevant) ist und der
entweder als Fragestellung vorliegt oder – wie hier – in einem Inputtext
behandelt wird.
b Eine persönliche Sichtweise zum Sachverhalt (eigene Meinung) bieten,
die argumentativ begründet wird und sich rhetorischer und eventuell
auch metaphorischer Sprache bedient.
c Über den Text hinausweisend eigene Lösungsmodelle oder -vorstellungen beschreiben oder bestimmte Lösungen/Änderungen/Vorgehensweisen appellativ verlangen.
• Welche Schwerpunkte soll mein Kommentar beinhalten?
Diese richten sich nach den Unterpunkten der Aufgabenstellung (2. Phase).
• Was genau verlangen die Operatoren?
a „Klären Sie …“: Sie müssen etwas klarmachen, erklären, beleuchten
und mithilfe von Textbezügen belegen.
b „Kommentieren Sie …“: Hier sollen Sie persönliche Betrachtungen
argumentierend zu einzelnen Aussagen des Inputtextes (Aufgabenstellung) in präziser, möglicherweise pointierter Weise formulieren. „Kommentieren“ bedeutet auch, Hintergrundinformationen darzustellen, die
einem persönlich im Zusammenhang sehr wichtig erscheinen.
c „Beurteilen Sie …“: Dieser Operator schließt eine Wertung mit ein, er
verlangt die persönliche Einschätzung eines Sachverhaltes.
1. Phase