Street Art als Praxis von Widerstand und Herrschaft

Lisa K. Bogerts /// Goethe-Universität Frankfurt am Main / E-Mail: [email protected]
Visuelle Waffen des Widerstands? Street Art als Praxis von Widerstand und Herrschaft
Abstract für das Panel „Unordnung! Umordnung?“ auf dem AFK-Kolloquium 2016
Die „Macht der Bilder“ auf unsere Wahrnehmung von internationalen Konflikten ist spätestens seit dem
„aesthetic turn“ (Bleiker 2001) auch in den Sozialwissenschaften anerkannt. Gerade seit der neueren,
etwa 2010 begonnenen internationalen Protestwelle scheint zunehmend das Bildgenre Street Art
eingesetzt zu werden, um die Medienberichterstattung über politische Konflikte (z. B. über die
europäische Finanzkrise in Griechenland oder die „Revolution“ in Ägypten) zu illustrieren.
Street Art wird mitunter als genuines Protestmedium angesehen, weil sie nicht nur soziale Räume besetzt,
sondern in ihren illegalen Formen auch als Statement gegen die bestehende Rechtsordnung, gegen Besitz,
Sauberkeit und Ordnung („Schmierereien“) gelesen werden kann. Entgegen der allgemeinen Darstellung
wird dieses Medium aber nicht nur von zivilgesellschaftlichen AkteurInnen genutzt, die für Emanzipation
und eine „gute Sache“ kämpfen. Zum Hype um diese Kunst „von der Straße“ gehört auch, dass sich
AkteurInnen, die die Herrschaftsordnung repräsentieren, diese kreative Mittel zu Eigen gemacht haben
und sie für Propaganda, Werbung oder Imagepflege einsetzen. Es wäre also naiv, Street Art vorschnell als
genuines Medium des gewaltlosen Widerstands zu idealisieren.
Street Art wird tendenziell noch immer als soziales und popkulturelles Phänomen der Jugend- und HipHop-Szene abgetan. Doch angesichts des vermehrten Auftauchens in Konfliktsituationen – und auch in
den Massenmedien als unsere Hauptinformationsquelle darüber –, aber auch ihre Nutzung durch
AkteurInnen mit großer struktureller Macht, ist es mehr als überfällig, den politischen Charakter von
Street Art und seinem tatsächlichen Potential als „Waffe“ des Widerstands auch in der Friedens- und
Konfliktforschung (FKF) untersuchen.
In meiner Arbeit gehe ich der Frage nach, inwiefern Street Art Praktiken des Widerstands und der
Herrschaft konstituiert: Inwiefern trägt diese ursprünglich als Provokation gegen dominante Ordnungen
gerichtete kulturelle Praxis zur Reproduktion von Herrschaft bei? Dabei mache ich die Methode der
Bildanalyse für die FKF nutzbar. Die Critical Visual Theory bietet für eine solche interdisziplinäre
Herangehensweise wertvolle theoretische Zugänge, weshalb ich Nicholas Mirzoeffs (2011) Ansatz von
„visuality“ und „countervisuality“ anwende, der auf die Produktion von visuellen „Gegennarrativen“ als
Alternative zur dominanten, hegemonialen visuellen Ordnung fokussiert.
Erste Ergebnisse meiner Arbeit legen nahe, dass Street Art durchaus als Phänomen angesehen werden
kann, das Aufschluss über Praktiken des Widerstands und ihre Adaption durch die Herrschaftsordnung
gibt. Nicht nur durch ihre große transnationale Reichweite (aufgrund ihrer visuellen Symbolsprache und
Verbreitung im Internet), sondern auch durch ihr Potenzial, Aufmerksamkeit und öffentliches politisches
Bewusstsein zu schaffen und somit Zivilgesellschaft – genauso für die Unterstützung des Widerstands als
auch der Herrschaftsordnung – zu mobilisieren.
Diese Herangehensweise eignet sich in dreierlei Hinsicht, um Unordnung in der FKF reflektieren: Erstens,
weil sie durch ihre multidisziplinäre Nutzbarmachung bildwissenschaftlicher Methoden die klassische
Textfokussiertheit der FKF durcheinander bringt; zweitens, weil sie durch ihren empirischen Fokus auf
populärkulturelle Phänomene nicht den typischen Forschungsgegenständen des „Mainstreams“
entspricht; und drittens, weil auch der „un-ordentliche“ Charakter des Forschungsgegenstandes – Street
Art – selbst untersucht und hinterfragt werden soll.