Kommunikation – ein Schlüssel für Qualität in der Medizin?

Kommunikation – ein Schlüssel
für Qualität in der Medizin?
Prof. Dr. med. Martin Scherer
Institut für Allgemeinmedizin
Interessenskonflikte
Vizepräsident Deutsche Gesellschaft für
Allgemeinmedizin & Familienmedizin
(DEGAM)
Sprecher Ständige Leilinienkommission
DEGAM-Leitlinienentwicklungsstelle
Dank an unser
Team
Dank
an unser Team
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KOM Plus KUM
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Was erwartet Sie heute?
1. Versorgung und Qualität
2. Warum ist Kommunikation wichtig für gute
Medizin?
3. Was ist gute ärztliche Kommunikation?
4. Trends und Herausforderungen in der Zukunft
5. Fazit
Was erwartet Sie heute?
1. Versorgung und Qualität
2. Warum ist Kommunikation wichtig für gute
Medizin?
3. Was ist gute ärztliche Kommunikation?
4. Trends und Herausforderungen in der Zukunft
5. Fazit
Versorgungsaufgaben
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(Tongue, Epps & Forese, 2005)
Gute Entscheidungen
Haynes, B et al: An updated model for evidence based clinical decisions. BMJ 2002; 324: 1350
Qualitätsmodell
*Vereinfachte Darstellung nach: Arah OA, Wespert GP, Hurst J, Klazinga NS. A conceptual framework for the OECD Health Care Quality
Indicators Project. Int J Qual Health Care 2006; 18 Suppl 1:5-13.
Was erwartet Sie heute?
1. Versorgung und Qualität
2. Warum ist Kommunikation wichtig für gute
Medizin?
3. Was ist gute ärztliche Kommunikation?
4. Trends und Herausforderungen in der Zukunft
5. Fazit
Arzt-Patienten-Gespräch
 Ärzte verbringen 50-80 % der Arbeitszeit im Gespräch mit
Patienten
 Patienten können meist weniger als 50% des Gespräches
wiedergegeben
 Knapp 60% der Deutschen wünschen eine gemeinsame
Entscheidungsfindung
 Non-verbale Aspekte haben erheblichen Einfluss auf das
Arzt-Patienten-Gespräch
(Gärtner 1990,Geisler 2003, Böcken 2004)
Kommunikationsprobleme
 90% aller Beschwerdefälle sind bedingt durch
Kommunikationsprobleme und nicht durch inadäquate
medizinische Behandlung
 Kommunikationsprobleme verursachen oftmals
Behandlungsfehler
 Studierende mit niedrigen Kommunikationskompetenzen
erhalten als Ärzte signifikant mehr Beschwerdefälle
(Brit. Health Commissioner 1990, Tamblyn et al. 2007)
Kommunikationskompetenz und Empathie….
…verbessert Behandlungsergebnisse bei Patienten durch
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Förderung positiver Erwartungshaltungen
Minderung von Angst und Symptomen
Erleichterung der Krankheitsbewältigung
Steigerung der Therapietreue (Compliance/Adherence)
Steigerung der Patientenzufriedenheit
…fördert bei Ärzten
 diagnostische Genauigkeit
 berufliche Effizienz und Zufriedenheit
 geringere Neigung zu Stress, Angst, Depression
(Di Blasi 2001, Elwyn 1999, Larson und Yao 2005, Joosten 2008)
Zwischenfazit
 Kommunikationskompetenz…
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schafft Vertrauen und Zufriedenheit im Arzt-Patienten-Gespräch
steigert die Professionalität ärztlichen Handelns
verbessert die Effizienz ärztlicher Tätigkeit
vermeidet Fehler und Fehlerfolgen (Fehlerkultur)
… ist wichtig und erlernbar...!
(Bachmann 2013, Lukman 2009, Yeddidia 2003, Maguire 2002, Aspegren 1999)
Was erwartet Sie heute?
1. Warum ist Kommunikation wichtig für gute
Medizin?
2. Was ist gute ärztliche Kommunikation?
3. Trends und Herausforderungen in der Zukunft
4. Fazit
Das Vier-Seiten Modell (Schulz von Thun)
Worüber ich informiere.
Wozu ich Dich veranlassen möchte.
Wie ist das zu verstehen?
Was will Er/Sie von mir?
Was ich von Dir halte.
So eine(r) bin ich also?
Was ich von mir kundgebe.
Was ist das für eine(r)?
Worauf ich heute nicht näher eingehe…
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Axiome der Kommunikation (Watzlawick)
Talk Model: Partizipative Entscheidungsfindung (Elwyn)
Kommunikationsprinzipien (Rogers)
Interaktionsmodell (Leary)
Patientenerwartungen
 Ärzte sollten auf keinen Fall…
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Hektik, Ungeduld oder Nervosität ausstrahlen
Arroganz, Unfreundlichkeit oder Respektlosigkeit ausstrahlen
desinteressiert und abgelenkt sein, nicht zuhören können
Patientensorgen nicht ernst nehmen
unangemessenen Humor einbringen
(Bachmann et al., 2011)
Aspekte der Beziehungsgestaltung
 Frühzeitiges Unterbrechen
 Fachtermini, falsches Sprachniveau
 mangelnder Respekt, Vorwürfe
 uneindeutige/unzureichende Informationen
 unzureichende Patientenzentrierung,
Patientenäußerungen oder -wünsche ignorieren
 ablehnende Körperhaltung, Tonfall, Mimik, kein
Blickkontakt
 nicht zuhören, mangelnde Aufmerksamkeit
 Eigener Stress, Hektik, Befindlichkeit
 negative „innere Haltung“, meist gegenüber
„schwierigen“ Patienten
Patientenerwartungen
 Ärzte sollten…
 allgemeinverständlich sprechen, gut aufklären
 non-verbale Kommunikation bei sich und Patienten wahrnehmen,
adäquat reagieren
 empathisch, freundlich, respekt-/verständnisvoll sein
 sich Zeit nehmen, Geduld haben, gut zuhören, nicht unterbrechen,
aufmerksam sein
 Patienten als gesamte Person sehen, Patientenperspektive
wahrnehmen, Patienten helfen und „für sie da sein“
 Patienten auf Augenhöhe behandeln, als Partner sehen, gemeinsam
mit Patienten entscheiden
(Bachmann et al., 2011)
Kommunikation in der Konsultation
1. Begrüßen, sich vorstellen, für gute Rahmenbedingungen
sorgen
2. Offene Fragen stellen und aufmerksam Zuhören
3. Zielgerichtete, geschlossene Fragen stellen
4. Patientenperspektive erfassen
5. Allgemeinverständlich aufklären
6. Verständnis und Fragen klären
7. Zusammenfassen und Verabschieden
Aspekte der Beziehungsgestaltung
 Verbal: Nachfragen, Patienten einbinden, zusammenfassen,
strukturieren, offene Fragen klären…
 Non-/paraverbal: Blickkontakt halten, angemessene
Körperhaltung, Tonfall und Tonlage, Zuversicht vermitteln…
 Haltung: Respektvoll, nicht werten, empathisch, fürsorglich,
interessiert…
 Professionalität: Professionelle Rolle einnehmen,
Souveränität und Kompetenz ausstrahlen…
CARE - Modell
 Reflektion der „Inneren Haltung“
C omfort: mit schwierigen Situationen gelassen umgehen
A cceptance: Patienteneinstellungen/-gefühle akzeptieren
R esponsiveness: sensibles Reagieren
E mpathy: empathisches Reagieren
Was erwartet Sie heute?
1. Warum ist Kommunikation wichtig für gute
Medizin?
2. Was ist gute ärztliche Kommunikation?
3. Trends und Herausforderungen in der Zukunft
4. Fazit
Entwicklungstrend
Entwicklungstrend
chronischerErkrankungen
Krankheiten
chronischer
Institut für Allgemeinmedizin
Uijen et al. 2008
Multimorbidität und Lebensalter
Multimorbidität und Lebensalter
Institut für Allgemeinmedizin
TdA HH 2014
Barnett et al. Lancet 2012
Was bedeuten diese Trends für die Kommunikation?
Multimorbidität und Lebensalter
Klinisches Beispiel: Herr H. (1)
 Herr H., 89 Jahre alt, seit 30 Jahren in Ihrer Praxis; jetzt
aber ein ¾ Jahr nicht dagewesen
 Diabetes Mellitus 2, Art. Hypertonie, 2 Herzinfarkte, nach
Herpes Zoster schwere postherpetische Neuralgie
 In den letzten Jahren zusätzlich Herzinsuffizienz und
Niereninsuffizienz Grad 4
 Med: Ramipril, Amytriptilin, Metformin, Glipizid, ASS,
Atenolol, Furosemid, Spironolacton, Simvastatin,
Isorbidmononitrat Gabapentin, Gelonida
Institut für Allgemeinmedizin
Multimorbidität und Lebensalter
Klinisches Beispiel: Herr H. (2)
 Aktuelle Beschwerden: Müdigkeit, Appetitlosigkeit,
nachlassende Mobilität, Muskelschmerzen
 Blutzucker gut eingestellt
 Aktueller Befund: RR 110/74, Wasseransammlungen in
Beinen und Lunge, Gangbild unsicher und langsam
Institut für Allgemeinmedizin
Multimorbidität und Lebensalter
Herr H. – wenige Wochen später
Vertretungsarzt Dr. M
 Jetzt Schulterschmerzen
o Anamnese + Untersuchung
o V.a. Schultergelenksarthrose  Überweisung zum Röntgen
 10 Minuten um, Blutwerte vom letzten Mal besprechen
o Hb 11,8, Erys 3,8, HKT 35,6
o Gesamtcholesterin 275 mg/dl, HbA1c 7,8%
o GFR 18 ml/min, Harnstoff 80,5 mg/dl, Kreatinin 3,4 mg/dl, Natrium
128, Kalium 5,6
 20 Minuten um, Wartezimmer voll
 Herr H. erinnert Dr. M, dass der Blutdruck noch kontrolliert
werden muss
Institut für Allgemeinmedizin
Multimorbidität und Lebensalter
Diskussion der Laborwerte
 Herr H. ist beunruhigt und fragt, was die Laborwerte
bedeuten
 Er weist darauf hin, dass seine Frau unter Agoraphobie
und rheumatoider Arthritis leidet und daher ans Haus
gebunden ist
 Viele Besorgungen hängen an ihm, hat Sorge, sich nicht
mehr um seine Frau kümmern zu können, wenn er
schlechter wird
Institut für Allgemeinmedizin
Multimorbidität und Lebensalter
Am nächsten Tag an der Anmeldung
 Herr H. kommt in der sprechstundenfreien Zeit (Mittags)
 Er war unzufrieden mit dem Vertretungsarzt Dr. M, hat
Tränen in den Augen. Herr H. macht sich größte Sorgen,
weil er nicht weiß, wie er sich bei nachlassendem
Allgemeinzustand weiter um seine Frau kümmern soll.
Kochen und Haushalt hängen an ihm
Institut für Allgemeinmedizin
Multimorbidität und Lebensalter
Welche Prioritäten sollte man setzen?
A.
B.
C.
D.
E.
F.
G.
H.
Anämie
Nierenfunktion
Elektrolyte
Cholesterin
Schulterschmerz
Blutdruck
Erhalt der Autonomie
Optimierung der
Medikation
Institut für Allgemeinmedizin
Multimorbidität und Lebensalter
Herr H. wieder beim Ihnen in der Sprechstunde
 Sie sind aus dem Urlaub zurück
 Herr H‘s Prioritäten: sich um seine Frau kümmern können,
Schulterschmerz, Muskelschmerzen, Müdigkeit
Institut für Allgemeinmedizin
Was erwartet Sie heute?
1. Warum ist Kommunikation wichtig für gute
Medizin?
2. Was ist gute ärztliche Kommunikation?
3. Trends und Herausforderungen in der Zukunft
4. Fazit
Fazit
 Kommunikation ist DAS Rückgrat der medizinischen
Versorgung
 Gute Medizin ist ohne die Attribute einer sensiblen
und empathischen Gesprächsführung undenkbar
 Gute Kommunikation braucht Zeit und funktioniert
nicht im Hamsterrad
 Je komplexer die Problemlagen sind, desto größer die
kommunikative Herausforderung
 Multimorbidität und Komplexität nehmen zu
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Institut für Allgemeinmedizin