Weshalb ich die gefährliche Durchsetzungsinitiative bekämpfe Von Peter Studer Als ich am Wochenende von Roger Schawinski in seiner Radiosendung „Doppelpunkt“ befragt wurde, spottete er gleich zu Beginn: „Was hat Dich gebissen, dass Du im zarten Alter von 80 Jahren eine politische Kampagne lostrittst?“ Es geht um die Durchsetzungsinitiative der SVP, die ich als brandgefährlich beurteile. Deswegen bin ich – zu meiner eigenen Verwunderung – vom Beobachter vorübergehend zum Aktivisten geworden. Wir haben nach einer Woche 40 000 Unterschriften aus allen Schichten und 400 000 Spendenfranken – viele in kleinen Noten -‐ für Plakate und Inserate gesammelt (www.Dringender-‐Aufruf.ch). Drei Gründe motivieren unsere kleine überparteiliche Gruppe: Erstens: Die Durchsetzungsinitiative gefährdet die demokratische Kultur der Schweiz. Volk und Stände hatten 2010 die Ausschaffungsinitiative angenommen, mit der die SVP die Wegweisung krimineller Ausländer vorwärtstreiben wollte. Die Initiative verlangte ein Umsetzungsgesetz des Parlaments binnen fünf Jahren. Rechtzeitig legte das Parlament zahlreiche Verschärfungen des Ausländerrechts im Gewalt-‐ und Betrugssektor vor. Ein Satz empörte die SVP, die viele Erfolge ihrer Bewirtschaftung der Angst vor Ausländern verdankt: „Das Gericht kann ausnahmsweise von einer Landesverweisung absehen, wenn diese für den Ausländer einen schweren persönlichen Härtefall bewirken würde und dessen private Interessen die Öffentlichen Interessen an der Ausweisung überwiegen“. Ein Beispiel für Härtefälle: Wenn die Situation von Ausländern ergibt, dass sie “in der Schweiz geboren oder aufgewachsen sind [Secondos]“, dem Herkunftsland der Familie entfremdet und in der Schweiz verwurzelt sind. Jahrhundertealte europäische Rechtstradition verpflichtet den Richter, auf die besondere Lage von Opfern und Tätern einzugehen. Flugs zog die SVP kurz vor den Parlamentswahlen 2015 ihre Durchsetzungsinitiative aus dem Köfferchen: Diese enthält zwar einen ähnlichen Deliktekatalog für Ausschaffungen wie das Umsetzungsgesetz des Parlaments. Aber sie verpflichtet den Richter, Ausländer bei Verurteilungen wegen solcher Delikte „unabhängig von der Höhe der Strafe“ und von mildernden Umständen automatisch auszuweisen. Zweitens: Die Durchsetzungsinitiative beruft sich auf Volksherrschaft und schürt Misstrauen gegen das Parlament und gegen den Richterstand. So sägt sie am kunstvollen, weltweit einzigartigen Gebäude der Gewaltenteilung, die jeder der drei Gewalten ihre Aufgabe zuweist. Denn die drei Gewalten sollen sich gegenseitig kontrollieren und ausgleichen. Beleg: Die Durchsetzungsinitiative enthält einen einzigen, direkt anwendbaren Verfassungsartikel von drei A4-‐Seiten – ein Monstrum; für die übliche parlamentarische Umsetzung bliebe kein Raum. Drittens: Die „Verschwörer“ der überflüssigen Durchsetzungsinitiative behaupten, dieser „neueste“ Verfassungsantrag gehe allem bisherigen Verfassungsrecht vor, was die Gilde der Staatsrechtler bestreitet. Sie hält dafür, dass „neuestes“ und älteres Verfassungsrecht sorgfältig gegeneinander abzuwägen, ja zu harmonisieren seien. Das Verhältnismässigkeitsprinzip steht auch in der eleganten Bundesverfassung (1999), die allmählich durch propagandistisch konzipierte Initiativen verunstaltet wird (Minarettinitiative als Beispiel). Die Bundesverfassung nennt in Artikel 5 das „Verhältnismässigkeitsprinzip“ als „Grundsatz rechtstaatlichen Handelns“, das sich schlecht mit dem automatischen Ausschluss richterlicher Abwägung verträgt. Prediger der Durchsetzungsinitiative behaupten, es gebe bisher schon bisher „Automatismen“ im Strafrecht. Falsch Es gibt zwar verbindliche Mindeststrafen (Mord, 10 Jahre), aber keinen Ausschluss richterlicher Güterabwägung, wie sie die Durchsetzungsinitiative den Richtern oder Staatsanwälten aufs Auge drücken will. Ein weiteres Kuriosum hat die SVP erfunden: Es wird „automatisch“ ausgewiesen, wenn der 19jährige Ausländer mit seiner noch nicht ganz 16jährigen Freundin verbotenerweise geschlafen hat (erster „Strich“) und binnen zehn Jahren ein weiteres mit Freiheits-‐ oder Geldstrafe sanktioniertes Delikt verschulde: Etwa eine Geschwindeigkeitsübertretung, zweiter „Strich“). „Raus, ansonsten tadellos integrierter Ausländer – noch ohne Schweizerpass!“ Unfair, auf der ganzen Linie. Einzige Antwort auf diese ressentimentgeladene Durchsetzungsinitiative: Nein stimmen, brieflich, oder an der Urne am 28. Februar. Der Jurist Peter Studer war Chefredaktor von Tages-‐Anzeiger und später Schweizer Fernsehen. Seit seiner Pensionierung (Ende 1999) schreibt er Bücher über Medienrecht.
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