Bestes Angebot statt billigster Preis

8
BAU & POLITIK | 6/2015
Vergabegesetz-Novelle
Bestes Angebot statt
billigster Preis
Am 8. Mai endete die Begutachtungsfrist für die Novelle 2015 zum aktuell geltenden
Bundesvergabegesetz, die im Herbst in Kraft treten soll. Wenn an Details auch noch
gefeilt wird, ist das Ziel klar: Qualitätswettbewerb anstelle des derzeit vorherrschenden reinen Preiswettbewerbs und die Eindämmung von Lohn- und Sozialdumping bei der Vergabe öffentlicher Aufträge.
Das Tauziehen um ein neues Vergaberecht geht in die finale Phase. Seit 10.
April liegt der Entwurf der Novelle 2015
zum Bundesvergabegesetz 2006 vor. Die
Begutachtungsfrist für alle interessierten
Stellen zur Abgabe von Empfehlungen und
Stellungnahmen endete am 8. Mai. Vergabeexperte Stephan Heid, Heid Schiefer
Rechtsanwälte, hat an der neuen Fassung
mitgearbeitet und ist recht zuversichtlich:
„Ob die Novelle jetzt mit September oder
erst im Oktober in Kraft tritt, kann man
noch nicht sagen, aber sie kommt mit Sicherheit.“
Novelle 2016 zur gänzlichen Umsetzung
der neuen EU-Vergaberichtlinien (RL 2014/
24/EU; RL 2014/25/EU; RL 2014/23/EU)
zeitlich vorgezogen wurden.
Ausgangssituation
Bereits die letzte Neufassung des Bundesvergabegesetzes sah gesetzlich primär das
„Bestangebotsprinzip“ (dieser Begriff ersetzt nun den Ausdruck „Bestbieterprinzip“) vor. In der Vergabepraxis ist jedoch
festzustellen, dass vielfach Auftragsver gaben nach dem Billigstangebotsprinzip
(Billigstbieterprinzip) stattfinden, wie der
Gesetzgeber ernüchtert feststellte. Heid:
„Ich würde sogar sagen, dass im Baubereich fast ausschließlich nach dem
Billigstbieterprinzip ausgeschrieben wird.
Wir haben sechs Monate unsere Fälle
gescannt und 99 Prozent wurden so ausgeschrieben.“
"Dort wo jetzt Bestbieter draufsteht, verbirgt sich oft ein verdecktes Billigstbieterprinzip"
Vergaberechtsexperte Stephan Heid
verspricht einen „heißen Herbst“
Allen mit der Vergabe von öffentlichen Aufträgen Beteiligten verspricht Heid schon
jetzt einen heißen Herbst, denn die Auswirkungen werden durchaus beachtlich sein:
„Im Ergebnis wird das Billigstbieterprinzip
zwar nicht verboten, aber der Korridor für
den Billigstbieter wird enger.“ Generell ist
zu bemerken, dass viele Formulierungen in
der Novelle im Hinblick auf die „große“
Mit gravierenden Folgen für den Bau. Wie es
in den Erläuterungen zur Novelle heißt:
„Insbesondere im Baubereich wird dadurch
ein hoher Preisdruck erzeugt, bei dem die
evidente Gefahr besteht, dass dieser in der
Kette der ausführenden Unternehmen (insbesondere im Rahmen des Einsatz von Subund Subsub-Unternehmen) weitergereicht
wird und in weiterer Folge zu Lohn- und Sozialdumping führen kann.“
In der Praxis sei auch oft festzustellen, dass
der Auftraggeber bei Weitergabe von Auftragsteilen durch den erfolgreichen Bieter
(Subvergabekonstruktionen) oft nicht
mehr vollständige Kenntnis aller an der
Auftragsdurchführung beteiligten Unternehmen besitzt und deswegen seine Kontrollfunktion (auch im Hinblick auf die
Vermeidung von Lohn- und Sozialdumping)
nur eingeschränkt wahrnehmen kann.
Zielsetzung der Novelle
Wesentliche Änderungen haben nicht nur
die Verankerung des Qualitätswettbewerbs
zum Ziel, sondern betreffen auch die Offenlegung des Netzwerks der Sub- und SubsubUnternehmen und Verstöße gegen das
Lohn- und Sozialdumping. Die zentralen
Eckpunkte im Entwurf der Novelle 2015 sind:
■ Verpflichtende Verankerung des „Best angebotsprinzips“ für bestimmte, in § 79
Abs 3 (neu) BVergG genannte Konstellationen (z. B. geistige Dienstleistungen; funktionale Leistungsbeschreibung; Abweichen
von geeigneten Leitlinien; Bauauftrag mit
Planung und Ausführung), um den Qualitätswettbewerb zu stärken.
Soll heißen: Im Ergebnis wird das „Billigstbieterprinzip“ zwar nicht verboten, aber der
Korridor für den Billigstbieter wird enger,
erläutert Heid. Der Gesetzgeber listet acht
Kategorien von Vergabeverfahren auf, bei
denen ex lege das Bestangebotsprinzip zu
verwenden ist (siehe Kasten „Verpflichtende Bestangebotskonstellationen“). Auf der
anderen Seite soll klar zum Ausdruck gebracht werden, in welchen Konstellationen
ausnahmsweise das Billigstbieterprinzip
zulässig ist.
Das Um und Auf der Ausschreibung wird die
Ausformulierung der Bestbieterkriterien
BAU & POLITIK | 6/2015
sein, die letztendlich zum Zuschlag führen
(= Zuschlagskriterien). Je nach Bedeutung
für den Ausschreibenden sollten sie in Prozenten gewichtet oder ausnahmsweise in
der Reihenfolge ihrer Bedeutung festgelegt
sein. Wichtig: Die Kriterien dürfen nicht
diskriminierend sein. Ein Fallbeispiel zur
Erläuterung: Diskriminierend ist die Formulierung „das Unternehmen muss seinen
Sitz in Österreich haben“. Zulässig hingegen ist es, Zusatzpunkte zu vergeben, wenn
das Unternehmen ein Baubüro am Sitz des
Auftraggebers hat.
"Man muss sich genau im Vor hinein überlegen, wie man den
einen oder anderen Anbieter in
der Ausschreibung qualifizieren
kann"
Von den Zuschlagskriterien, die abgestuft
bewertbar also quantifizierbar sind, unterscheidet man die Eignungskriterien. Hier
sind Mindesthürden wie etwa die Befugnis
zu definieren, also sogenannte KO-Kriterien. Heid: „Sie definieren, ob ein Unternehmen bei der Ausschreibung drinnen oder
draußen ist.“ Dementsprechend erfolgt bei
der Angebotsprüfung zuerst die Eignungsprüfung, dann die Angebotswertung anhand der Zuschlagskriterien.
Achtung: Bei den Kriterien muss die Verhältnismäßigkeit gegeben sein, also beispielsweise das geforderte Eigenkapital im
Verhältnis zum Auftragswert stehen. Heid:
„Bei einem Auftragswert von 57.000 Euro
wird die Forderung nach einem Eigenkapital
von zehn Millionen Euro unzulässig sein.“
■ Verstärkung der Transparenz bei der
Subvergabe durch die verpflichtende Be-
9
nennung aller Unternehmen (Sub- und
Subsub-Unternehmer), welche bei der Ausführung des Auftrages eingesetzt werden.
Im Kampf gegen Lohn- und Sozialdumping
wird es eine lückenlosen Transparenz- und
Kontrollpflicht bei Sub- und Subsub-Unternehmen geben. Es sind Ausscheidungs tatbestände analog der „Schwarzarbeit“
angeführt. Heid: „Der Gesetzgeber möchte
damit gewährleisten, dass auf Baustellen
zu keiner Zeit Arbeiter herumlaufen, von
denen der Bauherr nichts weiß.“ Im Sta dium der Auftragsausführung soll ein SubUnternehmerwechsel beziehungsweise das
Für „besonders kritische Aufgaben“ ist
auch eine Einschränkung von Sub- und
Subsub-Vergaben vorgesehen, indem der
Auftraggeber eine Kernleistung festschreibt.
VERPFLICHTENDE BESTANGEBOTSKONSTELLATIONEN
Der Entwurf zur Novelle sieht vor, dass „der Zuschlag jedenfalls dem technisch und wirtschaftlich günstigsten Angebot zu erteilen ist, wenn
1. es sich um eine geistige Dienstleistung (§ 2 Z 18) handelt oder
2. der Auftraggeber in der Ausschreibung Alternativangebote ausdrücklich für zulässig
erklärt (§ 81 Abs. 1) oder
3. die Beschreibung der Leistung funktional (§ 95 Abs. 3) erfolgt oder
4. es sich um Leistungen handelt, die ihrer Natur nach oder wegen der mit der Leistungserbringung verbundenen Risiken eine vorherige globale Preisgestaltung nicht
zulassen und deswegen ein Verhandlungsverfahren durchgeführt wird (§ 28 Abs. 1
Z 3, § 29 Abs. 1 Z 2, § 30 Abs. 1 Z 2) oder
5. in der Ausschreibung von geeigneten Leitlinien (§§ 97 Abs. 2 und 99 Abs. 2) abgewichen wird und dadurch keine vergleichbaren Angebote zu erwarten sind oder
6. die zu erbringenden Dienstleistungen dergestalt sind, dass vertragliche Spezifikationen nicht so genau festgelegt werden können, dass der Auftrag durch die Wahl
des besten Angebotes im offenen oder nicht offenen Verfahren mit vorheriger Bekanntmachung vergeben werden kann (§ 30 Abs. 1 Z 3) oder
7. im Rahmen der Angebotsbewertung mit der Leistung im Zusammenhang stehende
zukünftige laufende bzw. anfallende kostenwirksame Faktoren (z. B. Betriebs- und
Erhaltungsarbeiten, Serviceleistungen, erforderliche Ersatzteil-Lagerhaltung, Entsorgung) berücksichtigt werden sollen oder
8. es sich um einen Bauauftrag handelt, der die gleichzeitige Ausführung und Planung
des Bauvorhabens umfasst (§ 4 Z 1 zweiter Fall) und die Planung nicht bloß unwesentlichen Charakter hat.“
Buchtipp
Maschinelle Abbrucharbeiten
Anschauliche Illustrationen, konkrete Praxistipps und
das neu aufgenommene Glossar zum raschen Überblick
zu den wichtigsten Fachbegriffen runden den Inhalt ab.
Somit steht Ihnen als Praktiker ein nützliches Übersichtswerk für die tägliche Arbeit als Abbruchunternehmer zur
Verfügung.
Hinzuziehen eines nicht im Angebot bekannt gegebenen Sub-Unternehmers hinkünftig nur mit Zustimmung des Auftragnehmers zulässig sein. Heid: „In diesem
Punkt wird noch darüber diskutiert, ob es
tatsächlich einer Zustimmung bedarf oder
ob eine Anzeigeverpflichtung reicht, sodass
der Wechsel als genehmigt gilt, wenn der
Auftraggeber nicht widerspricht.“
Heinz Gorenz
Maschinelle Abbrucharbeiten
Praxishandbuch für Österreich
2., aktualisierte und erweiterte Auflage 2015
ISBN 978-3-85462-317-3
Preis: € 49,50
Bestellen Sie gleich online! Dieses und viele andere Produkte aus dem Verlag von
Austrian Standards finden Sie unter www.austrian-standards.at/webshop
10
■ Verpflichtende Einholung einer Auskunft
aus der zentralen Verwaltungsstrafevidenz
des Kompetenzzentrums Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfung (Wiener Gebietskrankenkasse) von allen für die Zuschlagserteilung in Betracht kommenden Bewerbern/Bietern, deren Sub-Unternehmer und
aller weiterer Sub-Unternehmer.
Die Prüfungen werden sich laut Meinung
der Rechtsexperten bald einspielen. Die Abfragen beispielsweise über die ANKÖ, die
über alle Schnittstellen wie etwa zur Gebietskrankenkasse, Strafrechtsdatei etc.
verfügt, werden rasch bearbeitet.
■ Für die Wahl des Verfahrens ist auch bei
der „großen Losregel“ im Oberschwellenbereich der geschätzte Auftragswert des jeweiligen Loses heranzuziehen.
Generell soll es eine einheitliche Regelung
für den Ober- und Unterschwellenbereich
und alle Auftragsarten geben sowie eine generelle Pflicht zum Bestangebotsprinzip für
öffentliche Auftraggeber und Sektorenauf-
BAU & POLITIK | 6/2015
traggeber. Ein enger Korridor für den Zuschlag nach dem billigsten Preis ist insofern
geblieben, als der Entwurf folgenden Passus vorsieht: „Billigstangebotsprinzip nur
zulässig, sofern Qualitätsstandards der
Leistung durch den Auftraggeber in technischer, wirtschaftlicher und rechtlicher Hinsicht klar und eindeutig definiert“. Bisher
galt im Sektorenbereich die freie Wahl zwischen Billigst-/Bestbieterprinzip.
■ Änderung des Gesetzeswortlauts, sodass ein Vertrag in Zukunft auch nach
Ablauf der Stillhaltefrist einer ex-anteTransparenzbekanntmachung noch für
nichtig erklärt werden kann, wenn der Auftraggeber unter Einhaltung der erforderlichen Sorgfalt bei der Verfahrenswahl nicht
davon ausgehen konnte, dass ein Vergabeverfahren ohne vorherige Bekanntmachung
zulässig war.
Prüfaufwand, für die Unternehmen durchaus bewusst, wenn er in den Erläuterungen
formuliert: „Die Verankerung des Bestangebotsprinzips bei den im Gesetz konkretisierten Konstellationen sowie die Neuregelungen im Bereich der Sub-Vergabe führen
zu nicht quantifizierbaren Mehraufwendungen für Unternehmen“. Dennoch, so ist
Heid überzeugt, „das ist zu Beginn durchaus ein großer Aufwand, aber diese Verpflichtungen werden viel Gutes in der
Baubranche bringen.“
"Die Ausschreibung muss ein
Gesamtkunstwerk aus Zuschlagskriterien, Eignungskriterien und
der Beschreibung des Leistungsgegenstands sein, dann ist sie
erfolgreich"
Fazit
Der Gesetzgeber ist sich des Mehraufwands, insbesondere durch den steigenden
VERGABEMODELL FÜR INFRASTRUKTURPROJEKTE
Vergabe mit Handschlagqualität
Anfang Juni wurden im Haus der Bautechnik in Wien die Empfehlungen zum
„Vergabemodell für Infrastrukturprojekte – VIP“ vorgestellt.
Die Erfahrungen der letzten Jahre, insbesondere bei der Realisierung von komplexen Bauprojekten, haben gezeigt, dass die
geübte Praxis der Billigstbietervergabe viel
Konfliktpotenzial, hohe Mehrkostenforderung und viele Leerläufe in der Bauabwicklung bringt.
Ebenso werden Alternativen mangels Vergleichbarkeit zum Amtsentwurf nicht zu gelassen. Möglichkeiten zur Innovation
bleiben auf der Strecke. Um dies zu verbessern, hat es bereits ein großes Engagement
der ÖBV mit der Herausgabe des ÖBVMerkblattes „Kooperative Projektabwicklung“ gegeben. Auch haben Ingenieure in
einer Arbeitsgruppe der ITA-Austria, der
Dachorganisation von ÖGG, ÖBV, FSV, ÖIAV
und ATA, in 33 Sitzungen die Inhalte der
Empfehlungen für ein Vergabemodell für
Infrastrukturprojekte (VIP) erstellt.
Georg-Michael Vavrovsky, ÖBB-Infrastruktur AG, unterstreicht: „Die Vergabe soll
letztendlich als Handschlag für die Partnerschaft nicht nur am Papier stehen, sondern
tatsächlich damit der Beginn einer Partnerschaft entstehen, da Bauen mit angemessenen Preisen aus Sicht von erfahrenen
Auftraggebern die Grundlage für wirtschaftliches Bauen darstellt.“ Manfred
Eder, GF der IL-Ingenieurbüro Laabmayr
&Partner ZT GmbH, stellte diese Empfehlungen für Verkehrsinfrastrukturprojekte
Die rechtliche Basis des VIP stellt das Vergaberecht der EU, umgesetzt in Österreich
durch das Bundesvergabegesetz 2006. Das
VIP bietet offene und nicht offene Verfahren
mit hervorgehender Bekanntmachung für
öffentliche Auftraggeber und nach Aufruf
zum Wettbewerb für Sektorenauftraggeber.
Die Ermittlung des Bestbieters erfolgt
„Kooperation ist das Gegenteil von Konfrontation“, waren sich die Autoren der Empfehlung
VIP – Vergabemodell für Infrastrukturprojekte einig: Ziviltechniker Walter Purrer, Johann
Herdina (Tiroler Wasserkraft AG), Hans Georg Jodl (TU-Wien), AG-Leiter Wolfgang Stipek,
Wolfgang Holzer (Bernard Ingenieure ZT) und Thomas Kurz (Heid Schiefer Rechtsanwälte)
ab einer Vergabegröße von 30 Millionen
Euro vor: „Eine konsequente Anwendung
der beiden Kuverts, Kuvert 1 – technischqualitatives Angebot – und Kuvert 2 – Gesamtangebot, bestehend nochmals aus
dem technisch-qualitativen Angebot und
dem Preis – ist zwingend.“
durch Addition der bewerteten Einzelergebnisse in den qualitativen und quantitativen
Kriterien. Dies bedingt, dass sämtlichen Zuschlagskriterien ein einheitliches, zielorientiertes Bezugssystem (Bezugsgrößen: Ziel,
Ziellatte, Maßstab und Bandbreite) der Bewertung zugrunde gelegt ist.