Prof. Dr. jur. Günter Reiner Helmut-Schmidt-Universität - UniBw Hamburg - Vorlesung Privatrecht für Wirtschaftswissenschaftler Teil II – WT 2004 zu § 13: Schweigen im Rechtsverkehr I. Willenserklärung durch Schweigen Personen können Willenserklärungen nicht nur ausdrücklich abgeben, sondern auch indem sie schweigend handeln: Willenserklärung grds. formlos möglich; Wille muss irgendwie nach außen hervortreten Schweigen als bloßes Nichtstun ist keine Willenserklärung Schlüssiges oder konkludentes Handeln als stillschweigende Willenserklärung möglich • äußerer Tatbestand: Verhalten notwendig, das für einen objektiven Betrachter wie eine Willenserklärung aussieht (äußerlich bewusste Erklärung mit Schlussmöglichkeit auf Rechts- und Geschäftswillen) • innerer Tatbestand: Handlungswille; Erklärungsbewusstsein; Geschäftswille (Achtung: Geschäftswille ist bei objektiver Auslegung kein notwendiges Tatbestandselement der Willenserklärung; Korrektur von Willensmängeln über Anfechtung) II. Schweigen mit Erklärungswirkung Das Schweigen kann als solches die Wirkung einer Erklärung haben („Schweigen an Erklärung Statt“): 1. Grundsatz Schweigen als Nichtstun hat grds. keinen Erklärungswert Deutung von Schweigen als Zustimmung oder Ablehnung nicht möglich Reiner, Privatrecht für Wirtschaftswissenschaftler, § 13: Schweigen im Rechtsverkehr einseitige Erklärung, das (künftige) Schweigen des Empfängers als Zustimmung zu werten, unerheblich 2. Ausnahmen Von diesem Grundsatz gibt es gesetzliche und vereinbarte Ausnahmen: gesetzliche Ausnahmen • Bürgerliches Recht In bestimmten Bereichen des BGB wird dem Schweigen unabhängig vom Vorliegen des inneren und äußeren Tatbestands einer Willenserklärung ausdrücklich rechtsgeschäftliche Bedeutung beigemessen. Dies ist der Fall, wenn der Schweigende kraft Gesetz oder durch seinen Geschäftspartner zur Erklärung aufgefordert ist. Das Schweigen kann dann als Ablehnung (Regelfall zum Schutz des Schweigenden) oder Zustimmung (Schutz der Sicherheit des Rechtsverkehrs) gelten. Beispiele: Fiktion der Genehmigungsverweigerung bei Vertragsschluss eines Minderjährigen, § 108 II 2 BGB Fiktion der Genehmigungsverweigerung bei Vertragsschluss durch Vertreter ohne Vertretungsmacht, § 177 II 2 BGB Fiktion der Annahme des unfreiwillig Beschenkten, § 516 II BGB Fiktion der Genehmigung des Versicherungsnehmers bei Versicherungsantrag abweichenden Versicherungsschein, § 5 VVG einem vom Fiktion der Zustimmung, wenn einer Person, die gesetzlich zum Vertragsschluss verpflichtet ist (Abschlusszwang), auf ein Vertragsangebot schweigt (str.); bei ausdrücklicher Ablehnung jedoch Klage des Berechtigten auf Vertragsschluss nötig • Handelsrecht Im Handelsverkehr kommt dem Rechtsschein besondere Bedeutung zu. Handelsbräuche und Verkehrssitten legen Bedeutung auch des konkludenten Verhaltens fest. Hier gilt das Schweigen regelmäßig als Zustimmung. Dies dient der schnellen Abwicklung der Geschäfte (Sicherheit und Klarheit für den Rechtsverkehr) durch Kaufleute (mangelnde Schutzbedürftigkeit des kundigen Verkehrskreises). Beispiele: Fiktion der Annahme auf Antrag zur Geschäftsbesorgung bei bestehender Geschäftsverbindung oder vorherigem Angebot, § 362 I 1 HS 2, 2 HGB 2 Reiner, Privatrecht für Wirtschaftswissenschaftler, § 13: Schweigen im Rechtsverkehr Zustimmungsfiktion bei Schweigen auf die Schlussnote des Handelsmaklers, § 94 HGB Genehmigungsfiktion bei Handlungsgehilfen bzw. Handelsvertreter ohne Vollmacht, §§ 75h I, 91a I HGB Billigungsfiktion bei Zugang eines kaufmännischen Bestätigungsschreiben Annahmefiktion bei Antrag an Haftpflichtversicherer auf Vertragsschluss, § 5 III 1 PflVersG Vereinbarungen In gewissen Grenzen können auch besondere Vereinbarungen über die Bedeutung des Schweigens getroffen werden. • Die Parteien können vertraglich vereinbaren, dass ihr Schweigen einen bestimmten Erklärungswert haben soll (beredtes Schweigen). Bsp.: In einem befristeten Mietvertrag findet sich die Regelung, dass sich der Vertrag um ein Jahr verlängern soll, wenn keine Vertragspartei bis zu vier Wochen vor Ablauf kündigt. • Gesetzliche Grenzen der Vereinbarungsmöglichkeit existieren zum Schutz des schwächeren und unerfahrenen Vertragspartners (Verbraucherschutz). Bsp.: § 309 Nr. 9 b) BGB, wonach die Vereinbarung einer stillschweigenden Verlängerung des Dauerschuldverhältnisses (etwa Mobilfunkvertrag) in AGB nur bei einer Dauer bis zu einem Jahr wirksam ist. Bsp.: § 8 I VVG, wonach die Vereinbarung einer stillschweigenden Verlängerung des Versicherungsverhältnisses nur bei einer Dauer bis zu einem Jahr zulässig ist. • Besprechungsfall: unverlangte Zusendung von Waren, § 241 a BGB --------------------- 3
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