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Jugendämter benachteiligen pflegende Verwandte | Manuskript
Jugendämter benachteiligen pflegende Verwandte
Bericht: Anett Wundrak
Hallo! Hallo! Langsam, langsam!“
Gudrun Narr und ihr Ehemann kümmern sich schon von Geburt an um ihren Enkel Justin.
Denn dessen Eltern sind nicht erziehungsfähig, werden selbst betreut.
Gudrun Narr
„Das Jugendamt hat eigentlich schon von Geburt an die Hände auf dem Jungen. Und da
sind sie auf mich zugekommen und haben gefragt, ob ich Justin – aufnehmen würde, von
der Mutter weg. Sonst würden sie den Jungen ins Heim geben, also wegnehmen und zu
Pflegeeltern vielleicht.“
Das kommt für die Großeltern nicht in Frage. Sie nehmen den Enkelsohn bei sich auf, haben
Inzwischen auch offiziell das Sorgerecht für ihn.
Justin
„Mir geht es hier richtig gut, also ich fühle mich hier richtig wohl! Wie zu Hause!“
Mit dem Jugendamt ist Gudrun Narr immer in Kontakt, aber materielle Hilfe bekommt sie
von dort nicht.
Gudrun Narr
„Da haben sie mir gesagt, ich kriege keine, steht mir nicht zu. Ich bin die Großmutter und
ich habe den so großzuziehen.“
Eine falsche Auskunft, denn das Bundesverwaltungsgericht hat Großeltern und andere
Verwandte fremden Pflegeeltern gleichgestellt.
„Wie war die Schule? Hast Du Zensur gekriegt heute? Noch nicht!“
Wir treffen Joachim Dorner. Der Anwalt hat sich auf diese Problematik spezialisiert. Er sieht
in dem Verhalten der Jugendämter Kalkül.
Joachim Dorner, Rechtsanwalt
„Ich denke, da wird einfach mit der Unkenntnis der Großeltern gespielt und auch mit dem
klaren Wissen, dass die Großeltern etwas für ihr Enkelkind tun möchten und auf jeden Fall
Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf nur für den privaten Gebrauch des Empfängers
verwendet werden. Jede Verwertung ohne Zustimmung des Urheberberechtigten ist unzulässig.
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verhindern wollen, dass es weg kommt. Und
Kostenersparnisgründen denen gesagt, es gäbe kein Geld.“
dann
wird
einfach
aus
Das Jugendamt müsste Sach- und Pflegeaufwand eigentlich mit etwa 700 Euro honorieren.
Tut es aber nicht. Anfang 2014 fragen die Großeltern noch einmal nach. Obwohl das Amt die
beiden seit Jahren kennt, prüft es nun erst einmal deren Eignung. Jede Menge Fragebögen:
„Wie war meine Ablösung aus dem Elternhaus nach der Pubertät.
Wo ich meinen Mann kennengelernt habe, wollen sie wissen.“
Das Procedere zieht sich über ein Jahr hin. Die Großeltern müssen ein Führungszeugnis und
ein Gesundheits- Attest beibringen, Schulungen besuchen. Pflegegeld gibt es währenddessen
nicht.
Joachim Dorner, Rechtsanwalt
„Die Formalien abzuarbeiten, die das Jugendamt hat, das ist natürlich auch richtig. Und die
muss es auch einhalten, aber das dauert erstens nicht so lange und zweitens: wenn das
Jugendamt sogar dafür gesorgt hat, dass das Kind nicht bei den Eltern lebt, sondern zu den
Großeltern kommt, dann hätte ab dem Moment schon, also mit dem Tag der Geburt, das
Pflegegeld einsetzen müssen.“
Der von Bund und Ländern getragene Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge
hat die Jugendämter 2014 gemahnt, verwandte Pflegepersonen fremden gleichzustellen, vorausgesetzt die Betreuung des Kindes ist notwendig. Wie viele solche Fälle es gibt, kann
Vorstandschef Michael Löher gar nicht sagen: denn erfasst sind überhaupt nur die, die Geld
bekommen.
Michael Löher, Vorstand Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge
„Es gibt aber eine große Grauzone, weil nicht jedes Pflegeverhältnis beim Jugendamt von
vorneherein angezeigt wird. Es gab vor 10 Jahren – und es ist leider die frischeste
Untersuchung – eine Untersuchung, die zu einem Verhältnis 55 Prozent Verwandtenpflege
kommt.“
Das heißt, über die Hälfte aller Pflegekinder waren zum Zeitpunkt der Untersuchung bei
Verwandten untergebracht. Bei den Jugendämtern erfasst war aber nicht einmal ein Viertel.
Der Staat spart so viel Geld.
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Dass Verwandte über das Pflegegeld nicht aufgeklärt und es ihnen sogar verweigert wird –
dafür ist Familie Seidel nur ein weiteres Beispiel. Bei unserer Recherche finden wir
bundesweit viele ähnliche Fälle. Die leiblichen Eltern von Cecilia und Damian sind
drogenabhängig und zumindest zurzeit nicht in der Lage, ihre Kinder selbst zu erziehen.
„Abendbrot!“
Cecilia lebte zunächst bei fremden Pflegeeltern, Damian erst in einem Heim, dann – getrennt
von seiner Schwester – auch bei Pflegeeltern. Yvonne Seidel, die Tante der Kleinen, holte
beide zu sich. Beim Familiengericht erwirkte sie das Aufenthaltsbestimmungsrecht. Seitdem
aber zahlt das Jugendamt für die Betreuung der Kinder nichts mehr.
Yvonne Seidel
„So, du gehst jetzt ins Bettl!
Diese zuständige Sachbearbeiterin, die halt dafür zuständig ist, für den Lebensunterhalt,
für diese Kosten, die hat mich gleich am Telefon abgewimmelt mit der Begründung: die
Kinder sind familienmäßig untergebracht und wir müssen dafür nichts zahlen.“
Sie bekommt den Antrag auf Hilfen zur Erziehung nicht einmal ausgehändigt. Warum – das ist
nicht nachvollziehbar. Im Jugendamt des Vogtlandkreises steht für ein Interview niemand zur
Verfügung. Wir wenden uns nochmals an den Anwalt Joachim Dorner.
Joachim Dorner, Rechtsanwalt
„Spätestens wenn jemand nachfragt, ob es irgendeine Möglichkeit gäbe von Unterstützung,
ob irgendwelche Leistungen vorgesehen sind, muss das Jugendamt dann korrekt
ausführen, dass es diese Möglichkeiten natürlich auch gibt. Und wenn das nicht erfolgt, ist
das eine Amtspflichtverletzung und die kann einen Schadenersatz nach sich ziehen.“
Zumal das Gericht den Seidels weite Teile des Sorgerechts übertragen hat und das Gutachten
der für die Kinder eingesetzten Verfahrenspflegerin positiv ist.
Yvonne Seidel
„Und da steht auch drin, dass die Kinder sich jetzt eingelebt haben und dass es denen gut
geht.“
Trotz dieser positiven Einschätzung bleibt das Jugendamt bei seiner Ablehnung, die
Verwandtenpflege als solche auch zu honorieren. Stattdessen wird die Familie ans Sozialamt
verwiesen. Von dort beziehen sie zumindest einen kleinen Zuschuss für die Kosten der
Unterkunft. Von all dem Ärger und Stress bekommen die Kinder nichts mit.
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Yvonne Seidel
„Stress ist eigentlich nur dann, wenn es um die finanziellen Belange geht. Das bereitet
Stress, wenn man von einem Amt zum nächsten geschickt wird, und wird permanent
abgewiesen.“
Die Zahl der von den Jugendämtern in Obhut genommenen Kinder steigt stetig, ihre
Unterbringung in Heimen ist teuer, Pflegefamilien zu finden schwierig.
Michael Löher, Vorstand Deutscher Verein für öffentl. und private Fürsorge
„In der Tat braucht man die Verwandtenpflege, um das umsetzen zu können. Ich glaube,
dass viele Kommunen und Gebietskörperschaften auch darauf angewiesen sind. ...heißt
aber nicht, dass die Verwandten Ausfallbürgen sind für etwas, was der Staat liefern muss!“
Jugendämter, die trotz eindeutiger Rechtslage nicht zahlen, machen den Angehörigen das
Leben unnötig schwer. Dabei ist die Verwandtenpflege meist die beste Lösung – für die
Betroffenen und die Gesellschaft. Immerhin erhalten Gudrun Narr und ihr Ehemann nach
unseren Recherchen und der Intervention eines Anwalts inzwischen auch die finanzielle
Erziehungshilfe.
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