SEPTEMBER // OKTOBER 5.2015 5,- EUR / 18447 / www.eyebizz.de SEPTEMBER // OKTOBER 5.2015 KULTUR 8=9G7<K9=N9F A57<9F KOMPETENZ >989A9B;9NI?IB:H KUNST IF 1166 G9<A5G7<=B9B E X T R A EYELINER FEIN-STOFFLICHES MACHER Die Zahl der Gemeinsamkeiten zwischen Hemden und Brillen scheint überschaubar: Man kann sie kaufen und tragen, sie gelten oft als Modeprodukte und es gibt sie in Billig- und Edelversionen. Vier kreative Schweizer gehen noch einen Schritt weiter. EIGENTLICH IST DIE VORGESCHICHTE schnell erzählt: Vier Jugendfreunde Philippe Rieder, Christian Gisler und die Brüder Raphael und Ramon Büsser aus dem schweizerischen St. Gallen – gründeten im Jahr 2008 ein Modelabel zur Herstellung von T-Shirts, Hemden f und anderer Oberbekleidung. Keiner von ihnen kam aus der Modebranche, was allerdings eher ein Vorteil war: Mit dieser erfrischenden Form der Ahnungslosigkeit macht man zwar immer wieder Fehler; man umgeht aber auch Fallen wie „Das geht so nicht!“ oder „Das haben wir noch nie so gemacht!“ Nach dem Prinzip „try and error“ tasten Amateure sich oft an Lösungen heran, auf die Fachleute gar nicht kämen. So entsteht echte Kreativität. Zur Beschreibung ihres Unternehmenszwecks wählten sie das alte Schweizer Verb „einstoffen“, das die Kunst beschreibt, Menschen mit Stoff einzukleiden. „Mode, die Trends setzt, dabei fair bleibt und doch immer Raum für ein Augenzwinkern lässt, das ist einSTOFFen“ – so beschrei- 12 E Y E B I Z Z // 5 . 2 0 1 5 h Drei von vier Einstoffern: Ramon Büsser, Philippe Rieder und Raphael Büsser bei einer nicht ganz ernst gemeinten Modell-Konferenz ben die vier Jungunternehmer ihr Geschäftsmodell. Jedes ihrer anspruchsvollen Hemden entsteht in Istanbul. Dort arbeiten die Modemacher seit Jahren mit einem traditionsreichen Familienunternehmen, das die Hemden in Handarbeit herstellt. Die Stoffe dafür suchen sie ebenfalls in der türkischen DIE SCHWEIZER MODEMACHER Hauptstadt aus, denn dort gibt es SEHEN IHRE KUNDEN ALS HELDEN – einen der größten Stoffmärkte der JEDEN AUF SEINE PERSÖNLICHE ART. Welt. Was dazwischen liegt, ist ein phantasievoller Prozess, in dem Stoffmuster tage- und manchmal nächtelang nebeneinander gelegt, miteinander kombiniert und oft wieder verworfen werden, bis am Ende eine neue Kollektion feststeht. Jedes so entstehende Hemd wird aus mindestens zwei verschiedenen, hochwertigen Baumwollstoffen gefertigt und besticht durch einen perfekten Schnitt NACH DEM PRINZIP „TRY AND ERROR“ und viele, liebevolle Details und Stickereien, die man oft erst auf den zweiten Blick TASTEN AMATEURE SICH OFT AN LÖSUNGEN HERAN, entdeckt. „Hemden für Helden“ nennen die Schweizer ihre von Kult-Filmhelden inspiAUF DIE FACHLEUTE GAR NICHT KÄMEN. rierten Kreationen. Man könnte auch sagen: Ein einSTOFFEN-Hemd ist eine Stoff gewordene Hommage an extravagante Charaktere. Denn die Schweizer Modemacher sehen ihre Kunden als Helden – jeden auf seine persönliche Art. Etwa 300 Hemden entstehen pro Modell, die bislang hauptsächlich in der Schweiz verkauft werden – zum einen über etwa 60 Boutiquen; zum anderen in einem eigenen Online-Shop. „Manche Kunden sind bereits richtige Sammler und kaufen aus jeder Kollektion ein oder zwei Hemden“, erzählt Philippe Rieder mit berechtigtem Stolz. 2012 wurde das Sortiment des StartUps um Sonnenbrillen ergänzt. Die bestanden 4*-.0)BMMF"4UBOE WWW.EYEBIZZ.DE /FV NZGSPTU&JOF-JFCFTFSLMÊSVOHBO+BISF#SJMMFOIBOEXFSL 13 EYELINER „WIR WOLLEN EINFACH SCHÖNE BRILLEN MACHEN – UND DAFÜR IST HOLZ IN SEINER EINZIGARTIGKEIT EINFACH EIN PHANTASTISCHER WERKSTOFF.“ zunächst aus Bambus, später aus Holz und waren zunächst nur als cooles Accessoire gedacht, das die Textilkunden ansprechen, aber nicht übermäßig teuer sein sollte. „Wir haben das nicht unter dem Aspekt ‚Optik‘ gesehen, sondern vor allem als Fashion-Idee“, erläutert Raphael Büsser. „Wir hatten auch schon an Jeans oder Schuhe gedacht, aber solche Produkte sind für uns als kleines Unternehmen zu schwierig.“ „Die ersten Brillen waren ziemlich massiv, aber mit der Zeit haben wir die Technik so verfeinert, dass man sie auch sehr filigran machen kann“, ergänzt sein Bruder Ramon Büsser. „Die dicken, auffälligen Modelle sprechen ja eher ein junges Publikum an; aber mit den feineren kann man auch eine ältere Zielgruppe erreichen.“ Von da bis zur Korrektionsbrille war es dann nur noch ein kleiner Schritt – nicht zuletzt, weil ein paar Schweizer Augenoptiker einfach damit anfingen, die Sonnenbrillen der Schweizer Brillenmacher mit Korrektionsgläsern zu verglasen und ihnen die Feinheiten zu zeigen, auf die es bei der Herstellung von Brillen ankommt. Bis vor etwa zwei Jahren hatten die vier Schweizer alle noch einen Brotberuf; ihr Textil- und Brillenlabel war eher ein Hobby. Mittlerweile können alle vier aber von ihren Ideen leben – und haben auch gar keine Zeit mehr, etwas anderes zu tun: Ihre Erfolgskurve zeigt steil nach oben. Der nächste Schritt ist die Einrichtung einer deutschen Dependance in Berlin, die noch 2015 eröffnet werden soll. Damit soll die Betreuung einer wachsenden Zahl von Augenoptikern, Kunden und Fans in Deutschland und der EU weiter vereinfacht werden. Interessant ist die Evolution, die die Brillen der autodidaktischen Schweizer Modeund Brillenmacher in nur drei Jahren durchlaufen haben. Die ersten Brillenmodelle aus dem Jahr 2012 bestanden aus einem einzigen Stück Holz. Das sah zwar schon schön aus, war aber nicht wirklich alltagstauglich. Die nächste Stufe bestand aus drei 14 E Y E B I Z Z // 54 . 2 0 1 5 querverleimten Holzschichten; danach kamen Versuche mit kanadischem Schichtholz, aus dem üblicherweise Skateboards hergestellt werden. Mittlerweile besteht eine einSTOFFEN-Brille aus 13 bis 20 hauchdünnen Holzschichten. „Das ist so stabil, dass es schon fast ein Holzgeflecht ist“, freut sich Raphael Büsser. „Wir machen aber keine Holzbrillen, weil das gerade chic ist; wir wollen einfach schöne Brillen machen – und dafür ist Holz in seiner Einzigartigkeit einfach ein phantastischer Werkstoff. Das sind unsere Wurzeln.“ Natürlich gab es anfangs auch Fehlschläge. Zum Beispiel bei der Idee, zur Stabilisierung der Brillen ein Aluminium-Blech zwischen die Holzschichten zu kleben. Die Muster des Produzenten waren gut; bei zahlreichen Serienmodellen gab es dann allerdings Spannungsrisse, weil der Kleber Probleme machte. Am Ende entschieden die Jungunternehmer, alle bereits ausgelieferten Modelle dieser Serie von ihren Kunden zurückzukaufen: „Das hat zwar einen Haufen Lehrgeld gekostet, aber unser Image war uns wichtiger“, erinnert sich Philippe Rieder. Aktuell ist eine Kollektion aus Schweizer Walserholz in Planung, das üblicherweise für die Herstellung von Musikinstrumenten verwendet wird. Weitere Versuche werden derzeit auch mit Birnbaum, Kirsche, Makassar-Ebenholz, weißer Birke, schwarzer Aprikose und geräucherter Lärche gemacht. Bereits serienreif ist die neue „Rock-n-Rolla“-Kollektion, deren vordere Schicht aus hauchdünnem Schiefer besteht. „Diese Brillen sind alltagstauglich und elegant, aber trotzdem massiv wie unsere geliebten Alpen“, freuen sich die Schweizer. Die Zukunft des kleinen Unternehmens hat gerade erst begonnen. Für den Tragekomfort der einSTOFFEN-Brillen sorgen mittlerweile spezielle Federscharniere von OBE; die Bügelenden mancher Modelle bestehen aus italienischem Acetat und sind somit anpassbar. Und wer genau hinsieht, kann in den Bügeln einiger Modelle den verschmitzten, inoffiziellen Slogan des jungen Unternehmens lesen: „Du siehst zum Brillen aus. // Silmo: Halle 6, Stand H023 www.einstoffen.ch WWW.EYEBIZZ.DE 15
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