Bildung und Sport PI-Symposium „Spuren hinterlassen...“, 27. & 28.10.2015 Schriftliche Workshopdokumentation Workshop Nr.: 22 Thema: Videoarbeit: Ein Instrument zur Analyse und Weiterentwicklung professioneller Bildungsarbeit Referierende: Charlotte Strobl und Prof. Dr. Alexander Gröschner Diese Dokumentation ist im Rahmen eines Kooperationsprojekts des Pädagogischen Instituts mit der KSFH München und der LMU München entstanden. Die nachfolgenden Aufzeichnungen geben den Eindruck und sind nicht mit den Referierenden der Workshops abgestimmt. AutorInnen: Anna-Lena Kahmann der AutorInnen wieder Pädagogisches Institut • Symposium 2015 • Dokumentation • Workshop: Videoarbeit 1. Wissenschaftlicher Hintergrund zum Workshop Die beiden Referierenden rückten das Instrument der Videoarbeit in den Fokus ihres Workshops. Frau Charlotte Strobl ist Psychologische Psychotherapeutin und stellte zu Beginn das Konzept „Marte Meo“ (übersetzt: „Aus eigener Kraft“) vor. Dabei handelt es sich um eine videogestützte Beratungsform zum therapeutischen Arbeiten, welche von der Pädagogin Maria Aarts entwickelt wurde (vgl. AARTS 2011, 37ff.). Genutzt wird dieser Ansatz vorwiegend in der Beziehungsarbeit zwischen Eltern und Kindern, also in Berufsfeldern wie der Erziehungsberatung oder der Kinder- und Jugendhilfe. Aber auch in Bereichen der Altenhilfe oder der Personalführung findet diese Methode Anklang (vgl. http://www.norddeutsches-martemeo-institut.de/praxisfelder). Anhand von kurzen Videosequenzen wird beispielsweise Eltern erklärt, welche spezielle Form der Unterstützung sie ihrem Kind geben können. Entscheidend dabei ist der Blick auf das Positive. Es wird nicht darauf geachtet, wo mangelhaftes Verhalten besteht, sondern darauf, welche Kompetenzen ein Kind bereits entwickelt hat und in welcher Weise die Eltern mit dem Kind weiter arbeiten können, um ein stetiges Voranschreiten zu erzielen (vgl. http://www.norddeutsches-marte-meo-institut.de/marte-meo). Der ressourcenorientierte Ansatz mit der Ausgangsbasis des „kompetenten Kindes“ und gleichzeitig auch der „kompetenten Eltern“ steht folglich im Mittelpunkt. Daher stammt auch der Titel des Konzeptes, da die Beteiligten alles aus eigener Kraft heraus - also durch Eigeninitiative - erarbeiten. Die Betonung des Positiven drückt sich gleichzeitig in der Sprache der Beratenden aus: Den Eltern wird gesagt, was sie tun können und nicht, was sie in Zukunft vermeiden sollten. Einige solcher zentralen positiven Aspekte sind: Das Kind ansprechen und Blickkontakt suchen, ein freundliches Gesicht sowie eine freundliche Stimme zeigen, das Gesagte wiederholen, auf die Reaktion des Kindes warten und daran anschließen. Allein durch diese Kontaktaufnahme zum Kind konzentrieren sich Eltern auf eine Stärke ihres Kindes. Das Konzept Marte Meo will zeigen, dass Kinder und Eltern Selbstwirksamkeit erfahren. Eltern erleben sich zunehmend als kompetent und wirksam. Kinder spüren die Sicherheit der Eltern und fühlen sich aufgehoben. Die Eltern-Kind-Beziehung vertieft sich (vgl. AARTS 2011, 88 ff., 149 ff.). Herr Prof. Dr. Alexander Gröschner befasst sich intensiv mit der Schulpädagogik und bietet Fortbildungen zum „Dialogischen Videozirkel“ (DVC) an. Ein solches Angebot richtet sich an Lehrer_innen, die sich sowohl bei der Unterrichtsplanung und –durchführung als auch bei der Begleitung von Schüler_innen neue Impulse wünschen. Um wirksames Lernen zu ermöglichen, ist eine produktive Klassengesprächsführung ein wichtiges Element des Unterrichts. Dazu zählt zum einen, die Schüler_innen zur Beteiligung zu aktivieren. Dies geschieht u.a. durch kognitiv anregende und offene Fragen, Hinweise auf kommunikativen Austausch, vernetzter Kommunikationsstrukturen oder veränderter Methodenwahl. Zum anderen zeichnet eine 2 Pädagogisches Institut • Symposium 2015 • Dokumentation • Workshop: Videoarbeit produktive Klassengesprächsführung aus, dass die Lernprozesse von jungen Menschen begleitet, eigene Ideen unterstützt und Rückmeldungen gegeben werden. Dies wird ermöglicht durch das Eingehen auf Ideen und Fehler, durch lernprozessbezogenes Feedback oder mittels individueller Beratung und Förderung. Insbesondere mathematisch-naturwissenschaftlicher Unterricht zeichnet sich jedoch häufig durch Fragen der Lehrperson aus – eine Form, die eher auf eng geführte Klassengespräche schließen lässt. Die Lernerträge sowie das Interesse der Schüler_innen leiden zumeist darunter (vgl. https://www.uhsf.edu.tum.de/index.php?id=45). Vor diesem Hintergrund entstand das neue Fortbildungsangebot „Dialogischer Videozirkel“ für Lehrkräfte, welches in Anlehnung an dem von Prof. Hilda Borko der Stanford University entwickelten Ansatz des „Problem-Solving Cycle“ entwickelt wurde. Der Einsatz von Videos gilt dabei als effektives Instrument wirksamen Lernens für Lehrende. Ziel dabei ist die Verbesserung der Klassengesprächsführung von Lehrer_innen. Die Fortbildung des Dialogischen Videozirkels gliedert sich in drei Workshops und eine Videoaufzeichnung. In einem ersten Workshop liegt der Fokus auf der Unterrichtsplanung. Anschließend erfolgt die Videographie der Unterrichtsstunde. Der zweite Workshop konzentriert sich auf die Schüler_innenaktivierung und schließlich eine dritte Einheit auf die Begleitung von Lernphasen (vgl. SEIDEL 2015, 20 f.). 2. Wesentliche Thesen und Ergebnisse des Workshops Gegen Ende des Workshops fassten die Teilnehmenden die wesentlichen Erkenntnisse aus dem Workshop auf einem Plakat zusammen. An erster Stelle ist hier die Erkenntnis zu nennen, dass es in der Videoarbeit stets darum geht, kurze gesehene Sequenzen zu beschreiben, anstatt eine Situation voreilig im Gesamten zu bewerten. In einer Bewertung sind subjektive Empfindungen versteckt, die bei der Videoanalyse ein Hindernis darstellen. Dass dieses objektive Beschreiben ohne Deutungsinhalt eine schwierige Aufgabe darstellt, durfte die Gruppe in einer kleinen Übung unmittelbar erfahren (s.u.). Eine Videoanalyse wird demnach systematisch durchgeführt. Die Videotechnik ist vergleichbar mit einem „Vergrößerungsprozess“. Anhand von ausgewählten Videoszenen können beispielsweise Eltern deutlich sehen, wo es in ihrem Alltag mit dem Kind konkrete Gelegenheiten gibt, um positiv einzugreifen. Deutlich wurde für die Gruppe an dieser Stelle erneut der Blick auf die Ressourcen und Potentiale der gefilmten Personen. Aus einer Fülle solcher Alltagskontakte werden besonders geeignete Momente herausgefiltert und bei der Analyse unter professioneller Begleitung genauer beleuchtet. Bei der Videoarbeit nach Marte Meo ist es zudem entscheidend, dem Kind stets Rückmeldungen zu geben. Dies zeigt sich u.a. durch Bestätigungen und Benennungen. Videoarbeit wurde von den Teilnehmenden als Methode angesehen, um Reflexionsprozesse anzustoßen und zu begleiten. Dafür benötige es wiederum viel Mut der Personen, die gefilmt werden und Selbstreflexion wünschen. Ein Großteil der 3 Pädagogisches Institut • Symposium 2015 • Dokumentation • Workshop: Videoarbeit Gruppe war selbst an Schulen tätig – sei es als Lehrkraft oder als Schulbegleitung. Viele konnten Hemmungen gegenüber einer videoaufgezeichneten Unterrichtsstunde nachempfinden, die bei Lehrpersonen mit hoher Wahrscheinlichkeit vorhanden ist. 3. Erlebte Wirksamkeitsfaktoren im Workshop Der hier beschriebene Workshop zeichnete sich durch einen differenzierten Input aus. Die Referierenden stellten die Konzepte theoretisch vor und beleuchteten sie mit praktischen Beispielen, wie beispielsweise die Videosequenzen aus der therapeutischen und schulischen Arbeit. Die Konzepte um Marte Meo und den Dialogischen Videozirkel waren für die Teilnehmenden weitgehend unbekannt, sodass sie neue pädagogische Ansätze kennen lernten. Die breite Basis vorgestellter Literatur in Verbindung mit Videosequenzen aus dem Arbeitsalltag untermauerten die theoretische Fundierung und deren Übertragbarkeit in die Praxis. Da fast alle Teilnehmenden Lehrpersonen waren oder sich zumindest in anderer Form intensiv im Kontext der Schule beschäftigten, orientierte sich die Thematik an den Bedürfnissen der Gruppe. Im zweiten Teil, in dem der Dialogische Videozirkel im Mittelpunkt stand, herrschte ein reger Austausch, bei dem Fragen gestellt und die Verbindung zur eigenen Tätigkeit geknüpft wurden. Anhand der gezeigten Videoausschnitte wurden die theoretischen Impulse anschaulich dargestellt und praktisch erfahrbar. In einer Übung wurde der Gruppe eine kurze Videosequenz von wenigen Minuten gezeigt. Darin waren zwei Mädchen im Kindergarten zu sehen, die gemeinsam ein Bild malten. Beim zweiten Abspielen des Videos wurde immer wieder nach wenigen Sekunden gestoppt. Die Aufgabe der Gruppe war es, abwechselnd zu beschreiben, was sie über das Verhalten der Mädchen aussagen können. Anhand dieser Übung wurde der Gruppe die Schwierigkeit deutlich, eine Situation wertfrei und objektiv zu analysieren, was unmittelbare Voraussetzung der Videoarbeit ist. Durch dieses pädagogische Erleben wurden die Pädagog_innen dazu angeregt, ihr eigenes Denken und Handeln zu reflektieren (Metakognition). Wie selektiv Dinge wahrgenommen werden, durfte die Gruppe durch das Einstiegsvideo „The Monkey Business Illusion“ erleben. Menschen lenken ihre Aufmerksamkeit auf eine bestimmte Sache und blenden andere Aspekte dabei völlig aus. Für den Unterricht kann dies negative Folgen haben, wenn die produktive Klassengesprächsführung gefördert werden soll. Die gezeigte Illusion stellte einen Einstieg mittels der Kognitiven Dissonanz dar, denn die Teilnehmenden wurden irritiert und zur Selbstreflexion angeregt. Rückmeldungen bezüglich der Lehrinhalte wurden im gesamten Verlauf des Workshops Raum gegeben und auch angenommen. Vor allem am Ende der Veranstaltung griffen die Teilnehmenden das Gelernte wieder auf und benannten Dinge, die sie aus dem Vormittag mit in ihren beruflichen und privaten Alltag nehmen können. Dabei erhielten die Referierenden Feedback, das gleichzeitig wiederholt zu einem produktiven Austausch in der Gruppe führte. 4 Pädagogisches Institut • Symposium 2015 • Dokumentation • Workshop: Videoarbeit 4. Offene Fragen Während der Veranstaltung wurde deutlich, dass die Referierenden in ihren Konzepten gefestigt sind und Fragen sofort klären können. Für einige Anwesenden blieb beim Dialogischen Videozirkel die Frage offen, welche Lehrkräfte diese videogestützte Beratungsform nutzen. Hier liegt innerhalb der Gruppe die Vermutung nahe, dass nur sehr motivierte Lehrkräfte den „Mut aufbringen“, sich dieser Situation zu stellen. Lehrende, die wiederum große Sorge haben, etwas falsch zu machen, würden dieses Angebot weniger wahrnehmen. Gleiches gilt auch für die Teilnehmenden an dem Marte-Meo-Programm. 5. Weiterführende Literatur AARTS, M. (2011): Marte Meo. Ein Handbuch. 3. überarbeitete Ausgabe. Eindhoven, Niederlande: Aarts Productions. AARTS, M. (2012): Marte Meo Programm für Autismus. Eindhoven, Niederlande: Aarts Productions. GRÖSCHNER, A., SEIDEL, T., KIEMER, K., & PEHMER, A.-K. (2014): Through the lens of teacher professional development components: The "Dialogic Video Cycle" as an innovative program to foster classroom dialogue. Professional Development in Education. URL: http://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/19415257.2014.939692, (Stand: 23.12.15). MARTE MEO INTERNATIONAL (2010): URL: http://www.martemeo.com/de/home/, (Stand: 23.12.15). NORDDEUTSCHES MARTE MEO INSTITUT (o.J.): URL: http://www.norddeutsches-marte-meoinstitut.de/marte-meo, (Stand: 23.12.15). NORDDEUTSCHES MARTE MEO INSTITUT (o.J.): URL: http://www.norddeutsches-marte-meoinstitut.de/praxisfelder, (Stand: 23.12.15). SEIDEL, T. (2015): Jahresbericht. Sommersemester 2014, Wintersemester 2014/15. Technische Universität München. Friedl Schöller – Stiftungslehrstuhl für Unterrichts- und Hochschulforschung. München. TUM TECHNISCHE UNIVERSITÄT MÜNCHEN (2016): Dialogue 1. Projektbeschreibung. URL: https://www.uhsf.edu.tum.de/index.php?id=45, (Stand: 03.01.16). 5
© Copyright 2024 ExpyDoc