Neue Normalität des Bösen: Karadžic

F A L T E R 13 / 1 6 Punkterl
Die Glosse vom Falter
Nur Gemüse zu essen ist mög­
licherweise hochriskant und könn­
te den Verdauungstrakt zerstören.
Fleischessen wiederum zerstört
so ziemlich die ganze Welt – CO2,
Massentierhaltung, Transportdings
und so.
Alternativen sind ebenso sinnlos:
Die Steinzeitdiät ist wahrscheinlich
für den sesshaften Menschen nicht
geeignet. Bei der ­Blutgruppendiät
wird zu viel Eiweiß empfohlen, das
kann Gicht und Harnsteine zur
Folge haben. Die Dukan-Diät kann
Ähnliches hervorrufen. Die InsulinTrennkost, die ... ja genau, die ist
auch schlecht. Und die Krautsup­
pendiät auch.
Wenn Ihnen jemand einreden
will, man müsse nur die richtige Ba­
lance finden, vergessen Sie’s, dann
machen Sie erst recht alles falsch.
Schlimmstenfalls haben Sie am
Ende des Tages die Apokalypse zu
verantworten. Essen ist nicht mehr
zeitgemäß. Lernen Sie, ohne Es­
sen zu leben, ernähren Sie sich von
Licht und trinken Sie Wasser. Aber
in Maßen. Denn wenn der Strom
ausfällt, geht die Welt unter, und
schuld sind Sie! F
Impressum
Falter, Zeitschrift
für Kultur und Politik.
39. Jahrgang
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meinung
m e i n u n g Kommentar Zeitgeschichte
Kommentar Religion
Wer baut jetzt
ein Holzpferd für
Herrn Faymann?
Der Papst als Fußpfleger:
Luxusmoral oder Engagement?
barbara tóth
matthias dusini
m Foyer des Wien Museums am
u den Riten des Gründonnerstags
I4. Mai
Karlsplatz steht noch bis zum Z gehört es, dass katholische Pries­
ein gigantisches Pferd aus Holz. ter zwölf Freiwilligen die Füße wa­
Es erinnert an die Waldheim-Affäre,
die vor 30 Jahren Österreich erschüt­
terte. Der Bildhauer Alfred Hrdlicka
hatte es für den Republikanischen
Club gebaut, als Sinnbild für Öster­
reichs schlampigen Umgang mit ­seiner
Vergangenheit. Der ÖVP-Präsident­
schafts­kandidat Kurt Waldheim ver­
suchte damals, seine Jugendjahre als
Wehrmachtssoldat auf dem Balkan zu
verheimlichen, und wurde zum Sym­
bol für die Wehrmachtsgeneration, die
nichts vom Holocaust gewusst haben
wollte.
Den Republikanischen Club gibt es
immer noch. Ihn gründeten 1986 die
wütenden Söhne und Töchter der ig­
noranten „Wir haben doch nur unsere
Pflicht erfüllt“-Eltern. Jene, die fanden,
es sei hoch an der Zeit, dass Öster­
reich sich seiner Mitschuld an den Na­
zi-Verbrechen stellt. Und endlich auf­
hört, offiziell immer noch so zu tun, als
wäre es Adolf Hitlers erstes Opfer ge­
wesen. Die Waldheim-Affäre war im­
mer auch ein Generationenkonflikt.
Was den Republikanischen Club
bewegte, lebte in der legendären Lich­
termeer-Demonstration im Jahr 1993
weiter, flackerte bei den Donnerstags­
demos gegen die schwarz-blaue Wen­
deregierung im Jahr 2000 auf und
treibt heute jene an, die in Zeiten der
Flüchtlingsfrage gegen Faschismus
und Fremdenfeindlichkeit auf die Stra­
ße gehen. Es ist die Idee eines „ande­
ren Österreich“. Republikanisch statt
Medien-mediokratisch, selbstbewusst
statt minderwertigkeitskomplexlerisch,
offen statt hintenrum.
Aber die Waldheim-Affäre war mehr
als der Wendepunkt für ­Österreichs
Vergangenheitspolitik. Sie ­brachte
nicht nur Österreichs einseitiges
Selbstbild als Opfer Hitlers zu Fall. Sie
brachte dem Land auch die erste politi­
sche „Schulterschluss“-Bewegung.
Als Waldheim im Wahlkampf un­
ter Druck kam, vor allem aus den USA
durch den World Jewish Congress, pla­
katierte die ÖVP „Wir Österreicher
wählen, wen wir wollen“ und „Jetzt
erst recht“. Die Kronen Zeitung jubel­
te, Waldheim gewann die Wahl. Of­
fen nationalistische – und latent an­
tisemitische – Slogans funktionieren,
wussten von nun an die Strategen in
der ÖVP. Und in der SPÖ.
Nicht von ungefähr forderte Wolf­
gang Schüssel im Jahr 2000 einen „na­
tionalen Schulterschluss“ aller Partei­
en gegen die Sanktionen der Europäi­
schen Union. Und was ist Werner Fay­
manns „Wir Österreicher schieben ab,
wen wir wollen“-Kurs anderes als eine
Variation des Waldheim’schen Urslo­
gans? Das Holzpferd im Wien Mu­
seum ist mehr denn je einen Besuch
wert.
F
schen. Diese Handlung ist ein Zei­
chen christlicher Nächstenliebe und
erinnert dar­an, dass Jesus Christus
den Aposteln die Füße wusch, bevor
er hingerichtet wurde.
Papst Franziskus wählte heuer die
Bewohner einer römischen Asylbewer­
berunterkunft und eine Mitarbeiterin
der Einrichtung aus, kniete sich nie­
der, wusch und küsste ihnen die Füße.
Für das 79-jährige Kirchenoberhaupt
war das eine „brüderliche Geste“ an­
gesichts von Krieg und Gewalt.
Der Kirchenkaiser als Fußpfleger
und der Letzte als Erster: Der Psy­
choanalytiker Béla Grunberger hat
solche für das Christentum typischen
Inversionen einmal eine Luxusmo­
ral genannt, die der Realitätsprüfung
nicht standhält. Ist auch die Fußwa­
Im Zeichenraum Der Cartoon zur Woche schung des Papstes so eine ästhetischnarzisstische Performance, großzü­
gig und barmherzig, aber nicht an­
wendbar? Tatsächlich ist die Aktion
als Vorbild für den Alltag eher unge­
eignet. Zwar wird immer wieder ge­
fordert, dass Flüchtlinge für die Al­
tenpflege herangezogen werden, was
aber nicht heißen soll, dass die Al­
ten die Flüchtlinge pflegen. Es stimmt
also, dass es bei dieser Demutsgeste
auch um eine moralische Selbsterhö­
hung geht, um einen masochistischen
Lustgewinn, der den Migranten zum
Objekt degradiert.
Andererseits beugen sich Politiker
über Landkarten und besiegeln so das
Schicksal tausender, während die fran­
ziskanische Verbeugung daran erin­
nert, dass Brüderlichkeit vulgo Soli­
darität Berge versetzen kann. Wenn
die Footmodels Jobs in der Pediküre­
abteilung des Vatikan bekommen ha­
ben, hat die Luxusmoral ihre Reali­
tätsprüfung bestanden. F
7
Kolumne Außenpolitik
franz kössler
ie Massenmigration, die Europa
D
erfasst hat, ist keine temporäre
Krisenerscheinung, die man mit Sta­
cheldraht und Grenzzäunen bewälti­
gen kann. Sie wird vielmehr der Nor­
malzustand unserer Zukunft werden.
Der globale Klimawandel beschleunigt
Spannungen und Krisen derart, dass
es in den kommenden Jahrzehnten zu
massiven Bevölkerungsverschiebungen
kommen wird, unter anderem aus Af­
rika und dem Nahen Osten in Rich­
tung Europa.
So argumentiert Ellie Mae O’Hagan
vom linken britischen Centre for La­
bour and Social Studies. In diese Rich­
tung gehen auch die strategischen
Überlegungen von US-Präsident Ba­
rack Obama. Indem wir die Flücht­
lingswelle zu einer Ausnahmeerschei­
nung erklären – schreibt O’Hagan –,
rechtfertigen wir auch die aggressive
te x rubinowit z
Rhetorik und die Maßnahmen gegen
die Migranten. Das verletzt unseren
Anspruch auf Rechtsstaatlichkeit und
Humanismus, lässt uns aber die Illu­
sion, jenseits der Ausnahmesituation
doch noch menschlich und demokra­
tisch zu sein.
In ihrer Aprilausgabe bringt die
Vergangenheitsbewältigung auf dem Balkan?
amerikanische Zeitschrift The Atlander Republika Srpska in Pale das Stu­ werden Verbrechen als integraler Teil tic den langen Artikel „The Obama
dentenheim mit dem Namen „Dr. Ra­ der jüngsten nationalen Geschichte Doctrine“. Der Reporter Jeffrey Gold­
dovan Karadžić“. Dies sei ein „Zeichen gefeiert, die Verbrechen an den (eth­ berg hat viele Gespräche mit dem Prä­
des Respekts“ gegenüber Karadžić, so nisch) Anderen zugleich verdrängt und sidenten geführt und ihn auf Reisen
Milorad Dodik. Der serbische Premi­ ignoriert. Man erinnere sich nur an begleitet. Jetzt versucht er zu erklären,
erminister Aleksandar Vučić, ob sei­ die feierlichen Bilder nach dem Haager­ wie Obama die Rolle der USA in der
nes politischen Pragmatismus derzeit Freispruch für den kroatischen Gene­ Welt sieht: keine Alleingänge mehr,
der Darling des Westens und der EU ral Gotovina. Ausblendung und Ver­ sondern multinationale Zusammenar­
auf dem Balkan, findet nach dem Ur­ blendung gehen da Hand in Hand. beit. Dabei fällt Obamas Ablehnung
teil keine besseren Worte als den Auf­ Politische Eliten nutzen dies populis­ militärischer Interventionen auf, so­
ruf, dass niemand die Republika Srps­ tisch, um die eigene Macht zu festigen­. lange die Sicherheit der USA nicht di­
ka angreifen darf und er nicht zulassen Dabei betreiben sie eine Revision der rekt bedroht sei. Nach Bushs Abenteu­
werde, dass „man auf Serben herum­ Geschichte, die in den Schulbüchern, er im Irak und in Afghanistan sollte
Musik, Literatur zur einzigen Wahr­ die Faustregel „Don’t do stupid shit“
heit verfestigt und damit zugleich zum gelten, wird der Präsident zitiert. Im
Wesensbestandteil der neuen Natio­ Washingtoner Establishment, kriti­
nalstaaten auf dem Balkan gemacht siert Obama, gälten Kriege noch im­
wird. In Serbien etwa ist in den letzten mer als Allheilmittel zur Krisenbewäl­
Karadžić ist nur ein Symptom
Jahren die Tschetnik-Bewegung des tigung. Gegen diese Logik blockierte
für ein breites
Zweiten Weltkriegs rehabilitiert wor­ er die angekündigte Intervention im
den. Die neue kroatische Regierung syrischen Bürgerkrieg.
gesellschaftspolitisches Klima
Langfristig sieht er existenziellere
kratzt gefährlich nahe an einer teil­
weisen Rehabilitierung der Verbrechen Bedrohungen. „Wenn ich an die nächs­
ten 20 Jahre denke“, sagt Präsident
trampelt, nur weil sie Serben sind“. des Faschistenregimes der Ustaša.
Und die Chefherausgeberin der tradi­
Unter diesen Voraussetzungen ist es Obama, „macht mir der Klimawandel
tionsreichsten serbischen Tageszeitung­ nur eine Frage der Zeit, bis man die große Sorgen. Wegen der Auswirkun­
Politika, Ljiljana Smajlović, verbindet Vergangenheit in der Zukunft ausgräbt, gen, die er auf alle anderen Probleme
das Urteil gegen Karadžić mit dem Be­ aktualisiert und damit neue Konflikte hat, mit denen wir konfrontiert sind.
ginn der Nato-Angriffe auf Serbien­im provoziert. Ob die EU als jene demo­ Wir sehen schwere Dürrekatastrophen
Jahr 1999 und tut damit ihr Bestes, um kratische Wertegemeinschaft, die bis­ auf uns zukommen, starke Hunger­
die Individualschuld von Karadžić wie­ lang den Rahmen für die Abkehr von krisen, massive Bevölkerungsverschie­
der zu einer Kollektivschuld aller­Ser­ den Kriegen und Auseinandersetzung bungen vom indischen Subkontinent
ben zu machen. Das Bedenkliche ist, mit der Vergangenheit bot, an diesem und den Küstenregionen Afrikas und
dass all diese Politiker und Kolumnis­ neuen gefährlichen Konsens etwas ver­ Asiens. Anhaltende Nahrungsknapp­
ten durchaus den Nerv der breiten öf­ ändern können wird, ist angesichts der heit, Flüchtlinge, Armut, Krankheit –
fentlichen Meinung und der Menschen jüngsten Krisen Europas und der aku­ das verschärft alle anderen Probleme,
treffen. Das ist die Normalität der Ge­ ten Lähmung der Erweiterungspolitik die wir haben.“
Es gibt keine unumstrittenen Pro­
sellschaften auf dem Westbalkan.
ungewiss. Alternativen zum EU-Weg
Kurzum, der Prozess der Vergan­ sind aber allesamt düster, von autori­ jektionen über die zu erwartenden
genheitsbewältigung auf dem Balkan tären Geistern und einer neuen Nor­ Umweltflüchtlinge. Die bekanntes­
ten stammen vom britischen Forscher
droht zu scheitern. Auf allen Seiten malität des Bösen gesäumt.
F
Neue Normalität des Bösen: Karadžić
Nach dem Haager Urteil gegen Radovan KaradžiĆ. Scheitert
den Terrorangriffen in Paris und Brüs­
sel nicht verstanden haben, womit die
bosnischen Serben in den 90er-Jahren
berwältigt von allen Arten­ konfrontiert gewesen seien. Die An­
der Reaktionen auf das deren sind schuld, sagt Karadžić, das
Urteil gegen Radovan Ka­ Urteil ist doch eine Verschwörung ge­
radžić drängte es mich wie­ gen das serbische Volk. Schaut genau­
der einmal zu den Schriften von Han­ er her, will er sagen, und sucht das
nah ­Arendt. Bis sie Adolf Eichmann Böse woanders, bei den Muslimen.
in Jerusalem beim Prozess traf, schrieb Wir, die Serben, haben uns nur ver­
sie stets von der Radikalität des Bösen­. teidigt und unserem Volk gedient und
Als sie ihn im Glaskasten sah, änderte dabei auch noch Europa vor dem radi­
sie ihre Meinung: „Das Böse ist im­ kalen Islam geschützt, lautet die Bot­
mer nur extrem, aber niemals radikal,
es hat keine Tiefe, auch keine Dämo­
nie“, fand Arendt und schloss mit der Der Autor ist Senior
ihrerseits radikalen und provokanten
Researcher am
Einsicht, dass das Böse banal sei.
Österreichischen
Bei Karadžić und rund um Karadžić
Institut für
ist nichts banal. Das Urteil ist eindeu­
Internationale
tig, das Böse benannt. Er ist schul­
Politik (oiip)
dig – des Völkermords in Srebrenica,
der Verfolgung und der Internierung
von Nichtserben, der Deportation und schaft. Das Globale – die derzeit gras­
Ermordung von Bosniaken und Kroa­ sierende Islam-Hysterie – wird da lo­
ten, der 1425 Tage langen Belagerung kal variiert und gleich politisch umge­
von Sarajevo. Kühl nahm Karadžić das münzt. Das ist keine Banalität mehr,
Urteil an, um gleich am Tag danach das ist eine radikale und gefährliche
zum Rundumschlag gegen das Kriegs­ Verdrehung der Tatsachen mit hand­
verbrechertribunal auszuholen. Er ist festen politischen Folgen.
sich keiner Schuld bewusst, das Ur­
Karadžić ist hier nur ein Sym­ptom
teil sei katastrophal und gründet nur für ein breites gesellschaftspolitisches
auf Indizien.
Klima, in dem die Leugnung und Ver­
Und dann kommt das Gefährliche. drehung der historischen Tatsa­chen so­
Karadžić setzt das Unmögliche zu ei­ wie die Stigmatisierung und Dämoni­
nem gefährlichen Puzzle zusammen, sierung des Anderen zur politischen
nämlich das Urteil und den Bosnien- Agenda dazugehören. Das Böse ist
Krieg und die Terroranschläge von Pa­ längst in der Mitte der Gesell­schaft an­
ris und Brüssel, und fragt sich, ob die gekommen. Die Reaktionen rund um
EU, das Gericht und die internatio­ das Urteil bezeugen dies. Wenige Tage
nale Staatengemeinschaft selbst nach vor dem Urteil eröffnete der Präsident
F A L T E R 13 / 1 6 Flüchtlingskrisen werden der
Normalzustand der Zukunft
Kommentar:
Vedran Džihić
Ü
foto: archiv
6 Norman Myers. Er errechnet in sei­
nem Modell bis zum Jahr 2050 welt­
weit 200 Millionen Menschen, die we­
gen des Klimawandels ihre Heimat
verlassen und neue Siedlungsgebiete
suchen werden. Selbst innerhalb Eu­
ropas könnte durch die Erhitzung des
Mittelmeerraums ein Migrationsdruck
nach Norden entstehen.
Das US-Verteidigungsministerium
hat vor zwei Jahren ein Strategiepapier
veröffentlicht, das den Klimawandel
als gefährlichen „Krisenbeschleuniger“
identifiziert. Hungersnöte und Dürren
würden immer öfter dazu beitragen,
bestehende Spannungen zu verschär­
fen, Regierungen zu destabilisieren,
extremistische Bewegungen zu stär­
ken und bewaffnete Konflikte auszu­
lösen. Das Militär rüstet sich für häu­
figere Interventionen.
Inzwischen belegen mehrere wis­
senschaftliche Studien, dass der Kli­
An die 40 Millionen Menschen
wissen nicht mehr, wie sie sich
ernähren sollen
mawandel auch in der Genese des syri­
schen Bürgerkriegs eine wichtige Rolle
gespielt hat. Von 2006 bis 2010 dräng­
te eine anhaltende Dürre 1,5 Millio­
nen Menschen aus den fruchtbaren
Gebieten am Oberlauf von Euphrat
und Tigris in bereits überfüllte Städ­
te und verschärfte so die bestehenden
sozialen und politischen Spannungen.
„Wir behaupten nicht, dass die Dür­
re den Krieg verursacht hat“, sagt der
Klimaforscher Richard Seager, Autor
einer Studie der Columbia University,
„aber sie addierte sich zu allen ande­
ren Stressfaktoren und bildete damit
vielleicht den Zündfunken, der zum
offenen Krieg führte.“
In diesen Tagen schlagen Hilfsorga­
nisationen Alarm wegen der anhalten­
den Dürre in Afrika. Seit einem Jahr
fällt in einem riesigen Streifen von
Äthiopien bis hinunter nach Südaf­
rika kaum Regen. An die 40 Millio­
nen Menschen wissen nicht mehr, wie
sie sich ernähren sollen. Sie sind po­
tenzielle Klimaflüchtlinge in Richtung
Europa. Dennoch wird die Krise kaum
wahrgenommen. Der Klimawandel be­
trifft alle, aber „er ist ein Notstand,
der sich relativ langsam bewegt“, sagt
Präsident Obama – „sodass immer et­
was auf der Tagesordnung steht, das
scheinbar dringender ist“.
F
Franz Kössler ist
außenpolitischer
Kommentator
des Falter