Das Unsichtbare aber ist ewig. - ref. Kirchgemeinde St.Gallen Centrum

Evang.-ref. Kirchgemeinde St. Gallen C
Kirchkreis Linsebühl
Predigt am Ewigkeitssonntag über 2. Korinther 4,16.18:
"Das Unsichtbare aber ist ewig."
Linsebühl, 22. November 2015; von Pfr. Stefan Lippuner
Lesung: 2. Korinther 5,1-8
Das wissen wir: Wenn unser Leib einmal
zerfällt wie ein Zelt, das abgebrochen wird,
erhalten wir einen neuen Leib, eine Behausung, die nicht von Menschen errichtet ist.
Gott hält sie im Himmel für uns bereit, und
sie wird ewig bleiben.
Voll Verlangen sehnen wir uns danach, den
neuen Leib anzuziehen wie ein Kleid, damit
wir nicht nackt, sondern bekleidet sind,
wenn wir unseren irdischen Körper ablegen
müssen. Solange wir in diesem Körper leben, liegt eine schwere Last auf uns. Wir
wünschen uns nicht etwa den Tod herbei,
sondern wir möchten den neuen Leib überziehen, damit alles Vergängliche vom Leben überwunden wird. Darauf hat uns Gott
vorbereitet, indem er uns als sicheres
Pfand dafür schon jetzt seinen Geist gegeben hat.
Deshalb sind wir jederzeit zuversichtlich,
auch wenn wir in unserem irdischen Leib
noch nicht bei Gott zu Hause sind. Jetzt
glauben wir an ihn, auch wenn wir ihn noch
nicht sehen können. Aber wir rechnen fest
damit und würden am liebsten diesen Leib
verlassen, um endlich zu Hause beim
Herrn zu sein.
"Mitten im Leben sind wir vom Tod umfangen."
So, liebe Gemeinde, lautet eine alte Weisheit, mit der die Menschen über Jahrtausende lebten
(auch wenn sie erst im Mittelalter mit diesen Worten formuliert wurde). Der Tod gehört zum
Leben seit undenklichen Zeiten. Erst in der Moderne und Postmoderne versucht man den
Tod zu verdrängen, das Sterben aus dem eigenen Leben abzuschieben, sich vom Leib zu
halten. Ganze Heerscharen von Wissenschaftlern suchen nach Wegen und Mitteln, um den
Tod hinauszuzögern oder sogar ganz zu beseitigen. ‒ Doch immer wieder meldet er sich mit
Macht und auch mit Brutalität zurück (denken wir nur an Kriege und Terror). "Mitten im Leben
sind wir vom Tod umfangen." Der Tod gehört (leider) zur menschlichen Existenz in dieser
gefallenen Welt; unser Leben ist ein "Sein zum Tode", wie es der Philosoph Martin Heidegger
formulierte.
Ich denke, gerade dann, wenn wir einen Menschen, der uns nahe stand, durch den Tod verloren haben, wird uns diese Tatsache besonders und auch schmerzlich bewusst. Vielleicht
wurden wir dabei ganz plötzlich vom Tod des Nächsten überrascht. Vielleicht mussten wir
aber auch mitansehen, wie ein Angehöriges über einen längeren Zeitraum immer mehr körperlich oder geistig abbaute und zerfiel, so dass das Sterben schliesslich als Erlösung direkt
herbeigesehnt wurde.
Wie auch immer: Der Tod ist eine schmerzhafte Erfahrung. Er lässt uns traurig, fragend,
hilflos, manchmal auch wütend zurück. Der Tod macht Angst; er raubt uns (wortwörtlich) das
Leben und die Lebensfreude. – Genau gegen diese Angst und Entmutigung, gegen diese
Gefahr der Resignation kämpfte der Apostel Paulus an, wenn er im selben 2. Korintherbrief,
aus dem wir vorhin einen Abschnitt hörten, im 4. Kapitel folgendes schrieb:
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"Wir werden nicht mutlos, sondern, wenn auch unser äusserer Mensch zerstört wird, so wird
doch unser innerer von Tag zu Tag erneuert. Wir schauen nicht auf das Sichtbare, sondern
auf das Unsichtbare. Denn das Sichtbare ist zeitlich, das Unsichtbare aber ist ewig."
Paulus war durchaus Realist: Unser "äusserer Mensch", unser Körper vergeht, zerfällt, "wird
zerstört"; das lässt sich nicht leugnen, das lässt sich nicht aufhalten. Der Tod gehört zum
Leben. – Doch Paulus war auch Idealist, darum liess er sich von dieser Tatsache nicht entmutigen. Denn er wusste: Der äussere Mensch ist nicht alles. Wir haben auch einen "inneren
Menschen": eine Seele und einen Geist, unsere eigentliche Person, unser Ich, das zwar im
Körper drin wohnt, das aber doch mehr ist als der Körper und auch nicht an den Körper gebunden bleibt.
Dieser "innere Mensch" geht nicht wie der "äussere Mensch", der Körper mit fortschreitender
Zeit immer mehr dem Zerfall und dem Tod entgegen, sondern im Gegenteil: Er wird "von Tag
zu Tag erneuert"; er wird immer mehr aufgebaut und gestärkt, er wächst. Denn er ist nicht
zeitlich, sondern ewig. – Das kommt im zweiten Vers, den ich gelesen habe zum Ausdruck:
"Das Sichtbare" (also unser Körper, aber auch die übrige sicht- und messbare Welt um uns
herum) "ist zeitlich", ist begrenzt, hört einmal auf. "Das Unsichtbare aber" (unser innerer
Mensch, aber natürlich auch alles, was zu Gottes Welt gehört) "ist ewig", ist unbegrenzt und
unvergänglich, hat kein Ende.
Ist das nicht ein grosser Trost und eine Ermutigung? Auch wenn unser Körper einmal vergehen und zerfallen wird, so ist damit unser eigentliches Leben, unser Wesen, unser Ich nicht
ebenfalls am Ende, sondern es hat die Verheissung der Ewigkeit: "Das Sichtbare ist zeitlich,
das Unsichtbare aber ist ewig."
Ich möchte in diesem Zusammenhang noch auf eine weitere Bibelstelle hinweisen, die in
dieselbe Aussagerichtung geht. Im alttestamentlichen Büchlein Prediger oder Kohelet lesen
wir in Kapitel 12: "Der Mensch geht in sein ewiges Haus, und der Staub wird wieder zu Erde,
wie er gewesen ist. Der Geist aber kehrt zu Gott zurück, der ihn gegeben hat." [Prediger
12,5b.7]
Auch hier haben wir wieder diese zwei Dimensionen des Menschseins: "Der Staub" (das ist
der Körper, der vergängliche äussere Mensch) "wird wieder zu Erde", zerfällt, vergeht. "Der
Geist aber" (also der unsichtbare innere Mensch) "kehrt zu Gott zurück", in seine eigentlich
Heimat. ‒ "Der Mensch geht in sein ewiges Haus". Unser Ich verlässt beim Sterben den Körper "wie ein Zelt, das abgebrochen wird" (so haben wir es in der Lesung gehört), und darf
dadurch in eine neue Behausung, in ein festes Haus einziehen, das nicht mehr vergeht, sondern "ewig bleiben" wird.
Der Tod ist also nicht das endgültige Ende des Lebens, sondern nur ein Durchgang aus der
sichtbaren, begrenzten, unvollkommenen und auch von Leid geprägten irdischen Existenz
hinüber in ein neues Leben in der unsichtbaren, ewigen, himmlischen Heimat bei Gott. – Das
ist die Botschaft des Evangeliums angesichts des Todes eines Nächsten wie auch im Blick
auf den eigenen irdischen Tod, der irgendeinmal kommen wird. Das ist die grosse Hoffnung,
die wir haben dürfen, die uns alle Angst nehmen kann, die uns ermutigt und stärkt. "Wir werden nicht mutlos, sondern, wenn auch unser äusserer Mensch zerstört wird, so wird doch
unser innerer von Tag zu Tag erneuert. Wir schauen nicht auf das Sichtbare, sondern auf das
Unsichtbare. Denn das Sichtbare ist zeitlich, das Unsichtbare aber ist ewig."
Zwei Präzisierungen muss ich nun aber noch anbringen. Zum einen: Diese Unterscheidung
zwischen dem vergänglichen äusseren Menschen und dem unvergänglichen inneren Menschen birgt eine Gefahr in sich, nämlich die Gefahr der Leibfeindlichkeit; dass also der Körper
und das leibliche Leben, das Sichtbare abgewertet werden gegenüber dem Unsichtbaren,
dem Geistigen oder gar verteufelt werden. Dieser Gefahr ist die christliche Kirche zu gewissen
Zeiten leider sehr wohl erlegen.
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Doch die Botschaft der Bibel ist aufs Ganze gesehen nicht leibfeindlich. Schliesslich hat Gott
uns Menschen (und nicht nur uns Menschen, auch die anderen Wesen auf dieser Erde) bewusst mit einem Körper erschaffen, den wir einsetzen können und dem wir Sorge tragen sollen. So hat der Körper sehr wohl seinen Wert, auch wenn er tatsächlich einmal zerfallen und
vergehen wird. Die sichtbare Welt, in der wir leben, hat sehr wohl ihren Wert, auch wenn sie
tatsächlich zeitlich, nur vorläufig ist und einmal aufhören wird zu bestehen. – So weit meine
erste Zusatzbemerkung: keine Leibfeindlichkeit.
Zum Zweiten muss ich zu all dem, was ich über den unvergänglichen inneren Menschen und
über das ewige Leben gesagt habe, ehrlicherweise eine bestimmte Einschränkung bzw. eine
Rahmenbedingung hervorheben: Alles, was der Apostel Paulus zum ewigen Leben schrieb
und was ich vorhin zitiert habe, schrieb er nämlich ganz klar im Rahmen des Christusgeschehens und des Glaubens an Jesus Christus.
Nur in diesem Rahmen gelten seine Aussagen über die Ewigkeit des Unsichtbaren, über die
neue Behausung in der himmlischen Heimat, über das ewige Leben. Wenn wir seine Botschaft und diejenige der ganzen Bibel ernst nehmen wollen, müssen wir also festhalten: Das
ewige Leben nach dem körperlichen Tod ist all denjenigen verheissen und zugesagt, die an
den dreieinigen Gott glauben; die also ihr Vertrauen auf den himmlischen Vater setzen, die
ihr Leben auf das gründen, was Jesus Christus in seiner Menschwerdung, seinem Kreuzestod
und seiner Auferstehung für sie getan hat, und die sich vom Heiligen Geist Gottes erfüllen
und leiten lassen.
In diesem Rahmen, unter dieser Voraussetzung gilt es also: "Wir werden nicht mutlos, sondern, wenn auch unser äusserer Mensch zerstört wird, so wird doch unser innerer von Tag
zu Tag erneuert. Wir schauen nicht auf das Sichtbare, sondern auf das Unsichtbare. Denn
das Sichtbare ist zeitlich, das Unsichtbare aber ist ewig." – Wenn wir an Jesus Christus glauben, dann ist uns tatsächlich ein ewiges Leben verheissen über das Sichtbare und Zeitliche
hinaus. Jesus Christus sagte ja selber einmal: "Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer
an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt; und jeder, der lebt und an mich glaubt, wird
in Ewigkeit nicht sterben." [Johannes 11,25f.]
Liebe Gemeinde. Ich wünsche uns allen, dass wir mit diesem Glauben erfüllt sein und in diesem Glauben gestärkt werden dürfen. Denn dadurch dürfen wir eine grosse Hoffnung haben.
Und wir dürfen voll Zuversicht sein im Blick auf unser eigenes Leben. Dieses wird zwar in
dieser sichtbaren Welt einmal zu einem Ende kommen, aber in der unsichtbaren Welt Gottes
darf es weitergehen, und zwar in vollkommener Weise in alle Ewigkeit. ‒ Darum wollen auch
wir "nicht mutlos" werden, sondern "jederzeit zuversichtlich" sein im Glauben. "Das Sichtbare
ist zeitlich, das Unsichtbare aber ist ewig."
AMEN
Gebet
Grosser Gott, Schöpfer und Herr über Zeit und Ewigkeit.
Wir danken dir, dass du uns einen äusseren wie auch einen inneren Menschen gegeben hast.
Wir danken dir für deine Verheissung eines ewigen Lebens über das Zeitliche hinaus:
ein Leben in deiner jetzt noch unsichtbaren, aber wundervollen Welt, in unserer himmlischen
Heimat.
Und wir bitten dich: Hilf uns, an dieser grossartigen Hoffnung festzuhalten.
Hilf uns, dass, wir wirklich vom Glauben an dich, vom Vertrauen auf dich erfüllt sein können
und unser Leben auf Jesus Christus, deinen Sohn gründen, der für uns ein Mensch geworden
ist, gestorben ist und vom Tod wieder auferstanden ist.
Er, Christus, ist unser Leben; in ihm dürfen wir das ewige Heil haben.
Darauf wollen wir bauen; dafür danken wir dir von Herzen, unser Herr und Gott. Amen.