Mäuse als Indikatoren intakter Ökosysteme

FOTO: D. HOPF
IM REVIER
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Mäuse als Indikatoren
intakter Ökosysteme
Kleinsäuger gelten – bei allem Schaden, den sie anrichten – als zuverlässige Indikatoren für intakte Ökosysteme. Einerseits tragen sie durch Samenverbreitung zur stetigen Erneuerung des Waldes bei, andererseits sind sie Nahrungsgrundlage für räuberische Säuger und Vögel – allen voran für den Fuchs und geschützte Eulenarten.
W
enn Rascheln, Trippeln und Knabbern den
wohlverdienten Jagdhüttenschlaf rauben, hat Ihr Gast
Jagdfieber oder Sie befinden sich in
einem Mäusejahr. Ein Phänomen,
das Jägern und Förstern die Herzen
nicht unbedingt vor Freude höher
schlagen lässt …
Trotzdem oder gerade deshalb
möchte ich Ihnen heute das Leben
dieser kleinen, nicht selten lästigen,
fast schon gefährlichen, aber unglaublich wichtigen Waldbewohner
mit ein paar Details aus ihrer Ökologie ein wenig näherbringen.
Die große Familie der Mäuseartigen besteht aus zwei Familien:
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den eigentlichen (Langschwanz-)
Mäusen und den Wühlern. Beide
zählen zu den artenreichsten Familien der Säugetiere, die durch
menschliches Zutun weltweit verbreitet sind. Zu den in Österreich
vorkommenden Langschwanzmäusen zählen Kosmopoliten wie Hausratte, Wanderratte und Hausmaus.
Die bekanntesten und häufigsten
„wildlebenden“ Vertreter bei uns
sind Gelbhalsmaus und Waldmaus.
Vereinzelt sind auch Zwergmaus,
Alpenwald- und Zwergwaldmaus,
Brandmaus und Ährenmaus anzutreffen.
Zu den Wühlern zählen die Unterfamilien Wühlmäuse und Hamster-
Von Mag. Irene Engelberger
artige. In Österreich kommen Bisamratte, Ostschermaus, Rötelmaus,
Feldmaus, Erdmaus und die wesentlich seltener auftretende AlpenKleinwühlmaus, Kurzohrmaus und
Schneemaus vor. Der in Skandinavien lebende Lemming zählt ebenfalls
zu den Wühlmäusen. Im Burgenland und in Wien ist vereinzelt der
Feldhamster, der einzige heimische
Hamstervertreter, zu finden. Langschwanzmäuse und Wühlmäuse
sind ganzjährig 24 Stunden aktiv
und fortpflanzungsfähig. Sie halten
anders als der Hamster keinen Winterschlaf.
Wühlmäuse sind Pflanzenfresser
offener Lebensräume und holen
DER ANBLICK 2/2013
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sich ihre Nahrungsgrundlage in der
Krautschicht. Sie lieben freie, frische bis feuchte Habitate mit gut
ausgebildeter Kraut- und Grasschicht sowie junge bzw. aufgelichtete Waldbestände. Hangbereiche
wie Bachufer mit tiefgründigem
und spaltenreichem Untergrund
und Kahlschläge eignen sich ideal
zum Anlegen ihrer ober- und unterirdischen Gänge. Vor allem die
Erdmaus findet man mit ihren kugeligen Nestern aus zerkleinertem
Pflanzenmaterial häufig in Gewässernähe.
Im Unterschied dazu sind Langschwanzmäuse Bewohner reifer
Laub- und Nadelwälder. In ihren
Habitaten mit wenig Gräsern und
Kräutern nutzen sie hochwertige
Pflanzen bis in die Baumschicht, Samen und wirbellose Tiere. Die Waldmaus ist, was ihren Lebensraum betrifft, noch weit anpassungsfähiger
als die Gelbhalsmaus. Sie ist neben
unterschiedlichen Waldhabitaten
in Vorstadtbereichen ebenso zu
finden wie an Bahnböschungen, in
innerstädtischen Parklandschaften
und Gärten. In Jagdhütten sind es
vor allem die Rötelmaus und die
Gelbhalsmaus, die sich einnisten,
Vorräte plündern und gut geschützt
schlechte Witterungsphasen übertauchen.
Fette Jahre
Die Samenproduktion unserer
Wälder ändert sich jährlich und
wirkt sich auf die Dichte von Waldmäusen und Rötelmäusen im darauffolgenden Winter und Sommer
aus. Das Jahr 2011 war ein Mastjahr
bei Rotbuche und Fichte, was ein
deutliches Ansteigen des Fortpflanzungserfolges sämtlicher Mäuse
zur Folge hatte. Eichenmasten beeinflussen verstärkt die Dichte von
Waldmäusen. Rötelmäuse profitieren zusätzlich von einem guten
Heidelbeerangebot.
Langschwanzmäuse und Wühlmäuse sind wie erwähnt starken Populationsschwankungen unterworfen.
Die Zeit von einem Höhepunkt, also
einem Mäusejahr, bis zum nächsten
variiert zwischen drei bis fünf Jahren. Die Dauer kann deutlich von
der Höhe der vorhergegangenen
Samenernte abhängen, wie in einer
nordamerikanischen Studie über 22
Jahre beobachtet wurde. Hier wurden die höchsten Wühlmausdichten
alle viereinhalb Jahre erreicht und
waren von der Samenernte der Weymouth-Kiefer abhängig. In einer finnischen Langzeitstudie wurde ein
3-Jahres-Zyklus bei Feldmaus, Erdmaus und Rötelmaus beobachtet. In
heimischen Wäldern haben durch
das vorjährige Mastjahr vor allem
Rötelmaus und Gelbhalsmaus profitiert. Doch es gibt Faktoren, die
das massenhafte Auftreten der Kleinsäuger wieder abbremsen, wie ihre
natürlichen Räuber, Krankheiten in
den Populationen oder klimatische
Verhältnisse. Milde Winter beeinflussen die Vermehrung negativ,
da die Tiere unter einer dünnen
Schneedecke weniger geschützt
sind.
Mäuse, Schalenwild & Co.
Mäuse sind über 24 Stunden verteilt
aktiv. Ein verstärktes Auftreten von
dominanten Arten führt allerdings
zu einer vermehrten Tagaktivität
der weniger dominanten Arten.
Räuber wie das tag- und nachtaktive Mauswiesel verschieben die
Aktivität von Mäusen vermehrt in
die Nachtstunden, wo die Kleinsäuger durch die Dunkelheit besser
geschützt sind. Wiesel, Eule, Fuchs,
Marder und Bussard zählen zu den
wichtigsten natürlichen Feinden
der Nagetiere. Auf Kleinsäuger angewiesen sind die Waldbewohner
Habichts- und Raufußkauz und
Bewohner des Offenlandes wie
Waldohreule, Sumpfohreule und
Schleiereule. Der Waldkauz, ein
Opportunist, der in Mangelzeiten
auf Singvögel ausweichen kann,
hat im heurigen Frühjahr aufgrund
des guten Mäusejahres schon einen
Monat früher zu brüten begonnen.
Habichtskäuze, die in Österreich
im Biosphärenpark Wienerwald
und im Wildnisgebiet Dürrenstein
wiederangesiedelt werden, hatten ebenfalls rekordverdächtigen
Nachwuchs. Konnte voriges Jahr
ein Brutpaar beobachtet werden,
waren es heuer 11 Brutpaare mit
insgesamt 30 Jungen.
Engländer haben jüngst in einem
Altbestand und auf wildfreien Kontrollflächen die Auswirkungen von
hoher Wilddichte auf Kleinsäugerpopulationen untersucht. Es zeigte
sich im Altbestand eine deutliche
Abnahme an Bodenvegetation und
Unterwuchs – beides lebenswichtige Faktoren für Kleinsäugerpopulationen – und somit eine Abnahme der Kleinsäugerdichte. Doch
die Studie bewies auch, dass bei Abnahme der Wilddichte und einem
sich wiederholt einstellenden dichten Unterwuchs Kleinsäugergesellschaften innerhalb weniger Jahr in
der Lage sind, sich zu erholen. Diese
Tatsache lässt den Schluss zu, dass
viel Schalenwild weniger Mäuse
bedeutet und zeitverschoben eine
geringere Anzahl ihrer Prädatoren,
wie geschützte Eulenarten. Wildfütterungen ernähren jedoch nicht
nur Schalenwild, sondern auch
Kleinsäuger ... Hohe Schwarzwildbestände wie im Lainzer Tiergarten können ein Problem für Kleinsäugerbestände und Habichtskauz
darstellen. Durch das Umgraben
der Böden und Ausheben der Mäusenester greifen sie massiv in die
Entwicklung der Nager ein.
Forstschädling
Forstlich relevante Schäden verursachen nur Wühlmäuse. Erdmaus
und Rötelmaus sind für eine Vielzahl von Schäden verantwortlich.
Die Erdmaus gilt als Forstschädling,
da sie frisch gesetzte Forstpflanzen
Unterscheidungsmerkmale der Mäuseartigen
Langschwanzmäuse
spitze Schnauze
große Augen + Ohren
schlanker Körper
lange Hinterbeine
langer Schwanz
Wühlmäuse
rundlich-stumpfe Schnauze
kleine Augen + Ohren
gedrungener Körper
kurze Hinterbeine
kurzer Schwanz
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angreift und Sämlinge verbeißt, aber
auch Stämmchen und Wurzeln von
jüngeren Bäumen annagt. Erste Schäden treten bereits im Sommer auf, wenn
auf ursprünglich vergrasten Flächen die
Grasflora langsam abwelkt. Im Winter,
wenn Futterknappheit herrscht, steigt
bei Laubhölzern die Zahl der Schäden
auch an Rinde und Holz. Rötelmäuse
beeinflussen verstärkt die natürliche
Regeneration der Wälder. Sie nagen bevorzugt an Wurzeln, Knospen, jungen
Trieben und Rinde junger Bäume. Sie
können jedoch auch schaden, indem
sie Samen und Keimlinge vor allem
Gras- und Krautbewuchs vorhanden,
steigt die Zahl der Wühlmäuse an, da
Gras einen optimalen Lebensraum bedeutet. Drei bis vier Jahre nach einem
Kahlhieb treten am häufigsten Schäden
an Forstkulturen durch Wühlmäuse
auf. Deshalb helfen Ernteverfahren, die
wenig Vergrasung nach sich ziehen,
die Wühlmäuse nicht so stark aufkommen lassen und somit das Schädlingsproblem an Jungbäumen mindern.
Langschwanzmäuse wie Gelbhals- und
Waldmaus sind aus forstlicher Sicht
gesehen unbedeutend.
FOTO: H. JEGEN
Hantavirus
Wiesel, Eule, Fuchs, Marder und
Bussard zählen zu den wichtigsten
natürlichen Feinden der Nagetiere.
Auf Kleinsäuger angewiesen sind
die Waldbewohner Habichts- und
Raufußkauz und Bewohner des Offenlandes wie Waldohreule, Sumpfohreule und Schleiereule.
der Buche verzehren. Auch die Wahl
des Ernteverfahrens ist ausschlaggebend für die Dichte der Wühlmauspopulationen. Ist in der Initialphase des
Waldes nach einem Kahlhieb starker
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Heuer infizierten sich schon zahlreiche
Menschen mit dem Puumalavirus,
einem Hantavirus. Die natürlichen
Wirte der Hantaviren sind verschiedene Nagetiere (z.B. Mäuse und Ratten)
und Spitzmäuse. In Österreich ist der
wichtigste Überträger die Rötelmaus.
Sie kann das Virus monatelang über
Speichel, Urin und Kot ausscheiden.
Das Virus selbst ist sehr robust und
kann bis zu zehn Tagen an der Luft
überleben.
Der Mensch steckt sich über Ausscheidungen der infizierten Nagetiere an,
wenn mit dem aufgewirbelten Staub
die Erreger eingeatmet werden. Daher
ist zur Ansteckung auch kein direkter
Kontakt mit den Tieren notwendig.
Katzen und Hunde können sich zwar
mit dem Virus infizieren, es ist für sie
aber harmlos. Eine Ansteckung des
Menschen über Haustiere, Mücken
oder Zecken sowie eine Übertragung
von Mensch zu Mensch ist nicht bekannt. Besonders hoch ist die Infektionsgefahr von Mai bis September.
Die Steiermark (Feldbach, Weiz, Leibnitz, Deutschlandsberg) zählt neben
Kärnten und dem Burgenland zu den
höchsten Risikogebieten.
Die Hantavirus-Infektion beim Menschen verläuft zunächst grippeähnlich
mit abrupt ansteigendem Fieber, Kopfschmerz und Schmerzen im Bereich
des Rückens und Bauches, oft begleitet
von Sehstörungen. Bei schweren Verläufen kommt es an den Folgetagen
zu Blutdruckabfall und Nierenfunktionsstörungen bis Nierenversagen. Die
Inkubationszeit beträgt üblicherweise 2
bis 4 Wochen.
Jäger, Forstwirte, Land- und Waldarbei-
ter zählen zu den besonders gefährdeten
Berufsgruppen. Ein erhöhtes Infektionsrisiko besteht beim Reinigen von
Räumen, die über längere Zeit nicht
benutzt und belüftet wurden, so auch
Jagdhütten.
Mäusefallen
Seit es Mäuse gibt, versucht der Mensch,
sie zu fangen. Die Frage ist nur wie.
Mehrere Möglichkeiten tun sich auf,
der Unterschied liegt in der Effizienz.
Totfallen aus Holz oder Kunststoff
und Drahtfallen sind meist treffsicher,
chemische Fallen mit Duftleim, Gas
und Köder auch sehr effizient, KübelWasser-Fallen mit Sicherheit qualvoll.
Lebendfallen sind die humanen Varianten aus Draht oder Holz mit mechanischem Feder- oder Kippmechanismus oder elektronischem Tor. Weiters
zum Lebendfang geeignet: Reusenfallen
und die selbstgebaute Walnussfalle und
Kübelfalle. Dann gibt es noch die natürlichen Hausmittel zum Vertreiben
mit Prädikat „leider eher unwirksam“:
Kreuzblättrige Wolfsmilch, Knoblauch, Hundszunge, Kaiserkrone, Thujazweige und Nussbaumblätter. Oder
doch Ultraschallsonden. Zu welchem
Mäusefängertyp Sie auch gehören –
Weidmannsheil!
Mag. Irene Engelberger hat Biologie
in Graz und Wien
studiert. Nach Forschungstätigkeiten
an der BOKU Wien
mit den Schwerpunktthemen Kleinsäuger und Lebensraumvernetzung sowie einer Lehrtätigkeit an der HBLFA für
Gartenbau in Wien arbeitet sie nun im
Büro für Wildökologie und Forstwirtschaft
von DI Horst Leitner (irene.engelberger@
wildoekologie.at).
DER ANBLICK 2/2013