Ein Gesicht, das man sich merken darf

ZÜRCHER KULTUR 29
Neuö Zürcör Zäitung
Montag, 1. Februar 2016
Ein Gesicht, das man sich merken darf
Ein Gespräch mit der Schauspielerin Manon Pfrunder nach ihrem Kinodebüt mit «Die Schwalbe»
Von Schafisheim bis Berlin hat
ihr bemerkenswerter Werdegang
sie schon geführt. Gerade
überzeugt Manon Pfrunder in
einer Filmrolle, doch begonnen
hat ihre Laufbahn am Zürcher
Schauspielhaus. Dorthin kehrt sie
bald zurück – als Regieassistentin.
sondern auf die Bühne, zunächst 2007 in
Form eines einjährigen Praktikums am
Jungen Schauspielhaus Zürich. Dabei
lernte sie nach eigenem Bekunden vor
allem, wie viel Disziplin und Kritikfähigkeit der Schauspielerberuf voraussetzt.
Von Castorf zu Barbara Frey
URS BÜHLER
Diese wohlgeformten Hände könnten
durchaus eine Zündkerze wechseln, vielleicht auch ein Rad, wenn es sein muss:
Der malvenfarbige Lack auf den kurz geschnittenen Nägeln würde dann wohl
etwas abblättern, aber die kräftigen Finger signalisieren: Diese Frau kann zupacken. Manon Pfrunder, deren Name
Bodenständigkeit mit Eleganz kombiniert, passt weder in geschlechter- noch
in berufsspezifische Schubladen.
Soeben ist die Schauspielerin, die sich
für Motorräder und Oldtimer ebenso
begeistern kann wie fürs Kochen, erstmals so richtig ins Rampenlicht gerückt.
Dies mit ihrem Kinodebüt im Eröffnungsfilm der Solothurner Filmfestspiele, der am Donnerstag in den Kinos anläuft: Mano Khalils «Die Schwalbe».
Der Regisseur sagt ihr eine grosse Zukunft voraus, und das ist nicht dahergeredet: Wie sie die Bernerin Mira, die im
kurdischen Nordirak ihren Vaters sucht,
changieren lässt zwischen Haltlosigkeit,
Mut und Übermut, ist eine reife Leistung. Dieses offene Gesicht, das im Film
fern an Claire Danes erinnert, dieses einprägsame Lächeln über diesem neckischen Kinngrübchen möchte man noch
oft wiedersehen auf den Leinwänden.
Keckheit und Seriosität
Beim Treffen am Tag nach Bekanntgabe
der Nominationen für die Schweizer
Filmpreise kann die 27-Jährige eine leise
Enttäuschung über die Nichtberücksichtigung nicht ganz verbergen. Das rundherum gehörte Lob hat Hoffnungen geschürt. Doch es überwiegt die Freude,
Teil eines Projekts geworden zu sein, für
das sie sich beim Casting kaum Chancen
ausgerechnet hatte: Gesucht war eine
Schweizerin mit kurdischen Wurzeln, wo
Manon Pfrunder beim Treffen in Zürich: Die 27-Jährige arbeitet vor Filmkameras so gern wie in der Theaterregie.
sie doch gar keine ausländischen Vorfahren vorzuweisen hat. Sie sprach ohne viel
Erwartungen vor – und erhielt die Rolle.
Das verdankt sie wohl auch ihrem
Mix aus Keckheit und Seriosität, der im
Interview zutage tritt. Das zum Zopf geflochtene Haar ist über die eine Schulter
gelegt, streng und verspielt zugleich, das
schwarze Tuch ist frech um den Hals geknotet wie bei Cowboys im Western,
dazu ein züchtiges weisses Hemd und
ein karierter Blazer. Anfangs sind die
Arme verschränkt, die Antworten kommen etwas zögerlich. Dann wird die Haltung offener, die Sätze fliessen weicher
und formen eine erstaunliche Lebensgeschichte, die von Schafisheim bis nach
Berlin führt, wo sie zurzeit Regieassistentin des legendären Frank Castorf ist.
Aber von Anfang an: Die Liebe zur
Schauspielerei war schon früh in Schul-
theatern geweckt worden. Für die erste
Rolle puderte sich Klein Manon das
Haar, sie spielte eine Grossmutter in
einem selbst ersonnenen und inszenierten Stück. Im Anschluss an die Grundschule im aargauischen 3000-SeelenDorf Schafisheim besuchte sie das Freie
Gymnasium in Basel, ehe sie an der
Stiftsschule Engelberg die Sekundarschule absolvierte. Nach einem Sprachaufenthalt in Australien schnupperte sie
in diversen Berufen, interessierte sich
sehr für eine Ausbildung als Grafikerin,
aber die Lehrstellensuche gestaltete sich
harzig. Sie fühlte sich ungewollt in der
Berufswelt, fand ihren Platz darin nicht.
Das muss sie speziell geschmerzt
haben, die in der Schulzeit schon früh
derartigen Lernwillen entwickelt hatte,
dass Pädagogen irritiert waren: «Ich war
der Schreck der Lehrer, hatte nicht nur
Götter des Gemetzels
Das Theater Neumarkt bringt Ayad Akhtars Islam-Renner «Geächtet» auf die Bühne
DANIELE MUSCIONICO
Ein schöner Mann, dieser Amir, ein
schönes Profil. Ein Mannsbild, ein Bild
von einem Mann, deshalb soll er porträtiert werden, von Emily, seiner Frau.
Dass er keine Hosen trägt, ist egal, so beruhigt diese ihn aus Eigennutz – und hat
natürlich recht. Der Abend im Theater
Neumarkt beginnt lustvoll, geschmackvoll. Vielversprechend.
Amirs Blösse ist nicht nur egal, sie ist
entscheidend. Emily (Claude De Demo)
hält sich den erfolgreichen Wirtschaftsanwalt mit pakistanischen Wurzeln (Ingolf Müller-Beck) seiner Attraktivität
wegen: Er ist im Milieu des New Yorker
Upper East End ihr exotisches Tierchen.
Und sie täuscht sich in ihm nicht. Wenn
Amir am Ende alles verloren hat, seine
Karrierechancen und seine Frau, bleibt
ihm nur noch Wut: Er stürzt sich auf die
Ehebrecherin und verprügelt sie tierisch.
Was gesittet begann, endet im Gemetzel:
Amir hat nun auch moralisch die Hosen
unten. Die Tätlichkeit ist die stimmigste
Szene der heiss erwarteten Premiere.
Mit feinem Gespür für Trends hat das
Theater Neumarkt die US-amerikanische Islam-Komödie «Geächtet» («Disgraced») in die Schweiz geholt und
bringt sie zur Erstaufführung. Der Autor
Ayad Akhtar, der Hauptfigur Amir biografisch verwandt, schrieb 2011 ein Konversationsstück über multikulturelle Liberalität und griff zur bewährten knacki-
gen Spielanlage: New Yorker Minderheiten – ein Muslim (und Islamkritiker),
ein Jude, eine Afroamerikanerin und
eine weisshäutige angelsächsische Protestantin (und Islamliebhaberin) – reissen sich zu grillierten Schweinelenden
gegenseitig die Maske der politisch Korrekten vom Gesicht. Akhtar gewann damit den Pulitzerpreis. Sein Stück ist witzig, klug klischiert, nimmt den Zeitgeist
auf die Schippe und meint Themen wie
Islamophobie, Antisemitismus, Assimilation und Identitätsverlust mit. «Geächtet» ist Boulevard mit Inhalt, eine veritable Theaterschlacht, es ist Yasmina
Rezas «Gott des Gemetzels» nach 9/11
am Schauplatz New York.
Vor einigen Tagen wurde das Stück
am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg zur deutschsprachigen Erstaufführung gebracht, in Berlin hatte es am gleichen Abend Premiere wie in Zürich.
Weitere Bühnen, darunter das Residenztheater in München, folgen. Man hat auf
Akhtars clevere Schnurre gewartet.
Und was erwartet den Zuschauer der
Schweizer Erstaufführung? Nicht wenig.
Aber keinesfalls das, womit zu rechnen
war. Alexander Eisenachs Regie treibt
der Komödie die amerikanische Identität aus und jede Wiedererkennbarkeit –
er verlegt sie in die Welt eines Salons vor
dem Ausbruch der Französischen Revolution. Der Hausherr heisst Verfremdung. In dieser düster-morbiden Welt ist
alles Schein und alles Schwarz oder
Weiss; man trägt umständliche historisierende Kostüme (eine Augenfreude von
Lena Schmid) und übt sich in formvollendeten Kratzfüssen. Die Figuren spielen Charade mit Imitation, Konvention,
Zitat und Plagiat. Das heisst auch: Eisenach schliesst die These des Autors mit
der Funktion von Theater kurz. Alles sei
Spiel, Verabredung, genauso wie Rasse,
Klasse und Identität.
Das ist gut gemeint und elegant gemacht. Der Regisseur gilt in Deutschland als junger Wilder, kritisiert die
Bequemlichkeit des Kulturbetriebs und
fordert: «Das Theater muss Unkonformität impfen.» Konform ist hier wirklich
ein Fremdwort. Die Schauspieler sind
spielfreudig und energetisch gespannt,
Amir von Müller-Beck changiert zwischen Sympathling und Jammerlappen;
Claude De Demo ist eine Entdeckung,
Simon Brusis glaubwürdig überfordert,
und die Anwältin von Abak Safaei-Rad
zeigt Härte, wenn auch spät.
Und doch bleibt etwas auf der Strecke, und womöglich das Entscheidende:
das Theater-Ureigene, die Dramatik.
Soziale Rituale ohne gesellschaftliche
Mitte zu inszenieren, kann nicht die
Lösung sein, um ein Stück Amerika EUkompatibel zu machen. Akhtars Themen
sind auch unsere. Doch in starre Form
gegossen, entkräften sie sich selbst und
ermatten noch rascher als ihr Publikum.
Zürich, Theater Neumarkt, 28. Februar.
SIMON TANNER / NZZ
eine Legasthenie und Dyskalkulie, sondern ging zu allem Übel auch noch sehr
gern zur Schule, obwohl ich logischerweise nicht besonders gut war.» Für eine
solche Mischung, fügt sie lächelnd an, sei
unser Schulsystem nicht eingerichtet.
Die Schreib- und Rechenschwäche
ist inzwischen nicht nur überwunden,
sondern hat durchaus positive Effekte
gezeitigt: Um bei Diktaten mithalten zu
können, hat sie sich früh im Auswendiglernen geübt – und ein fotografisches
Gedächtnis entwickelt. Das kann beim
Einüben von Rollen ziemlich dienlich
sein. Hinzu kam das Glück eines fördernden familiären Umfelds: Die Eltern, beides Juristen, liessen das eigenwillige Kind fliegen und es gleichzeitig
wissen, dass da jemand war, falls es abstürzen sollte. Nicht zum Absturz aber
führte die vergebliche Lehrstellensuche,
Doch der Lernhunger der Manon Pfrunder war längst nicht gestillt. 2011 schloss
sie die dreijährige Ausbildung der European Film Actor School in Zürich ab,
2013 packte sie die Chance, sich an der
Berliner Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz ins Regiefach zu vertiefen –
als Regieassistentin von Frank Castorf
und Sebastian Klink. Castorfs grosse
Ära läuft 2017 aus, und dass sie nun noch
durch seine «Schule» gehen kann, erfüllt
sie mit Dankbarkeit. Während Proben
schnappe er sich ab und zu ihre NZZ, erzählt sie, ehe sie vom Menschen und
Künstler schwärmt, dessen Inszenierungen von einer Unmittelbarkeit seien,
wie sie sonst nur Filmen eigen sei.
Wenn sie von ihrem 64-jährigen Mentor spricht, wird die Stimme fast so sanft,
wie wenn sie über die von ihr verkörperte Filmfigur redet, als gelte es eine
kleine Schwester zu beschützen: Immer
wieder kommt sie im Gespräch auf Mira
zurück, die in ihr ein so starkes Eigenleben entwickelt hat, in unzähligen inneren Dialogen, und deren Mischung aus
Verletztheit und Stärke sie fesselt.
Im Alltag faszinieren Manon Pfrunder nebst inneren Werten ganz besonders – Hände. Sie mag es, wenn man
ihnen ansieht, dass sie Arbeit nicht
scheuen. Ja, ein handwerklicher Beruf
hätte ihr durchaus gefallen können.
Doch nun ist es anders gekommen. Und
es kommt gut. So gut, dass sie nun ihre
Faszination für Theaterregie zurück
nach Zürich bringt: Just hat sie erfahren,
dass sie ab Herbst am Schauspielhaus
für zwei Jahre die Regieassistenz von
Barbara Freys übernehmen darf, deren
Inszenierung von Jon Fosses «Meer» sie
für die entschleunigende Wirkung aufs
Publikum rühmt. So etwas will sie auch
einmal schaffen. Und der Spagat, der
dazu führen soll, ist in ihrem Kopf schon
klar vorgezeichnet: Schauspielerin im
Film, Regisseurin im Theater – das sieht
sie als ideale Kombination für sich.
Beethoven, leicht frisiert
Die Camerata Zürich bringt Transkriptionen zum Klingen
THOMAS SCHACHER
Das Saisonmotto der Camerata Zürich
lautet «Transkription». Damit macht das
Ensemble aus der Not eine Tugend,
denn auf diese Weise kann es Werke aufführen, die an sich nicht für Kammerorchester komponiert sind. Die Bearbeitungen betreffen üblicherweise
Kompositionen für grosses Orchester,
die für die Besetzung eines Kammerorchesters zurückgestutzt werden. So
interpretierte der künstlerische Leiter
Thomas Demenga in der letzten Saison
Schumanns Cellokonzert in einer Fassung mit Streicherbegleitung. Nun beschreitet die Camerata den umgekehrten Weg und bringt aufgeputzte Kammermusikwerke in die Programme.
Das dritte Abonnementskonzert war
ein reiner Beethoven-Abend und kombinierte eine Originalkomposition mit
zwei Transkriptionen. Den Anfang
machte die «Grosse Fuge» in B-Dur op.
133. Beethovens Streichquartett ist vom
Komponisten und Dirigenten Michael
Gielen für Streichorchester bearbeitet
worden. Die Wiedergabe der Camerata
unter der Leitung von Konzertmeister
Igor Karsko im kleinen Saal der Tonhalle machte Gielens Eingriffe schnell
hörbar: Aufteilung der Stimmen, Spiel
am Steg, Verwendung des Dämpfers, gezupfte Töne, bei denen die Saite gut hörbar auf das Griffbrett zurückschnellt.
Gielen, der von der Schönberg-Schule
herkommt, verfolgte damit das Ziel,
Beethovens radikalstes Streichquartett
als neue Musik im Sinn des 20. Jahrhunderts zu reklamieren. Radikal und giftig
klang die Bearbeitung bei den siebzehn
Streichern der Camerata. Teilweise war
dies gewollt, teilweise stellte es sich
durch die nicht makellose Intonation als
Nebeneffekt ein.
Gustav Mahlers Bearbeitung von
Beethovens Streichquartett in f-Moll op.
95 zielt auf den bald sehnsüchtigen, bald
ungestümen Orchesterklang. Hier fanden sich die Interpreten viel besser als
bei der «Grossen Fuge» zu einem homogenen, ausdrucksvollen und rhythmisch
prägnanten Spiel. Beim Mittelstück,
Ludwig van Beethovens zweitem Klavierkonzert, das in Originalbesetzung
geboten wurde, wäre ein heller, leichter
Klang gefordert gewesen, was den Bläsern und Streichern allerdings nur ansatzweise gelang.
Umso mehr fiel auf, dass der Solist
Bernd Glemser genau diese Forderung
einlöste. Ganz ohne Show-Elemente
interpretierte der deutsche Pianist seinen Solopart, punktete aber mit klarem,
durchsichtigem Spiel und beeindruckender formaler Gestaltung. Diese mündete im ersten Satz in eine auftrumpfende Kadenz, im zweiten in ein entrücktes, von Pedaleffekten unterstütztes
Rezitativ
Zürich, Tonhalle, Kleiner Saal, 30. Januar.