«Die Gesundheit blieb stets oberstes Gebot»

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Was macht eigentlich?
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«Die Gesundheit blieb
stets oberstes Gebot»
Rolf Jenni mit Renato Tosio und Ueli Schwarz. Über die Goalie-Legende sagt der Arzt: «Dass er trotz nach­gewiesener Diskushernie
während 14 Jahren in keinem einzigen Spiel gefehlt hat, sagt alles: Er war i­mmer einer der Fittesten, ein ‹Verrückter›.»
25 Jahre lang hat der Berner Arzt Rolf Jenni den SCB als Teamarzt begleitet. Vor vier Jahren
ist er von seiner Funktion zurückgetreten und hat sein Amt ganz an Martin Schär über­
geben, der ihn seit 1991 nach dem Rücktritt von Dieter Gmür in optimaler Zusammenarbeit
zunehmend unterstützt hat. Doch Jennis Herz schlägt immer noch für den Sport und
­natürlich für den SCB.
Sport stand und steht im Zentrum des Lebens
von Rolf Jenni. Der in Bern praktizierende Arzt
tanzte in jungen Jahren sogar auf zwei sport­
lichen Hochzeiten. Einerseits war er Stürmer
beim Eishockey-Erstligisten EHC Rot-Blau.
­Unter anderem zusammen mit den späteren
NLA-Cracks Edi Grubauer, Andy Jorns und
Urs Dolder brachte er es bis zu einem NLBAufstiegsspiel gegen den HC Villars im damals
neuen Allmendstadion. Anderseits war er
­gleichzeitig Handball-Torhüter beim NLB-Klub
GG Bern. Während des Medizinstudiums musste
Jenni dann aus Zeitgründen zurückstecken.
­Zuerst blieb der Handball auf der Strecke, dann
hängte er auch die Schlittschuhe an den Nagel
und wechselte vom Puck zum Filzball. Auf dem
Tenniscourt lieferte sich Jenni unter anderem
mit dem SCB-Meistertrainer Bill Gilligan heisse
Duelle, wobei der Amerikaner ähnlich erfolgreich war wie an der Bande. Inzwischen ist
­Jennis Tennis-Racket dem Golfschläger
­gewichen. Erst kürzlich hat er sich den Sommer
mit zwei Wochen Ferien in Marokko verlängert.
Eine Woche davon war seiner Frau Elisabeth
g­ ewidmet, die andere dem Golfspiel mit langjährigen Freunden. Der aktive Sport ist fester
Bestandteil in Rolf Jennis Wochenplan geblieben. Geprägt haben ihn aber auch die 25 Jahre
als Teamarzt des SCB.
Die Medizin
Max Sterchi, der Mann mit dem gleichen
Jahrgang wie der SCB, ist heute als Vizepräsident von SCB Future der Doyen
­unter den Führungsleuten beim SCB.
Sterchi hat seit 1958 viele wichtige Ämter
im SCB ausgeübt. Vor 30 Jahren war er
beispielsweise TK-Chef. In dieser Funktion ist
er damals auf den jungen Arzt Rolf Jenni
­zugegangen, den er aus dessen Aktivzeit
beim EHC Rot-Blau kannte. Sterchis Anfrage
führte für Jenni zu einem Vierteljahrhundert
­Arbeit im Dienst des SCB. In dieser Zeit trug er
die medizinische Allein- und Mitverantwortung
bei fünf Meistertiteln (1989/1991/1992/1997/
2004). «Die Meistertitel waren natürlich die
­unbestrittenen Höhepunkte. Sie sind in meiner
Zeit immer auswärts erzielt worden. In Erinnerung bleiben mir vor allem die Erlebnisse, wenn
wir aus Lugano oder Zug nach Bern zurück­
gekehrt sind. Es war fantastisch, wie die Mannschaft mitten in der Nacht im eigenen Stadion
von Tausenden ihrer Fans empfangen wurde.»
Rolf Jenni hat jedoch als Teamarzt nicht nur
­Höhepunkte erlebt, sondern in den 25 Jahren
auch starke Entwicklungen – nicht zuletzt im
medizinischen Bereich. Sein Engagement begann ein Jahr, bevor der SCB 1982 in die NLB
abstieg. «Das waren sowohl sportlich als auch
finanziell schwierige Zeiten. Die medizinische
Abteilung war das Stiefkind und ist es sehr lange
geblieben.» Ohne Improvisation hätte Jenni seine
Aufgabe wohl kaum erfüllen können: «Oft habe
ich bei Pharma-Unternehmen angefragt, ob sie
dem SCB Vitamin-Präparate zur Verfügung ­stellen
würden. Später kamen die Puls-Uhren auf. Ich
Rolf Jenni und sein orthopädischer Praxiskollege Andreas Lehmann untersuchen Lance Nethery.
habe fünf davon gekauft. Als ich beim Präsidenten vorsprach und fragte, ob er mir die Kosten
zurückerstatten würde, sagte Fred Bommes nur:
‹Nein, du bist ein reicher Doktor.› Gleichzeitig
hiess es aber schon damals, der SCB sei ein
­professionell geführter Verein.» Kein Gehör fanden während langer Zeit auch Jennis Vorstösse
betreffend optimaler ­Ernährung für die Spieler.
Dass man leere Energie-Depots nach einem
sportlichen Einsatz rasch auffüllen sollte,
war schon in den 80er-Jahren bekannt.
Doch es war wie mit den aufkommenden
Conconi- und Lactat-Tests: Das Interesse dafür war noch nicht vorhanden.
Die Trainer
Quasi als Kehrseite der Medaille zieht
Jenni bezüglich der Zusammenarbeit
mit den Trainern grundsätzlich eine
sehr positive Bilanz: «Eine der schönen Erfahrungen war, dass es in all
der Zeit keinen Trainer gab, der uns
Ärzte in irgendeiner Weise unter
Druck ­gesetzt hätte. Ausnahmslos
alle Coaches haben unsere medizinischen
Beurteilungen und die daraus resultierenden Massnahmen immer respektiert. Die
Gesundheit blieb stets oberstes Gebot. Aber
wir haben dieses Gebot im Rahmen der
Vernunft ausgereizt.» Die Aufzählung
aller Trainer, welche sich den Weisungen der Ärzte widerspruchslos
gefügt haben, würde den Rahmen
an dieser Stelle sprengen. In seiner
Einschätzung der Trainer blieb für
Jenni unter dem Strich eine klare
Erkenntnis: «Die Persönlichkeit ist
entscheidend.»
So erinnert sich der ehemalige Teamarzt an
Timo Lahtinen, der in seiner zweiten Saison
(1987/88) von Anfang an am Limit trainieren
wollte. «Der kanadische Stürmer Kirk Bowman,
ein Musterprofi, kam damals zu mir und sagte
im Namen der Mannschaft, dass die Spieler
­diese Belastung nicht durchhalten würden.» Der
Finne beharrte jedoch auf seiner Linie, mit der
Konsequenz, dass er noch vor Weihnachten
­seine Koffer packen musste. Ganz anders war
diesbezüglich Bill Gilligan, der ein grossartiges
Gespür für die Trainingsdosierung hatte.
«Ich erinnere mich, dass mich der junge Sven
­Leuenberger während ­einer nicht sehr inten­
siven Vorbereitungsphase fragte,
was wir eigentlich machen
­würden. Das sei doch nicht
­genug. Aber in den Playoffs
­waren die Teams von Gilligan
stets in bester Verfassung,
auch mental.» In diesem
Sinn ist Jenni, nun
aus Distanz, auch
­beeindruckt von ­Larry
Huras. «Er hat seine
Topspieler in der
­vergangenen Saison
nicht überbelastet,
sondern die Jungen
eingesetzt und mit
vier Linien gespielt.
Das hat sich am
Ende ausgezahlt.»
Es war nicht einfach, unsere
Idee durchzusetzen und den
Sportpsychologen Jörg Wetzel in
die Arbeit zu integrieren. Aber
Bührer und Rüthemann waren
­sofort überzeugt.» Für Rolf Jenni
bleibt die Hauptrolle des Trainers
jedoch unantastbar: «Der Trainer muss der beste
­Psychologe sein, sonst nützt ihm der beste Sportpsychologe nichts.» Dass Larry Huras die in­
zwischen beim SCB etablierte psychologische
Arbeit noch um den Kanadier Saul Miller erweitert hat, unterstreicht das Geschick des Trainers.
Die Spieler
Rolf Jenni hat in einem Vierteljahrhundert beim
SCB viele ausgezeichnete Spieler erlebt. Einige
sind ihm als überragend in Erinnerung ge­
blieben, nicht nur wegen ihrer Leistungen auf
dem Eis. «Was Gaetano Orlando und Alan
­Haworth geleistet haben, war wirklich beeindruckend. Insbesondere Orlando nahm dabei
keine Rücksicht auf sich selbst. Der hatte nach
jedem Spiel vier, fünf Eisbeutel am Körper. Reijo
Ruotsalainen gehörte natürlich auch dazu. Bei
seiner Klasse war es umso erstaunlicher, dass
er vor wichtigen Spielen oft aus Nervosität
­erbrochen hat. Marco Bührer und Ivo Rüthemann, die ich schon erwähnt habe, gehören
auch dazu. Und dass Renato Tosio trotz nach­
gewiesener Diskushernie 14 Jahre in keinem
einzigen Spiel gefehlt hat, sagt alles: Er war
­immer einer der Fittesten, ein ‹Verrückter›.»
Wirft man einen Blick zurück auf Jennis Tätigkeit beim SCB und seine unaufhörliche sport­
liche Aktivität, darf man auch ihn zu diesen
«Verrückten» zählen. (dk)
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Rolf Jenni
Die Psychologie
Apropos mental. Das Bewusstsein bezüglich
­Fitness, Ernährung und Regeneration habe sich
im Laufe der Zeit gewandelt, nachdem sich Jenni
anfangs vergeblich dafür eingesetzt habe.
­Bezeichnenderweise waren in diesen Ange­
legenheiten Spieler wie Renato Tosio, Ivo Rüthemann und Marco Bührer die Vorreiter – aus­
gerechnet jene, die es am wenigstens nötig
gehabt hätten. Sie seien immer offen gewesen,
neue Methoden anzuwenden, um sich weiter zu
verbessern. «Mit der Psychologie war es ähnlich.
Teamarzt: SCB 1981 bis 2006
SSV Herren alpin Weltcup und Europacup
1977 bis 1986
Volley Köniz Damen seit 1999
Sport: Handball Torhüter bei GGB
1963 bis 75.
Schweizermeister Kleinfeld 1971
Eishockey Stürmer beim EHC Rot-Blau
Bern 1.Liga 1965 bis 77.
Universiade 1970
Tennis Interclub bei Sporting
Golf seit 1988 (Handicap 12)
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