Kolumne von Stefan Zweifel aus dem Schauspielhaus

DAS DU-HEFT
GRATIS AUF
WWW.BLOCHER.CH
von Stefan Zweifel
Letzten Sommer stand ich mit Robert Menasse beim
Dreh für die Sendung „Reporter“, welche vor den Nationalratswahlen kurzfristig aus dem Programm von SRF
gekippt wurde, im Zürcher Kunsthaus vor Ferdinand
Hodlers Wandgemälde „Einmütigkeit“. Man sieht eine
Schar von Männern, die sich im Kreis um einen Anführer versammeln und alle einstimmig die Hand zum Himmel heben. Wir fragten uns: Wann schlägt Demokratie
in Diktatur um?
Ich zitierte ein Lieblingswort von Christoph Blocher:
„Der Starke ist am mächtigsten allein“ aus Friedrich
Schillers „Wilhelm Tell“. Da falsche Zitate bekanntlich
heikel sind, prüfte ich es nach. Und entdeckte, dass es
auch an anderer Stelle aufgeführt wird: Als Motto zum
8. Kapitel von Adolf Hitlers „Mein Kampf“.
Der Gebrauch und oft auch Missbrauch von Zitaten und
der Wandel ihres Inhaltes je nach Kontext, also je nachdem, ob man Schillers „Tell“, Hitlers Kampfschrift oder
eine Wahlkampfrede von Christoph Blocher liest, wäre
nicht nur eine längst fällige Aufgabe für Philologen,
sondern auch für politische Intellektuelle. Stattdessen
scheuchte ein zynischer Auftritt von Blocher im Herzen
des Bildungsbürgertums nur Lukas Bärfuss auf:
Das „Du“-Heft gab Blocher just vor den Nationalratswahlen und dem Rechtsrutsch eine Plattform, sich den MitteWählern als Kunstmäzen zu präsentieren. Der Journalist
Oliver Prange schreibt im Editorial „Der Berg steht und
bleibt, auch er ist nicht verdammt“ – der Wortlaut stammt
aus dem Interview mit Blocher. Der Chefredakteur Oliver
Prange beschwört, dass Blocher Kunst nicht als Kapital
betrachtet, er „dachte nie an eine Sammlung, nur an
Bilder“. Der Satz stammt auch aus Blochers Mund. Der
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Herausgeber Oliver Prange schwärmt von der Arbeitskraft Blochers, wenn er „oft nachts aufsteht“. Auch dieser Satz stammt aus dem Interview. Und prompt schaltete Blocher das ganze „Du“-Heft für uns alle gratis auf
seine Website.
So macht sich das Editorial von A bis Z zum Sprachrohr
eines Politikers, der genau jenen Geist verkörpert, gegen
den im Zweiten Weltkrieg das „Du“ mit Hilfe von Migranten und Flüchtlingen gegründet wurde. Unter Blochers Interview prangte ein Inserat der Autofirma Emil Frey, mit
deren Finanzmacht der SVP-Politiker Walter Frey während
der Zürcher Jugendunruhen den Tages-Anzeiger in die
Knie zwang und ein Schreibverbot für Niklaus Meienberg
durchsetzte. Eine Epoche geht zu Ende. Die Kultur steht
zum Ausverkauf.
Bei einem Gespräch mit Christoph Blocher im BeyelerMuseum über Ferdinand Hodler lobte ich den anarchistischen Geist von Willhelm Tell, der sich gegen die
Mächtigen auflehnte und 1653 das Vorbild der aufständischen Bauern war, die als Tell und Stauffacher verkleidet in die Schlacht zogen, bevor ihr Anführer an einer
Strassenkreuzung vor Bern gevierteilt wurde. Tell, der
linke Rebell?
Es gibt Hinweise, dass Goethe, der den Schweizer
Sagenstoff entdeckte und dann Schiller „auslieh“, diesen Tell als Säumer gezeigt hätte, als Grenzgänger und
Schmuggler also – und damit Urvater der Schweizer
Traditionen, Schweizer Söldner als Wirtschaftsflüchtlinge
in ausländischen Dienst abzuschieben und Geld und
Kapital über die Grenzen zu schmuggeln.
Dürrenmatt unterstellte Tell, er habe den Hut nur deshalb nicht gezückt, weil er sich dumm stellte und so
tat, als sähe er die Fahnenstange gar nicht. Er verglich
damit die Haltung der Schweiz im ersten Weltkrieg, als
zwar nur wenige Hitler grüssten, aber viele mit ihm Geschäfte machten und sich quasi aus Profitgier dumm
stellten. Die schwache Schweiz stellte sich damals ins
Abseits, ganz nach dem Motto: Der Schwache profitiert
am mächtigsten allein. Noch heute ein wirtschaftspolitisches Argument der Euro-Gegner.
Der italienische Philosoph Antonio Gramsci forderte von
den Intellektuellen, dass sie das Feld des Politischen
besetzten. Dieses Feld scheint aber direkt und indirekt
durch jene besetzt, die das Ressentiment gegen Intellektuelle schüren. Schon Platon wollte die Dichter aus
seinem idealen Staat verbannen. Heute wird das Feld
der Intellektuellen von Populisten besetzt. Von der Weltwoche über die BAZ bis hin zum Editorial im „Du“.
Eigentlich ein Ernstfall.
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NÄCHSTE AUSGABE VON ZWEIFELS ZWIEGESPRÄCHE
MIT GÜNTER NETZER UND WERNER DÜGGELIN
Stefan Zweifel trifft in seiner Reihe „Zweifels Zwiegespräche“
den Regisseur Werner Düggelin und den Fussballweltmeister
Günter Netzer zum Gespräch über Theater und Fussball.
24. Januar, Pfauen, 20:00