INTERVIEW Zweifel am Nutzen

INTERVIEW
harte Sanktionen gleich mehrfach bestraft, einmal durch den Angriff
selbst, dann durch den Vertrauensverlust im Fall einer Meldung sowie
durch die Sanktion, wenn der Angriff nicht gemeldet wird, gibt Dr. Oliver
Grün, Präsident des Bundesverbandes IT-Mittelstand e. V. (BITMi), zu
bedenken.
Fazit:
In anderen Branchen wie der Automobil-, Pharma- oder Lebensmittelindustrie gibt es seit Langem gesetzliche Standards und Meldepflichten. Diese sorgen für mehr Sicherheit für jeden Einzelnen zum Beispiel im Straßenverkehr. Dennoch kann nicht jeder Unfall verhindert
werden. An jedem Steuer sitzt ein Mensch und der lässt sich nicht
standardisieren. So ist es bei der IT-Sicherheit auch. Eine Meldepflicht
setzt aber immer erst dann an, wenn das Kind schon in den Brunnen
gefallen ist. Am Ende kann nur ein Zusammenspiel von Regulatorien,
Standards, Einbindung der Hersteller und der Sensibilisierung des Einzelnen für mehr Sicherheit sorgen. „Die Einführung besserer Sicherheitsstandards im Bereich kritischer Infrastruktur ist zu begrüßen. Dies
liegt auch im Eigeninteresse der Unternehmen. Zudem bietet sich die
Chance auf einen Wettbewerbsvorteil. Aber letztlich dürfen die Kosten
den möglichen Nutzen nicht übersteigen“, meint Franz J. Grömping,
Geschäftsführer der Arbeitgebervereinigung für Unternehmen aus dem
Bereich EDV und Telekommunikation e. V. (AGEV).
Kontaktdaten des SPoC (Single Point of Contact):
Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen
Zentrale Ansprechstelle Cybercrime
Telefon: 0211 939 4040
Fax:
0211 939 4198
E-Mail:[email protected]
Die Kontaktdaten der zentralen Ansprechstellen Cybercrime aller
Landeskriminalämter sind veröffentlicht auf der Internetseite der
Allianz für Cybersicherheit (Meldestelle > Kontakt zur Polizei).
https://www.allianz-fuer-cybersicherheit.de/ACS/DE/Meldestelle/
Polizeikontakt/polizeikontakt.html
Interview
Zweifel am Nutzen
Mit ihrem Gesetz zur IT-Sicherheit möchte die Regierung die digitale
Welt ein bisschen besser und sicherer machen. Experten zweifeln,
dass der aktuelle Gesetzesentwurf das probate Mittel ist. Zu viele Fragen sind noch ungeklärt: Was sind „erhebliche Sicherheitsvorfälle“,
und welche Informationen müssen Unternehmen bei einem solchen
Vorfall weitergeben? Fragen, auf die Arne Schönbohm, Präsident
vom Cyber-Sicherheitsrat Deutschland e. V., gerne Antworten hätte.
Die Politiker verunsichern Unternehmen zusehends mit ihren Forderungen und geplanten Vorschriften. Dabei muss IT-Sicherheit nicht
zwangsläufig teuer sein, wie der Präsident des Bundesverband des
IT-Mittelstand, Oliver Grün, erklärt. Was das neue Gesetz bringt und
was es für kleine und mittelständische Unternehmen bedeutet, erklären uns Schönbohm und Grün im Interview.
Arne Schönbohm
Schönbohm studierte Internationales Management in Dortmund, London und Taipeh.
Von 1995 bis 2008 war er bei der EADS beschäftigt, zuletzt als Vice President Commercial and Defence Solutions. Seit Juni 2008 ist
er Eigentümer von Schönbohm Consulting
und seit Dezember 2008 Vorstand der BSS
BuCET Shared Services AG. Darüber hinaus
ist er seit September 2012 Präsident des Cyber-Sicherheitsrates
Deutschland e. V. und seit Dezember 2012 Mitglied der Cyber
Security Coordination Group.
AGEV: Brauchen wir ein neues Gesetz für IT-Sicherheit?
Arne Schönbohm: Bei dieser Gesetzesvorlage wird verwaltet und
nicht gestaltet. Durch die technologischen Entwicklungen der Industrie 4.0 und des Internets der Dinge erhöht sich der Grad der
Vernetzung und damit auch die Angriffsflächen, die von CyberKriminellen für ihre Angriffe ausgenutzt werden. Die Anzahl der
digitalen Delikte nimmt dabei täglich zu. Die Behörden kommen bei
der Menge von Meldungen nicht hinterher, weshalb drei von vier
Straftaten im Cyber-Raum unaufgeklärt bleiben. Bevor wir uns an
ein Gesetz zur Erhöhung der IT-Sicherheit in Deutschland wagen,
brauchen wir eine ganzheitliche Strategie, die öffentliche Behörden und Privatunternehmen mit einbezieht. Unverständlicherweise
werden im IT-Sicherheitsgesetz jedoch nur die Betreiber kritischer
Infrastrukturen adressiert. Staatliche Behörden bleiben hingegen
außen vor.
AGEV: Was kann aus Ihrer Sicht noch verbessert werden?
Arne Schönbohm: Neben den öffentlichen Behörden trägt auch die
Hard- und Software-Industrie eine besondere Verantwortung. Auch
sie sollte im Gesetzesentwurf mit einbegriffen werden. Zudem sind
zentrale Begriffe wie „kritische Infrastruktur“ oder „erhebliche Sicherheitsvorfälle“ bis dato nur unzureichend definiert worden. Welche Informationen im Falle von Angriffen an das Bundesamt für Sicherheit
in der Informationstechnik (BSI) weitergegeben werden müssen, ist
nach wie vor nicht geklärt. Diese wesentlichen Aspekte sollen erst
in einer Rechtsverordnung außerparlamentarisch geklärt werden.
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INTERVIEW
Damit kann von Planungs- und Rechtssicherheit in dem jetzigen Gesetzesentwurf nicht die Rede sein. Diese Defizite tragen dazu bei,
dass verfassungsrechtliche Bedenken vorliegen, die vom Gesetzgeber gegenwärtig noch nicht ausgeräumt worden sind.
AGEV: Welche Auswirkungen hat das Gesetz auf kleine und mittelständische Firmen?
Arne Schönbohm: Bei kleinen und mittelständischen Unternehmen führt das IT-Sicherheitsgesetz zu großer Verunsicherung.
Durch die vom Gesetz vorgesehene Meldepflicht und die neuen ITSicherheitsstandards werden für sie Mehrkosten entstehen. Auf ihre
IT-Sicherheit wird das Gesetz hingegen keine reellen Auswirkungen
haben. Kleine und mittelständische Unternehmen sind nach wie vor
auf ihren Selbstschutz angewiesen, weshalb sie in die Sicherheit und
Kontrolle ihrer IT-Systeme und die Schulung ihrer Mitarbeiter investieren sollten. Sie sind oft wichtige Zulieferer und Kooperationspartner von Betreibern kritischer Infrastrukturen. Denken wir in diesem
Sinne an die Automobil- und Energiebranche. Sollten sich in ihren
Komponenten Sicherheitslücken befinden, droht das ganze Endprodukt Hackern schutzlos ausgeliefert zu sein. Deshalb versuchen Konzerne und kleine und mittelständische Unternehmen voneinander zu
lernen. Unternehmen aus der Energiebranche haben beispielsweise
ein „German Cyber Security Hub Electricity“ (Cyberhub-E) gegründet, in dem sie Know-how bündeln und gemeinsame Maßnahmen zur
Bekämpfung von Gefahren aus dem Netz ausarbeiten.
AGEV: Herr Schönbohm, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
Interview
Gesetz ist eine Belastung
Ob das geplante Gesetz eine nützliche Orientierungshilfe für mehr
IT-Sicherheit oder eher zur Belastung für den Mittelstand wird,
bleibt fraglich. Um die Folgen für kleine und mittlere Betriebe besser einschätzen zu können, haben wir Oliver Grün, Präsident des
Bundesverband des IT-Mittelstand e. V., um seine Meinung gebeten.
AGEV: Selbst große Unternehmen wie Sony oder Adobe bleiben vor
Cyberattacken nicht verschont. Haben wir den Kampf dagegen schon
verloren?
Dr. Oliver Grün
Jahrgang 1969, ist Gründer, Alleinaktionär
und Vorstand der GRÜN Software AG
sowie Präsident des Bundesverband des
IT-Mittelstand e. V. und Vizepräsident des
IT-Mittelstand-Europaverbandes PIN-SME.
Ferner ist er Mitglied des Beirates „Junge
Digitale Wirtschaft“ beim Bundeswirtschaftsministerium, welcher das Ministerium zu
Fragestellungen der digitalen Wirtschaft berät.
Oliver Grün: Nein, den Kampf haben wir nicht verloren. Gerade der
deutsche IT-Mittelstand kann hier einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung der IT-Sicherheit leisten. Nehmen wir bspw. die kritische
Sicherheitslücke in den Routern eines großen deutschen Kabelnetzbetreibers. Die wurde über mehrere Wochen hinweg nicht geschlossen,
obwohl sie bekannt war. Alle Geräte dieses Betreibers und die dahinter
aufgehängte IT waren sehr verletzbar. Durch Diversifizierung und mehr
Wettbewerb wäre es nicht so einfach, im großen Stil Rechner von Bürgerinnen und Bürgern anzugreifen.
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AGEV: Kann ein neues IT-Sicherheitsgesetz helfen, Cybercrime besser zu bekämpfen, oder schafft das nur neue Bürokratie für die Wirtschaft?
Oliver Grün: Nein, das kann es nicht. Das nationale IT-Sicherheitsgesetz schreibt Meldepflichten für Betreiber kritischer Infrastrukturen
vor. Diese Meldepflichten belasten insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen, die häufig entsprechende Strukturen erst schaffen müssen. Außerdem stellt das Gesetz einen nationalen Alleingang
dar. In Brüssel wird derzeit eine Richtlinie verhandelt, die ebenfalls die
IT-Sicherheit in kritischen Infrastrukturen regeln soll. Je nachdem, was
die fertige Richtlinie dann vorschreibt und wie schnell das BMI seine
Verordnung zum Gesetz erlässt, kann es dann sein, dass gerade geschaffene Strukturen noch einmal angepasst werden. Das würde dann
zusätzliche Bürokratie bedeuten. Ob das dann aber tatsächlich zu
mehr Sicherheit führt, das bezweifle ich.
AGEV: Was können kleine Unternehmen mit begrenzten Kapazitäten
tun, um sich wirksam zu schützen?
Oliver Grün: Mehr IT-Sicherheit muss nicht zwangsläufig immer teuer
sein. Über die Hälfte der Angriffe kommen von innen, also von Mitarbeitern oder ehemaligen Angestellten. Hier kann beispielsweise
schon ein gutes Passwortmanagement helfen, bei dem Zugangsdaten
regelmäßig erneuert werden. Auch anscheinend offensichtliche Maßnahmen, wie die Aktualisierung von Antivirenprogrammen und täglich
genutzten Anwendungen, sind hilfreich und wichtig, werden aber oft
nicht konsequent befolgt. Und zuletzt gibt es ja auch z. T. sehr gute und
günstige Möglichkeiten, Daten auf vertrauenswürdigen Servern oder
Clouds zu hinterlegen.
AGEV: Herr Grün, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.