Kreuz & Quer Der Podcast aus dem Bistum Trier Stefan Weinert – 29. August 2015 Ich bin Stefan Weinert von der Rundfunkarbeit im Bistum Trier. Dunkeldeutschland. Kaltland. Schandland. Wortschöpfungen, mit denen Journalisten und andere ausdrücken wollen, wie entsetzt sie sind über Deutschland im August 2015. Wo es dieser Tage den ersten Brandanschlag auf eine Wohnung gab, in der schon Flüchtlinge leben. Wo Häuser brennen, in die Flüchtlinge einziehen sollen. Wo Menschen gegen Flüchtlinge demonstrieren – im sächsischen Heidenau, in Freital, aber zum Beispiel auch in Trier. Dunkeldeutschland, Kaltland, Schandland – das ist auch Berlin, wo Rassisten auf ein fünfjähriges Kind urinieren. Das sind Hassanrufe und schließlich eine Bombendrohung gegen das Willi-BrandtHaus, die Parteizentrale der SPD, nachdem der Parteivorsitzende und Vizekanzler Siegmar Gabriel deutliche Worte gefunden hatte über die Hassdemonstranten in Heidenau. Und das sind übelste Beleidigungen gegen Bundeskanzlerin Angela Merkel bei ihrem Besuch in Heidenau: Volksverräterin, Hure, Nutte und mehr. Dazu Hasskommentare im Internet, auf Facebook. Nein, das sind keine Asylkritiker, keine besorgten Bürger. Natürlich kann man, soll man sich sorgen, wie Deutschland mit den Flüchtlingen umgehen soll. Sorgen vor allem darum, wie wir diese Menschen, die vor Krieg, Gewalt, Unterdrückung, Ausgrenzung oder vor bitterer Armut fliehen, wie wir sie respektvoll und sensibel aufnehmen können – auch wenn das natürlich teilweise logistische Probleme schafft. Aber die müssen gelöst werden, sind auch lösbar. In der Bibel, im Buch Levitikus, auch 3. Buch Mose genannt, spricht Gott: „Der Fremde, der sich bei euch aufhält, soll euch wie ein Einheimischer gelten und du sollst ihn lieben wie dich selbst.“ Stattdessen, bei einem Teil der Einheimischen: Hass und Feindschaft. Und diese Gejammer, voller Neid: Die haben teure Smartphones, die bekommen günstige Wohnungen, denen wird alles geschenkt, aber wir dagegen … Abgesehen davon, dass, alles was da aufgezählt wird, Unsinn ist – die Fakten lassen sich im Web schnell und einfach recherchieren; abgesehen davon – woher dieses Gejammer, dieses Gefühl, zu kurz zu kommen? Natürlich: Es gibt erhebliche Gerechtigkeits-Defizite in Deutschland. Abbau von Sozialleistungen, prekäre Arbeitsverhältnisse. Aber daran sind doch nicht die Flüchtlinge schuld?! Bei einem „Kreuz & Quer“ –29. August 2015 – Seite 2 Teil der Bundesbürger gibt’s diese grausige Mischung aus dem Gefühl, zu kurz zu kommen; aus dem Wunsch, dafür einen Sündenbock zu finden; aus Fremdenfeindlichkeit; und aus einem bestürzenden Mangel an Empathie; einem Mangel, das Leid anderer wahrzunehmen; ein Gespür zu entwickeln für deren Leidensgeschichte. Diese Fähigkeit, fremdes Leid wahrzunehmen, gehört zum Kern des christlichen Glaubens – und damit auch des christlichen Abendlands, dass manche derer, die da krakeelen gegen Flüchtlinge und Fremde, angeblich ja schützen wollen. Der Theologe Johann Baptist Metz schreibt: „Die Empfindlichkeit für das Leid der anderen kennzeichnet Jesu neue Art zu leben. Sie ist der stärkste Ausdruck jener Liebe, die er meinte, wenn er von der unzertrennlichen Einheit von Gottes- und Nächstenliebe sprach. (…) Jesus lehrt nicht eine Mystik der geschlossenen Augen, sondern eine Mystik der offenen Augen und damit der unbedingten Wahrnehmungspflicht für fremdes Leid.“ Nach Metz trägt auch die Kirche Verantwortung dafür, dass fremdes Leid eben nicht immer ausreichend wahrgenommen wird: „Hat etwa die Gottesverkündigung der Kirche nicht zu sehr vergessen, dass sich die Gottesrede der biblischen Traditionen im Eingedenken fremden Leids buchstabiert?“ Zur Erinnerung: Im Buch Exodus gibt sich Gott als der zu erkennen, der das Schreien seines Volkes gehört hat – und ihm daraufhin zu Hilfe eilt. Umso wichtiger ist es, dass landauf landab viele Menschen und darunter auch ausdrücklich viele Christenmenschen offene Augen haben für das Leid der Flüchtlinge und helfen – mit Kleiderspenden, Sprachkursen, Willkommensaktionen, Spielnachmittagen für Kinder und vielen anderen guten Ideen. Es sind viel mehr, die helfen, als die, die ihren Hass herausbrüllen oder auf Facebook herausschreiben. Und es werden immer mehr, die den Hasspredigern auch öffentlich Paroli bieten. Und trotzdem bleibt es erschreckend und verstörend, was da passiert in diesem Sommer in Dunkeldeutschland, in Kaltland, in Schandland.
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