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generalÍanzeiger
blickpunkte
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Randale, Respektlosigkeit und Clan-Gewalt: Die zersplitterte Scheibe eines Ladenlokals zeugt von den Konfrontationen, die Polizisten im Duisburger Norden moderieren mõssen.
gen bei kleinsten Vorfällen, die
schließlich eskalieren, Notärzte
arkus Müller hat behindern, Polizisten in Bedrängdie
Frühschicht nis bringen. "Mit dem ostentatigerade hinter sich ven Griff an die Eier werden Fraugebracht,
aber en und Mädchen unverhohlen anEntspannung stellt gestarrt,
nicht-muslimischen
sich nicht ein. Ist vielleicht auch Mädchen †Hure† und †Fick Dich†
sowieso nicht so sein Ding. Sein hinterhergerufen", notierte ein BeBlick ist direkt und standhaft, ganz amter unlängst in schonungsloser
so, als würde man in zwei Taschen- Sachlichkeit.
lampen schauen. Breite Schultern,
Drei libanesische Familienclans
Haare kurz rasiert, 120-prozentige haben Marxloh terrorisiert, bis InAufmerksamkeit. Eine Ausstrah- nenminister Ralf Jäger den tapfelung, die sagt: "Mach† bloß keinen ren Streifenbeamten 2015 den Zug
Scheiß!" Müller, 47 Jahre alt, ar- einer Hundertschaft zur Verstärbeitet als Polizist in Duisburg- kung schickte. 38 Beamte in acht
Marxloh, jenem Stadtteil, der es re- Streifenwagen unterstützen Mülgelmäßig ohne Mühe in die bun- ler und seine Kollegen nun. Stück
desweiten Schlagzeilen schafft. für Stück erobern sie sich die HoWeil hier mal jemand auf offener heit über Marxloh zurück. Bei
Straße erstochen wird. Oder in ei- "Zwischenfällen", wie Müller sie
ner Trinkhalle ein florierender nennt, gibt es jetzt massive PräDrogenhandel ausgehoben wird. senz. "Allein im ersten Halbjahr
Oder im Sommer auf der Haupt- 2015 sind wir zu 250 Einsätzen mit
straße 200 Menschen mit Migrati- mehr als vier Streifenwagen gefahonshintergrund aufeinander ein- ren."
prügeln. Wegen einer Nichtigkeit,
Vor der Rückeroberung der Straeinem falschen Blick oder der so- ße gilt es erst einmal, Kontrolle über
genannten Familienehre.
die einzelne Situation zu bekomDuisburg-Marxloh: 19 000 Ein- men. "Man muss sich das so vorwohner, 64 Prozent von
stellen", sagt Müller,
ihnen mit ausländi"dass der Polizist zu ei"Irgendwann
schen Wurzeln, 16 Pronem simplen Blechzent Arbeitslosigkeit.
schaden gerufen, dort
steht
"No-Go-Zone" nannte
die Personalien aufman
die Gewerkschaft der
nimmt und sich auf
mit dem
Polizei (GdP) das Viereinmal mit einer riesiRücken zum
tel  eine Vokabel, die
Gruppe aggressiStreifenwagen" gen
der eigenen Hilflosigver Männer konfrontiert sieht." Unbeteiligkeit geschuldet war.
Markus Mõller
Natürlich ist Marxloh
te mischen sich ein, tekein Ghetto, in das sich
lefonieren Verstärkung
Polizist in Marxloh
niemand mehr hineinhinzu, es wird getraut. Bäckerei, Sparschubst, gepfiffen, prokasse, Schnellimbiss: Überall voziert, der Beamte von der wachbrummt das Leben, überall sind senden Gruppe eingekesselt. "Irauch Deutsche unterwegs. Mit der gendwann stehen Sie mit dem Rüfürs Ruhrgebiet typischen Unauf- cken zum Streifenwagen", sagt
geregtheit wird hier Integration ge- Müller.
lebt, ohne dass das Wort überEr drückt das Adrenalin dann
haupt fällt. Tausende türkische weg, irgendwie. "Man agiert da
Gastarbeiter haben in den deut- bloß noch", sagt er. Manche Situschen Wirtschaftswunderjahren ation lässt sich nur mit einem
im Duisburger Norden ihren Platz Schlagstock retten oder mit dem
gefunden, ihre Nachfahren betrei- drohenden Griff zur Schusswaffe.
ben Geschäfte auf der Hochzeits- Die Unruhe, die bisweilen nach
moden-Meile in Marxloh oder an- Feierabend hochkommt, versucht
derswo. Dass selbst sie mittlerwei- er, kleinzuhalten. "Viele Kollegen
le die Nase voll haben von den neu- haben sich versetzen lassen." Doch
en sozialen Umbrüchen, mit den Müller war als junger Polizist vor 27
Kindern in bessere Viertel abwan- Jahren heiß auf Marxloh: "Ich
dern, zeigt, wie gut Integration hier wollte keinen Bürojob, ich wollte
funktioniert hat. Bis vor Kurzem.
helfen." Heute ist er sich nicht mehr
"Ich arbeite seit 22 Jahren auf der ganz so sicher, ob er noch Helfer ist
Wache Hamborn", sagt Markus oder Resterampe schiefgelaufener
Müller, "aber in den letzten Jahren Integrationsarbeit.
hat sich vieles zum Negativen entMichael Heming, 27 Jahre, gewickelt." Über 2000 Straftaten hat hört zu der Hundertschaft, die in
die Polizei 2014 in Marxloh ver- Marxloh hilft. "Bislang fehlte einmerkt, doch was für Anwohner fach die Zeit, kleinere Dinge zu verzählt, findet ja oft gar keinen Ein- folgen", sagt er. Null Toleranz ist
gang in die Kriminalstatistik. Rem- jetzt Strategie. Kippen schnippen,
peleien auf dem Bürgersteig, Weg- auf der durchgezogenen MittelliVersperren, Anspucken von Strei- nie wenden, mit quietschenden
fenwagen, Menschenansammlun- Reifen anfahren  all die kleinen
VON JASMIN FISCHER
M
Auf
einsamem
Posten
BRENNPUNKT MARXLOH Sie sind
vom Schutzschild zur Zielscheibe
geworden: Polizisten im Duisburger Norden
ringen mit libanesischen Großfamilien
um die Hoheit über ganze Straßenzüge.
Zwei Beamte berichten
Marxloh ist bundesweit bekannt fõr seine Meile der Hochzeitsmode und
weil Angela Merkel 2015 zu Besuch war. Schlagzeilen schreibt das Viertel vor allem wegen seiner Banden-KriminalitÝt ‘ Alltag fõr die Polizisten
FOTOS: DPA/FRANK PREUSS (1)
Michael Heming (links) und Markus Mõller.
3
FOTO: DPA
Polizei analysiert rechtsfreie RÝume in interner Studie
In einer vertraulich eingestuften ClanAnalyse vom PolizeiprÝsidium Duisburg beschreiben die Beamten die
problematischen Gruppen:
‚Die relevanten Gruppen setzen sich
õberwiegend aus den JahrgÝngen
1990-1998 aus ausschlieälich mÝnnlichen Mitgliedern zusammen. Beinahe
100 Prozent der Personen sind polizeilich bereits in Erscheinung getreten,
wobei Raub, Diebstahl und Kïrperverletzung die vorherrschenden Delikte sind. Ein Groäteil der Gruppen
scheint untereinander in irgendeiner
Weise vernetzt. So ist es nicht unõblich, dass man von unbeteiligten
Gruppen in einem anderen Stadtteil zu
einem Einsatz aus der Vergangenheit
befragt wird. Nahezu alle Gruppen haben Kontakt zu BetÝubungsmitteln.
Es werden sehr regelmÝäig BetÝubungsmittel in Konsummengen aufgefunden. Bei Kontrollen werden immer
hÝufiger Waffen und verbotene GegenstÝnde im Umfeld der Personen
aufgefunden. Gleichzeitig hat sich die
Bereitschaft, sich einer Kontrolle
durch Flucht zu entziehen, noch
einmal erhïht.Ž
Formen der Respektlosigkeit zie- liche Schwierigkeiten gibt es längst
hen jetzt Konsequenzen nach sich. auch in Dortmund, Essen, GelsenJede Ordnungswidrigkeit kostet kirchen, Düsseldorf und Köln  wie
Geld, und die Geldstrafe kann nur in fast jedem postindustriellen Balgegen Gefängnis getauscht wer- lungsraum dieses Bundeslandes.
den. Das striktere Auftreten mit Nirgendwo ist es allerdings so
mehr Beamten hilft. Aggressive schlimm wie in Duisburg-MarxMassenansammlungen hat es in loh.
jüngster Zeit kaum noch gegeben,
"Wir als Polizei können das nicht
sagen beide.
allein lösen", sagt Arnold Plickert,
Das kulturelle Missverständnis Chef der GdP in NRW, für die auch
aber lässt sich nur in Schach hal- die beiden Marxloher Polizisten
ten, so lange die Duisburger Poli- sprechen. "Es muss in Integration
zei personelle Verstärinvestiert werden, in
kung durch die HunBildung,
in
guten
"Besser
dertschaft hat. "Wir
Wohnraum." Das sei in
wäre es,
begrüßen die Mender Vergangenheit verjährlich
schen ja selbst nach
säumt worden. "Gera2000 neue
Verstößen freundlich,
de jetzt, da viele AsylPolizisten
nehmen ihre Personasuchende in die Städte
einzustellen"
lien auf, festgenomströmen, dürfen sich
men werden nur wenidiese Fehler nicht wiege", erklärt Heming,
derholen."
Arnold Plickert
"so funktioniert unser
Dass die Polizei mehr
GdP-Chef fõr NRW
Rechtsstaat, doch in
Mitarbeiter
braucht,
Marxloh wird uns das
predigt er seit Jahren.
eben als Schwäche ausgelegt." Je- 3,6 Millionen Überstunden hat die
ne, die sich in einem der drei gro- Polizei NRW im vorigen Jahr geßen libanesischen Clans engagie- leistet  und bei der dünnen Perren  wobei viele in Wahrheit Kur- sonaldecke kaum eine Chance, zu
den, Syrer oder Iraker sind, die die verschnaufen. 2000 Stellen sind
Bürgerkriegswirren im Libanon seit 2003 verloren gegangen, kritigenutzt haben, um dort einen neu- siert Plickert. Um in Ballungsräuen Pass zu ergattern  seien aus ih- men die Kontrolle zu behalten,
rer Heimat eben härtere Polizeime- bräuchte die Polizei 500 neue Anthoden gewohnt. Der nette Deut- gestellte, die alte Hasen aus der
sche in Uniform genießt bei ihnen Verwaltung freisetzen würden für
erst Ansehen, wenn auch er in die Arbeit im Streifen- und ErmittMannschaftsstärke auffährt.
lungsdienst  und zwar jetzt soDass der Respekt vor der Polizei fort. "Noch besser wäre es, jährfehlt, liegt auch an der überforder- lich 2000 neuen Polizisten einzuten, laschen Justiz. Bei größeren stellen. Die brauchen wir", betont
Delikten schreiben Müller und He- Plickert. Illusorisch.
ming den Tätern eine Anzeige.
Derweil schieben Müller und der
Meist kommt es mangels Interesse junge Heming unverdrossen weider Staatsanwaltschaft gar nicht ter Dienst. Müller hat 2015 bis auf
erst zum Verfahren, und wenn, vier jedes Wochenende gearbeitet.
dann erst Monate später. Im rohen "Man lernt hier was", sagt HeStraßenkampf gegen Familien- ming, "wenn man wie Müller 22
clans sind Staatsanwälte den Poli- Jahre in Marxloh unterwegs ist,
zisten kaum eine Unterstützung.
dann hat man†s drauf." Außer ei18 Hundertschaften gibt es in ner Ufo-Landung, sagt der Ältere
NRW, Teile einer einzigen küm- der beiden, hätten sie in Marxloh
mern sich trotz vieler anderer Auf- schon alles gesehen. Bis Ende des
gaben in Vollzeit um Marxloh. Hier Jahres bleibt die Verstärkung der
kristallisieren sich die Probleme al- Hundertschaft in Duisburg. Wie es
ler deutschen Brennpunkte. Ähn- dann weitergeht, weiß niemand.