Die Posttraumatische Belastungsstörung

Posttraumatische Belastungsstörung
Symptomatik - Entstehung - Behandlung
Dr. Silke Huffziger
23.06.2015
Klinik für Psychosomatik und Psychotherapeutische Medizin
Zentralinstitut für Seelische Gesundheit Mannheim
Was ist ein Trauma?
„Kurze oder langanhaltende Ereignisse von
außergewöhnlicher Bedrohung mit katastrophenartigem
Ausmaß, die nahezu bei jedem tiefgreifende Verzweiflung
auslösen würden.“
(WHO 1994, ICD-10)
„Tatsächlichem oder angedrohtem Tod, schwerwiegenden
Verletzungen oder sexueller Gewalt ausgesetzt sein“ (APA
2013, DSM-5)
Potentiell traumatisierende Situationen
(Maercker 2009)
Symptombild der
Posttraumatischen Belastungsstörung nach DSM-5
• Wiederkehrende Erinnerungen
Intrusionen, Flashbacks, Alpträume, Belastung bei den Erinnerungen
• Vermeidungsverhalten
der Betroffene spricht nicht über das Geschehene, meidet bestimmte
Orte, versucht Erinnerungen zu bekämpfen
• Veränderung in Denken und Stimmung
Partielle Amnesie, negative Überzeugung über sich oder andere,
Schuldgefühle, negative Emotionalität, verringertes Interesse,
emotionale Taubheit, Entfremdung von anderen
• Übererregbarkeit
Ein- und Durchschlafschwierigkeiten, Reizbarkeit und erhöhte
Aggressivität, Schreckhaftigkeit, Störungen der Konzentration und des
Gedächtnisses, leichtsinniges oder selbstgefährdendes Verhalten
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Dissoziativer Subtyp im DSM-5
• Bei Vorhandensein ausgeprägter
Derealisation und/ oder Depersonalisation
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Epidemiologie
Ca. 60 % der Amerikaner erleben mindestens ein Trauma,
davon entwickelt nur ein kleiner Teil eine PTBS (8% der
Männer, 20% der Frauen; Kessler et al., 1995)
ca. 20-30 % der Deutschen erleben mindestens ein Trauma,
Einmonatsprävalenz für PTBS in Deutschland ca. 2%
(Maercker et al., 2008)
Trauma ≠ PosBraumaCsche Belastungsstörung
Verlauf der PTBS:
– 1/3 Symptomverbesserung innerhalb eines Jahres
– 1/3 Symptomverbesserung innerhalb von 5 Jahren
– 1/3 länger als 10 Jahre
Zeit heilt nicht alle Wunden.
Komorbidität
Bei ca. 88% aller Männer und 79% aller Frauen mit
PTBS findet sich in der Lebensgeschichte eine
komorbide Störung (Kessler et al., 1995)
Am häufigsten sind:
– Affektive Störungen
– Andere Angststörungen
– Substanzmissbrauch
– Somatisierungsstörung
Erhöhtes Risiko körperlicher Erkrankungen
Risikofaktoren für PTBS I
• Art des Traumas:
– Je schwerer und länger das Trauma war (Typ-I vs Typ-II Trauma)
– Je lebensbedrohlicher das Trauma empfunden wurde
– Wenn es durch andere Menschen verursacht wurde („man-made“)
– Risiken für PTBS:
nach Vergewaltigung
nach Krieg
nach Verkehrsunfall
ca. 50%
ca. 50%
ca. 10%
(Flatten et al 2011)
• Geschlecht (Risiko bei Frauen verdoppelt)
• Frühere Traumata
• Vorgeschichte psychischer Krankheiten
• Niedrige soziale Unterstützung
• Weitere belastende Ereignisse, inkl. negativer Folgen des Traumas wie
Arbeitsverlust, Gerichtsverfahren, bleibende körperliche Schäden
Entstehung und
Aufrechterhaltung der PTBS
Störungsmodelle: Traumagedächtnis
Annahmen von Clark & Ehlers über das autobiographische
Gedächtnis von Traumata (2000)
Ungenügende Elaboration und Einbettung in die Struktur des
Autobiographischen Gedächtnisses (ungenügende Integration
bezüglich Raum, Zeit und vorausgehenden / nachfolgenden
Informationen).
Konsequenzen:
Erinnerungen bruchstückhaft und ungeordnet
Probleme, einzelne Details und die genaue Reihenfolge
abzurufen
Intrusionen vornehmlich als sensorische Eindrücke
Erleben, als würde es gerade geschehen
Traumagedächtnis:
Metapher Puzzleteile
Während Situationen viele Wahrnehmungen z.B. Licht,
Geräusche, Gerüche – einzelne Puzzleteile
im Gehirn findet Zusammensetzung zu einem Puzzle und
Ablegung des Puzzles in unserem Gedächtnis statt
bei einem traumatischen Ereignis können Puzzleteile nicht
zusammengesetzt werden
sie sind unverarbeitet, liegen lose herum
wenn man über ein Teil stolpert, fühlt sich die Wahrnehmung
wirklich an, weil die Informationen der anderen Teile fehlt
z.B. ich habe es überlebt, das war vor … Jahren
daher sind Erinnerungen bruchstückhaft & ungeordnet und es
bestehen Probleme Details abzurufen
Störungsmodelle: Klassische
Konditionierung
PTBS als klassisch konditionierte emotionale Reaktion
Merkmale der traumatischen Situation werden an emotionale
und körperliche Reaktionen gekoppelt. Stimuli, die den
Bedingungen während der Traumatisierung ähneln, lösen in
der Folge ähnliche Reaktionen wie während des Traumas aus.
Klassische Konditionierung bei
traumatischen Ereignissen
Gegenstände
Farben
Ort
Trauma
Gerüche
Personen
Geräusche
Schmerz /
Angst / Ekel
…
Störungsmodelle: kognitive Schemata
Anwendung von Becks (1985) Theorie der kognitiven
Schemata auf die PTB (Horowitz, 1976, Foa & Riggs,
1993, Ehlers & Steil, 1995; Clark & Ehlers, 2000)
Das Trauma erschüttert grundlegende kognitive Schemata und
verändert sie in dysfunktionaler Weise oder aktiviert und
bestätigt latent vorhandene dysfunktionale Schemata.
Betroffene entwickeln eine PTB, wenn sie das Trauma oder
seine Folgen als schwerwiegende gegenwärtige oder zukünftige
Bedrohung wahrnehmen.
Veränderung von Schemata
bin
normal
…
ist
gerecht
…
vorher
nachher
bin
vertrauensvoll
kann kein
Vertrauen haben
ICH
…
habe die
Zukunft vor mir
hält Gutes
bereit
die
Welt
werde
verrückt
…
ICH
bin
schuldig
habe keine
gute Zukunft
ist schrecklich
…
ist
vertrauenswürdig
ist
ungerecht
…
die
Welt
…
ist nicht
vertrauenswürdig
Typische Folgen: geringer Selbstwert, Scham- und Schuldgefühle, wenig
Zuversicht hinsichtlich der Zukunft, überhöhte Wahrnehmung von
möglichen Gefahren …
Aufrechterhaltung der PTBS
• Chronifizierung einer PTBS ist von unterschiedlichen
Faktoren abhängig (z.B. Traumaschwere, Häufigkeit der
Ereignisse, Fähigkeiten zur Gefühlsregulation, soziale
Unterstützung)
• Diese Faktoren beeinflussen, ob die Betroffenen sich mit
dem traumatischen Ereignissen auseinandersetzen können
oder ob sie Meidungsstrategien entwickeln
• Operante Konditionierung: Symptome bleiben als Folge
von negativer Verstärkung durch Vermeidung
traumarelevanter Stimuli aufrechterhalten.
„Die Lösung wird zum Problem!“
PTBS als „Störung der Erholung“
Nach einem Trauma sind Intrusionen, negative Kognitionen
und starke, belastende Emotionen zunächst normal
Symptome werden mit der
Zeit weniger
Dysfunktionales Verhalten wie
Vermeidung (von Erinnerungen,
Gefühlen, Orten, Aktivitäten),
Escapestrategien oder
Substanzgebrauch
Gesunder Verlauf nach
Traumatisierung
Blockierung des normalen
Erholungsprozesses
PTBS
Behandlung der PTBS
Wirksame Interventionen bei PTBS
Psychopharmakotherapie
Traumafokussierte Psychotherapie (Bisson et al., 2007)
Alle wirksamen Verfahren beinhalten
Konfrontation mit traumarelevanten Reizen
und/ oder die Veränderung nicht funktionaler
traumabezogener Kognitionen.
Psychopharmakotherapie bei PTBS
SSRI:
Medikamente erster Wahl!
Wirksamkeit nicht nur auf (co-morbide) depressive,
sondern auch PTBS-spezifische Symptome
am besten belegt: Paroxetin und Sertralin
Klassische (z.B. trizyklische) Antidepressiva:
Wenn SSRI nicht genügend wirken
Bei ausgeprägten Schlafstörungen z.B. Amitriptylin
Psychopharmakotherapie bei PTBS
Benzodiazepine:
In der hausärztlichen Praxis am häufigsten
verschriebene Medikamente bei PTBS!
Wirken nur auf Arousal-Symptomatik
Cave Abhängigkeit!
Neuroleptika:
Bei isolierter PTBS nicht indiziert
Indikation gegeben bei co-morbider psychotischer
Symptomatik
Psychotherapie bei PTBS
Zwei Standbeine der Therapie
Kognitive Therapie: Belastende Gedanken und Gefühle zum
Trauma oder zu dessen Folgen werden bearbeitet.
Exposition: Dosierte und kontrollierte Konfrontation in sensu
(in der Vorstellung) und in vivo (in der Realität) unter
geschützten therapeutischen Bedingungen
Kontraindikationen:
Akute Suizidalität, akute psychotische Symptomatik, den Pat.
akut gefährdende komorbide Störung (z.B. Drogenabusus,
Essstörung), Täterkontakt mit Traumatisierungsrisiko
Beispiele für Elemente der
Kognitiven Therapie
Bearbeitung von Befürchtungen und
negativen Interpretationen
bzgl. des Traumas
Bearbeitung von Schuldgefühlen
Bearbeitung von Befürchtungen und negativen
Interpretationen
Beispiele:
Befürchtung: „Wenn ich darüber spreche höre ich nie wieder auf
zu weinen.“
Negative Interpretation bzgl. des Traumas: „Die Welt ist grausam
und schrecklich und ich bin nirgends sicher“
Columbotechnik:
z.B. Wie lange genau würden Sie weinen…?
Realitätsüberprüfung:
z.B. Haben Sie schon einmal erlebt, dass ein Mensch bis an sein
Lebensende weinte….?
z.B. Gibt es einen Ort, an dem sie ganz gerne sind?
Bearbeitung von Schuldgefühlen
• Genaue Exploration der Vorwürfe und zu welcher Zeit
entstanden
• Genaue Analyse der Vorgänge und Handlungen während des
Traumas; evtl. auch alternative Handlungsweisen en detail
durchgehen
• Hilfreiche Techniken:
– Sokratischer Dialog (z.B. Gibt es andere Erklärungen? Würden andere
Menschen das genauso sehen? Warum haben Sie sich so und nicht
anders verhalten? Wie hätten Sie wissen können, was passieren würde?)
– Verantwortungskuchen
– Advocatus diaboli: z.B. Sie denken, Sie haben Ihren Vater dazu gebracht, Sie zu
vergewaltigen. Was haben Sie getan, um ihn dazu zu bringen?
– Unschuldsplädoyer
Exposition
Ein Bild zur Traumaverarbeitung
Ein psychisches Trauma ist wie eine seelische Verletzung. Die
Heilung verläuft ähnlich wie bei einer körperlichen Verletzung.
Wenn man sich schneidet, blutet die Wunde. Irgendwann hört die
Blutung auf und die Wunde beginnt sich zu schließen. Darunter ist
das Gewebe noch empfindlich. Kleinste Berührungen können sehr
schmerzhaft sein.
Wenn Keime eingedrungen sind, kann sich Eiter bilden. Dann muß
die Wunde noch einmal geöffnet und gereinigt werden.
Anschließend wird sie versorgt und verbunden.
Die Wunde kann jucken, wenn sie verheilt. Manchmal schmerzt der
ganze Bereich. Irgendwann aber ist die Verletzung ausgeheilt.
Zurück bleibt eine Narbe. Wenn man sie ansieht, erinnert man sich
daran, was gewesen und passiert ist. Aber es tut nicht mehr weh.
Ziele der Exposition
Habituation (nach Foa & Rothbaum, 1998)
entsprechend der Lerntheorie
Elaboration des Trauma-Gedächtnisses und
Bearbeitung der negativen Interpretationen bezüglich
des Traumas (nach Ehlers & Clark, 1999)
entsprechend der Theorien des
Traumagedächtnisses und der kognitiven Schemata
Kontextlernen: die automatisierten assoziativen
Verbindungen des trauma-bezogenen neuronalen
Netzwerkes sollen unterbrochen und mit neuen,
kontext-abhängigen Informationen verknüpfen werden
Vorgehen Exposition
•
•
•
•
•
Rational erarbeiten
Spezifische Diagnostik der Vermeidung
Hierarchisches Ordnen der belastenden Erinnerungen und
Situationen
Exposition in sensu
– Patientin sitzt bequem und schließt die Augen.
– Sie visualisiert das traumatische Ereignis mit dem Ziel, möglichst
ähnliche Gefühle, Gedanken und Reaktionen hervorzurufen wie
während des Traumas.
– Sie berichtet über das, was sie erlebt, als würde es gerade
geschehen.
– Dies wird mehrfach wiederholt. In der Sitzung wird ein Tonband
aufgezeichnet, dies soll täglich gehört werden.
Exposition in vivo
– Aufsuchen von Auslösern von Erinnerungen, belastenden
Gefühlen und vermiedenen Dingen (z.B. Unfallort, Martinshorn,
Gerüche …)